Vor etwas mehr als zwanzig Jahren erlebte der Bürgerhaushalt seine erste Blüte. Gefördert vor allem durch die Bertelsmann-Stiftung sollten die Bürgerinnen und Bürger stärker für die Belange ihrer Kommune interessiert werden. Erreicht werden sollte dieses Ziel, indem man sie dort beteiligte, wo die zentralen politischen Weichenstellung für die Zukunft getroffen werden: bei der Aufstellung des Haushalts. In einigen Fällen gelangen zwar Anfangserfolge, diese waren aber zumeist nicht von Dauer.
In manchen Fällen konnte man hingegen den Eindruck gewinnen, es ginge der Verwaltung nicht darum, den Bürgerinnen und Bürgern ein echtes Beteiligungsangebot zu machen, sondern vielmehr darum, einer breiteren Öffentlichkeit einmal vorführen zu können, welch schwierige und mühselige Arbeit man verrichten müsse.. Gleich wie ernsthaft die Beteiligung tatsächlich ins Auge gefasst wurde, vielerorts resignierten die Initiatoren bereits nach kurzer Zeit. So konstatierte der Pressesprecher der Stadt Monheim am Rhein, Michael Hohmeier:
„Wir waren glücklich, wenn 20 Leute zu unseren Informationsveranstaltungen kamen“.
Der Bürgerhaushalt – „Als Tiger losgesprungen, als Bettvorleger gelandet?“
In der derzeit geführten Diskussion um Sinn und Unsinn der Bürgerhaushalte treten drei wesentliche Kritikpunkte besonders hervor:
Die ursprüngliche Zielsetzung, die Bürgerinnen und Bürger in das komplexe Verfahren der kommunalen Haushaltsaufstellung einzubeziehen, wurde nicht erreicht und inzwischen aufgegeben. Unter der Bezeichnung „Bürgerhaushalt“ firmieren inzwischen nur noch Vorschlagsammlungen für Maßnahmen und (Investitions-)Projekte, oder Abstimmungsverfahren über Vorschläge von Politik und Verwaltung.
Die Zahl der sich beteiligenden Bürgerinnen und Bürger ist gering. Der Teilnehmerkreis setzt sich überwiegend aus männlichen Personen mittleren Alters mit höherer Schulbildung und höherem Einkommen zusammen. Daher stellt sich die Frage, ob die im Rahmen von Bürgerhaushalten ermittelten Maßnahmen genügend Legitimation besitzen, dass demokratisch gewählte Stadt- und Gemeinderäte diese übernehmen
Die geringen Beteiligungszahlen werfen ein weiteres Problem auf: Wie nachhaltig ist die Bürgerbeteiligung mittels Bürgerhaushalt überhaupt? In vielen Fällen ist festzustellen, dass Bürgerhaushalte bereits wieder eingestellt worden sind. Die Frage, ob das Projekt „Bürgerhaushalt“ mit der Zeit leise einschläft scheint berechtigt. Denn ähnlich wie im Falle des betrieblichen Vorschlagwesens gibt es wohl auch für einen kommunalen Haushalt nicht jeden Tag neue Ideen – vielmehr drohen sich die Diskussionen um viele inhaltlich ähnliche oder gar gleiche Vorschläge im Kreis zu drehen.
Kritikpunkt 1: Hoher Anspruch des Konzepts – Die Realität sieht anders aus
Der Bürgerhaushalt in Deutschland geht auf eine Initiative der Bertelsmann Stiftung und des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, die im Jahre 2000 mit sechs Pilotkommunen das Modellprojekt „Kommunaler Bürgerhaushalt“ ins Leben riefen.
Ernüchternde Erfahrungen mit Informationsveranstaltungen
Es war nun bereits eingangs für Monheim am Rhein zu sehen, dass zu den Informationsveranstaltungen zum Haushalt maximal 20 Personen kamen. Der Autor hat persönlich an vergleichbaren Veranstaltungen in den Städten Tübingen, Gießen und der Gemeinde Haßloch teilgenommen. Zieht man noch die Stadt- und Gemeinderatsmitglieder sowie die Verwaltungsmitarbeiterinnen und –Mitarbeiter von den Anwesenden ab, dann scheinen 20 Personen in Monheim noch ein „guter Wert“ zu sein. In Tübingen war diese geringe Beteiligungsbereitschaft bereits in den Vorjahren festzustellen. Nach mehreren „ernüchternden“ Jahren war dies für den dortigen Oberbürgermeister Boris Palmer, wie auch im Falle der nordrhein-westfälischen Pilotkommunen, ein Grund, zu überlegen, die Veranstaltung einzustellen.
Vier der sechs ursprünglichen nordrhein-westfälischen Pilotkommunen haben das Projekt sofort mit dessen Ende (und mit der letzten Auszahlung der Fördermittel) 2004 eingestellt. In Hilden, gab es 2009 noch einen Wettbewerb mit der Prämierung von drei Bürgervorschlägen. 2010 hat ein Gutachter Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung erarbeitet. Bürgerhaushalt bedeutete dann nur noch, dass man die Vorschläge im Forum im Internet anklicken und Kommentare schreiben konnte.
Neuer Anlauf mit Web 2.0
Die Hansestadt Hamburg und die Stadt Freiburg
Den Bürgerinnen und Bürgern wurde die Möglichkeit eingeräumt, eigene (Ausgaben-)Schwerpunkte zu setzen. Sie konnten nicht nur einzelne Ausgaben- oder Projektvorschläge machen, sondern Mehr- oder Minderausgaben für die Haushaltsbereiche der Kommune (z.B. Schule, Grün- und Verkehrsflächen, Sport, Sicherheit und Ordnung, etc.) vornehmen und so ihren eigenen, „persönlichen“ Haushaltsplan aufstellen. Die Zusammenfassung der Haushaltsbereiche orientierte sich dabei in der Regel an der fachlichen Aufgabenverteilung zwischen den Dezernaten und Abteilungen der Kommune.
Ziel dieses Modells war es auch entweder einen „ausgabenneutralen“ Haushalt aufzustellen oder es sollten, falls Mehrausgaben nötig werden, Finanzierungsvorschläge für diese gemacht gemacht werden. Die persönliche Haushaltsaufstellung durch die Bürger wird durch einschlägige Web2.0-Instrumente erheblich erleichtert. In Hamburg und Freiburg kamen etwa sogenannte „Haushaltsrechner“ zum Einsatz: Mit Hilfe eines Schiebereglers kann dabei jede einzelne Haushaltsposition (z.B. „Kultur“), z.B. von 0% bis auf 200% gesetzt werden (100% ist dabei die „Voreinstellung“ und entspricht dem aktuellen Haushaltsentwurf der Kommune). Der folgende Screenshot zeigt ein Beispiel aus Hamburg.
Das Hamburger Internet-Tool bietet vielfältige Möglichkeiten für die Bürginnen und Bürger, sich zu informieren, einen „eigenen Haushalt“ aufzustellen und sich mit anderen Usern auszutauschen. Es zeigt aber auch, wo die Probleme liegen. Denn um das Budget für die Bürgerschaft, das Verfassungsgericht und den Rechnungshof festzulegen, muss man sich sehr intensiv mit der Materie auseinandergesetzt haben. Die Meinungsbeiträge auf der linken Seite deuten allerdings nicht darauf hin, dass dies immer der Fall war und es fragt sich, ob dies bei der Mehrheit der Bevölkerung überhaupt der Fall sein kann.
Es wundert daher nicht, dass die „Verwertungsperspektive“ der Ergebnisse des Bürgerhaushalts mehr als vage ist: „Im Jahr 2009 gibt Hamburg 9,2 Milliarden Euro für die verschiedenen Haushaltsposten aus (ausgenommen ist die allgemeine Finanzverwaltung). Kurzfristig gibt es hier kaum Änderungsspielräume, während grundsätzliche Neuorientierungen mittelfristig aber möglich sind. Daher richtete sich der Bürgerhaushalt Hamburg auf den Zeitraum bis zum Jahre 2020 und den bis dahin möglichen Änderungen.“
Ein mehr als zehnjähriger Planungshorizont ist zudem in der Politik üblicherweise eher unrealistisch. So ist zum Beispiel die im Jahre des Bürgerhaushalts geplante Schulreform in Hamburg auf Grund eines Bürgerentscheids längst Geschichte. Aus dem obigen Zitat ist zu schließen, dass es vor 2020 in Hamburg keinen weiteren Bürgerhaushalt (in dieser Form) geben wird. Bedenkt man die geringe Beteiligungsrate, ist auch eine Wiederholung nach 2020 eher unwahrscheinlich.
Auch in Freiburg ist nicht geplant, den Bürgerhaushalt in der Form von 2009 weiter zu verfolgen, obwohl dies ursprünglich angestrebt wurde: „Die Ex-Post-Analyse anderer Städte zeigte, dass viele Verfahren in Deutschland Schwierigkeiten haben, die Bürgerinnen und Bürger langfristig an Verfahren zum Haushalt zu binden.“
Kritikpunkt 2: Geringe Beteiligung – „Bevorzugung“ der Mittelschicht
Für das Beispiel Hamburg war bereits im letzten Abschnitt zu sehen, dass sich nur ein Bruchteil der Bevölkerung am Bürgerhaushalt beteiligt hat.
Geringe Beteiligungsquoten als Hauptproblem
Die Beteiligungsquoten lagen in Freiburg etwas höher als in Hamburg, und zwar (jeweils in Prozent der Wahlberechtigten) bei der Stadtkonferenz bei 0,13%, bei der Internetplattform bei 1,22% und bei der Befragung bei 1,68%. Nimmt man an, dass es keine bedeutsame Anzahl an „Doppelbeteiligungen“ gab, dann ergibt sich eine Gesamtbeteiligung von etwas über 3% der Wahlberechtigten. Sicher einer der wesentlichen Gründe, warum man in Freiburg den Bürgerhaushalt in der aufwändigen Form von 2009 nicht weiter verfolgt hat.
Kritisch ist die geringe Beteiligung vor allem in Verbindung mit einem weiteren Problem: den hohen Kosten. Die Gesamtkosten betrugen in Freiburg im Jahr 2009 etwa 680.000,- Euro. Sehr unterschiedlich fällt die Bilanz der unterschiedlichen Bausteine aus. Die repräsentative Umfrage verursachte Kosten von ca. 58,- € pro Teilnehmer, die Diskussion über das Internet 110,- €. Für die Stadtkonferenz entstanden aufgrund der intensiven Vorbereitungen und des hohen Personaleinsatzes Kosten von rund 1.500, -€ pro Teilnehmendem. Das Problem von Aufwand und Ertrag stellt sich damit ein weiteres Mal – wie bereits wie in der ersten „Pilotphase“ des Bürgerhaushalts um das Jahr 1990.
Unter geringen Beteiligungsquoten leiden nicht nur die „anspruchsvollen“ Bürgerhaushalte der Art von Hamburg und Freiburg, die grundsätzlich eine intensive Beschäftigung mit der Materie verlangen. Auch solche Bürgerhaushalte, die „nur“ Bürgervorschläge sammeln, meist aber auch Diskussionen über die Vorschläge in Internetforen und eine ebenfalls webgestützte Bewertung der Vorschläge erlauben, haben keine höheren Beteiligtenzahlen aufzuweisen. Trier zum Beispiel lag im Jahr 2011 mit einer Beteiligungsquote von 2,9% der Wahlberechtigten nahezu gleich auf mit Freiburg im Jahr 2009. (Auf das Beispiel Trier werden wir später noch einmal zurückkommen.) Solingen erreichte im Jahr 2010 mit seinem Bürgerhaushalt „Solingen spart“ rund 2,8% der Wahlberechtigten. Dabei handelte es sich jedoch zunächst nur um die Nutzer, die sich auf der Solinger Beteiligungsplattform registrierten. Selber Vorschläge eingereicht haben nur 1% der Wahlberechtigten. In Köln registrierten sich 2008 und 2009 mit etwa 10.000 Nutzern rund 1,4% der Wahlberechtigten.
Der bislang erfolgreichste Bürgerhaushalt ist in Potsdam zu finden. Wie in Freiburg werden in Potsdam alle Kanäle genutzt, um Bürgerbeteiligung zu organisieren. Mit Hilfe dieses Verfahrens, das Bürgerversammlungen, eine Online-Plattform und eine repräsentative Bürgerbefragung verknüpft, konnte im Jahr 2011 eine Beteiligung von rund 4,6% der Wahlberechtigten erreicht werden - die bislang höchste Beteiligungsquote eines deutschen Bürgerhaushalts. Beeindruckend ist vor allem der Anstieg der Beteiligung von 2009 und 2010.
Die Grafik zeigt allerdings auch, dass sich der Anstieg der Beteiligungszahlen ab dem Jahr 2010 stark verlangsamt hat und im Fall der Vorschläge und Priorisierungen sogar bereits rückläufig ist. Ein Aspekt, der im Rahmen der Behandlung des dritten Kritikpunkts wieder aufgenommen werden soll.
Männer mittleren Alters mit Abitur
Ein allgemeiner Kritikpunkt an jeglichen Verfahren der Bürgerpartizipation ist, dass diese den politisch ohnehin besonders aktiven Einzelpersonen oder einflussreichen Interessengruppen zusätzliche Betätigungs- und Einflussmöglichkeiten bieten. Auf der Ebene der Einzelpersonen sind damit vor allem Männer aus den höheren Bildungs- und Einkommensschichten gemeint, die nicht selten die Teilnehmerschaft von Beteiligungsangeboten dominieren. Auf der Gruppenebene betrifft dies gut organisierte Interessengruppen und „Basis-Eliten“, die meist sowohl finanzstark sind, als auch mit Personal- oder Zeitressourcen versehen sind. Die Kritik, dass zusätzliche Beteiligungsangebote diesen Segmenten der Gesellschaft einen überproportionalen und im Grunde undemokratischen Einfluss ermöglichen
In Trier waren im Jahr 2010 nur 37% der Teilnehmenden Frauen. Für Freiburg erfahren wir: „Das Teilnehmendenfeld auf der Konferenz bestand dabei überwiegend aus Interessenvertretern verschiedener Gruppierungen.“
Es ist deutlich zu sehen, dass in der offenen Befragung Männer und die Altersgruppe zwischen 25 bis 64 Jahren deutlich überrepräsentiert sind. Am deutlichsten ist die „Verzerrung“ in der Gruppe der sich selbst für die Beteiligung Rekrutierenden aber im Falle des Bildungsniveaus: Mit einem Anteil von 85,4% sind Personen mit Abitur offensichtlich überrepräsentiert.
Die Unterschiede in der Sozialstruktur der Beteiligten, je nach Methode der Beteiligung, haben unweigerlich auch Auswirkungen auf die Ergebnisse der Beteiligung. In Freiburg ergibt sich im Falle aller drei Beteiligungsverfahren - Befragung, Beteiligung über die Internet-Beteiligungsplattform und Stadtkonferenz -, dass die Bereiche Kinder, Jugend und Schulen gestärkt werden sollen.
Kritikpunkt 3: Ist der Bürgerhaushalt nachhaltig, oder nur ein symbolisches Strohfeuer?
Das „Schicksal“ der meisten der ersten Projektkommunen, die einen Bürgerhaushalt durchgeführt haben, Castrop-Rauxel, Hamm, Monheim am Rhein und Vlotho, deutet bereits darauf hin, dass es schwierig zu sein scheint, einen Bürgerhaushalt über einen längeren Zeitraum durchzuführen. Auch die beiden ambitionierten Ansätze in Freiburg und Hamburg sind einmalige Aktionen geblieben. Und da, wo ein Bürgerhaushalt über einen längeren Zeitraum durchgeführt worden ist, wie in Hilden, bleiben nach ein paar Jahren nur noch Rudimente des ursprünglichen Konzepts übrig. Im Falle Hildens die Prämierung von Vorschlägen sowie die Möglichkeit der Bewertung von Gutachtervorschlägen. Von einem signifikanten Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf den kommunalen Haushalt kann somit wohl kaum gesprochen werden.
Sinkende Aktivität im Bürgerhaushalt
Auch im Falle des vergleichsweise sehr erfolgreichen Bürgerhaushalts in Potsdam war zu sehen dass die Zahl der Vorschläge und deren Priorisierung im Jahr 2012 erstmals rückläufig waren. Ähnliche Daten finden sich für den Bürgerhaushalt Trier:
Wichtig ist, dass der Trierer Bürgerhaushalt zunächst in den Jahren 2009 und 2010 Ausgabe- und Einsparvorschläge zugelassen hat, im Jahr 2011 konnten dann nur noch Einsparvorschläge gemacht werden. 2012 waren Ausgabevorschläge dann wieder zugelassen. Auffallend ist, dass die Zahl der Teilnehmer (aktivierte Accounts) kontinuierlich seit dem Beginn im Jahr 2009 ansteigt (auch im Jahr 2011), die Aktivität der Teilnehmer, insbesondere die Zahl der Vorschläge und die Anzahl der Bewertungen allerdings nicht im gleichen Maße steigt, sondern viel mehr abnimmt. Wurden 2009 noch 0,27 Vorschläge pro Teilnehmer eingereicht, sank diese Zahl über die Jahre 2010 (0,19 Vorschläge pro Teilnehmer ) und 2011 (0,10 Vorschläge pro Teilnehmer). Erst 2012 steigerte sich dieser Wert wieder auf 0,13 Vorschläge pro Teilnehmer – beibt jedoch damit deutlich hinter den ersten beiden Jahren zurück. Ähnlich ist auch die Entwicklung bei der Anzahl der Bewertungen pro Teilnehmer: 2009 bewertete jeder Teilnehmer im Durchschnitt noch 26 Vorschläge, 2010 nur 16 Vorschläge und 2011 wurde mit 8 bewerteten Vorschlägen pro Teilnehmer ein vorläufiges Tief erreicht. Erst 2012 steigerte sich diese Kennziffer wieder leicht auf 10 Vorschlagsbewertungen pro Teilnehmer. Das Trierer Beispiel macht auch deutlich, dass es für die Bürgerinnen und Bürger scheinbar deutlich attraktiver ist, Ausgabe- statt Einsparvorschläge zu machen.
Auch das bereits mehrfach angeführte Hildener Beispiel zeigt eine deutliche Abnahme der Beteiligung, je länger der Bürgerhaushalt durchgeführt wurde. Nahmen 2003 noch 685 Personen am Hildener Bürgerhaushalt teilt, waren es nur ein Jahr später nur noch 220. 2005 stieg die Zahl der Teilnehmer wieder auf 333 um ab dann kontinuierlich über die Jahre 2006 (220 Personen) und 2007 (130 Personen) auf den Niedrigstand von nur noch 70 Teilnehmenden im Jahr 2008 zu sinken. Auch in Köln bestätigte sich dieses Muster: 2008 gingen noch rund 5.000 Vorschläge bei der Stadt Köln ein – ein Jahr später waren es nur noch 1.254.
Fazit: Die Zukunft scheint noch offen
Bis zu diesem Punkt wurden die wichtigsten Kritikpunkte am Konzept und der aktuellen Umsetzung von Bürgerhaushalten zusammengetragen. Nun soll aber Bilanz gezogen, und die „Aktivseite“ des Bürgerhaushalts ebenfalls gewürdigt werden:
Mit dem Verfahren der Sammlung von Bürgervorschlägen, deren Priorisierung und schließlich der Abstimmung über diese Vorschläge wurde ein Verfahren gefunden, dass möglicherweise doch über einen längeren Zeitraum praktiziert werden kann. Die ursprüngliche Absicht, die Bürgerinnen und Bürger intensiv in das Verfahren der Haushaltsaufstellung zu integrieren, konnte zwar nicht verwirklicht werden. Auch der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger ist in diesem Verfahren begrenzt, denn nur einige Vorschläge weniger Bürger haben die Chance verwirklicht zu werden, aber im Rahmen von Priorisierung und „Voting“ besteht doch für jede und jeden die Chance der Einflussnahme. Letztlich dürfte der Einfluss einer einzelnen Wählerstimme bei Kommunalwahlen einen ähnlichen Einflussfaktor haben. Dass die Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger nicht allzu bedeutsam ist, könnte dem Bürgerhaushalt auch zu Gute kommen, da sich die Mitglieder der Stadt- und Gemeinderäte dadurch weitaus eher mit diesem Instrument anfreunden können. Würden deren Handlungsspielräume hingegen weiter beschnitten, gäbe es vermutlich mehr Widerstand aus dem Kreis der ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder.
Bürgerbeteiligung liegt weiterhin im Trend. Auch der 5. Statusbericht „Bürgerhaushalte in Deutschland“
aus dem März 2012 verzeichnet 21 neue aktive Kommunen, die einen Bürgerhaushalt durchführen. Insgesamt sind damit 115 Kommunen aktiv, betreiben oder haben zumindest in den letzten zwei Jahren einen Bürgerhaushalt durchgeführt.
Von den eben genannten 115 Kommunen sind allerdings mehr als 60% erst dabei einen Bürgerhaushalt vorzubereiten oder einzuführen oder überlegen einen Bürgerhaushalt einzuführen. Auch weist der 5. Statusbericht inzwischen 22 Kommunen aus, die den Bürgerhaushalt (seit mehr als zwei Jahren) nicht mehr weiterverfolgen. Tendenz steigend. Dies würde die oben aufgestellte „Ermüdungshypothese“ bestätigen, wonach die Beteiligung am Bürgerhaushalt nach wenigen Jahren bestenfalls stagniert und sich Vorschläge und Diskussionen - wie so häufig im Internet - schnell wiederholen.
Es wäre sicherlich zu wünschen, dass sich der Bürgerhaushalt, in welcher Form auch immer, zu einem festen Bestandteil der Bürgerbeteiligung in Deutschland entwickelt. Im Moment gibt es positive wie auch negative Anzeichen, dass dies gelingen kann. Vor allem Städte wie Potsdam und Trier haben eine Form des Bürgerhaushalts entwickelt, die zumindest relativ große Bevölkerungsteile zu einer regelmäßigen Teilnahme motivieren könnte. Das ist im Bereich der Bürgerbeteiligung sicher nicht die Regel. In wenigen Jahren wissen wir sicher mehr.