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Nichts für "auf die Schnelle" Die Einführung von Bürgerhaushalten will durchdacht sein

Mainz/Speyer Prof. Dr. Gunnar Schwabing

/ 6 Minuten zu lesen

Der 4. Statusbericht zu Bürgerhaushalten in Deutschland weist immerhin 207 Kommunen aus, die sich in irgendeiner Form mit dem Konzept eines Bürgerhaushalts befassen; die Zahl derjenigen Kommunen, die bereits über mehrere Jahre aktiv ein Bürgerhaushaltsverfahren betreiben, ist naturgemäß deutlich kleiner. Das Ergebnis mag angesichts von fast 12.000 Städten, Gemeinden und Kreisen in Deutschland noch sehr wenig erscheinen; dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass ein beträchtlicher Teil der Gemeinden gerade in Süddeutschland sehr klein ist, für die ein formalisiertes Bürgerhaushaltsverfahren allein schon wegen fehlender administrativer Kapazitäten nicht in Frage kommt. Gerade hier ist aber zu unterstellen, dass die Bürgerschaft ganz unmittelbar in viele Entscheidungen zur Generierung und Verwendung von Haushaltsmitteln eingebunden ist.

Eine – wenngleich nicht unproblematische – Dynamik hat die Diskussion um Bürgerhaushalte in jüngster Zeit allerdings durch den verschärften Konsolidierungsdruck erhalten. In dem Bemühen, Einsparungen oder Erhöhungen von Abgaben möglichst einvernehmlich umzusetzen, haben viele Kommunen zumindest erwogen, die Bürgerschaft – genauer: EinwohnerInnen – in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Die Verpflichtung der Kommunen, die in Rheinland-Pfalz am „Entschuldungsfonds“ teilnehmen, die mit der Aufsichtsbehörde vereinbarten Maßnahmen zur Leistung des dort vorgesehenen eigenen Drittels in geeigneter Weise im Internet zu präsentieren, fördert dies gewiss. Allerdings wird in dem Fall eine aktive Beteiligung der Öffentlichkeit schwierig sein, da die Vereinbarungen mit der Aufsichtsbehörde in den nächsten Monaten getroffen werden müssten. Hier sind insoweit andere, einfachere Formen der Mitwirkung als ein Bürgerhaushalt erforderlich, soll der Eindruck vermieden werden, das Konsolidierungsprogramm entstehe in einer „black box“.

Aus kommunaler Sicht sind im Konsolidierungsprozess aber auch zwei weitere Erwägungen zum Bürgerhaushalt maßgeblich: Zum einen fällt es einer Kommunalvertretung leichter, solche Konsolidierungsmaßnahmen zu beschließen, die von einer (breiten) Mehrheit auch in der Bevölkerung getragen werden. Das birgt indes die Gefahr, dass durchaus berechtigte spezielle Interessen dabei verloren gehen. Ein Beispiel mag die Berücksichtigung von Anliegen einzelner (kleinerer) Ortsteile sein. Zum anderen dient ein negatives Votum aber auch dazu, Auflagen und Hinweise der Aufsichtsbehörden mit dem Verweis auf die öffentliche Meinung abzulehnen. Vor allem Mehrbelastungen, die einen großen Kreis betreffen würden (Grundsteuer B, Gebührensätze), wären von einem solchen Verdikt möglicherweise besonders betroffen. Ob eine solche Instrumentalisierung von Bürgerhaushalten deren Grundgedanken gerecht wird bzw. den haushaltswirtschaftlichen Notwendigkeiten dient, muss zumindest fraglich bleiben.

Losgelöst von der speziellen Problematik einer „Spar-Partizipation“ ist der Bürgerhaushalt an eine Reihe von Bedingungen und Vorarbeiten geknüpft, die es auf jeden Fall verbieten, ihn „auf die Schnelle“ einführen zu wollen:

  1. Zunächst ist eine Verständigung darüber herbeizuführen, ob und in welcher Form die im Rahmen der Partizipation vorgebrachten Anregungen und Hinweise von der Kommunalvertretung in ihre Entscheidungen eingebracht werden und dort Berücksichtigung finden. Dabei gilt selbstverständlich das Letztentscheidungsrecht der Kommunalvertretung. In dem Zusammenhang ist aber auch festzulegen, ob und in welcher Form eine Information der Öffentlichkeit darüber erfolgt, ob eine Anregung aus der Bürgerschaft auch tatsächlich von der Kommunalvertretung akzeptiert, oder noch weitergehend: im Verwaltungshandeln umgesetzt wurde.

  2. In einem weiteren Schritt ist zu klären, in welcher Phase der Bildung eines neuen Haushalts die Bürgerbeteiligung einsetzen soll. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen einer Beteiligung vor Erstellung und nach Einbringung des Haushaltsentwurfs durch die Verwaltung. Im ersten Fall wird den interessierten EinwohnerInnen ein hohes Maß an eigener Gestaltungsmöglichkeit eingeräumt; inwieweit die dafür notwendigen Informationen gegeben sind, um das kreative Potential der Öffentlichkeit auch aktivieren zu können, muss allerdings genau geprüft werden. Im zweiten Fall gibt es die Möglichkeit zur konkreten Stellungnahme zu vorliegenden Haushaltsvoranschlägen, die Veränderungsmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit sind dabei zweifellos begrenzter.

  3. Im web 2.0 ist Interaktion selbstverständlich. Diese bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis der beteiligten Öffentlichkeit zur Kommune sondern in gleicher Weise auf die Beziehungen unter den teilnehmenden EinwohnerInnen. Daher werden vielfach die Anregungen aus dem Bürgerhaushaltsverfahren auch zur Kommentierung und Bewertung durch Dritte freigegeben. Damit erweitert sich das Meinungsbild nicht unbeträchtlich. Es muss allerdings vor Beginn des Verfahrens bekannt sein, ob ein interaktives Verfahren gewählt wird, damit sich alle TeilnehmerInnen darauf einstellen können.

  4. Kommunalvertretung und Verwaltungsführung müssen sich von vornherein darüber im Klaren sein, dass ein Bürgerhaushalt nur dann erfolgreich wirken kann, wenn die Öffentlichkeit möglichst transparent über die zugegeben sehr komplexen Zusammenhänge kommunaler Finanzwirtschaft informiert wird. Dafür reicht es nicht aus, den Haushaltsplan (bei frühzeitiger Beteiligung den Plan des Vorjahres, bei einer Beteiligung zum Haushaltsentwurf diesen) im Netzt zugänglich zu machen. Vielmehr müssen verständliche Anleitungen und Erläuterungen gegeben werden, damit auch EinwohnerInnen, die sich nicht in Fragen der kommunalen Finanzwirtschaft auskennen, an der Diskussion teilnehmen können. Wie diese Information geschieht, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. In jedem Fall verlangt sie von der Verwaltung – nur diese kann diese Arbeit leisten – einen beachtlichen Input, der nicht unbeträchtliche personelle Kapazitäten bindet.

  5. Es sollte vorab eine Verständigung darüber geben, in welcher Form in den Abstimmungs‑ und den Diskussionsprozess eingegriffen werden darf. Dies könnte zum einen notwendig werden, wenn Äußerungen diskriminierenden, beleidigenden oder verletzenden Inhalts getroffen werden. Zum anderen sollte ein Mechanismus eingefügt werden, um eine technisch gesteuerte Häufung von Voten zur Durchsetzung bestimmter (partikularer) Interessen zu vermeiden. Gerade dieser Punkt ist sehr sensibel, da rasch der Vorwurf der „Zensur“ erhoben wird. Gleichwohl sollten sich Verwaltungsführung und Kommunalpolitik frühzeitig darüber Gedanken machen, ob und wie auf entsprechende Entwicklungen reagieren wollen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint das Problem (noch) nicht allzu groß zu sein.

  6. Die Kommunalpolitik muss sich dessen bewusst sein, dass ein Bürgerhaushalt keine einmalige Veranstaltung ist sondern – einmal eingeführt – auch in den Folgejahren beibehalten werden muss. Ob dies bedeutet, dass ein Bürgerhaushalt zu einer Dauereinrichtung werden sollte, sei im Moment dahingestellt. Ein mehrjähriges Verfahren ist indessen schon deshalb erforderlich, um im Laufe der Zeit mehr EinwohnerInnen für das Verfahren zu gewinnen und Hemmschwellen gegenüber dem neuen Instrument abzubauen. Hinzu kommt, dass zahlreiche – von der Kommunalpolitik übernommene – Anregungen aus der Öffentlichkeit nicht unmittelbar umgesetzt werden können sondern eines längeren Vorlaufs bedürfen. Rechenschaft kann dann ohnedies erst nach einer gewissen Zeit gegeben werden.

  7. Der Bürgerhaushalt ist kein isoliertes Instrument. Wird die Möglichkeit einer breiten Öffentlichkeitsdebatte zu Budgetfragen eröffnet, stellt sich im Anschluss daran die Frage, wie es sich mit weiteren kommunalen Themen insbesondere im Bereich des Planungs‑ und Baurechts verhält. Es dürfte kaum möglich sein, auf diesen Feldern Beteiligungsmöglichkeiten zu verneinen, wenn sie im Bereich des Haushalts bereits existieren. Die Kommunalpolitik sollte daher im Vorhinein wissen und akzeptieren, dass der Bürgerhaushalt der Einstieg in eine wesentlich umfassendere Bürgerbeteiligung sein kann.

Diese wenigen Ausführungen sollten gezeigt haben, dass die Einführung eines Bürgerhaushalts gut durchdacht und vorbereitet sein will. Gleichwohl werden sich auch dann die Ergebnisse eines Bürgerhaushalts kritischen Fragen stellen müssen. Der wichtigste Einwand hebt ab auf die Höhe der Beteiligung, die dann mit der weitaus höheren Beteiligung an Kommunalwahlen verglichen wird. Hinzu kommt der Vorbehalt, ein Bürgerhaushalt sei ohnehin nur etwas für eine kleine Gruppe Engagierter und damit auf keinen Fall repräsentativ. Schließlich wird eingewandt, kommunale Haushalte seien viel zu komplex, um sie in offenen Foren angemessen erörtern zu können. Von Verwaltungen wird zudem auf den beträchtlichen (Einführungs‑)Aufwand verwiesen.

Die Kritikpunkte sollen gewiss nicht gering geachtet werden. Sie übersehen allerdings, dass der Bürgerhaushalt keine endgültige Entscheidung darstellt. Vielmehr ist es nach wie vor Aufgabe der Kommunalvertretung, angemessen zwischen den Vorschlägen der Öffentlichkeit und anderen Anliegen abzuwägen. Damit wird ihre durch die Volkswahl definierte Stellung auch nicht beeinträchtigt; die Kommunalvertretung muss indessen mehr als in der Vergangenheit ihre Entscheidungen auch nach außen begründen. Dass die Öffentlichkeit zudem nicht in der Lage sein solle, auch komplexe Fragen zu diskutieren, haben zum einen die bisherigen Erfahrungen mit Bürgerhaushalten, aber auch die Bürgerbeteiligung im Rahmen der Kommunal‑ und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz gezeigt. Insoweit kann der Bürgerhaushalt die finanzwirtschaftliche Steuerung einer Kommune zwar nicht ersetzen, wohl aber gut ergänzen. Ob die dafür erforderlichen Ressourcen gut angelegt sind, muss jede Kommune allerdings selbst entscheiden.

von Prof. Dr. Gunnar Schwarting, Mainz/Speyer

Fussnoten

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