„Der Frankfurter Bürgerhaushalt ist ein teurer Irrtum, der schleunigst beendet gehört“ schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Dezember 2011, kurz nachdem die Onlinephase des ersten Frankfurter Bürgerhaushaltes endete. Zum gleichen Verfahren postet ein Bürger im Lob-und-Kritik-Forum des Bürgerhaushaltes: „Als nicht parteilich organisierter Frankfurter habe ich so endlich einmal die Möglichkeit, die Kommunalpolitik direkt zu adressieren. Hoffentlich keine einmalige Aktion!“. Ein Verfahren – zwei Bewertungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Wie kommen die beiden Autoren zu so unterschiedlichen Urteilen und wer von ihnen hat recht?
Wissenschaftliche Evaluationen von Bürgerhaushalten haben das Ziel, über solche Bewertungen hinaus zu gehen. Anders als die beiden zitierten Einschätzungen, legen wissenschaftliche Evaluationen die Kriterien offen, nach denen sie ein konkretes Verfahren bewerten. Dabei versuchen sie, möglichst viele Perspektiven (und damit unterschiedliche Kriterien und Kriteriengewichtungen) in ihre Auswertung miteinfließen zu lassen. In vielen Fällen evaluieren wissenschaftliche Projektteams Bürgerhaushalte nicht nur, sondern sie begleiten sie auch; etwa, indem sie zu konkreten Gestaltungsfragen der Gemeinden Beratung anbieten.
Eine wissenschaftliche Evaluation nutzt den Kommunen in mehrfacher Hinsicht: a) sie gibt eine umfassende Rückmeldung über die Stärken und Schwächen eines konkreten Verfahrens und trägt somit dazu bei, über die Bewertungen von Teilnehmern und Presse hinaus zu gehen, b) sie hilft gegen „Betriebsblindheit“, indem sie Routinen und vermeintliche Sachzwänge hinterfragt, c) sie lässt Beteiligte zu Wort kommen, die sonst nicht (so deutlich) gehört worden wären und d) sie stellt Anregungen bereit, wie zukünftige Verfahren verbessert werden können.
Die Einführung eines neuen Beteiligungsinstruments ist keineswegs trivial, schließlich müssen verschiedenste Ansprüche und Wünsche zusammengebracht werden: Im Fall des Bürgerhaushalts etwa wünschen sich die Bürger oft mehr Einfluss auf kommunale Entscheidungen und direkte Mitsprache bei der Verteilung der kommunalen Finanzen. Zugleich ist die Haushaltshoheit, also das Letztentscheidungsrecht über das kommunale Budget, ein wichtiges Recht der kommunalen Parlamente, das diese nicht (ganz) aus der Hand geben wollen und können. Die kommunale Politik und Verwaltung erhoffen sich zumeist innovative Vorschläge von den Bürgern und nicht selten auch Anregungen dazu, wie und wo gespart werden könnte. Um den Erwartungen der beteiligten Akteure (Bürger, Politik, Verwaltung) so zu entsprechen, dass alle mit dem Verfahren zufrieden sind, sind oft Korrekturen und Veränderungen nötig. Dafür, die Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und zu benennen, sind wissenschaftliche Evaluationen sinnvoll.
Wie gehen sie dabei vor? Wie kann der Erfolg oder Misserfolg eines Verfahrens gemessen werden? Und was kann als Gradmesser des Erfolgs dienen? In der Tabelle sind drei wissenschaftliche Evaluationen von Bürgerhaushalten gegenübergestellt. Dabei wird deutlich, dass sie ähnliche Herangehensweisen gewählt haben. Die Kriterien wurden in allen drei Fällen durch die Städte festgelegt, so dass die Bewertungsmaßstäbe von den Verfahrensverantwortlichen selbst stammen. Dies hat Vor- und Nachteile. Als wesentlicher Vorteil ist zu nennen, dass die jeweiligen Bürgerhaushalte an ihren eigenen Maßstäben gemessen werden. Die Gefahr, dass am Ende des Evaluationsprojektes ein Bericht steht, der an den Erfahrungen und Erwartungen der Auftraggeber vorbei geht, ist gering. Gleichzeitig würde eine Evaluation anhand von wissenschaftlichen Kriterien andere Perspektiven auf das Verfahren eröffnen. So ließe sich aus wissenschaftlicher Perspektive beispielsweise fragen, welche deliberative Qualität die im Rahmen des Bürgerhaushalts stattfindenden Debatten haben. Oder es wäre interessant zu fragen, welche Bürgervorschläge besonders erfolgreich sind und zwar sowohl bei den Bürgern (Pro-Stimmen), als auch in der tatsächlichen Umsetzung durch die Politik.
An den Kriterien der in der Tabelle aufgeführten Evaluationen lässt sich ablesen, dass die herangezogenen Kriterien durchaus an wissenschaftliche Debatten anknüpfen. Die Stichworte „Pluralität“ oder die explizite Nennung von „nicht-organisierten Bürgerinnen und Bürgern“ verweisen beispielsweise auf die wissenschaftliche Diskussion darüber, ob die Interessen von bestimmten Bevölkerungsschichten politisch systematisch besser vertreten werden. Dadurch, dass die Einbeziehung von bislang tendenziell unterrepräsentierten Bürgern explizit gewünscht wird, findet hier also eine Übersetzung einer wissenschaftlichen Fragestellung in ein Evaluationskriterium statt.
Ähnliches gilt für die Stichworte „Einpassung in die repräsentative Demokratie“ bzw. die Betonung der Konsultationsfunktion („Generierung von Entscheidungshilfen“). Die Frage danach, wie (kommunale) Demokratie belebt und stärker für Bürgerbelange geöffnet werden kann, beschäftigt „Praktiker“ in Verwaltung und Politik genauso wie Wissenschaftler. Die wissenschaftliche Perspektive fragt dabei beispielsweise nach den inneren Logiken verschiedener Beteiligungsmodelle(deliberative, repräsentative und direkte Demokratie). Auch wenn diese Termini in der Diskussion von politischen Verfahren wie dem Bürgerhaushalt eher selten auftauchen, spielen die dahinter liegenden Konzepte dennoch eine Rolle. Etwa bei der Frage, inwieweit das durch die Bürger im Bürgerhaushalt getroffene Votum eigentlich bindend für die kommunale Politik ist.
Wir können also festhalten, dass wissenschaftliche Evaluationen einen Schulterschluss zwischen politischer Praxis und wissenschaftlichen Debatten und Begriffen ermöglichen (können) und damit im besten Fall beide Perspektiven um neue Aspekte bereichern.