Die Redaktion von buergerhaushalt.org hat den portugiesischen Experten für Bürgerbeteiligung, Giovanni Allegretti, danach gefragt, wie Kinder und Jugendliche an das Thema Bürgerhaushalte herangeführt werden können. Sein Ansatz: Kindern und Jugendlichen durch Planspiele ein möglichst realistisches Bild von Bürgerhaushalten vermitteln.
Giovanni Allegretti ist Forscher an der University of Coimbra am Zentrum für Sozialwissenschaften (Externer Link: CES – Centre of Social Study) und koordiniert dort das Externer Link: gesamteuropäische Projekt Empatia. In diesem Projekt wird untersucht, wie Bürgerhaushalte durch Online-Plattformen und anderen Kommunikationstechnologien vereinfacht und unterstützt werden können.
"Pädagogik und Wissenschaft enger miteinander verflechten"
Giovanni Allegretti führt vorrangig in südeuropäischen Ländern zahlreiche Projekte zur Beteiligung an öffentlichen Haushalten durch. Dabei versucht er Kinder und junge Erwachsene für Beteiligung zu begeistern und darüber ihr zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern. Im letzten Jahr war er etwa am Projekt "Young people move Europe" (Anm. d. Redaktion: Junge Menschen bewegen Europa) beteiligt. Das Projekt drehte sich um innovative Beteiligungsideen, die im Rahmen der Finanzkrise in südeuropäischen Ländern entstanden sind. Vor dem Hintergrund der Krise haben in diesem Projekt junge Menschen zusammengearbeitet und spielerisch gelernt, in unterschiedlichen Themenbereichen (zum Beispiel urbane Kreativität, Graffiti, Street Art und Theater) gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Auch das Internet spielte dabei eine Rolle.
Ein anderes Beispiel seiner Projekte ist die Externer Link: digitale Software "Empaville". Mit dieser können junge Menschen ein Rollenspiel zur gemeinsamen Aufstellung eines öffentlichen Haushaltes durchführen. Anschließend werden die erzeugten Daten gemeinsam analysiert, um zu veranschaulichen, wie Beteiligung Solidarität erzeugen (oder auch nicht) und integrative (oder auch ausschließende) Effekte zur Folge haben kann.
Bei allen Projekten bleibt für ihn die große Frage: "Wie kann man Pädagogik und Wissenschaft enger miteinander verflechten und diese mit zivilgesellschaftlichem Engagement verbinden".
Beteiligung für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen interessant gestalten
Auf die Frage hin, wie er Schülerinnen und Schüler für das Thema Haushalt interessiert, antwortet Allegretti, dass sich "aus verschiedenen Perspektiven genähert werden muss". In manchen Projekten arbeiten sie direkt mit den Schülern zusammen, in anderen geben sie eine Fortbildung für deren Lehrerinnen und Lehrer, um den Effekt ihrer Arbeit zu erweitern. In manchen Fällen werden auch die Eltern hinzugezogen.
Allegretti möchte in seinen Projekten den Haushaltszahlen eine Bedeutung geben. Für Allegretti ist es ein zentrales Anliegen, den Menschen ein Verständnis darüber zu geben, dass ein Haushalt keine Zahlenakrobatik ist, sondern "eine politische Debatte, die in Zahlen übersetzt ist".
Die wichtigste Methode für ihn: "Learning by doing". Nur wenn man selbst spielerisch erfährt, etwa bei einem Planspiel, wie Entscheidungen bei öffentlichen Haushalten getroffen werden, kann man nachspüren, wie vielfältig diese Entscheidungen sind und was dabei alles zu beachten ist. Außerdem ist es aus seiner Sicht wichtig, bei den konkreten Anliegen der Jugendlichen anzufangen und deutlich zu machen, wo öffentliche Gelder den Alltag der Jugendlichen berühren.
In seinen Projekten arbeitet Allegretti mit Kindern und jungen Erwachsenen aller Altersgruppen zusammen. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm ein Bürgermeister in Italien: Dieser hat achtjährige Kinder an der Erstellung des Haushaltes beteiligt. Die Idee des Bürgermeisters: Was von der gesamten Bevölkerung verstanden werden muss, sollte auch von achtjährigen Kindern verstanden werden.
Empfehlungen für Kommunen, um Kinder- und Jugendbeteiligung durchzuführen
Kommunen die ein Projekt zur gemeinsamen Erstellung eines Haushaltes durchführen wollen, gibt er die Empfehlung, mit Kindern und jungen Erwachsenen einen Beteiligungsprozess zu beginnen. Der kann seiner Meinung nach dann als Vorbild für die Beteiligung von erwachsenen Menschen genutzt werden. Sein zweiter Hinweis an Kommunen ist es, wichtige Dialogregeln festzulegen. Sollten die Kinder bemerken, dass die Beteiligung am Ende nur ein Spiel ist, verlieren sie ihr Vertrauen in die Politik. "Je realer die gemachten Erfahrungen sind, desto größeren Einfluss haben sie auf die Wahrnehmung von Politik bei jungen Menschen", erklärt Allegretti.
Zusätzlich empfiehlt er Kommunen stets neue Methoden auszuprobieren. Der Effekt von gemeinsamer Aufstellung eines Haushaltes ist nicht nur, dass eine Entscheidung getroffen wird, sondern ermöglicht auch einen Lerneffekt über die Dynamik von Demokratie. Es werden auf diese Weise nicht nur Entscheidungen getroffen, sondern Kinder und Jugendliche lernen dadurch auch, wie Abstimmungen funktionieren, wie Kampagnen durchgeführt werden und wie die Konzeption der Abstimmungsmethode das Ergebnis verändern kann.
Zum Schluss plädiert Giovanni Allegretti für den Einsatz moderner Technik bei der Arbeit mit jungen Menschen. Die zunehmende Verschiebung der Grenzen von Spiel und Realität kann sich hier zu Nutze gemacht und klug miteinander kombiniert werden. Wenn die Erstellung eines Haushaltes als ein ernsthaftes Spiel wahrgenommen wird, können Kinder und junge Menschen motiviert werden, ernsthafte Angelegenheiten spielerisch zu erledigen.
Dabei müssen die verschiedenen Beteiligungskanäle für erwachsene und junge Menschen stets miteinander in Dialog treten und nicht voneinander separiert funktionieren.
Zur Person:
Giovanni Allegretti ist auch Co-Direktor der "Independent Authority for the Guarantee and the Promotion of Participation" (Unabhängige Behörde zur Gewährleistung und Förderung von Beteiligung) in der Toskana, Italien, welche ausgewählte Beteiligungsprojekte in der Region finanziell unterstützt, um die lokale Beteiligungskultur zu stärken.