In der nationalen und internationalen Debatte um Möglichkeiten und Grenzen partizipativer Haushalte herrscht leider häufig Begriffsverwirrung. Dies liegt nicht zuletzt am Bürgerhaushalt selbst, der ein äußerst flexibles Instrument der Mitwirkung der Bürger an Haushaltsangelegenheiten bildet und daher die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen kann. Er ist unter sehr verschiedenen politisch-administrativen Umständen einsetzbar und kann mit unterschiedlichen politischen bzw. sozialen Inhalten gefüllt werden.
Unter diesen Umständen ist eine klare Definition von Bürgerhaushalten und deren Abgrenzung von anderen partizipativen Verfahren von zentraler Bedeutung. Dafür bietet sich als Ausgangspunkt nach wie vor die mittlerweile klassische Definition von Herzberg/Sintomer/Röcke (2010) an. Ergänzt um eigene Überlegungen könnten Beteiligungshaushalte in Deutschland folgendermaßen definiert werden:
Im Mittelpunkt des Verfahrens stehen die kommunalen Finanzen. Die sich beteiligenden Bürger streben an, die politische Prioritätensetzung dieser begrenzten Ressourcen zu beeinflussen. Möglich ist, diese Ressourcen im Rahmen des Verfahrens mit dem Sozialkapital der Bürger oder anderen finanziellen Ressourcen zu verknüpfen.
Voraussetzung ist die Haushaltshoheit der betreffenden Kommune oder auf Bezirksebene das Vorhandensein eigener politischer und administrativer Kompetenzen.
Bürgerhaushalte sind auf Dauer angelegte und wiederholte Verfahren, die sowohl in "guten" (Haushaltsüberschüsse) als auch in "schlechten" (Haushaltsdefizite) Zeiten kommunaler Finanzen durchgeführt werden können. Langfristig können diese als Bestandteil der lokalen politischen Kultur verstetigt werden.
Bürgerhaushalte sind eigenständige deliberative Diskussionsprozesse mit eigenen Steuerungsinstitutionen, in denen die Bürger "auf gleicher Augenhöhe" mit Politikern und Verwaltungsexperten das Verfahren selbst (mit-)organisieren und die betreffenden Haushaltsfragen diskutieren.
Zum Verfahren gehört eine spezifische, ausführliche Rechenschaftslegung der politischen Entscheider (Gemeinderäte) über den Umgang mit den im Verfahren vorgebrachten Vorschlägen der Bürger, insbesondere bei deren Ablehnung.
Aus dieser Definition geht hervor, dass es sich beim Bürgerhaushalt, so wie er gegenwärtig in Deutschland praktiziert wird, um ein Instrument der kooperativen Demokratie handelt, bei dem die Bürger von den lokalen politischen Entscheidern (Gemeinderat) konsultiert bzw. Fragen des kommunalen Haushaltes mit lokalen Politikern und Verwaltungsexperten diskutieren können. Partizipative Haushalte sind also für sich genommen keine Instrumente direkter Demokratie.
Der Bürgerhaushalt sollte mit dem Bestreben verbunden sein, das Verfahren möglichst barrierefrei und bürgerfreundlich zu gestalten. Eine Repräsentativität der Ergebnisse ist nicht erforderlich, seine Legitimität erhält der Bürgerhaushalt durch den entsprechenden Ratsbeschluss. Damit wird auch anerkennt, dass dieser das lokale Gemeinwohl zum Ausdruck bringt.
Bürgerhaushalte können eine lokale win-win-Situation schaffen, wenn alle beteiligten Akteure bereit sind, die von ihnen abhängigen nötigen Ressourcen in das Verfahren einzubringen und sich dauerhaft auf veränderte Rollen im lokalen Entscheidungsprozess einzustellen. Das sollte mit so viel top down Steuerung wie nötig und so viel bottom up Beteiligung wie möglich verbunden sein. Dazu gehört die Bereitschaft der lokalen Politik, den Bürgern zuzuhören, sich in diesem Verfahren selbst zurückzunehmen und sich mit den konkreten Bürgervorschlägen ernsthaft auseinander zu setzen. Die örtliche Verwaltung und insbesondere deren Führungskräfte sind gefordert, für das Verfahren ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen und ressortübergreifende interne Implementations-Strukturen zu schaffen. Die Bereitschaft, das vorhandene professionelle Fachwissen in den Bürgerhaushalt einzubringen, gehört ebenfalls dazu. Die Bürgerschaft ist bei partizipativen Haushalten insbesondere gefordert, eigene Strukturen zu entwickeln, die eine dauerhaft Mitwirkung am Bürgerhaushalt ermöglichen, nichtgebundenen Bürgern und Minderheiten ein Podium zu bieten und die organisierte Bürgerschaft so einbinden, dass diese das Verfahren nicht dominiert. Wenn die Bereitschaft, sich auf dieses Experiment einzulassen, bei einem der beteiligten Akteure nicht erkennbar ist, sollte man die Finger von einem Bürgerhaushalt lassen.
Bürgerhaushalte besitzen – auch in Verknüpfung mit anderen Beteiligungsverfahren – noch viele Reserven. Eine Kopplung mit Kiezfonds könnte hilfreich sein. Bei diesen entscheiden die Bürger eigenständig über die Vergabe zugewiesener Haushaltsmitteln für Projekte in unmittelbarer Nachbarschaft. Eine Verbindung mit Bürgerentscheiden ist rechtlich möglich und könnte das Verfahren aufwerten. In einigen Ländern könnte sogar der Rat den entsprechenden Impuls geben. Über die Nutzung des Verfahrens auf der Ebene der Landkreise sollte intensiver nachgedacht werden.