Als "Wirkungslose Wunderwaffe" werden Beteiligungsprojekte über das Internet in einem Artikel der Externer Link: Süddeutschen Zeitung vom 20.05. bezeichnet. Thomas Schmelzer fasst bisherige Erfahrungen mit Online-Beteiligungen zusammen und spricht mit Experten.
Die Masse will sich nicht selbst regieren
Es ist der alte Traum der Demokratie. Nicht mehr eine Elite soll die Masse regieren, sondern die Masse sich selbst. Jeder soll teilhaben können - unabhängig von Alter, Geschlecht oder Einkommen, schreibt er. Die Wirklichkeit sehe allerdings anders aus: Beim Bonner Bürgerhaushalt hätten sich nur 1.700 Bürger beteiligt - obwohl 324.000 Menschen in der Bundesstadt wohnen. Beim ersten Bürgerhaushalt hatten sich immerhin 12.000 Bürger beteiligt, aber auch dies entspricht nur einem geringen Anteil gemessen an der Gesamtbevölkerung der Stadt. Ähnliche Erfahrungen werden auch auf Bundesebene gemacht: Insgesamt 2769 Bürger hätten sich laut Axel Fischer, dem Vorsitzenden der Enquete-Komission Internet und digitale Gesellschaft bisher an den Diskussionen der Komission beteiligt. Obwohl der Bürger durch die Plattform als 13. Mitglied der Kommission eingebunden werden sollte, ist das Interesse eher überschaubar. Man spreche kein "Massenpublikum" an, so Axel Fischer.
Und auch bei den Piraten, den digitalen Vorreitern unter den Parteien, stoßen die Online-Angebote nur auf begrenzte Resonanz. Liquid Feedback, die parteiinterne Diskussionsplattform, wird laut Mario Tants, einem Piraten aus Bremen, bisher kaum genutzt. Nur jeder vierte Pirat sei bei der Plattform registriert, viele hielten das System für technisch unausgereift, heißt es in dem Artikel.
Digitale Spaltung
Online-Beteiligungen mangele es aber nicht nur generell an den Beteiligten, dazu kommt laut Politikwissenschaftler Markus Linden auch das Problem der digitalen Spaltung:
Je anspruchsvoller die Partizipation sei, desto weniger würden sich sozial schwächere Menschen beteiligen. Der Wissenschaftler hat beobachtet, dass sich die meisten Menschen in der Praxis aus direkten Partizipationsangeboten zurückziehen, sobald die Themen zu komplex werden, fasst Schmelzer die Positionen des Politikwissenschaftlers zusammen. Sowohl eine Analyse der Teilnehmerstrukturen als auch Studien über die generelle Internetnutzung in Deutschland bestätigt den Verdacht einer digitalen Spaltung: So nutzen laut (N)Onliner-Atlas zwar mittlerweile rund 75% der Bevölkerung das Internet, der Großteil davon falle aber auf höhere Bildungsschichten und jüngere Menschen. Ältere Bürger und Menschen mit einem formal niedrigeren Schulabschluss nutzen das Internet wesentlich häufiger nicht und sich dementsprechend auch seltener bei Online-Beteiligungen anzufinden.
Durch die digitale Spaltung, so Linden und auch Stephan Eisel, einer der schärften Kritiker von Online-Beteiligungen, würde den so genannten Eliten, die Beteiligungsangebote für sich nutzen können, zu viel Macht zu fallen. "Alle die sich viel engagieren, bekommen auf einmal viel Macht - und nutzen die auch für ihre Interessen", sagt Eisel. Deswegen findet er, dass die politische Teilhabe durch die Online-Angebote nicht gerechter sondern ungerechter wird. Bei Online-Haushalten hat er festgestellt, dass Vereine mithilfe von E-Mail-Lawinen besonders viele Unterstützer für ihre Anliegen mobilisierten.
Bürgerbeteiligung in den Kinderschuhen
Diese Argumente können auch Verfechter der Online-Beteiligung nicht von der Hand weisen. Bürgerbeteiligung, da seien sich aber sowohl Dirk Lahmann von der Stadt Bonn als auch Martin Haase von der Piratenpartei einig, sei aber kein Selbstläufer. Um Menschen dazu zu bewegen, sich auch online zu beteiligen, müssten die nötigen Anreize geschaffen werden. Dies hieße zum einen ausreichende Öffentlichkeitsarbeit, um möglichst viele Menschen mit dem Angebot zu erreichen, zum anderen müsse sich die Beteiligung aber auch lohnen. Nur wenn es Feedback gebe, würden sich die Menschen engagieren, so Haase. Er glaubt, dass sich die digitalen Mitmach-Werkzeuge in den nächsten fünf Jahren überall durchsetzen.