Als Redakteurin von buergerhaushalt.org weiß ich, wie es ist, über Bürgerhaushalte zu schreiben. Manchmal fehlen wichtige Informationen. Oft ist es verlockend, sich auf andere Berichte zu beziehen und damit auch die Einschätzung über Erfolg und Misserfolg eines Bürgerhaushaltes anderen zu überlassen. Als Projektleiterin verschiedener Beteiligungsprojekte kenne ich aber auch die andere Seite. Ich weiß, wie sehr negative Berichterstattung einem Bürgerhaushalt schaden kann, wie groß aber auch die Unterstützung durch die Medien sein kann, zum Beispiel wenn es um Mobilisierung oder Vermittlung von Informationen geht.
Fest steht: Journalisten und Medien tragen maßgeblich zu Erfolg oder Misserfolg eines Bürgerhaushaltes bei. Eine spannende Diskussion hierzu gab es am 1. Juli 2014 beim Global Media Forum der Deutschen Welle. Die Engagement Global gGmbH hat dort einen Workshop zum Thema "Promoter or preventer: The role of journalists in e-participation" angeboten, zu dem ich als Referentin eingeladen war. Ein Bericht des Workshops findet sich auf den Seiten der Engagement Global gGmbH.
Meine Teilnahme an diesem spannenden Workshop habe ich zum Anlass genommen, meine Gedanken zum Zusammenspiel zwischen Bürgerhaushalten und den Medien zu ordnen und im Folgenden niederzuschreiben. Es handelt sich dabei ausdrücklich um persönliche Einschätzungen - ich freue mich über Ergänzungen und weiteren Diskurs zu diesem Thema!
A) Welche Rolle spielen Journalisten bei Beteiligungsverfahren wie Bürgerhaushalten?
Fünf Kernfunktionen lassen sich aus meiner Sicht definieren, die Journalisten im Rahmen von Bürgerhaushaltsverfahren haben bzw. haben können:
1. Agenda-setting und Mobilisierung
Die wohl offensichtlichste Funktion: Journalisten haben eine zentrale Funktion bei der Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit. Ein Event, über das nicht berichtet wird, findet in den Köpfen der Menschen nicht statt. Das gilt auch für Bürgerhaushalte. Ein Bürgerhaushalt, über den lediglich auf der letzten Seite der Zeitung ein kleiner Hinweis steht, wird es schwer haben, zum „Stadtgespräch“ zu werden. Das bedeutet, dass Journalisten Beteiligungsangeboten zu ihrer Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verhelfen können. Ohne diese Sichtbarkeit ist der Prozess zum Scheitern verurteilt.
2. Meinungsbildung über den Prozess
Nicht nur die Intensität der Berichterstattung sondern auch die Art der Berichterstattung haben maßgeblichen Einfluss: Ein Bürgerhaushalt, über den die Medien sehr kritisch oder negativ berichten, wird es schwer haben, bei den Bürgerinnen und Bürgern als „Erfolg“ gesehen zu werden. Im Umkehrschluss wiederum werden wenige Personen Lust haben, sich in einem Verfahren zu engagieren, das in der Öffentlichkeit negative Konnotationen hervorruft.
3. Kritische Betrachtung des Prozesses („watchdogs“)
So sehr eine kritische Berichterstattung Bürgerbeteiligungsprozessen auch schaden kann, so wichtig ist sie gleichzeitig. Medien agieren wie auch in anderen politischen Prozessen als „vierte Gewalt“: Sie haben eine wichtige Kontrollfunktion, schauen Politik und Verwaltung von außen auf die Finger und prangern an, wo sie zum Beispiel Transparenz vermissen. Wichtig ist dabei allerdings, nicht überkritisch zu sein und vor allem die richtigen Vergleiche zu ziehen. Nur qualifizierte Journalisten können Beteiligungszahlen richtig interpretieren und eine kritische aber faire Bewertung des Verfahrens vornehmen.
4. Informationsvermittlung und „Übersetzung in Bürgersprache“
Eine weitere wichtige Rolle spielen Journalisten, wenn es um die Vermittlung von Fachinformationen zum Thema geht. Während Verwaltungsmitarbeiter oftmals damit kämpfen, ihr komplexes Fachwissen bürgerfreundlich zu verpacken, liegt genau hierin eine Kernexpertise von Journalisten. Journalisten, die die bereitgestellten Informationen der Verwaltung aktiv aufbereiten, zum Beispiel durch ansprechende Visualisierungen, können den Bürgerhaushaltsprozess stark unterstützen. Diese Funktion könnte in Zukunft noch stärker von Journalisten wahrgenommen werden.
5. Einforderung von Rechenschaft und Rückmeldung
Journalisten haben aber nicht nur eine wichtige Rolle in der Informations- und Beteiligungsphase. Auch in der Rechenschaftsphase liegt es stark an ihnen, ob Informationen über die Entscheidungsfindung an die Bürger weitergegeben werden. Auch ein kritisches Nachfragen, wann die Rechenschaft erfolgt, kann hier helfen. Dies wird allerdings in der Praxis oft vergessen. Nicht nur die Politik sondern auch die Medien betrachten den Bürgerhaushalt mit Ende der aktiven Beteiligungsphase noch zu häufig als abgeschlossen. Eine detaillierte Rückmeldung, was mit den Ergebnissen geschehen ist, bleibt aus. (siehe auch Statusbericht 2014).
Wissend, welche Rolle Journalisten im Rahmen von Bürgerhaushalten spielen oder spielen könnten, ergeben sich zwei logische Folgefragen: Was brauchen Journalisten, um qualifiziert über Bürgerhaushalte berichten zu können? Und was können Kommunen für eine qualifizierte Berichterstattung tun?
B) Was können Kommunen tun, um Journalisten aktiv und positiv einzubinden?
Das A und O ist es, Journalisten frühzeitig einzubinden und zu schulen. Ein unreflektierter Vergleich von Beteiligungszahlen mit den Einwohnerzahlen rührt daher, dass Journalisten bisher wenig Erfahrung mit Bürgerbeteiligungsprozessen – insbesondere online-gestützten – haben. Sie benötigen Informationen, zum Beispiel zu Beteiligungsverfahren in anderen Städten, zu Zielen, Grenzen und Chancen von Bürgerhaushalten, um das einzelne Verfahren in Perspektive setzen zu können. So kann sich jeder Journalist besser eine eigene Meinung bilden und muss sich nicht auf einzelne Stimmen anderer verlassen.
Neben der Wichtigkeit, Journalisten mit ausreichenden Informationen auszustatten, sind allerdings auch Transparenz und Offenheit unbedingt notwendig. Kritisches Feedback sollte durch die Kommunen konstruktiv aufgenommen werden – schließlich spiegeln die Medien auch Tendenzen und Meinungen der Stadtgesellschaft wider.
C) Was können Journalisten tun, um Bürgerhaushalte zu unterstützen?
Klar ist – Journalisten sollten nicht zu Werbedienstleistern der Kommunen werden. Unabhängiger, kritischer Journalismus ist eine der Grundlagen unserer Demokratie. Dennoch sollten Journalisten sich im Klaren darüber sein, dass sie zarte Versuche erster Öffnungen in Richtung Bürgerbeteiligung mit überkritischer Berichterstattung im Keim ersticken können. Es gilt zu verstehen, dass Bürgerhaushalte immer noch laufend weiterentwickelt werden und dass Journalisten konstruktiv dabei helfen können, neue Formen und eine offenere Politik mitzugestalten.
Unabdinglich ist es außerdem für Journalisten, sich nicht darauf zu verlassen, was andere schreiben oder sagen. Äußert zum Beispiel der Bürgermeister seine Enttäuschung über die Beteiligungszahlen, so kann die Schlussfolgerung nicht direkt sein, dass die Beteiligungszahlen zu niedrig waren. Vielmehr sollte es dem Journalisten Anlass dazu geben, Recherchen anzustellen und die Einschätzung kritisch zu überprüfen.
Die oben getroffenen Aussagen gelten natürlich nicht nur für konventionelle, professionelle Journalisten sondern genauso für Blogger, Bürgerjournalisten und sonstige Multiplikatoren. Sie alle sollten sich kritisch mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzen. Das gilt auch für die Redaktion von buergerhaushalt.org.