Die große Einführungswelle von Bürgerhaushalten in Deutschland geht langsam zu Ende. Viele Kommunen haben ein solches Beteiligungsverfahren bereits mehrfach durchgeführt und sehen sich nun vielen Fragen gegenüber. Eine davon: Wie kann man mehr Bürgerinnen und Bürger für den Bürgerhaushalt begeistern? Außerdem: Wie kann er zum Projekt der Bürger werden, weg von den Kommunen als Initiator?
Die Antwort sehen einige Kommunen in der Einführung von Stadtteilfonds als Ergänzung zum gesamtstädtischen Bürgerhaushalt. Die Idee: Wenn Bürgerinnen und Bürger in ihrem Bezirk anhand konkreter Projekte Gelder selbst verwalten und investieren können, steigert das ihre Motivation und ihr Interesse für das Thema. Ausgestattet mit diesen Erfahrungen in Sachen Finanzen, so das Kalkül, sind sie eher bereit, sich auf gesamtstädtischer Ebene am Bürgerhaushalt zu beteiligen, das Verfahren mitzugestalten und weiterzuentwickeln. Der Bürgerhaushalt soll so Schritt für Schritt zum bottom-up-Prozess werden, zum Projekt der Bürgerinnen und Bürger, nicht der Kommune.
Ein Blick nach Brasilien: Wie funktionieren Stadtteilbudgets dort?
Dass Stadtteilbudgets funktionieren können, zeigt das Ursprungsland des Bürgerhaushaltes, Brasilien. Der Bürgerhaushalt von Recife etwa verfügt über ein mehrschrittiges Beteiligungsverfahren von dem Stadtviertel hin zur Gesamtstadt: "Recife macht es vor, da man dort Bürgerinnen und Bürger vor Ort in einem Beteiligungsprozess abholt, der greifbare Ergebnisse liefert und sie von da aus mitnimmt in die gemeinwohlorientierten […] Problemfelder. Am Ende interessiert sich dadurch dann auch eine große Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Themen, die eben keine direkten Auswirkungen für sie vor Ort haben", fasst Alexander Koop, Experte in Sachen brasilianischer Bürgerhaushalte von der Bertelsmann Stiftung, im Interview mit buergerhaushalt.org zusammen. Aber auch in deutschen Kommunen, wie etwa Senftenberg oder Ebernswalde, konnten mit Stadtteilbudgets gute Erfahrungen gemacht werden.
Diskussionen zur Einführung von Stadtteilfonds in Darmstadt
Wie so etwas in Deutschland umgesetzt werden kann, zeigt das Beispiel Darmstadt. Dort stellte Mitte Oktober die Bürgerbeauftragte Imke Jung-Krohn beim dritten Workshop zum Darmstädter Bürgerhaushalt ihr Modell der Stadtteilfonds vor. Durch das zusätzliche Angebot soll ein befürchteter Rückgang der Bürgerbeteiligung vermieden werden. Konkret schlägt Jung-Krohn, Bürgerbeauftragte der Stadt Darmstadt, in einem Pressebericht des Echo-Online vor, dass jeder Stadtteil ein Budget zur freien Verfügung bekommt, um gemeinwohlorientierte Vorhaben im Viertel realisieren zu können.
Die Höhe des Budgets könnte sich etwa an der Anzahl Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils bemessen. Die Bürgerbeauftrage nannte hier einen Betrag von 50 Cent pro Stadtteilbewohnerin und Stadtteilbewohner. Aber auch projektabhängig könnten Gelder vergeben werden, so Jung-Krohn im Pressebericht weiter. Bedingung hierfür sei, dass das Projekt "öffentlich zugänglich und gemeinwohlorientiert [ist] und das Zusammenleben im Stadtteil" fördert. Es muss außerdem von mindestens 20 Personen unterstützt werden. Nach einer Prüfung der Kosten und der Umsetzbarkeit durch die Fachverwaltung und den Ideengebern soll dann eine Bürgerjury über die Umsetzung des Projektes entscheiden. Zusammengesetzt werden soll diese Jury "nach repräsentativen Kriterien durch Zufallsauswahl und Quotierung", erklärt die Bürgerbeauftragte weiter.
Die Reaktionen auf das Konzept der Stadtteilfonds fielen bei den Bürgerinnen und Bürgern gemischt aus. Positiv bewertet wurde unter anderem der starke Fokus auf die Stadtteile. Hier wird davon ausgegangen, dass durch Fonds die Verantwortung und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Stadtteil gestärkt werden kann. Auch positiv sei, dass den Bürgerinnen und Bürgern ohne große bürokratische Hürden Geld zur Verfügung gestellt werden kann, ohne dass für die Stadt laufende Personal- oder Betriebskosten entstehen.
Kritik gab es hingegen bei dem in Darmstadt angedachten Entscheidungsverfahren. Während des Workshops in Darmstadt wurde laut Echo-Online angezweifelt, ob die Entscheidungsmacht der Bürgerjury ausreichend legitimiert sei. Auch die mangelnden strukturellen Voraussetzungen wurden thematisiert. Es fehlen beispielsweise in manchen Stadtteilen noch Treffpunkte, um die geplante Bürgerbeteiligung umsetzen zu können, berichtet die Frankfurter Rundschau auf ihrer Internetseite. Außerdem sei es zunächst wichtig, den Bürgerhaushalt in Darmstadt zu verbessern, berichtet das Echo-Online. Hauptkritikpunkt hier: Die schlechte Kommunikation darüber, was mit den angenommenen Vorschlägen passiert.
Trotz der geteilten Meinung über die Stadtteilfonds denkt der Kämmerer André Schellenberg darüber nach, das Konzept als Pilotprojekt an einem Stadtteil zu testen: "Ich bin positiv gestimmt. Wenn sich das Konzept erst einmal rumgesprochen hat, wird es auch angenommen", so Schellenberg im Artikel der Echo-Online.
Stadtteilfonds und Bürgerhaushalte: Sinnvolle Ergänzung oder gefährliche Doppelstruktur?
Doch kann die Rechnung wie sie Darmstadt, aber auch andere Kommunen aufstellen, wirklich aufgehen? Expertinnen und Experten in Sachen Bürgerhaushalt sind an dieser Stelle geteilter Meinung.
Im Gegensatz dazu hebt
Welches nun das richtige Rezept ist, um Bürgerhaushalte näher an die Bürger heranzuführen, wird sich in Zukunft zeigen. Hinweise dafür, wie es weitergehen kann, liefert einmal mehr Brasilien. Ein genauer Blick in die zahlreichen Fallbeispiele zeigt: Die Einrichtung von Stadtteilbudgets geht in Brasilien oftmals einher mit der Etablierung einer repräsentativen Struktur, in denen gewählte Delegierte aus der Bürgerschaft auf Ebene des Stadtteils, des Bezirks und schließlich auf Ebene der Gesamtstadt Bürgervorschläge aufgreifen und deren Umsetzung koordinieren.
Diese Struktur bildet somit eine fest institutionalisierte Klammer zwischen Quartier und Gesamtstadt, die eng mit den bestehenden politischen repräsentativen Strukturen zusammenarbeitet. Möglicherweise ein Grund für den großen Erfolg dieser Verfahren: Denn eine solche Kooperation aus bürgerschaftlichen und politischen Vertreterinnen und Vertretern wirkt einerseits der Entkopplung von Bürgerbudgets und Bürgerhaushalten entgegen und gewährleistet anderseits durch die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Politik und Bürgerschaft eine wirksame Angliederung des Bürgerhaushaltes an Politik und Verwaltung. Außerdem kann dadurch die zuvor kritisierte legitimatorische Lücke auf Quartierebene geschlossen werden.
Auf deutsche Verhältnisse übertragen bedeutet dies, das die Einrichtung von Bürgerbudgets sinnvollerweise mit der Wahl von Quartiersrätinnen und Quartierräten einher gegen sollten. Diese Repräsentanten der Bürgerschaft könnten dann dauerhaft den Kontakt zur Politik aufrechterhalten, während die gesamte Stadtbevölkerung flankierend und punktuell durch Bürgerhaushaltsverfahren den direkten Draht zur Politik und Verwaltung erhält. So betrachtet könnten Quartierbudgets tatsächlich eine Rezept zur Verbesserung von Bürgerhaushalten sein, wenn auch mit anderen Zutaten als zunächst gedacht.