Das Konzept Bürgerhaushalt hat sich vor allem in den letzten 15 Jahren vermehrt und variantenreich in Europa mit dem Ziel verbreitet, einen Beitrag zu einer partizipativen Haushaltsgestaltung zu leisten. Doch in den letzten Jahren stagniert die Zahl der laufenden Verfahren.
Viele Bürgerhaushalte werden nach kurzer Zeit wieder eingestellt1, während sich andernorts erfolgreiche Konzepte etabliert und einen aktiven Austausch zwischen Bürger*innen, Verwaltung und Politik in Gang gebracht haben. Jedoch birgt eben diese Interaktion Konfliktpotential. Unterschiedliche Erwartungshaltungen können letztendlich den Fortbestand von Bürgerhaushalten gefährden.
Vor diesem Hintergrund wurden im Zeitraum September bis Dezember 2019 Interviews mit Verwaltungsmitarbeiter*innen in zwölf Kommunen in Deutschland geführt. Im Folgenden wird zunächst kurz auf Aussagen zu an sechs eingestellten Bürgerhaushaltsverfahren beteiligten Akteuren (1. Bürger*innen, 2. Verwaltung und 3. Politik) eingegangen. Daraus sollen jeweils Rückschlüsse auf die Zielsetzung von Bürgerhaushalten gezogen werden, bevor im vierten Abschnitt – ebenfalls aus Sicht der interviewten Verwaltungsmitarbeiter*innen – die Zielsetzungen von sechs eingestellten und sechs laufenden kommunalen deutschen Bürgerhaushaltsverfahren einander gegenübergestellt werden.
Ziel des Beitrags ist es letztlich, Empfehlungen für die erfolgreiche Ein- und Durchführung eines Bürgerhaushalts zu ziehen.
1. Risikofaktor Bürger: Desinteresse und Unwissenheit
Die interviewten Verwaltungsmitarbeiter*innen sehen verschiedene Gefährdungen für Bürgerhaushaltsverfahren. Seitens der Bürger*innen scheint zunächst ein Desinteresse an Beteiligungsmöglichkeiten zu bestehen. Dieses kann in Politikverdrossenheit bzw. Misstrauen („Die machen doch sowieso, was sie wollen.“) oder auch Unwissenheit („Das kann doch kein Mensch verstehen“) gründen. Vielleicht auch deshalb wird eine Vielzahl an Vorschlägen der Bürger*innen als wenig konstruktiv empfunden, da sie aufgrund fehlender Zuständigkeiten, Genehmigungen, zu hoher Kosten oder dergleichen nicht realisierbar sind.
Ursächlich hierfür sollen das geringe Wissen über das kommunale Haushaltswesen und die Zuständigkeiten sein. Dieses sei Bürger*innen jedoch nicht anzulasten, da dieses Themengebiet viel zu komplex sei.
Zugleich könne die Ablehnung einer Vielzahl an Vorschlägen wegen Nichtrealisierbarkeit zur Frustration, Desinteresse und Politikverdrossenheit beitragen. Somit bestehe grundsätzlich die Gefahr, das Desinteresse zu verstärken, statt das Gegenteil zu bewirken.
Schlussfolgerung 1: Das ursprüngliche Ziel von Bürgerhaushaltsverfahren, den Bürger*innen das gesamte Haushaltswesen zu erklären und an Entscheidungen über den gesamten Haushalt zu beteiligen, erscheint kaum erreichbar. Stattdessen sind die Bürger*innen vor dem ersten Bürgerhaushalt und im Anschluss an die Validierung der Vorschläge exemplarisch über die Gründe von umsetzbaren und nicht umsetzbaren Vorschlägen umfassend, aber knapp und leicht verständlich aufzuklären. Nur so kann das Interesse der Bürger*innen geweckt und Verständnis für die Spielregeln des Haushaltswesens geschaffen werden.
2. Risikofaktor Verwaltung: Knappe Kapazitäten und Unaufgeschlossenheit
Verwaltungsmitarbeiter*innen verweisen einerseits häufig auf zu knapp bemessene oder fehlende Ressourcen für ein Bürgerhaushaltsverfahren, wie eine eigens dafür geschaffene Stelle. Mithin entsteht ein Mehraufwand, d.h. eine gestiegene Arbeitsbelastung neben der regulären, die Arbeitszeit bereits füllenden Tätigkeit. Dieser in unzureichenden Ressourcen gründende Mehraufwand birgt bereits per se ein Frustrationspotential („Also da war einiges an Mehrarbeit erforderlich“).
Zudem ist der Frust groß, etwa wenn diese Mehrarbeit zur Vorbereitung abendlicher Veranstaltungen anfällt, welche nur mäßig bis gar nicht besucht wurden, oder wenn ein Bürgerhaushalt kampagnenartig für wenige Wochen beworben wird („Jetzt hast du die Möglichkeit [mitzuentscheiden]!“) und auf mehreren Kanälen (wie Papier und Online) sehr viele und teilweise mehrfach nicht realisierbare Vorschläge eingereicht wurden, die gesichtet und verarbeitet werden müssen. Die grundsätzliche Freude über die große Resonanz weicht dann sukzessive einer Frustration.
Andererseits räumten einige der befragten Verwaltungsmitarbeiter*innen ein, dass sie Bürgerhaushaltsverfahren nicht nur wegen des oft ergebnislosen Mehraufwands sehr skeptisch, sondern ihre Kompetenzen eingeschränkt sehen („So einen Quatsch‘, brauchen wir alles nicht. Wir legen selbst fest, welche Straßen wir machen.“).
Schlussfolgerung 2: Die Implementierung von Bürgerhaushalten bedarf auch in Bezug auf die Verwaltung einer gründlichen Vorbereitung. Die Ziele des Bürgerhaushalts müssen klar intern kommuniziert werden („Nicht bloß abzuarbeiten, sondern wirklich zu sagen: Das wollen wir, das ist unsere Zielsetzung und das können wir gemeinsam (als Rat und Verwaltung) darstellen.“). Weiterhin müssen sich die Ziele, wie das Erreichen möglichst vieler Bürger*innen aus allen Gruppen und Schichten, auch in den für das Bürgerhaushaltsverfahren bereit gestellten Ressourcen widerspiegeln, um dessen Erfolg nicht zu gefährden.
3. Risikofaktor Politik: Wenig Einigkeit und finanzielle Einschränkungen
Für den Erfolg und den Spielraum von Bürgerhaushaltsverfahren spielen die finanziellen Mittel der Kommune eine entscheidende Rolle. Dies betrifft nicht nur Haushaltssicherungskommunen, bei denen die „Spielerei Bürgerhaushalt“ aus Sicht der Aufsichtsbehörde teilweise als eine verzichtbare Leistung angesehen wird.
Wie auch bei den Verwaltungsmitarbeiter*innen, sehen sich vielfach Ratsmitgliedern entmachtet und um ihre wenigen verbliebenen Entscheidungsspielräume gebracht. Denn das Bürgerhaushaltbudget betrifft regelmäßig nicht die Pflicht-, sondern die freiwilligen Aufwendungen und liegt damit im Gestaltungsspielraum der Gemeindevertretung. Diesen Gestaltungsspielraum mit den Bürger*innen zu teilen, fiele einigen Ratsvertretern schwer, sodass der Bürgerhaushalt oft keine volle politische Unterstützung erhielt.
Die Verwaltungsmitarbeiter*innen wünschen sich zusätzlich, dass die Verwaltung von der Politik mitgenommen wird („Mehr ein Zusammentun von Rat und Verwaltung (..) was man erreichen will. Das fehlt uns einfach“.).
Hinzu kamen Meinungsverschiedenheiten über das Prozessdesign selbst. Oftmals wurde über Vorschläge der Bürger*innen regulär von der Gemeindevertretung/Ratsvertretern entschieden, obwohl über Satzungen die Möglichkeit besteht, den Bürgerhaushalt als Bürgerbudget auszugestalten, wobei das Abstimmungsergebnis nicht nur empfehlenden Charakter hat, sondern verbindlich ist.
Schlussfolgerung 3: Grundvoraussetzung scheint neben der finanziellen Unterstützung der Konsens zwischen Verwaltung und Politik zu sein. Dabei muss die politisch oft beabsichtigte Bürgernähe („Viel dichter kommen sie (als Politiker) an den Bürger nicht mehr ran“.) jedoch in einem echten Beteiligungswillen enden. Trotz zumindest eines prominenten Positivbeispiels (Stuttgart) bleibt fraglich, ob Bürgerhaushalte ohne echte Entscheidungskompetenzen die Bürger*innen dauerhaft zum Mitmachen motivieren können. Im Schrifttum wird diesbezüglich von Pseudo-Partizipation gesprochen, wenn die Bürger*innen keine echte (letztendliche) Entscheidungsmacht in dem Verfahren haben. Ein Austausch „auf Augenhöhe“ setzt den Willen und die Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger voraus, ihre Macht zu teilen, indem den Bürger*innen der notwendige (finanzielle) Spielraum gewährt wird.
4. Risikovermeidung: Differenzierte und transparente Zielsetzung(en)
Nicht nur die angebrachten Gründe können isoliert oder in Kombination einen Bürgerhaushaltsprozess ins Stocken und letztendlich zum Erliegen bringen. Dies können vielmehr etwa auch ungenaue und undifferenzierte Zielsetzungen für Bürgerhaushalte bewirken, wie die folgende Tabelle zeigt. Darin werden Aussagen der interviewten Verwaltungsmitarbeiter*innen zu Zielen ihres Bürgerhaushaltes in der Gruppierung nach eingestellten und laufenden Verfahren. Auf Basis der Unterschiede sollen Schlussfolgerungen für zukünftige Bürgerhaushaltsprozesse gezogen werden.