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Pro und Contra Bürgerhaushalt

Bürgerhaushalte in der Debatte

Dominik Schlotter

/ 5 Minuten zu lesen

Bürgerhaushalte sind umstritten, ihre Wirkungsmächtigkeit ist begrenzt, ihre demokratische Legitimation ist fraglich. Gleichzeitig stärken sie Bürger:innen und sind demokratische Prozesse. - Ein Blick auf die aktuelle Debatte.

Die Diskussionen der letzten Jahre, die auch im Netzwerk Bürgerhaushalt geführt wurden, bewegen sich um einige kritische Punkte, die immer wieder auftauchen; dazu gehören: Bürgerhaushalte sind umstritten, ihre Wirkungsmächtigkeit ist begrenzt, ihre demokratische Legitimation ist fraglich.

Andererseits heißt es aber auch: Bürgerhaushalte sind wichtig, denn sie sind ein stärkendes Element zur Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten. Sie sind (oder sollten sein!) ein fester Bestandteil von demokratischen Prozessen.

Wir wollen an dieser Stelle einige Debatten nachzeichnen, die auf dieser Seite und auf den letzten Netzwerkkonferenzen stattgefunden haben. Dabei soll, verbunden mit der Einladung zur Fortsetzung der Debatte, die Breite der thematischen Zusammenhänge von Bürgerhaushalten aufgezeigt und perspektiviert werden.

Untergraben Bürgerhaushalte die repräsentative Demokratie?

Häufig hört man – oft von interessierter Seite – die These, dass Bürgerhaushalte die Zuständigkeit von demokratisch legitimierten politischen Entscheidungsgremien unterlaufen und damit die durch Wahlen bindende Wirkung repräsentativer Demokratie nicht mehr gewährleistet sei.

Zu diesem Einwand gibt es eine Gegenposition, die dahin tendiert, Bürgerhaushalte als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie zu sehen. Gerade in den letzten Jahren hätte sich gezeigt, dass viele politische Entscheidungen nicht an den Bürger*innen vorbei getroffen werden können und sollten. Beispiele von Großprojekten wie Stuttgart 21 oder der Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin würden zeigen, dass die repräsentative Demokratie schnell in Legitimierungsprobleme gerät, wenn kein hinreichender Dialog mit den Bewohner*innen der Stadt geführt worden ist.

Eine weiteres Argument macht geltend, dass die rechtliche Unverbindlichkeit für eine zwanglose Vereinbarkeit von repräsentativer Demokratie und Bürgerhaushalten führe. Hierbei steht im Vordergrund, dass die Bürgerhaushaltsbeschlüsse dem Stadtrat oder der Gemeindeversammlung ja nur als Vorschläge vorgelegt werden. Erst nach deren eingehender Prüfung kommt es zu einer Auswahl der umzusetzenden Ideen aus der Bürgerschaft. Damit werden die Vorschläge für Politik und Verwaltung zu einer Art Stimmungsbarometer. Im Idealfall würde dann über ein transparentes Verfahren der Entscheidungsfindung die Legitimation der Mandatsträger*innen noch erhöht. Bürgerhaushalte könnten so zur notwendigen Ergänzung von demokratischen Entscheidungsprozessen werden, da sie mittels Dialog in der Lage wären, die Gräben zwischen Bevölkerung und politischen Entscheidungsträger*innen zu überwinden.

Doch das Problem, wie mit den Beschlüssen aus Bürgerhaushaltsverfahren umzugehen sei, ist damit nicht gelöst. Denn häufig liegen die Interessen der Bürger*innen eben genau quer zu denen der demokratisch legitimierten Repräsentanten, die mit Verweis auf ihre Legitimation jeden Beschluss wieder „einkassieren können.

Zugleich untergraben die oft sehr niedrigen Beteiligungszahlen bei Bürgerhaushalten die Sinnhaftigkeit des ganzen Unterfangens. Eine niedrige Anzahl an Vorschlägen und eine niedrige Wahlbeteiligung führen zu einen verzerrten Bild, das es so aussehen lässt, als ginge des dem aktiven Teil der Bürgerschaft nur um Eigeninteressen ohne Rücksicht auf Gemeinwohlaspekte. Und tatsächlich: Bürgerhaushalte können so zu einem Tummelplatz der Privatinteressen werden, welcher einzelnen (lauten) Stimmen zu viel Raum gibt und dem Lobbyismus Tür und Tor öffnet.

Zu diesem Punkt passt die Diagnose, dass diejenigen, die sich an den Verfahren beteiligen, überwiegend aus gebildeten Milieus stammen, was bedeutet, dass die Selektivität der Beteiligung ein zentrales Problem darstellt. Auf die Gesamtgesellschaft bezogen bedeutet dies, dass einige wenige ihre Interessen relativ leicht umsetzen können, wohingegen die nicht Beteiligten völlig aus dem komplexen Entscheidungsprozess und dem Endergebnis – wenn auch vielleicht teilweise selbstverschuldet – herausgenommen sind.

Auf dieser Grundlage dieser Diagnose gibt es nun Stimmen, die zunächst eine generelle Komplexitätsreduzierung für kommunale Haushalte fordern. Nur so könnte Bürgerbeteiligung strukturell für alle Menschen zugänglich gemacht werden. Über eine stärkere Vereinfachung der Haushaltspläne würde die Bevölkerung dann in der Breite angesprochen und aktiv in die Entwicklung des Haushaltes einbezogen werden können. Aufbauend auf diesem Prozess wäre die Bevölkerung vielleicht tatsächlich im Stande, die komplexen Anforderungen eines Bürgerhaushalts in fundierte Vorschläge für das Gemeinwohl zu übertragen.

Sind ganzjährige Bürgerhaushalte die besseren Verfahren?

Im Zuge dieser Debatte stellt sich die Frage, was eine sinnvolle Laufzeit von Bürgerhaushaltsverfahren sein könnte und ob nicht ganzjährige Bürgerbeteiligungsprozesse die grundsätzlich bessere Lösung wären, um zu einer dauerhaften und konstruktiven Zusammenarbeit von Bevölkerung, Verwaltung und Politik zu kommen.

Bürgerinnen und Bürger könnten dann rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr ihre Vorschläge, Ideen und Hinweise an die Stadtverwaltung und Politik richten und wären nicht mehr an festgesetzte Beteiligungsphasen gebunden. So würden Bürgerhaushalte zu einem ständigen Ideenmanagement, das sich positiv auf die Akzeptanz von kommunaler Politik auswirken könnte.

Parallel stellt sich dann aber auch die Frage, ob bei dieser Form von Verfahren überhaupt noch von Bürgerbeteiligung gesprochen werden kann, oder ob es sich hier nicht vielmehr nur noch um ein Stimmungsbarometer handelt, welches schnell zu Frustration und zur Erlahmung der Beteiligungsneigung führt.

Die Diskussion über Laufzeiten ändern indes nichts daran, dass alle Verfahrensfragen ohne das ernsthafte politische Interesse an Bürgerbeteiligung im Grunde obsolet sind. Ohne eine verbindliche Haltung zur Umsetzung der Vorschläge und ohne seriösen Versuch, möglichst alle Bevölkerungsschichten anzusprechen, bleibt sowohl beim Bürgerhaushalt als auch bei einem dauerhaften Ideenmanagement die Gefahr des Vorwurfs einer „Scheinbeteiligung“ immer im Raum.

Zukunft von Bürgerhaushalten

Bleibt die Frage, welche Themen künftig aufgegriffen werden sollten und wo die zentralen Bedingungen für das Gelingen von Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und Bürgerhaushalten im Besonderen liegen?

Zusammenfassend zeigt sich an den Diskussionen der letzten internationalen Netzwerkkonferenz (2018), dass es nach wie vor einiges an struktureller Veränderung bedarf, um den oben angesprochenen grundlegenden Problemstellungen mit einem schlüssigen Entwurf begegnen zu können. Da wäre zunächst die Möglichkeit, verbindliche allgemeine Richtlinien oder Verfahrensregeln für die zuständigen kommunalen Parlamente zu erarbeiten und diese zur Verabschiedung zu bringen. Dieser Schritt sollte aber nicht ohne die personelle Aufstockung der Kommunalverwaltungen durchgeführt werden. Gute Bürgerbeteiligung erfordert qualifiziertes Personal.

Abschließend lässt sich resümieren, dass die politische Lage rund um die Idee von Bürgerhaushalten – nicht nur in Deutschland – ungewiss bleibt. Es wird von den politischen Rahmenbedingen und nicht zuletzt vom politischen Druck aus der Zivilgesellschaft abhängen, ob Bürgerhaushalte sich dauerhaft etablieren können oder eines Tages von der politischen Bildfläche verschwunden sein werden.

Autor: Dominik Schlotter

Fussnoten

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