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"Es geht uns um den nachhaltigen Nutzen" Über die Chancen von Bürgerbudgets und das Problem der Korruption

Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt - Eliana Lang

/ 5 Minuten zu lesen

Zu wenig Geld vom Staat, vor allem aber zu wenige Informationen gerade auch für die Ärmeren: Dass in Kolumbien trotzdem nachhaltige Beteiligungsprojekte laufen, liegt oft am großen Engagement Einzelner, die sich vernetzen. - Ein Interview mit Antonio Caicedo von der „Fundación Colonia del Pacífico“ in Cali.

Drei Frauen und ein Mann in einem kleinen Kräutergarten mit traditionellen Heilkräutern, im Armenviertel Bajamar, Buenaventura, Valle del Cauca, Kolumbien. (© picture-alliance, imageBROKER | Florian Kopp)

Viele Menschen und Familien fliehen schon seit vielen Jahren aus der Pazifikregion. Entweder sind es klimatische Bedingungen, die das Leben erschweren, oder es sind Rebellengruppen, die die Menschen von dort vertreiben. Viele von ihnen gehen in die Stadt Cali, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Hier gründete der Universitätsdozent Antonio Caicedo 1997 gemeinsam mit 15 weiteren Kollegen die Organisation „Fundación Colonia del Pacífico“. Ihr Augenmerk liegt dabei auf Bildungsangeboten für die Black Community und der Unterstützung von Jugendlichen.

Lieber Antonio, wie ist die aktuelle Lage in Kolumbien in Bezug auf die Bürgerbeteiligung?

Ich würde sagen, es gibt viele Schwierigkeiten. Leider stellt der Staat für die Bedürfnisse der Menschen zu wenig Geld zur Verfügung. Außerdem werden die Kommunen vielmals manipuliert und ausgenutzt, zu oft kennen sie ihre Rechte nicht, sie wissen nicht, was ihnen zusteht. Ich bin der Meinung, dass das der Politik sehr zugute kommt, so fordern die Menschen ihre Rechte nicht ein und der Staat muss sich nicht darum kümmern… ein Teufelskreis.

Welche Möglichkeiten oder Chancen der Beteiligung haben die Menschen in Kolumbien? Nutzen sie die vorhandenen Möglichkeiten?

Es ist so: Der Staat stellt eine gewisse Summe bereit, um Projekte zu unterstützen. Wir als Organisation informieren die Menschen darüber und schließen uns dann mit ihnen in ihren Kommunen zusammen. Gemeinsam wird besprochen, welche Bedürfnisse es gibt bzw. worin dringend investiert werden sollte. Daraus entwickeln wir Projekte. Jeder, der sich beteiligen will, hat dann die Möglichkeit, über die Projekte abzustimmen. Unter uns gibt es immer faire Wahlen, das ist uns sehr wichtig.

Oft reicht das bereitgestellte Geld allerdings nicht aus. Innerhalb der Kommune müssen wir uns mit fünf bis 15% beteiligen. Die Beteiligung muss dabei nicht immer monetär sein, sie kann auch mit Arbeitszeit geleistet werden.

Unsere Organisation setzt sich auch besonders für Jugendliche ein. Sie sollen unbedingt studieren. Dafür haben wir Vereinbarungen mit Universitäten geschlossen. Sie reservieren uns jährlich zehn bis fünfzehn Immatrikulationsplätze, die wir dann an unsere Kids verteilen können.

Sonst Abfall, hier wertvoller Pflanzenkorb: Vom Recycling haben alle etwas! (© Antonio Caicedo)

Welche Projekte stehen aktuell an und wie ist ihr Entwicklungsprozess?

Derzeit beenden wir ein Projekt, das vom Innenministerium unterstützt wird. Hier betreuen wir 50 Frauen und Mütter aus dem Corregimiento el Tiple und el Cabuyal aus dem Municipio Candelaria, nahe Cali. Die Frauen aus der Black Community bekommen Schulungen für den Umgang in der Landwirtschaft. Sie lernen Techniken und Mittel zum richtigen Anpflanzen. Die Frauen können selbst auswählen, welche Produkte sie anpflanzen wollen.

Meist sind es medizinische Pflanzen und Kräuter, die ihnen auch nachhaltig von Nutzen sein können. Agraringenieur*innen zeigen ihnen dann ganz genau, wie der gesamte Prozess vom Einpflanzen bis zur Ernte abläuft. Parallel dazu unterstützen Sozialarbeiter*innen die Frauen in familiären Angelegenheiten und klären sie über ihre Rechte auf.

Umgerechnet 27.000 Euro wurden für dieses Projekt investiert, 5.000 Euro davon sind Spenden von uns Freiwilligen. Das Projekt läuft seit dem 6. Dezember 2020 und endet offiziell Ende Februar 2021. Tatsächlich aber werden wir die Familien auch weiterhin besuchen und nach dem Rechten schauen. Sie können jederzeit mit unserer Unterstützung rechnen – das ist klar.

Welche Bereiche werden von der Bevölkerung bevorzugt oder anders herum: Wo ist am meisten Bedarf - Gesundheit, Bildung, Soziales, andere Bereiche?

Prinzipiell geht es uns beim Planen der Projekte darum, dass sie von nachhaltigem Nutzen sind. Das heißt, die Menschen sollen die gelernten Fertigkeiten immer weiterentwickeln. Die Projekte sollen, wenn möglich, Geld generieren, um die Beteiligten auch zukünftig unterstützen zu können.

Es ist schwierig hier einzugrenzen - in allen Bereichen gibt es Bedürfnisse und Nöte. Großen Anklang hat allerdings der Bereich der Verpflegung und die Sicherung dessen.

Welche Zielgruppen beteiligen sich an dem Projekt?

Es sind hauptsächlich Frauen jeden Alters und aus ländlichen Zonen, die sich an den Projekten beteiligen. Sie sind es, die den Haushalt im Griff haben, die Kinder erziehen und sich finanziell über Wasser halten. Auf die Väter können sie oft nicht zählen.

Gibt es eine Jugendbeteiligung?

Die generelle Beteiligung ist recht hoch. In diesem Projekt sehen wir eine breite Masse: Von 19 bis 55- jährigen ist alles dabei. Vor allem aber sind es junge Mütter, die sich beteiligen.

Wie ist der Austausch zwischen Organisationen innerhalb Kolumbiens?

Kräutergarten in ehemaligen Plastikflaschen (© Antonio Caicedo)

Es gibt Vernetzungen und eine gute Kommunikation unter uns Organisationen. Wir sind im Austausch miteinander und informieren uns gegenseitig über die neusten Entwicklungen und potenzielle Finanzmöglichkeiten des Staates. Licenia haben Sie ja kennengelernt - sie ist eine gute Bekannte von mir, mit der ich eng zusammenarbeite.

Wie haben Sie die Corona-Pandemie erlebt?

Wir haben viel gelernt, ich glaube, das haben wir alle. Niemand hätte solch eine drastische Veränderung erwartet. Wir sind jetzt auf die virtuelle Kommunikation angewiesen, klar, das war vorher anders. Die virtuellen Versammlungen sind neu für uns.

Mir tun vor allem die Kinder leid, die nicht in die Schule gehen können. Sie haben nun einen ganz anderen Rhythmus. Natürlich auch ihre Eltern, die jetzt rund um die Uhr auf die Kinder aufpassen müssen und kaum entlastet werden

Spielt die Korruption hier eine wichtige Rolle? Was denken Sie, gibt es das Geld, nur wird es nicht für die Menschen eingesetzt?

Ja, die Korruption gibt es auf jeden Fall, negieren kann man das nicht. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, doch leider ist die Korruption in unserem Land auf allen politischen Ebenen ein großes Thema. Es lassen sich einige Fälle beobachten, z.B. kam in einem Projekt der Nahrungsmittelunterstützung an Schulen nur 50% der Hilfeleistung an. Wo die restlichen 50% gelandet sind, weiß keiner so genau. Vieles verschwindet in den Taschen der Vermittler. Wenn die Menschen nur ehrlich wären – das wäre ein Traum. Solche Fälle ereignen sich und keiner steht auf, um den Fall zu melden. Die Menschen haben zu große Angst, sie oder Familienmitglieder könnten verschwinden. Keiner will sich in Gefahr bringen, jeder schützt sein Leben.

Das war natürlich kein Einzelfall – so oft kommt das Geld oder die Unterstützung einfach nicht bei den Menschen an. Und genau da müssen wir ansetzen. Bei unserer Organisation gibt es sowas nicht. Wenn uns eine gewisse Summe zur Verfügung steht, dann weiß jeder darüber Bescheid, nichts wird versteckt, alles wird gerecht und fair verteilt.

Gibt es Perspektiven für zukünftige Projekte? Welche?

In näherer Zukunft planen wir eine Versammlung, entweder virtuell oder real, bei dem die Frauen des Corregimiento de Rozo, Municipio Palmira ihre Wünsche und Bedürfnisse bezüglich nächster Projekte äußern können.

Fussnoten

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