Am 30. Juli 1955 folgt der DFB auf seinem Bundestag in Berlin dem Beispiel des Fußballverbandes Niederrhein und verbietet den Damenfußball bundesweit in seinen Reihen. Die Fußball-Herren argumentieren: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." (Quelle: Externer Link: dfb.de) Einstimmig beschließt der DFB "aus ästhetischen Gründen und grundsätzlichen Erwägungen" und unter Androhung von Strafe bei Zuwiderhandlung "unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren "Schieds- und Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten." (DFB Jahrbuch 1955)
Dr. Hubert Claessen, langjähriges DFB-Vorstandsmitglied, ist im Juli 1955 als Delegierter in Berlin dabei und beschreibt den männerbündlerisch-konservativen "Korps-Geist" der Delegierten und ihr "ästhetisches Empfinden": "Das war schon eine schwere Sünde, dass die Mädchen da mit einem wackeligen Busen übers Feld liefen und dann auch noch gegen den Ball traten oder sich gegenseitig foulten. Nach Vorstellungen der alten Herren war das unmöglich. Man wollte einfach keine Damenfußballabteilungen und keine Damenwettbewerbe, weil man sagte, das ist kein Sport, der sich für Frauen eignet, weil der Körper der Frau für den Kampfsport – denn Fußball wurde immer noch als Kampfsport angesehen – weder physisch noch seelisch geeignet ist".(Dr. Hubert Claessen, Interview 1999).
Das Treten ist männlich, das Nicht-Treten weiblich"
Die biologistischen und medizinischen Argumente der DFB-Riege werden von nicht wenigen Medizinern schon damals bestritten. Aber es gibt von Seiten der Medizin und Psychologie auch deftige Argumentationshilfen, die die männliche Sicht der Dinge scheinbar wissenschaftlich untermauern. Der bekannte Psychologe Fred J.J. Buytendijk bringt 1953 eine Studie über das Fussballspiel heraus, die an Geschlechterdiskrimierung kaum zu überbieten ist: "Der Fuß bedeutet aber /.../ treten – eine bestimmte Form der Aggression und eine bestimme Verhaltensweise zum eigenen Körper, Grund und Anlaß für eine demonstrative Männlichkeit und die dazu erforderliche unerbittliche Härte, die manche Rohheit nennen. /../ Im Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen Neigungen und der Wert der männlichen Welt. /.../ Das Fussballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen. /.../ Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich." (F.J.J. Buytendijk, 1953. S. 25/26)
Grün Weiß Dortmund
Die Frauen aber kicken außerhalb des DFB unverdrossen weiter. Ursula Graeve, geb. Hüser, darf lange Zeit kein Fußball spielen – ihre Mutter ist strikt dagegen. Erst als sie mit 21 Jahren die damalige Volljährigkeit erreicht, bekennt sie sich öffentlich zu ihrer Fußball-Leidenschaft und gehört zu den Gründungsmitgliedern des im Frühjahr 1956 ins Leben gerufenen Teams von Grün-Weiß Dortmund. Im Vereinslokal Weber an der Stahlwerkstraße findet das Team ein Domizil. Trainiert wird regelmäßig auf der angrenzenden Fußballwiese, die sich im Privatbesitz des Gaststätteninhabers befindet. Nach einem "Werbespiel" gegen eine Damenelf aus den Haag, das auf dem Viktoriaplatz "Am Zehnthof" vor 1200 Zuschauern 2:2 endet, kommt es zu einem Anmeldeboom bei den Grün-Weißen. Mütter und Väter begleiten ihre Töchter zum Vereinslokal Weber, um sich über Damenfußball zu informieren und ihre Schützlinge anzumelden. Zeitweise kann Grün-Weiß Dortmund sogar zwei Frauenteams stellen.
Rund 18 Monate kicken die Dortmunder Grün-Weißen. Zahleiche Städtespiele gegen Essen, Mönchengladbach, den Haag, Utrecht oder Harlem werden auf dem Viktoriaplatz "Am Zehnthof" ausgetragen. Die Damen werden aber auch mehrmals zu Gastspielen nach Holland eingeladen, manche von ihnen auch in die Nationalelf berufen. Als die Herren von Borussia Dortmund 1956 Deutscher Meister werden, feiern die Grün-Weiß Damen kräftig mit. Beim öffentlichen Empfang der Meistermannschaft durch Oberbürgermeister Keunig in der Dortmunder Innenstadt betreten die Fußball-Damen in voller Fußballkluft das Siegerpodest und überreichen den Meisterkickern einen Blumenstrauß. Daraufhin werden sie zur internen Meisterschaftsfeier der Borussen eingeladen.
Rhenania Essen
Im Jahre 1956 gründet sich mit dem DFC Rhenania in Essen ein weiterer Damenfußball-Verein. Im August wird die Satzung formuliert, im Oktober der Vorstand gewählt. 1. Vorsitzender wird der Vorarbeiter Wilhelm Lange, 2. Vorsitzender der Elektrobrenner Fritz Schortemeier, 3. Vorsitzender die Arbeiterin Klara Borkenfels.
Fritz Schortemeier trainiert auch die Damenelf und – folgt man den Rhenania-Kickerinnen Gisela Koch und Erika Flügge – erweist sich zugleich als ebenso talentierter wie fürsorglicher Manager. Er zahlt und besorgt die Trikotage, organisiert Busse zu Auswärtsspielen in Holland oder deutschen Städten wie Hannover, Lüdenscheid, Dortmund und Bochum, lässt Plakate drucken und hängt sie eigenhändig auf. Und er organisiert gegen teils heftigen Widerstand Sportplätze – zum Trainieren und für Städtespiele. Er begleitet auch die Spielerinnen persönlich nach Hause, wenn sie von einer auswärtigen Städtetour sonntags gegen Mitternacht spät oder verspätet zurückkommen: "Und wenn wir Touren gemacht haben und wir um 12 Uhr nach Hause kamen, meine Brüder schliefen dann schon, da musste meist der Herr Schortemeier mit rauf, eine Entschuldigung bringen. Wenn ich unterwegs war konnte meine Mutter nicht schlafen, weil sie gedacht hat: Wo bleibt sie nur, was ist bloß los." (Gisela Koch, Interview 2006)
Auch die 17-jährige Helga Nell kickt bei Rhenania, damals noch unter ihrem Mädchennamen Tönnies. Sie arbeitet in der Brauerei Stauder und trainiert zweimal wöchentlich. Die junge Frau ist so fußballbegeistert, dass sie in Ermangelung des Fahrgeldes für die Straßenbahn oft den kilometerlangen Weg zum Trainingsplatz zu Fuß zurücklegt. Bis 1960 ist sie bei Rhenania aktiv. Dann heiratet sie und hört als Aktive auf, ehe sie 1969 für die SpVgg. Rot-Weiß Resser Mark erneut die Fußballstiefel schnürt und später mit ihrer Elf im westdeutschen Pokalfinale steht.
In den 50er Jahren reist Helga Tönnies mit Rhenania über die Dörfer und wird später in das Länderteam berufen. Zeitweise gibt es beim Auflaufen der Rhenanen heftigen Spott und Beschimpfungen, denn zum Spielfeld gehen die Frauen meist durch ein Spalier von Zuschauern. "Da musste man sich schon mal die Backe putzen, da wurd´ man schon mal angespuckt und von oben bis unten angeguckt und gefragt: Was macht ihr Weiber aufm Sportplatz", erinnert sich die leidenschaftliche Fußballerin. (Helga Nell, Interview, 2005). Doch nicht die "Quertreiber" unter den Zuschauern überwiegen, sondern Zustimmung und Begeisterung.
Der Westdeutsche Damen-Fußball-Verband wird gegründet
Das DFB-Verbot stößt vielerorts auf Protest. 1956 gründet der Kaufmann Willi Ruppert in Essen den "Westdeutschen Damen-Fußball-Verband e.V.", der wenig später eine "Abteilung Süddeutschland" mit Geschäftsstelle in München ins Leben ruft. Öffentliche Damenfußball-Wettkämpfe werden auf kommunalen Plätzen ausgetragen, wobei Städte und Gemeinden rund 10% der Einnahmen erhalten.
Am 23.9.1956 findet im Essener Mathias-Stinnes-Stadion vor 18.000 Zuschauern das "erste Länderspiel der deutschen Damen-Fussballmannschaft" (Neue Ruhr Zeitung, 24.9.1956) gegen Holland statt. Die Kickerinnen spielen nach FIFA-Regeln bei verkürzter Spielzeit, laufen im schwarz-weißen Dress auf, tragen den Bundesadler auf der Brust und singen die Nationalhymne. Die Printmedien urteilen erstaunlich positiv. "Gute Kombinationen" werden vermeldet, und "daß die Sportart, die in Deutschland bisher nur Männern vorbehalten war, auch für Frauen durchaus möglich ist." (NRZ, 24.9.1956) Die deutschen Frauen gewinnen mit 2:1.