Rechte Aktivitäten in Fanszenen stellen längst kein spezifisches Problem der neuen Bundesländer mehr dar. Nützlich für solche Einflussnahmen kann das Postulat sein, Politik habe beim Fussball nichts zu suchen. Dagegen positionieren sich seit langem demokratische Initiativen von Ultras.
Ein ehemaliger Nazi leitet heute die "Aussteigerhilfe Bayern". Felix Benneckenstein hilft jungen Rechtsradikalen, sich von der rechten Szene abzuwenden. Benneckenstein weiß, wovon er spricht, wenn er die Lügen und Verdrehungen der Rechtsextremisten entlarvt: Bis 2009 war er als Aktivist einer Kameradschaft im bayrischen Erding selbst einer von denen, die der Demokratie den Kampf ansagten und das Deutsche Reich wiederaufstehen sehen wollten. Seinen Ausstieg machte aus der Naziszene machte Benneckenstein 2011 publik. Als er noch ein glühender Nationalsozialist war, hat er sich über seine politischen Gegner im Fußballstadion sehr geärgert. Die "Löwenfans gegen Rechts" hatten ihn und seine Gesinnungsgenossen im Block 132 A der Allianz Arena geoutet. 2010 erschien ein Text im "Stern", der ihn und ein paar andere Nazikader im Fanblock des Zweitligisten 1860 München beim Namen nannte.
Doch im Gegensatz zu den Journalisten, den Vereinsoffiziellen und den "Löwenfans gegen rechts" stören sich noch heute viele 60-Anhänger im Stadion nicht an der Gegenwart der Neonazis. Die Masse der Fans hat zwar nicht unbedingt Sympathien für die politischen Ideen der Rechten. Sie fanden aber, man solle diese doch in Ruhe lassen, so lange sie im Block nicht offen agitierten. "In den Augen dieser Anhänger waren unsere Gegner diejenigen, die Politik ins Stadion getragen haben – nicht wir", sagt Benneckenstein und schüttelt den Kopf, als könne er noch drei Jahre später nicht glauben, wie leicht es ihm und den anderen Nationalsozialisten im Block gemacht wurde. Genau so wollten sie schließlich gesehen werden: Als die "normalen" Fußballfans. Die Ideologen, die verbiesterten Polit-Freaks, das sollten nicht sie selbst sein, sondern die, die sich ihnen entgegenstellten: "Wir Rechten wollten bei 1860 mal anonym eine Seite erstellen mit dem Titel: Löwenfans gegen Politik im Stadion. Da hätten wir zwei Texte draufgestellt und in ein paar Tagen später jede Menge Unterstützer gehabt."
ZitatFußball ist Fußball und Politik bleibt Politik!
"Kategorie C - Hungrige Wölfe" - die aus Bremen stammende Musikgruppe wird der rechtsextremen Hooliganszene zugeschrieben.
Auch in vielen anderen Fanszenen bestätigen Anhänger, die sich gegen rechte Parolen oder Abzeichen zur Wehr setzen, dass sie genau deshalb angefeindet würden. Nicht deshalb, weil die "neutralen" Fans Sympathien für Rechtsaußen hätten, sondern, weil sie das Thema Rassismus überhaupt erst auf die Tagesordnung setzen. Sie sollten Politik Politik sein lassen und sich lieber mehr mit dem Fußball befassen, hieß es. Doch so einfach ist es nicht. Denn die Politik drängt ins Stadion, ob dessen Besucher das nun wollen oder nicht.
Kein ostdeutsches Phänomen
Lange Zeit hat man Rechtsextremismus für ein Problem des ostdeutschen Fußballs gehalten. Wer als Journalist über prügelnde Nazihorden berichten wollte, fuhr nach Sachsen oder Brandenburg. Der Westen schien gefeit vor einem Wiedererstarken der NS-Jünger. Schließlich hatten sich dort schon Ende der 80er antifaschistische Fans in Initiativen wie dem Externer Link: Bündnis Antifaschistischer Fußballfans (B.A.F.F.) zusammengeschlossen und die Fans vor Ort sensibilisiert. Fußballprofis wie Dietmar Beiersdorfer (damals Hamburger SV) und Trainer wie Volker Finke (SC Freiburg) oder Ewald Lienen (MSV Duisburg) positionierten sich klar gegen rechte Umtriebe. Viele Vereine verboten schließlich schon in ihrer Stadionordnung rassistische Äußerungen oder das Tragen von Kleidermarken wie "Thor Steinar", die in der rechten Szene beliebt sind. Laut skandierte Parolen und andere Formen des offenen Rassismus sind seither in den meisten Stadien tatsächlich tabu. Das Problem ist allerdings wieder virulent, seitdem sich in immer mehr Stadien der aktivste Teil der Fanszene, die so genannten "Ultras", offen gegen rechts positionieren.
Seit mindestens zehn Jahren dominieren die "Ultras" die deutschen Fankurven. Ultras sind zumeist junge Fußballfans, die den Großteil ihrer Freizeit für ihre "Gruppe" (früher: "Fanclub") opfern, große Fahnen schwenken und zu besonderen Spielen aufwendig gestaltete Choreographien zur Schau stellen, die sie in oftmals wochenlanger Kleinarbeit selbst gefertigt haben. Die Ultra-Kultur wurde im Laufe der letzten Jahre für Heranwachsende immer attraktiver, die Gruppen wuchsen und verdrängten Schritt für Schritt die "Hooligans", also die gewaltorientierten, politisch meist rechts stehenden Fanclubs, aus dem Zentrum der Kurven. Letztere störten sich daran nicht, zumal viele von ihnen in die Jahre gekommen waren und sich nach zum Teil längeren Gefängnisstrafen wieder eine bürgerliche Existenz aufbauten. Die Hooligans zogen sich auf die teureren Sitzplätze zurück, verabredeten sich allenfalls noch in abgelegenen Industriegebieten zu Schlägereien mit rivalisierenden Fans und ließen die Jungen sich austoben. Es ging ja schließlich nur um unterschiedliche Spielarten von Fankultur.
Doch genau das ändert sich, seit viele Ultragruppen sich nicht mehr nur um den "Support" (die Unterstützung) der Mannschaft kümmern, sondern sich auch politisch positionieren: Gegen Nazis, gegen Homophobie und gegen andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Andere, und das dürfte für die Mehrheit der Gruppen zutreffen, begreifen sich zwar weiter als "unpolitisch", distanzieren sich aber von menschenverachtenden Äußerungen und dulden keine Rechtsextreme in ihren Reihen.
Viele der mittlerweile älteren Herren, die in den Achtzigern und Neunzigern für einen rechten Grundkonsens in der Kurve gesorgt hatten und zum Teil seit Jahrzehnten tief in der rechten Szene verstrickt sind, fürchten derzeit offenbar um ihr ideologisches Erbe. Was die Szene-Großväter einst errichtet haben, soll bewahrt werden. Wer zu erkennen gibt, dass ihm das nicht passt, bekommt die Machtverhältnisse noch einmal anschaulich erklärt. Physisch sind die Rechten ihren Gegnern nämlich meist überlegen, zahlenmäßig nicht. Und intellektuell schon garnicht. Ein paar Dutzend Männer mit dicken Oberarmen, guten Verbindungen und wenig Skrupeln genügen zuweilen, um demokratische Prozesse in einer Fankurve zum Erliegen zu bringen. Selbst dann, wenn die Ultragruppen von sich aus nicht bereit sind, mit den Hools zu paktieren. Das Dilemma beschreibt die linke Düsseldorfer Fangruppierung "Kopfball":
In vielen Städten gehören die Neonazis nicht nur wie selbstverständlich zu den jeweiligen Fanszenen, sie treten dort auch offen als Faschisten auf und werden vom Rest stillschweigend hingenommen oder sogar begrüßt. Es geht ja schließlich um Fußball, nicht um Politik, da kann man jeden gebrauchen. Nun lässt es sich der nette Fascho von nebenan aber in der Regel nicht nehmen, auch inhaltlichen Einfluss auf die gesamte Szene haben zu wollen.
Das geschieht im ersten Moment nicht gleich offen durch Hitlergrüße im Stadion oder Hakenkreuz-Fahnen an den Zäunen. Das fängt gewöhnlich ganz harmlos an, indem aktive und alternative Fankreise angegangen werden. Da kommt der gemeine Neonazi wieder ins Spiel. Der hat zwar auch keinen Bock auf Eventfußball, aber erst recht nicht auf Kanaken, Schwuchteln, Juden, Neger und Fotzen, um es mal in der Rhetorik der Gegenseite zu sagen. Und da die "Zecken" (= aktive Fans) meist die sind, die ihn bei der Diskriminierung stören, sind diese sein Hauptfeind Nummer eins.
Negativbeispiele
Ein erschreckendes Beispiel für Auseinandersetzungen um Einfluss und Macht innerhalb von Fangruppierungen lieferte die Fanszene des ehemaligen Bundesligisten Alemannia Aachen, in der der Konflikt zwischen der progressiven Ultragruppe "Aachen Ultras 1999" (ACU) und der Gruppe "Karlsbande Ultras" (KBU) einstweilen entschieden ist – zugunsten von KBU. Während sich "Aachen Ultras 1999" gegen Rassismus und Homophobie aussprach, hat die Karlsbande keinerlei Probleme damit, zusammen mit Nazikadern aus der mittlerweile verbotenen "Kameradschaft Aachener Land" zu Auswärtsspielen zu fahren. Nach mehreren tätlichen Angriffen auf ACU-Mitglieder und einer feindseligen Stimmung im Stadion zog sich ACU aus dem Stadion zurück, nutzte den Abgang aber für eine Generalabrechnung, in der sie die "Worthülsen" des Vereins ebenso kritisierten, wie die Passivität vieler Fans.
Zitat"Aachen Ultras 1999" (ACU)
Zusammenfassend mussten wir leider feststellen, dass wir weder aus der Fanszene noch von Seiten des Vereins, der Fanbeauftragten oder des sozialpädagogischen Fanprojekts genügend Rückhalt erfahren haben, um uns weiterhin im Stadion zu engagieren. Die Verantwortung gegenüber den überwiegend jungen Menschen in unserer Gruppe und unserem Umfeld war letztlich zu groß. Durch stetige Anfeindungen, dauerhafte Drohkulissen und wiederholte Übergriffe befanden wir uns in einer Verteidigungshaltung, die zuletzt kaum noch Raum für die Verfolgung produktiver Ziele zuließ.
Eine Problematisierung von rechtsoffenen Einstellungen in ihrer Kurve unternahmen auch die "Ultras Braunschweig." Dass von den Siebzigern bis heute Neonazis relativ unbehelligt die Fankurve des Bundesliga-Aufsteigers prägen konnten, haben sie in einem 64-seitigen Konvolut Externer Link: Kurvenlage dokumentiert, das 2012 publiziert wurde und in den Medien großen Widerhall fand. Auch in Duisburg, wo sich die Ultra-Gruppe "Kohorte" seit Mitte 2012 als offen antifaschistisch definiert, schlug die andere Seite kurz zurück, als sie um ihren Einfluss zu fürchten begann. Nachdem sich die Ultras bereits im Jahr zuvor gegen antisemitische Rufe bei einem Auswärtsspiel der zweiten Mannschaft in Düsseldorf verwahrt hatten, hissten die Hooligans beim Heimspiel gegen Cottbus im Juli 2011 ein Transparent mit der Aufschrift: "Fußball ist Fußball – Kohorte ist Politik".
Beim Pokalspiel in Halle im August 2012 zeigten die Alt-Hooligans von der "Division Duisburg" den Hitlergruß, pöbelten gegen "Judenschweine" und "Zigeunerpack" und beschimpften die "Kohorte", die allerdings auch große Solidarität aus der Fanszene erfuhr. Im Jahr 2013 folgten erneut tätliche Angriffe von Hooligans auf die "Kohorte". Dass rechte Fans verstärkt ihren Machtanspruch geltend machen wollen, bestätigte aber MSV-Sprecher Martin Haltermann, der von "Verschiebungen im Fanblock" spricht. Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler von der Universität Hannover, sagte gegenüber ZDFsport.de: "In zehn bis neunzehn deutschen Stadien findet seit ein paar Jahren etwas statt, was man eine rechts dominierte Ausdifferenzierung nennen kann".
Auch der Dortmunder Signal Iduna Park ist zuletzt in die Schlagzeilen gerückt. Die Ruhrgebiets-Metropole gilt seit Jahren als Hochburg der Neonaziszene. Im Stadtteil Dorstfeld werden gleich mehrere Wohngemeinschaften von so genannten "Autonomen Nationalisten" bewohnt, die im Verbund mit älteren Neonazis und Nazi-Skinheads mittlerweile ganze Stadtteile zu ihrem Revier erklärt haben. Autonome Nationalisten haben ihr Äußeres den Links-Autonomen abgeschaut, sie tragen schwarze Kleidung, auch deshalb, weil das die Identifikation Einzelner für die Polizei erschwert. Inhaltlich propagieren sie einen völkischen Sozialismus, organisatorisch lehnen sie das in der Rechten so beliebte hierarchisierte Führerprinzip ab. Die Hochburg der Autonomen Nationalisten ist seit Jahren Dortmund.
Nur vor diesem Hintergrund ist die Lage bei Borussia Dortmund zu verstehen. Als Innenminister Ralf Jäger im August den "Nationalen Widerstand Dorstfeld" als "kriminelle Vereinigung" verbot, hisste der Kampfsportler Timo K. auf der Südtribüne ein Transparent, das "Solidarität mit dem NWDO" einforderte. K. zählt zu den Mitgliedern der "Desperados“, einer Dortmunder Ultra-Gruppe, die mittlerweile bundesweit als Paradebeispiel für eine offen-rechte Ultra-Gruppierung gilt. Im September 2012 wurde einer der "Desperados", auch er Mitglied in der Kameradschaft "Nationaler Widerstand Dorstfeld", wegen einer gemeinschaftlich begangenen Menschenjagd auf alternative Jugendliche zu einer Haftstrafe verurteilt.
"Als junger Nazi bekommst du in Dortmund einen Motivationsschub", berichtet der Münchner Nazi-Aussteiger Benneckenstein. "Deswegen bin ich damals auch dorthin gezogen." Dorthin heißt nach Dorstfeld, in den Stadtteil, der es längst zu bundesweiter Prominenz gebracht hat, weil hier nicht nur eine Neonazi-Schläger-Truppe namens "Skinheadfront Dorstfeld" ihr Unwesen treibt, sondern die Autonomen Nationalisten rund um den Wilhelmplatz gleich mehrere Wohnungen angemietet haben.
Dortmunder AN-Kader waren auch vor Ort, als sich im Februar 2012 siebzehn Neonazi-Fußballmannschaften in Karlsruhe zum "Svasti-Ka Hallen Cup 2012" trafen, der Titel war eine Anspielung auf das englische Wort für Hakenkreuz ("svastika"), formal rekurrierte man lediglich auf das Karlsruher KFZ-Kennzeichen (KA). Ebenfalls anwesend waren Autonome Nationalisten bzw. Kameradschaften aus München und Zweibrücken und vom Heimatschutz Donnersberg – drei Szenen, die erfolgreich die Fankurven infiltrieren. Die einen beim 1. FC Kaiserslautern und beim FC Homburg. Die anderen beim Zweitligisten 1860 München. Beim Nazi-Stelldichein in der Karlsruher Soccerhalle nahmen natürlich auch NPD-Kader teil, intern wurden sie dafür in einem Artikel des "Deutschland-Echos", einem mittlerweile eingestellten NPD-nahen Onlineportal, angefeindet. Dagegen wiederum verwahrte sich ein nordbadisches NPD-Mitglied, das seine Teilnahme beim von der harten Neonaziszene organisierten Turnier wie folgt erklärte: "Im vergangenen Landtagswahlkampf wurden wir als Partei vorbildlich bei Plakatierung und Unterschriftensammeln unterstützt. Wenn diese Unterstützung gefehlt hätte, wäre es äußerst schwierig für uns geworden. Die Fußballspiele stellen ein vorbildliches Engagement zu Vernetzung der nationalen Kräfte dar."
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen nicht unterschätzt werden
Borussia Dortmund versucht inzwischen den Druck zu erhöhen und geht im Verbund mit einer Arbeitsgruppe gegen rechte Fans vor. Es wurde ein runder Tisch eingerichtet, Fanforscher herangezogen, Stadionverbote ausgesprochen und Ordnungskräfte geschult. DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig kündigte an, für den Kampf gegen Rechtsextremismus in den nächsten drei Jahren insgesamt 1,5 Millionen Euro bereitzustellen. Ausserdem soll eine Kooperation der DFL mit der Neonazi-Aussteigerinitiative "Exit-Deutschland" die "aktive Fanarbeit der Vereine" unterstützen. Dass die Rechtsradikalen unter dem Deckmäntelchen, es gehe ihnen nur um Fußball und nicht um Politik, teilweise erfolgreich in den Fanszenen agitieren können, hält auch Peter Peters (Vize-Präsident des Ligaverbandes und Vorstandsmitglied des DFB) für ein Problem.
ZitatPeter Peters, DFL
Wir beobachten mit Sorge, dass bei einigen Vereinen wieder verstärkt rechtsextreme Tendenzen zu beobachten sind. Leider erfahren die entsprechenden Leute dann oft eine Form der Solidarisierung, die ich für völlig falsch halte. Nach dem Motto: 'Derjenige ist seit 20 Jahren Fan von meinem Verein. Und, naja, politisch redet er halt manchmal Unsinn.' So eine Einstellung ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen undenkbar. Richtigerweise, wie ich finde.
Wer die Stimmung in der Bundesliga mit dem Liga-Alltag in Italien, Griechenland oder Polen vergleicht, wird feststellen, dass Rassismus und Antisemitismus in deutschen Stadien eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Die Erfahrungen und Vorfälle sind allerdings kein Anlass für Verharmlosung. Experten wie der Hannoveraner Soziologie Professor Gunter A. Pilz warnen davor, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu unterschätzen. "Wir müssen wachsam bleiben. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Vereine, die sich klar positionieren, erheblich weniger Probleme bekommen als andere. Gewaltbereite, fremdenfeindliche Szenen im Fußball verändern sich ständig".
QuellentextProfessor Gunter A. Pilz: "Flagge zeigen"
Andererseits zeigt sich aber auch, dass Vereine die sich rechtzeitig eindeutig positionierten und rassistisches Verhalten öffentlich zur Diskussion stellen bzw. sanktionieren auch kaum oder erheblich weniger Probleme mit Rassismus und Fremdfeindlichkeit haben. Umgekehrt scheinen Vereine, die keine Grenzen setzen oder sich nur sehr zögerlich diesem Problem stellen in einer Art Sogwirkung rechte Fans geradezu anzuziehen.
Eine politisch heterogen zusammengesetzte Fanszene, die von innen heraus fremdenfeindliches und rechtsextremes Verhalten nicht duldet bzw. sanktioniert, ist deshalb enorm wichtig, um eine interne Auseinandersetzung zu fördern. Dies umso mehr als die kollektive Fanidentität politische Differenzen zu nivellieren droht; da der gemeinsame Bezug zu einer imaginären und realen Fangemeinschaft unterschiedliche politische Anschauungen in den Hintergrund treten lässt, der soziale und berufliche Kontext und die politische Weltanschauung weitgehend ausgeklammert bleiben.
Quelle: Prof. Gunter A. Pilz, "Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kultur – Gewalt und Rassismus im Umfeld des Fußballs in Deutschland"
Fußnoten
(vgl. Behn/Schwenzer 2006)
Pilz hält auch Neonazikameradschaften wie die diversen Untergruppierungen der Autonomen Nationalisten für bedrohlich. "In der Bundesliga und darunter versuchen sogenannte Kameradschaften die Meinungshoheit in den Kurven zu erobern. Das Internet ist ein weiteres Mittel der Anhängerrekrutierung, das Medium bietet – leider auch für rechtsextreme Positionen – eine leicht verfügbare und anonyme Plattform. Dass schließlich gerade kleine Vereine händeringend nach ehrenamtlicher Hilfe suchen, öffnet rechten Agitatoren ebenfalls neue Möglichkeiten, etwa durch die Betreuung von Jugendmannschaften. In Deutschland ist jeder Dritte irgendwie mit den Strukturen eines Sportvereins verbunden. Das macht besonders den Fußball für politische Propaganda anfällig und interessant".
Das antirassistische Engagement der Fans wird öffentlich zu wenig wahrgenommen
So richtig es ist, menschenfeindliche Einstellungen und Beispiele rechtsextremer Gewalt offen zu problematisieren, so wichtig ist auch eine kontinuierliche und systematische Auseinandersetzung mit den Problemen. Von den Prozessen in der Fankurve bekommt die breite Öffentlichkeit nämlich nicht viel mit. Bei vielen Bürgern ist der Eindruck entstanden, gewalttätige Ausschreitungen gehören in vielen Stadien zur Alltagskultur. Als Dauerkarteninhaber in einem x-beliebigen Erst- oder Zweitligastadion kann man jedoch alle 17 Heimspiele sehen, ohne auch nur einmal mit rassistischen Phänomenen konfrontiert zu werden - selbst an Standorten, wo die Strukturen vielleicht am verhärtesten sind. Statistisch liegt der Anteil des rechtsmotivierten Potenzials in den gewaltbereiten Szenen beider Bundesligen laut der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) 2012/13 mit aktuell 4,1 (Vorjahr: 3,3) weiterhin unter fünf Prozent.
Das die öffentliche Wahrnehmung eine andere ist, hat weniger mit der Faktenlage zu tun – und viel mit der Tatsache, dass rund um den "Volkssport Nummer eins" allen Facetten des Faszinosums eine Bedeutung zugeschrieben wird, die zuweilen die Relationen vergessen lässt. Zumal – und das ist ein bedauerlicher Medienreflex – selten nach den Strukturen rechter Fanzusammenhänge gefragt wird, stattdessen eilen die Journalisten gelegentlich ein wenig sprunghaft von Vorfall zu Vorfall. Das hat den fatalen Nebeneffekt, dass sich jeder Provinz-Rassist großer medialer Aufmerksamkeit sicher sein kann, wenn er meint, auf sich aufmerksam machen zu müssen. Nachdem im Sommer 2010 der Ort Laucha in Sachsen-Anhalt von dutzenden Journalisten und Kamerateams heimgesucht worden war, weil dort ein rechtsextremer Fußballtrainer wirkte, bekam der Mann bei der Bürgermeisterwahl im November des gleichen Jahres 24 Prozent der abgegeben Stimmen.
Auch für Vereine kann eine reißerische, sensationsheischende Form der medialen Kolportage fatale Folgen haben: "Das Dynamo Dresden immer wieder im Zusammenhang mit Neonazismus genannt wird, lockt natürlich auch Leute an, die genau dadurch erst auf den Verein aufmerksam werden", klagt Torsten Rudolph vom Dresdner Fanprojekt. Vereinsvertreter wie Nürnbergs Manager Andreas Bader beobachten hingegen eine angebliche mediale Fixierung auf unangenehme Nachrichten. „Wenn sich unsere Fans gegen Antisemitismus und Rassismus positionieren, wird das medial fast nicht gewürdigt“, sagt der Manager des fränkischen Bundesligisten. „Offenbar interessiert es die Journalisten mehr, wenn sich irgendwo Rechtsradikale produzieren.“
Ultragruppierungen engagieren sich gegen Antisemitismus und Rassismus
Ähnlich wie Andreas Bader äußern sich die Ultras des Rekordmeisters FC Bayern München, die sich seit Jahren hartnäckig antirassistisch engagieren. Ende Januar 2013 reckten tausende Bayern-Fans in Stuttgart eine aufwendig gestaltete Stoffbahn der Ultra-Gruppierung "Schickeria" in die Höhe. Die Aufschrift erinnerte an einen Mann, der im kollektiven Gedächtnis der Münchner fast schon in Vergessenheit geraten war: Richard "Dombi" Kohn. Unter der Regie des jüdischen Coaches holten die Bayern 1932 den ersten von mittlerweile 23 nationalen Meistertiteln. In seinem Museum widmet der Verein gleich mehrere Stellwände seiner Geschichte in den ersten Jahrzehnten, die maßgeblich von jüdischen Offiziellen geprägt wurde. „Dass sich der Verein heute so geschichtsbewusst zeigt, hängt mit dem Engagement der Schickeria zusammen", sagt Eberhard Schulz von der Evangelischen Versöhnungskirche in Dachau. Die Ultras richteten schließlich seit Jahren ein antirassistisches Fußballturnier zu Ehren des langjährigen jüdischen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer (1884-1961) aus. Schulz hat zusammen mit seinen Mitstreitern von der Externer Link: Initiative "Nie wieder" und in Zusammenarbeit mit der Externer Link: Bundesliga Stiftung der DFL den Externer Link: Erinnerungstag des deutschen Fußballs initiiert. Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wird seit 2005 in allen Stadien des Holocausts gedacht. Vielerorts unterstützen Fanvereinigungen mit Initiativen, selbstgestalteten Choreografien und Transparenten die offizielle Aktion.
Wenige Tage vor der Aktion der FC-Bayern-Ultras waren 200 Fans des 1. FC Nürnberg ins FCN-Clubzentrum gekommen, um zu hören, was Evelyn Konrad (84), Tochter des von den Nazis vertriebenen ehemaligen Club-Trainers Jenö Konrad, über ihren Vater zu berichten hatte. Auch diese Aktion ging auf eine Initiative von "Ultra"-Fans zurück. Acht Wochen lang hatten die Ultras im Herbst 2012 bereits an der Choreographie zum Gedenken an den einstigen Trainer gearbeitet. Das über die gesamte Kurve gespannte Mosaikbild präsentierten sie am 17. November zum Heimspiel gegen den FC Bayern. "Ohne das Engagement der Ultras wären wir nicht so konsequent aktiv geworden", sagt dann auch Manager Martin Bader, der symbolisch alle Vereinsausschlüsse aus der NS-Zeit annullierte. Die Fangruppierung Ultras Nürnberg 1994 und der 1. FC Nürnberg haben für diese Aktion den 2. Preis des Julius Hirsch Preises 2013 erhalten.
Ähnlich würden sich wohl die Manager vieler anderer Profivereine äußern. Die "Supporters" des Hamburger SV finanzierten 2007 und 2008 die Sonderausstellung "Die Raute unter dem Hakenkreuz" und am Holocaust-Gedenktag 2013 gab es Sonderführungen. Beim Lokalrivalen FC St. Pauli sorgte die Fan-Basis-Organisation "Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder" für die Umbenennung des Stadions, das bis 1998 nach einem NSDAP-Mitglied benannt war. Auch der Beitritt des Vereins zum Entschädigungsfonds jüdischer Zwangsarbeiter geht auf eine Faninitiative zurück. Keine Einzelfälle – der Autor Werner Skrentny führt in seinem Buch "Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet." viele weitere Beispiele für das Engagement von Fans auf.
Wenn mittlerweile dutzende Profivereine ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten ließen, geht das nicht selten auf die Initiative engagierter Fans zurück. Das Engagement von Frankfurter Fans wurde im Oktober vergangenen Jahres mit dem Externer Link: Julius-Hirsch-Preis, einer vom DFB gestifteten Auszeichnung, honoriert. Zwei Fanclubs hatten im Herbst 2011 zusammen mit dem Fanprojekt eine Bildungs- und Begegnungsreise mit jungen Fans zu den Gedenkstätten in Auschwitz und Birkenau sowie nach Krakau unternommen. "Das arbeitet in einem und bleibt wochenlang im Kopf", berichtete Sebastian Beck vom Fanprojekt nach dem Besuch. Auch im Eintracht-Museum wird die NS-Zeit aufgearbeitet. Kein Wunder: Museumsleiter Matthias Thoma veröffentlichte 2007 das Buch "Wir waren die Juddebube" über die Geschichte der Eintracht im Dritten Reich. Auch kleinere Vereine wie der Würzburger FV gedenken mit so genannten "Stolpersteinen" ihrer in der NS-Zeit ermordeten Mitglieder – auch hier wäre das undenkbar gewesen ohne die Initiative engagierter Mitglieder und Fans.
Auf breite öffentliche Resonanz ist das Engagement gegen Rechts allerdings noch nicht gestoßen. Das Bild von prügelnden, politisch eher fragwürdigen Fanhorden prägt noch heute die Vorstellungswelt vieler Deutscher. Christian Mössner von "Ultras Nürnberg" betont zwar, dass sein Selbstwertgefühl nicht von einer Schlagzeile abhänge. "Auch dann nicht, wenn die ausnahmsweise mal positiv ausfällt." Er frage sich allerdings, warum das Negativ-Image der Ultras auch politisch konnotiert ist, warum so viele Menschen davon ausgehen, dass in den deutschen Fankurven (die samt und sonders von der Ultrakultur geprägt sind) der Rechtsradikalismus fröhliche Urstände feiert. Und das, wo sich eigentlich alle Szenebeobachter einig sind, dass mit dem Aufkommen der Ultra-Kultur auch der Rassismus in den allermeisten Fankurven zurückgegangen ist. "Eines steht mal fest", sagt Mössner, "wenn bei uns in der Kurve ein antisemitischer Spruch zu hören ist, wird das auf dem kürzesten Dienstweg unterbunden."
Nicht nur in Nürnberg, wo in den Achtzigern und frühen Neunzigern eine tumbe, politisch eher rechte Grundstimmung herrschte, hat sich die Atmosphäre in vielen Stadien deutlich zivilisiert. Es gibt kaum noch einen Verein in den ersten drei Ligen, in denen eine offen agierende rechte Szene die Deutungshoheit über das Geschehen in der Kurve hätte. Und das ist nicht zuletzt ein Verdienst der sozialarbeiterisch tätigen Fanprojekte, die es an mittlerweile republikweit 52 Standorten gibt. Offenbar mit Erfolg: In Dresden, wo es für Fans der jeweiligen Auswärtsmannschaften noch in den Neunzigern am Spieltag alles andere als ungefährlich war, lobt mittlerweile selbst die Polizei die Entwicklung in der Fanszene. "Rassismus ist kein Fangesang" – dieser Spruch steht auf der Stadion-Anzeigetafel in der Glücksgas-Arena. Noch vor zehn Jahren wäre es ein frommer Wunsch gewesen. Heute beschreibt er eher die Realität.
ZitatChristian Kabs, Dresdner Fanprojekt
Hardcore-Nazis mit gefestigtem ideologischem Weltbild können auch wir nicht erreichen", aber wir können attraktive Angebote für jugendliche Fans machen und für eine bunte kreative Fankultur werben.
Zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört auch der Umstand, dass zahlreiche Ultragruppen sich nicht nur verbal gegen Rassismus positionieren, sondern selbst aktiv werden. Die Jenaer Gruppierung "Hintertorperspektive" sammelt seit Jahren nicht nur Spendengelder für die Asylbewerber in einer abgelegenen Unterkunft in Thüringen, in Zusammenarbeit mit dem Verein ermöglichen sie Flüchtlingen auch den kostenlosen Stadionbesuch. Und wenn die Saale Mitte Juni 2013 nicht so viel Hochwasser geführt hätte, wäre unweit des Stadions auf Initiative der "Hintertorperspektive" zum zweiten Mal der "No-Isolation-Cup" ausgetragen worden. Der Erlös ging schon 2012 an das "Break Isolation Netzwerk", das sich für bessere Lebensbedingungen der Flüchtlinge einsetzt. Die "Hintertorperspektive" wurde 2009 mit dem zweiten Platz des Julius Hirsch Preises ausgezeichnet.
Auch die Ultragruppierungen des FC St. Pauli ("Ultra St. Pauli") und von Babelsberg 03 ("Filmstadt Inferno") und viele weitere Gruppierungen (Münster, Düsseldorf, Fürth) engagieren sich regelmäßig für Flüchtlinge und Asylbewerber. Der Kontakt zu den Fußballfans ist für viele von ihnen der erste Schritt aus der Isolation in einem fremden Land, in dem sich längst nicht jeder so offen zeigt wie die oftmals gescholtenen Fußballfans. Auch international sind die progressiven Ultras gut vernetzt. Zum einen über Fanfreundschaften zu Gruppen im europäischen Ausland. Zum anderen über das in jedem Sommer in Italien stattfindende Turnier Externer Link: mondiali antirazzisti, das antirassistisch gesinnte Ultra- und Fangruppen aus ganz Europa alljährlich zum Gedankenaustausch nutzen.
Natürlich hat der Fußball ein Problem mit Rechtsextremismus. Und es wäre zu billig, würde man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass nur ein Nazi in einer großen Menschenmenge einer zu viel wäre. Ein paar mehr sind es dann doch, die den "Volkssport Fussball" mit einem völkischen Sport verwechseln. Aber gibt es prozentual gesehen im Fußball mehr Neonazis als in vergleichbaren gesellschaftlichen Zusammenhängen? Nein, sagen auch viele der Fußballfans, die sich in Gegen-rechts-Initiativen zusammengeschlossen haben, weil sie nie mehr Szenen wie in den Neunzigern erleben wollen, als dunkelhäutige Spieler mit Urwaldgeräuschen bedacht und mit Bananen beworfen wurden. Ende der Achtziger entwarfen die Fans des FC St. Pauli einen Aufkleber, der eine stilisierte Faust zeigte, die ein Hakenkreuz zertrümmerte. Die Sticker mit dem Aufdruck "St. Pauli-Fans gegen rechts" wurden seither millionenfach gedruckt und verkauft. Schon Anfang der Neunziger gab es mehrere dutzend Faninitiativen aus Schalke, Dortmund, Hamburg, München, Fürth, Kaiserslautern, Karlsruhe, Hannover…, die die Symbolik für ihren Verein übernahmen. Vielleicht hat ja der Fernsehreporter Hansi Küpper Recht, wenn er behauptet, es gebe in den Fußballstadien nicht mehr Rassisten als anderswo in der Gesellschaft. "Nur dass ich noch nie Aufkleber gesehen habe, auf denen 'Maurer, Steuerberater, oder Juristen gegen rechts' gestanden hätte." Wenn es stimmt, dass Schweigen und Verharmlosen die beiden besten Verbündeten der Neonazis sind, ist der Fußball vielleicht doch auf einem ganz guten Weg.
Rechte Vorfälle und Gegenwehr (Januar 2012 bis Juni 2013), Redaktion: Christoph Ruf. Bitte klicken Sie auf das Bild, um zur interaktiven Grafik zu kommen. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Christoph Ruf
Christoph Ruf ist Politologe (M.A.) und lebt als freier Journalist in Karlruhe. Er schreibt für Tageszeitungen (Süddeutsche, taz, Berliner Zeitung) und Magazine (Spiegel, Zeit) und Spiegel Online zum Thema Rechtsextremismus, NPD und Fußball. Christoph Ruf ist Autor diverser Bücher, u.a. "in der NPD, Reisen in die national befreite Zone" (Beck'sche Reihe, 2009) und "Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu" (BSR, 2010). Er schrieb auch mehrere Fußball-Bücher, darunter "Reisen in die Fußballprovinz", das 2008 als "Fußballbuch des Jahres" ausgezeichnet wurde. Ebenfalls im Werkstatt-Verlag erschien 2013: "Kurvenrebellen – die Ultras: Einblicke in eine widersprüchliche Szene."
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