"Du bist wie Gift"
Zur Aufarbeitung des DDR-Fußballs
Jutta Braun
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Im Unterschied zur Erforschung der bundesdeutschen Fußballgeschichte fehlt bislang eine vergleichbare Auseinandersetzung mit 40 Jahren DDR-Fußball. Dabei könnte eine Untersuchung der dort populärsten Sportart einen vielschichtigen Zugang zum Verständnis der DDR eröffnen.*
Wenn von 50 Jahren Bundesliga als Erinnerungsort der Deutschen die Rede ist, so gilt dies nicht allein für das soziale Gedächtnis fußballbegeisterter Westdeutscher. Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren war der bundesdeutsche Profifußball im Alltag vieler Fußballanhänger in der DDR dauerpräsent: HSV-Wimpel zierten Jugendzimmer, Rummenigge-Autogrammkarten waren begehrte Schwarzmarkt-Trophäen, und natürlich wurden auch ostdeutsche Familienväter samstagnachmittags magisch vom Fernsehschirm angezogen, wo es ein doppeltes Programm zu bewältigen galt:
QuellentextBundesliga, das ist wenigstens Fußball
Um 17 Uhr 35 begann 'Sport aktuell' mit den Berichten von der DDR-Oberliga. Das Thüringen-Derby tobte, Jena gegen Erfurt, ein herzaufregendes Superspiel, doch Punkt 18 Uhr schaltete Onkel Rittmüller zur 'Sportschau' um: nach drüben. Alemannia Aachen und 1860 München fabrizierten ein gähnendes 0:0. "Aha" schwärmte Onkel Rittmüller, "Bundesliga, das ist wenigstens Fußball"!
Quelle: Christoph Dieckmann, Drüben. Vom Verschwinden einer deutschen Himmelsrichtung, in: Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (Hrsg.), Drüben. Deutsche Blickwechsel, Leipzig 2006, S. 78–87, hier: S. 79.
Vor allem die Nationalmannschaft der Bundesrepublik mit ihren zwei Welt- und Europameistertiteln genoss bei Fans in der DDR hohe Wertschätzung. Demgegenüber gelang es der DDR-Elf nur einmal, bei der WM 1974, an der Endrunde eines internationalen Turniers teilzunehmen. "Freundschaftsspielweltmeister" und "Qualifikationsversager" sind die von Enttäuschung geprägten Bezeichnungen, mit denen diese vergleichsweise magere Bilanz im Volksmund belegt wurde. Bei olympischen Fußballturnieren trumpfte der DDR-Fußball hingegen mehrfach auf: Nach Bronze 1964 und 1972 erreichte die DDR-Elf 1976 sogar den Olympiasieg und errang 1980 noch einmal eine Silbermedaille. Doch war das Interesse an diesen Auszeichnungen gering, da der olympische Wettbewerb im Gegensatz zum Profifußball unter Amateuren ausgetragen wurde.
Über die Gründe für den mäßigen Erfolg des DDR-Teams ist viel spekuliert worden: Wie viele andere sieht der ehemalige Nationaltrainer Georg Buschner "DDR-Sportchef" Manfred Ewald als eigentlichen Totengräber des DDR-Fußballs, da Talente und Ressourcen vor allem in sogenannte medaillenintensive Sportarten kanalisiert wurden. "Die langen Fußballer sind bei uns Ruderer" erklärte 1986 der Jenaer Trainer Lothar Kurbjuweit entsprechend sarkastisch, als er nach den Gründen für die wenigen hochgewachsenen DDR-Auswahlspieler gefragt wurde.
Die Begeisterung der DDR-Fans für die westdeutschen Kicker war für die SED-Führung, die seit Mitte der 1950er Jahre auf scharfe Abgrenzung von der Bundesrepublik bedacht war, ein peinliches Phänomen. Für die Verfechter einer "sozialistischen Nation" war besonders irritierend, dass sich, wie das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung in einer geheim gehaltenen Studie feststellte, gerade die Jugend für die bundesdeutschen Fußballidole interessierte – und damit eine Generation, die in der DDR aufgewachsen war und eigentlich keinen gesamtdeutschen Bezug mehr kennen sollte. Als 1971 in Warschau anlässlich eines EM-Qualifikationsspiels der bundesdeutschen Nationalmannschaft Hunderte aus der DDR angereiste Fans Grüße an "die deutsche Nationalelf und den Kaiser Franz" skandierten, griff der Sicherheitsapparat rigide durch. Die Fans wurden bis an ihren Heimatort verfolgt und mit empfindlichen Sanktionen bestraft.
Während sich die Sportpolitiker anderer Staaten in West- und Osteuropa vor allem um die wachsende Zahl gewalttätiger Fans in den Stadien sorgten, schufen sich die DDR-Funktionäre ein zusätzliches "Fanproblem" selbst, indem sie Bundesliga-Anhänger pauschal als "negativ-dekadent" etikettierten und mit Knüppeln, durch Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Fanclubs und weitere Schikanen zu bekehren suchten. Doch ließen sich echte Fans natürlich nicht abschrecken, und so gerieten Auftritte von Bundesliga-Clubs im Ostblock stets zu fröhlichen Treffen ihrer ostdeutschen Schlachtenbummler.
Im Rahmen des Möglichen wurde der deutsch-deutsche Doppelpass von den westdeutschen Vereinen auch zurückgespielt: So ermöglichte es etwa Werder Bremen, dass ostdeutsche Fans heimlich eine Mitgliedskarte erhielten. Und FC-Bayern-Präsident Fritz Scherer schmuggelte an einem Winterabend 1981 ein von allen Spielern signiertes Mannschaftstrikot unter seinem Pullover nach Ost-Berlin, als Überraschungsgeschenk für einen der treuesten Fans im Osten. Was als freundschaftliche Geste der Bundesliga-Vereine gedacht war, interpretierte die Stasi als organisierte Agententätigkeit zur "Zersetzung" der DDR.
Nirgends wurde das Misstrauen des Regimes deutlicher als beim Europapokalspiel der Landesmeister, das der BFC Dynamo am 15. September 1982 im Ost-Berliner Jahnsportpark gegen den Hamburger SV bestritt. Um deutsch-deutsche Verbrüderungsszenen zu verhindern, wurde ein freier Kartenverkauf unterbunden: Nur 2.000 Tickets gingen an handverlesene Fans, die überwältigende Mehrheit der Plätze auf den Tribünen wurde von Staatsschützern, Funktionären und Sicherheitsorganen eingenommen, darunter etwa 10.000 Stasi-Mitarbeiter.
Doch sollte die Begeisterung für den Bundesliga-Fußball nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ostdeutschen Fans ihren Fußball liebten: weniger die Nationalelf, die häufig mit dem System identifiziert wurde, als vielmehr die Mannschaften der Oberliga und ihres Unterbaus, der DDR- und Bezirksligen.
Keine vergleichbare Auseinandersetzung mit 40 Jahren DDR-Fußball
Im Unterschied zur jüngsten wissenschaftlichen Erforschung der bundesdeutschen Fußballgeschichte fehlt bislang jedoch eine vergleichbare Auseinandersetzung mit 40 Jahren DDR-Fußball. Das ist umso bedauerlicher, als gerade eine systematische Untersuchung der auch in Ostdeutschland populärsten Sportart einen breiten Zugang zum Verständnis der Gesellschaftsgeschichte der DDR erschließen kann. Im Folgenden soll anhand von zwei Forschungsfeldern das Potenzial des Themas ausgelotet werden.
Überblick
Zunächst wird mit der Verfasstheit des Sports in der DDR, einer "Vereinskultur ohne Vereine", das Spannungsverhältnis zwischen politischer Durchherrschung und Versuchen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation umrissen.
Anschließend wird der Frage der politisch bedingten In- und Exklusion im Bereich des Spitzenfußballs nachgegangen. Die Ausgrenzung sportlicher Leistungsträger aus ideologischen Gründen zeigt, welche Restriktionen die ostdeutsche Diktatur der Entwicklung des Fußballsports auferlegte und hiermit auch zu einem Modernisierungsdefizit beitrug. Gleichzeitig ist die "Kaltstellung" von Personen stets auch mit der moralischen Frage des "SED-Unrechts" verbunden, das auch im Sport deutliche Spuren hinterließ.
Vereinskultur ohne Vereine
Ein grundlegendes Desiderat der Fußballgeschichte der DDR ist zunächst nach wie vor eine Organisationsgeschichte der Verbandsstruktur, also des ostdeutschen Pendants zum Deutschen Fußball-Bund (DFB), des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) der DDR. Auch die Ebene der Clubs und Betriebssportgemeinschaften (BSG) ist bis auf wenige Ausnahmen nicht wissenschaftlich fundiert untersucht worden. Die Literatur wird von einer Vielzahl entweder lexikalisch oder populärwissenschaftlich gehaltener Werke zum "Zonenfußball" bestimmt.
Bislang fehlt vor allem eine grundsätzliche, wissenschaftliche Reflexion der Tatsache, dass in der DDR kein Vereinswesen bürgerlicher Prägung existierte. So wurden auch im Bereich des Fußballs die traditionellen und selbstverwalteten Vereine faktisch verboten und im Jahr 1948 flächendeckend durch staatlich gelenkte und kontrollierte Körperschaften, die sogenannten Sportgemeinschaften, ersetzt.
Allerdings hatten die Sportvereine bereits im Nationalsozialismus ein hohes Maß ihrer Eigenständigkeit eingebüßt, so dass zur Zeit der DDR bereits die zweite Welle der Umstrukturierung des organisierten Sports innerhalb von rund zehn Jahren erfolgte. Die SED-Führung beabsichtigte, strukturell gründlich aufzuräumen und "brach radikal mit einem seit über hundert Jahren verankerten Organisationsprinzip in der deutschen Turn- und Sportbewegung". Die Neuformierung des Fußballs betraf nicht allein seine innere Organisation, die zumeist als Betriebssportgemeinschaften nach sowjetischem Modell erfolgte, sondern ging einher mit der Einführung von bislang unüblichen Symbolen und Namen wie "Fortschritt" und "Aktivist".
Die "Entbürgerlichung" wurde zuweilen sogar mit Hilfe politischer Justiz vorangetrieben, wie etwa ein Schauprozess gegen ehemalige Anhänger und Mitglieder des Dresdner SC Ende der 1950er Jahre belegt. Zwar sind durchaus Proteste gegen die Zwangsumwandlungen überliefert und in den Turbulenzen der Frühphase gab es nicht wenige Republikfluchten, darunter die des späteren Bundestrainers Helmut Schön im Jahr 1950. Doch auch in den kommenden Jahren präsentierte sich der DDR-Fußball als ein brodelndes Laboratorium auf dem Feld des "Erfindens von Traditionen". Mannschaften wurden per Parteiorder in andere Teile des Landes verpflanzt, und mit der Gründung der Sportvereinigung Dynamo und der Armeesportvereinigung Vorwärts wurden explizit Elemente des sowjetischen Sportsystems auf die deutschen Verhältnisse übertragen.
1966 wiederum erfolgte ein weiteres grundlegendes Revirement, als mit der Gründung von zehn "Fußballclubs" die parteilich gewollten "Leistungsschwerpunkte" im Fußball endgültig definiert und entsprechend ausgestattet wurden. Doch trotz der Vielzahl staatlicher und parteilicher Eingriffe bewahrten die Betriebssportgemeinschaften und Fußballclubs ihre Anhängerschaft beziehungsweise fanden sie aufs Neue. Das neue Gewand des Fußballs wurde letztendlich angenommen – selbst einem Club mit dem sperrigen Titel "ZSK Vorwärts Berlin" zollten die Fans Respekt und Treue, denn die Armeekicker schossen eine Menge Tore.
Auch blieb "Verein" in der Alltagssprache der DDR die gängige Bezeichnung für eine BSG beziehungsweise einen Club. Fußball in der DDR, mochte er noch so sehr staatlich gelenkt sein, bot auch hier nicht nur Zerstreuung, sondern die Möglichkeit der regionalen Identifikation mit einem Teil der "sozialistischen Heimat". Fußball, mit seinen Ritualen und den Wochen- wie Jahresrhythmus strukturierenden Spielplänen, trug durchaus zur Normalität des Alltags in der DDR und damit zur "heilen Welt der Diktatur" bei.
Gleichzeitig gelang es der SED jedoch nicht, den Fußball, der wie der Sport der DDR generell neben der Produktion von Leistung auch ein "organisiertes Weltbild" zu transportieren hatte, zu einem Transmissionsriemen ihrer politischen Botschaften werden zu lassen. Davon zeugt zum einen die spöttische Distanzierung der Spieler von der obligatorischen ideologischen Schulung als lästige "Rotlichtbestrahlung", vor allem aber das alles andere als staatskonforme Auftreten der Fans in den 1970er und 1980er Jahren. Von "Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen" entfaltete sich eine bunte Fankultur, die in ihrem Spektrum sämtliche Spielarten der entsprechenden Fanszene im Westen aufzuweisen hatte. Hilflos erscheinen die gescheiterten Versuche der SED-Sportführung, die Fanclubs mit Hilfe staatlicher Eingriffe zu homogenisieren, indem nur Utensilien und Fahnen erlaubt sein sollten, die der Symbolik der Fußballteams entsprachen.
Insofern wäre zu fragen, inwieweit der "Fußball Marke DDR" trotz seiner organisatorisch völlig anders gearteten Grundlage auch im Osten zu einem Fixpunkt von – staatlich nicht erwünschter – Selbstorganisation werden konnte. Hierzu gehört auch, dass ehrgeizige Betriebssportgemeinschaften wie Stahl Brandenburg es schafften, den materiell und kaderpolitisch privilegierten, und damit für die Oberliga prädestinierten Fußballclubs die Stirn zu bieten. Mit Hilfe großzügiger Prämien und gezielter Rekrutierung von Talenten verstanden es Kombinatsdirektoren, die sportpolitisch programmierte Überlegenheit der FC zu konterkarieren und den Traum vom Aufstieg zu verwirklichen. Hier ist es auch möglich, die Grenzen einer Diktatur aufzuzeigen, die offenbar verhinderten, den Fußballsport beliebig zu instrumentalisieren.
Doch war auch der Fußballsport der DDR in weiten Teilen von Dirigismus der Partei und Stasi-Verstrickungen geprägt. Diese Durchherrschung ist von Hanns Leske für den in dieser Hinsicht besonders einschlägigen BFC Dynamo, dessen Ehrenvorsitzender der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke war, gründlich erforscht worden. Die verhängnisvollen Verdächtigungen, die einen Sportler oder Funktionär treffen und ihn das Berufsleben kosten konnten, waren immer wieder mit den gleichen Schlagworten verbunden: Kontakte mit dem "Klassenfeind", damit waren vor allem Bundesdeutsche gemeint, oder Beziehungen zu "Staatsfeinden", wozu etwa ostdeutsche Bürgerrechtler oder Ausreiseantragsteller zählten. Anhand von zwei Beispielen soll im Folgenden gezeigt werden, wie das ideologische Fallbeil selbst erfolgreichste Persönlichkeiten im Fußballsport unvermittelt treffen konnte.
Verhängnis Fair Play: Heinz Krügel
2014, wenn die Fans bei der WM in Brasilien mitfiebern, werden zahlreiche Medien auch an das 40-jährige Jubiläum der Fußball-WM von 1974 erinnern, bei der nicht nur die Bundesrepublik Weltmeister wurde, sondern Jürgen Sparwasser sein berühmtes Überraschungstor für die DDR gegen das bundesdeutsche Team erzielte. Doch für viele DDR-Fußballanhänger ist mit dem Jahr 1974 vor allem die legendäre Nacht von Rotterdam verbunden, als der 1. FC Magdeburg am 8. Mai den Sieg im Europapokal der Pokalsieger und damit den größten Erfolg des DDR-Fußballs erreichte. Unvergessen sind die Fernsehbilder, als die erschöpften, aber glücklichen Magdeburger in weißen Malimo-Bademänteln ihre Ehrenrunde über das Spielfeld im Stadion "De Kuip" drehten, während die mit 2:0 geschlagenen Titelverteidiger des AC Milan fassungslos die Köpfe hängen ließen.
Zum Helden wurde an diesem Abend auch Heinz Krügel. Einst hatte der Sachse als jüngster Trainer der Oberliga in Leipzig begonnen und von 1959 bis 1961 die Verantwortung für die DDR-Nationalmannschaft übernommen, bevor Mitte der 1960er Jahre seine Zeit beim 1. FC Magdeburg begann, mit dem er zwei Pokalsiege und drei Meisterschaften feierte.
Nach dem Erfolg von Rotterdam versprach das Los im Europapokal der Landesmeister noch im selben Jahr einen weiteren Höhepunkt: das Aufeinandertreffen mit dem Bundesliga-Meister Bayern München. Am 6. November 1974 kam es beim Rückspiel in Magdeburg jedoch zu einem politischen Fauxpas des altgedienten Trainers: "Das Schlimmste war nach der Halbzeitpause, da kommt einer von der Stasi zu mir und sagt: "Herr Krügel, wir möchten Sie aufmerksam machen, wir haben zur Halbzeit von Herrn Lattek alles gehört, was er gesagt hat gegen uns". Das Ministerium für Staatssicherheit hatte offenkundig die Bayern-Kabine im Magdeburger Ernst-Grube-Stadion verwanzen lassen und drängte Krügel, die Anweisungen des Bayern-Trainers an seine Spieler auszuwerten. Krügel weigerte sich mit dem Verweis auf sportliche Fairness – eine folgenschwere Entscheidung. Die Magdeburger verloren das Spiel, und kurz darauf wurde Heinz Krügel zur Berliner Verbandsleitung zitiert, die ihm das baldige Ende seiner Trainerkarriere androhte.
Krügel lag bereits seit längerer Zeit mit der SED-Bezirksleitung im Streit. Zum einen ignorierte er die praxisfernen Trainingspläne des Verbandes, die ein Dauerärgernis im DDR-Fußball darstellten, zum anderen machte er sich für ideologisch unkorrekte Modernisierungen wie etwa die Einführung von Trikot- und Bandenwerbung stark. 1976 erhielt Krügel eine lebenslange Sperre als Trainer. Fortan musste er als "Objektleiter" in der Hausverwaltung bei der unterklassigen BSG Motor Mitte Magdeburg sein Dasein fristen. Versuche des Trainers und späteren Staatsanwalts Bernd Tiedge, sich für seine Rehabilitierung einzusetzen, wurden vom DFV rigoros abgeblockt.
Ein zweites Beispiel für die Rücksichtslosigkeit, mit der das SED-Regime verdiente Fußball-Idole aussortierte und diffamierte, sobald sie politisch in Ungnade gefallen waren, ist das Schicksal von Walter Jahn, "Vaterfigur des Jenaer Nachwuchsfußballs" und Vater des Bürgerrechtlers Roland Jahn, des heutigen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Jahn war bereits seit 1948 als Sportfunktionär aktiv, dreißig Jahre lang leitete er die Nachwuchsabteilung des FC Carl Zeiss Jena. Vor allem als Talentspäher genoss er einen glänzenden Ruf, an die zwanzig spätere Nationalspieler holte er nach Jena. Auch sein Sohn Roland wuchs mit dem Fußballsport auf: "Das Ernst-Abbe-Sportfeld war mein Zuhause". Und tatsächlich schaffte es der junge Jahn bis in die Juniorenoberliga, bevor er sich endgültig für die Aufnahme eines Studiums und damit einen Weg abseits des Sports entschied.
Nicht allein im Fußballclub, auch im Kombinat von Carl Zeiss agierte der parteilose Walter Jahn an verantwortlicher Stelle: Die von ihm geleitete Forschungsabteilung entwickelte eine Multispektralkamera, die bei Sigmund Jähns Weltraumfahrt zum Einsatz kam. Er schaffte es sogar, dem Kosmonauten nicht nur die Kamera, sondern auch einen Vereinswimpel mit auf die Reise zu geben. Doch spielte sein Engagement über Nacht keine Rolle mehr, als Sohn Roland, der mittlerweile als Bürgerrechtler in der Jenaer Friedensbewegung aktiv war, zum Staatsfeind erklärt und am 7. Juni 1983 gewaltsam in den Westen abgeschoben wurde. Bereits am nächsten Tag bekam auch der Vater die Reaktion des Staates zu spüren: Auf Weisung des Vereins wurden alle Arbeitsunterlagen zum Sportclub aus seiner Wohnung entfernt. Der führende Vereinsfunktionär und Inoffizielle Mitarbeiter "Günter Eisler" kündigte zudem der örtlichen Stasi an, Walter Jahns Kandidatur für die Vorstandswahlen im FC Carl Zeiss Jena zu verhindern. Es folgten weitere Diskriminierungen, sowohl durch die Sportführung des Bezirkes Gera als auch von Angehörigen des FC Carl Zeiss Jena.
Quellentext"Du bist wie Gift"
Es wurde angewiesen, keine Gespräche mit mir zu führen. Wer mit mir spricht, sei politisch untragbar und setze seine Arbeit und seine weitere Karriere aufs Spiel. Ich war unter Sportlern unerwünscht und damit ein Störfaktor.
Quelle: Walter Jahn "Du bist wie Gift". Erinnerungen eines Vaters, hrsg. vom LStU Thüringen, Erfurt 1996
Verwandte und Bekannte zogen sich aus Angst zurück; er erfuhr eine soziale Ausgrenzung, die in einer mittelgroßen Stadt wie Jena bedrückende Ausmaße annehmen konnte. Doch am gravierendsten erlebte Jahn den "Rausschmiss" aus seinem Verein, der einer Aberkennung seines Lebenswerkes gleichkam. Die drei Jahre zuvor verliehene Ehrenmitgliedschaft wurde ihm entzogen, und auch an der Jubiläumsveranstaltung zum 20-jährigen Bestehen des Clubs im Januar 1986 durfte er nicht teilnehmen, weil er aufgrund der "üblen Tätigkeit von Roland" als nicht erwünscht galt.
Erst zehn Jahre später, nach der Friedlichen Revolution 1989 und der Vereinigung im Fußballsport 1990, kam es zur "Wiedergutmachung". Zur Feier des 30-jährigen Clubjubiläums erhielt Jahn im Januar 1996 die Ehrentitel seines Vereins zurück. Als einer der Ersten – zeitgleich mit den frühesten historischen Forschungen zum DDR-Sport – suchte Walter Jahn nach Antworten und Verantwortlichen für sein Schicksal und fand sie in der papierenen Hinterlassenschaft der Diktatur. Im März 1995 stellte er einen Forschungsantrag bei der BStU zum "Einfluss des MfS auf den FC Carl Zeiss Jena". Für seine akribische Dokumentation, die mehrere Bände umfasst, interessierte sich der organisierte Fußball damals jedoch nur wenig. Von ehemaligen Kollegen wurde Jahn ob seiner Recherchearbeit sogar beschimpft. Im Rahmen einer historischen Aufarbeitung des Sports in Thüringen erhält die Arbeit von Walter Jahn sowohl als Fußballlehrer als auch als von Repression Betroffener, der sich selbst um historische Aufklärung bemühte, mittlerweile eine umfassende Würdigung.
Auch Heinz Krügel erfuhr noch zu Lebzeiten eine Rehabilitierung. Zudem wurde im Juni 2009, ein Jahr nach seinem Tod, der Platz vor dem Magdeburger Stadion nach ihm benannt. Doch muss betont werden, dass es für das Ende einer Sportkarriere in der SED-Diktatur nicht eines streitbaren Temperaments oder eines Bürgerrechtlers als Sohn bedurfte. So entzog ein "Fußballbeschluss" des DFV aus dem Jahr 1970 pauschal allen Fußballern mit Westverwandtschaft die Spielgenehmigung. Es ist wenig verwunderlich, dass Kritik an staatlicher Gängelung und an Übergriffen der SED und der Stasi zu den wichtigsten Vorwürfen vieler Delegierter gehörte, als es im Rahmen des achten DFV-Verbandstages am 31. März 1990 zur ersten freien Aussprache in diesem Gremium kam. Auch Heinz Krügel ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, die Verantwortlichen mit der unwürdigen Situation der Verwanzung der Bayern-Kabine zu konfrontieren.
Viele der handelnden Akteure des DDR-Fußballs und der Wendezeit sind mittlerweile verstorben. Historiker müssen sich beeilen, wollen sie die Geschichte des DDR-Fußballs nicht allein aus Akten rekonstruieren. Zwei Projekte zur Erforschung der Geschichte des DDR-Fußballs hat der Deutsche Fußball-Bund auf den Weg gebracht. Das Projekt ist auf zwei Jahre bis zum 30. Juni 2016 ausgelegt.
* Der Text wurde ursprünglich in der Reihe 'Aus Politik und Zeitgeschichte' (APuZ 27–28/2013) veröffentlicht.
Dr. phil., geb. 1967; Vorsitzende des Zentrums deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V.; assoziierte wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Am Neuen Markt 1, 14467 Potsdam. E-Mail Link: braun@zzf-pdm.de
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