Wettskandale in Europa überraschen kaum. Pflichtspiele werden durch Bestechung manipuliert. Die Vergabeverfahren der WM 2018 und 2022 stehen unter Korruptionsverdacht. Ein Beitrag zur Debatte um den Fußball-Weltverband FIFA und weltweit operierende Wettsyndikate.
Der Name des Fußballweltverbandes ist zu einem Synonym für Korruption geworden. Der Begriff "FIFA-Ethikkommission" wurde in der Schweiz sogar zum Unwort des Jahres 2010 gekürt. Eine wachsende Zahl an Bestechungsaffären und Suspendierungen von hohen Funktionären brachte die FIFA so unter Druck, dass sie eine interne Reformgruppe ins Leben rufen musste. Der federführende FIFA-Präsident Joseph Blatter hat aber die Möglichkeiten für eine de facto unabhängige Reformarbeit stark eingeschränkt. Dass er selbst, der seit 1981 in diversen Ämtern regierende Spitzenfunktionär, zur Rechenschaft gezogen wird, ist unwahrscheinlich. Obwohl ihm seit 2010 sogar die Strafjustiz im Schweizer Kanton Zug attestiert, dass ihn Mitschuld an der ethischen Schieflage trifft. Er habe die Bestechungsvorgänge auf höchster Verbandsebene seit Ende der 1990er-Jahre gekannt, aber nie etwas dagegen unternommen.
Milliardenkonzern FIFA
Für die 1904 in Paris gegründete FIFA (Fédération Internationale de Football Association) kam der weltweite Aufschwung unter Jules Rimet, dem Präsidenten von 1921 bis 1954. Als der Franzose abtrat, waren fünf WM-Turniere gespielt, die FIFA hatte 85 Mitglieder. Ihm folgten europäische Grandseigneurs, von 1961 bis 1974 regierte Stanley Rous. Mit dem Briten endete die Ära der Gentlemen in der FIFA. Rous verlor beim FIFA-Kongress in Frankfurt am Vorabend der Fußball-WM eine Kampfabstimmung gegen João Havelange. Dieser sogar in seiner Heimat Brasilien umstrittene Funktionär war beruflich unter anderem im Waffenhandel tätig. Havelange regierte die FIFA bis 1998 so autokratisch, wie es danach sein Protegé Sepp Blatter tat. Das Duo Havelange/Blatter wurde stark gefördert vom damals mächtigsten Mann im Weltsport, Horst Dassler. Der Spross und Chef des Adidas-Clans hatte seit den 1970er-Jahren bis zu seinem Krebstod 1987 einen sportpolitischen Geheimdienst aufgebaut, der über Geld und Geschenke Sportführer ins Amt brachte, die sich seinen kommerziellen Zielen verpflichteten. Auch FIFA-Neuling Blatter wurde 1975 an Dasslers Firmensitz im Elsass geschult, bevor er in die Verbandszentrale nach Zürich wechselte.
In der Amtszeit Havelanges und Blatters wurde die FIFA zum Milliardenkonzern. Dies war die logische Folge der beginnenden Sportvermarktung über das Fernsehen und die Werbewirtschaft. Fußball und Olympia verwandelten sich in globale Milliardenbetriebe, heute bilden sie die umsatzstärksten Segmente der Unterhaltungsindustrie. Hatte die FIFA Ende der 1980er-Jahre die TV-Rechte an den drei WM-Turnieren 1990, 1994 und 1998 für insgesamt nur 340 Millionen Schweizer Franken verkauft, so setzt sie heute eine Milliarde Dollar im Jahr um. In dieser sich selbst kontrollierenden Wachstumsbranche mit risikofreier Einnahmegarantie dank des Fußballmonopols war es Blatter und Kollegen problemlos möglich, selbst verschuldete Verluste in dreistelliger Millionenhöhe zu verkraften und zu verschleiern. Weitere durch Misswirtschaft verursachte Schäden machten sich gar nicht bemerkbar – wenn etwa Fernsehrechte innerhalb des Vorstandsgremiums zu Spottpreisen vergeben statt auf den Märkten ausgeschrieben wurden, wo sie weit höhere Einnahmen erzielt hätten.
Korruptionen und Schmiergelder
Die tief wurzelnde Korruption spiegelt sich exemplarisch am Fall der Insolvenz des langjährigen Rechte-Vermarktungspartners International Sports and Leisure (ISL) wider. Diese Agentur, von Horst Dassler 1981 gegründet, ging 2001 Bankrott. Sie hatte, so hielt das Zuger Strafgericht 2008 fest, allein von 1989 bis 2001 rund 141 Millionen Schweizer Franken an korrupte Sportfunktionäre ausbezahlt. Im Gegenzug erhielt sie die Vermarktungsrechte an Turnieren der FIFA, des IOC und vieler anderer Sportverbände. Ein Großteil der Schmiergelder floss an FIFA-Funktionärinnen und -Funktionäre. Da Bestechung von Privatpersonen wie Sportfunktionären zu jener Zeit in der Schweiz nicht strafbar war, kamen korrupte Amtsträger ungeschoren davon. Doch der Zuger Sonderermittler Thomas Hildbrand eröffnete 2005 eine zweite Strafermittlung, die fünf Jahre später in eine Verfahrenseinstellung nach Paragraf 53 des Schweizer Strafgesetzbuches mündete: Die FIFA-Spitzenfunktionäre Havelange und Ricardo Teixeira, sein Schwiegersohn, räumten die Korruptionsvorwürfe ein und zahlten eine Wiedergutmachung von insgesamt drei Millionen Schweizer Franken. Weitere 2,5 Millionen Franken musste der dritte Beschuldigte im Strafverfahren zahlen: der Weltverband selbst. Weil Ermittler Hildbrand nicht ausreichend konkret die Fehlleistungen von Blatter und anderen benennen konnte, wurde die FIFA als Organisation für die strafrelevanten Vorwürfe haftbar gemacht. Insofern nutzte Blatter den ihm anvertrauten Weltverband als Schutzschild vor Kriminalermittlungen.
Ähnlich teuer wie die Gesamtverluste aus dem ISL-Crash 2001, die auf dreistellige Millionensummen hochgerechnet wurden, endete ein Streitfall mit der Kreditkartenfirma Mastercard. Die FIFA wollte aus Gründen, die im Dunkeln liegen, den langjährigen Werbepartner loswerden und durch dessen Hauptrivalen Visa ersetzen. FIFA-Marketingchef Jérôme Valcke führte Parallelverhandlungen, damit verletzte die FIFA die Vertragsoption ihres Partners Mastercard. Visa erhielt den Zuschlag, nachdem Valcke den Konzernmanagerinnen und -managern bedeutet hatte, wie viel sie bieten müssen. Mastercard klagte vor einem New Yorker Gericht. Dieses gab der Firma Recht und beschrieb im Urteil die FIFA-Vorstände und Marketingchef Valcke als notorische Lügner und Täuscher. Berühmt wurde eine interne E-Mail, in der sich die FIFA-Händler selbst fragten, wie sie es "so ausschauen lassen können, als hätten wir einen Funken Anstand im Leib".
Die FIFA einigte sich 2007 außergerichtlich mit Mastercard. Das kostete sie über 100 Millionen US-Dollar – und zudem ihr Logo, zwei sich überschneidende Fußbälle. Mastercard verhandelte auch das FIFA-Emblem weg, es ähnelte stark dem eigenen Firmenzeichen. Wegen der Sponsoraffäre wurde Marketingchef Valcke Ende 2006 zwar von der FIFA gefeuert. Doch auch das erwies sich als Trick, um Sponsoren und Publikum zu beruhigen. Nur sechs Monate später kehrte er als FIFA-Generalsekretär zurück, bis heute ist er oberster FIFA-Hauptamtlicher.
FIFA-Präsident Sepp Blatter
Korruptionsvorwürfe begleiteten Blatter schon 1998 ins Amt. In der Nacht vor der Wahl in Paris wurden Briefkuverts mit Bargeld an Funktionäre des afrikanischen Kontinentalverbandes CAF ausgehändigt, das bestätigte CAF-Präsident Issa Hayatou. Blatter bestritt jede Kenntnis dazu. Ebenso sein damaliger Wahlkampf-Finanzier Mohamed Bin Hammam. Der Mann aus Katar, Präsident des Asien-Verbandes AFC, und Jack Warner, Chef des Nord- und Mittelamerika-Verbandes CONCACAF, wurden Blatters engste Verbündete. Sie übernahmen wirtschaftliche Schlüsselämter in der Finanzkommission und im Entwicklungshilfebüro (GOAL) der FIFA.
Nachdem Warner 2011 wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten war, tat er kund, er und Bin Hammam hätten Blatters Wahlsiege 1998 und 2002 korrupt gefördert. Blatter und die FIFA griffen die global veröffentlichten Vorwürfe nie juristisch an. Anfang 2012 legte Warner ein Schreiben vor, in dem Generalsekretär Valcke ihm den Erhalt eines Vertrages bestätigt, der von Blatter – vorbei an den "zuständigen Gremien" – unterschrieben wurde. Blatter ist im Milliardenkonzern FIFA allein unterschriftsberechtigt. Mit dem Papier belegte Warner, dass ihm Blatter die WM-Fernsehrechte zu Spottpreisen zuschanzte. Im Gegenzug lieferte Warner bei Wahlen seine 40 im Erdteilverband Concacaf versammelten Stimmen für Blatter ab.
Der FIFA-Präsident wird alle vier Jahre vom Kongress gewählt. Bei der Vollversammlung hat jeder der aktuell 209 Verbände eine Stimme. Der Deutsche Fußball-Bund mit knapp sieben Millionen organisierten Mitgliedern besitzt dasselbe Votum wie der im Mai 2012 aufgenommene Südsudan. Die Möglichkeit, sich über Zwergstaaten und Tropeninseln ohne echten Fußballbetrieb die Wahl zu sichern, hat Blatter stets gezielt genutzt; sie reduziert den Einfluss der wenigen Großverbände aus Deutschland, England, Italien auf nahezu null. Alle Verbände, selbst solche ohne echten Spielbetrieb, erhalten einen Verwaltungskostenzuschuss von 250.000 US-Dollar im Jahr.
FIFA-interne Vetternwirtschaft läuft auch über die Vergabe von GOAL-Entwicklungshilfeprojekten. Die Verwendung der von der FIFA bezahlten, um die 400.000 US-Dollar pendelnden Beträge wird im Empfängerland oft nicht so genau kontrolliert. So entstand in Thailand ein GOAL-Projekt auf dem Privatbesitz von FIFA-Vorstand Morawi Makudi. Erst als die FIFA Jahre später dazu ermitteln musste, übertrug Makudi das Land rasch an den thailändischen Verband. Auch auf Warners Inseln Trinidad und Tobago ist ein zweistelliger Millionenbetrag an FIFA-Geldern in diverse Sportzentren gesickert.
Parallelgesellschaft ohne Kontrolle?
Begünstigt wird die Korruptionskultur in der FIFA durch die Absenz effektiver Wirtschaftskontrolle am Standort Schweiz. Noch problematischer ist, dass der Sport trotz seiner Umwandlung in eine Milliardenindustrie eine rechtliche Autonomie genießt, die aus der Amateurzeit im frühen 20. Jahrhundert stammt. Diese Autonomie macht die Sportindustrie zu einer Parallelgesellschaft, die sich weitestgehend dem Zugriff staatlicher Instanzen entziehen kann. Die Funktionäre kontrollieren sich selbst. Das führt zur Bildung jahrzehntealter Seilschaften, in denen einer den anderen an der Macht hält und Ehrenamtliche zu märchenhaften Reichtümern kommen. So spürt die argentinische Bundesanwaltschaft der Frage nach, wie Fifa-Vizpräsident Julio Grondona zu einer dreistelligen Millionensumme kam.
Nahezu jedes Mitglied im 24-köpfigen FIFA-Vorstand, der Exekutive, führt eine Kommission und kassiert 100.000 US-Dollar Aufwandsentschädigung pro Jahr; hinzukommen Boni. Es entsteht ein Kreislauf aus Gebern und Profiteuren, der sich selbst am Laufen hält. Korrumpiert wird über die Vergabe von Ämtern, Rechte- und Fördergeldern. Aber auch durch Wegsehen, wenn Kollegen wie Jack Warner Millionengewinne über den Verkauf von WM-Tickets erlösen. Publiziert sind zahlreiche Beispiele, wie Vorstände für ihre Teilnahme an mediokren Fußballturnieren fünfstellige Summen als Spesen kassierten – ohne dem Verband Belege abzuliefern. Blatter geht auch hier mit schlechtem Beispiel voran: Bis heute liegt im Dunkeln, was der hauptamtliche FIFA-Boss an Gehalt und Boni kassiert. Der Mann, der allein unterschriftsberechtigt ist für die FIFA, die FIFA-Marketing AG und den Reisedienst Fifa Travel Agency, hielt sein Salär sogar gegenüber Vorstandskollegen unter Verschluss, die diese Angabe gerichtlich erzwingen wollten. In Interviews sagt er, er verdiene "eine Million". Er entwertet dies aber schon im nächsten Halbsatz: "Vielleicht auch ein bisschen mehr" (Kistner 2012).
FIFA-Funktionäre kassieren auch bei den WM-Vergaben ab, die naturgemäß – im Gegensatz zum Rechtegeschäft – globales Interesse genießen. Die WM-Vergabe erfolgt durch den 24-köpfigen FIFA-Vorstand um Blatter in geheimer Abstimmung. Die Problematik dieser Küren trat Ende 2010 weltweit zutage, als die Turniere 2018 an Russland und 2022 an Katar vergeben wurden. Russlands hochkorrupte Sportszene, in der Putin selbst die wichtigen Entscheidungen trifft, ist gefürchtet. In Katar herrschen zur WM-Sommerzeit Backofentemperaturen von 50 Grad Celsius, ein Zustand, der keinen vernünftigen Spielbetrieb gewährleisten kann.
Die FIFA hat keine harten Anti-Korruptionsregeln für WM-Vergaben definiert. Gescheiterte Bewerber, wie zum Beispiel der englische Fußballverband FA, beklagen offen, sie sähen sich zum Schmieren genötigt. So steht nicht erst Katar 2022, sondern auch die WM-Vergabe 2006 an Deutschland im Verdacht. Als DFB-Präsident Wolfgang Niersbach im Juli 2012 Kritik an Blatters korrupter Verbandsführung anmeldete, konterte der FIFA-Chef prompt mit deutlichen Korruptionshinweisen auf die WM 2006. Sofort erstarb die Kritik aus dem DFB.
Im FIFA-Präsidentschaftswahlkampf 2011 wurde Blatter von seinem Ex-Getreuen Mohamed Bin Hammam herausgefordert. Tage vor der Wahl am 1. Juni deckten Blatter-nahe Funktionäre eine Bestechungsorgie mit 25 karibischen Vertretern unter Jack Warners Regie auf. Eine Million US-Dollar war in einem Hotel auf Trinidad und Tobago ausgezahlt worden, damit die Funktionäre für Bin Hammam stimmten. Die FIFA sperrte Bin Hammam kurz vor der Wahl. Zugleich paukte Blatters FIFA-Ethikkommission den Amtsinhaber frei – obwohl Blatter zugegeben hatte, dass er über die Bestechungsorgie in der Karibik schon vorab informiert worden war. Dann flog auf, dass Blatter selbst eine Million US-Dollar an Warners CONCACAF vergeben hatte, unter Umgehung aller Gremien. Die Ethikkommission blieb hier allerdings untätig. Blatter erzählte, er habe das Geld als Entwicklungshilfe gegeben.
Unter dem öffentlichen Druck musste Blatter eine Reform verkünden. Diese nahm Ende 2011 eine Gruppe unter dem von Blatter erwählten Compliance-Experten Mark Pieth in Angriff. Pieth zog für das bezahlte Engagement schwere Kritik aus der Branche auf sich, insbesondere von Transparency International (TI). Pieth, der die Zahlungen der FIFA an sein Compliance-Institut nicht offenlegt, kam nicht über kosmetische Übungen hinaus. Sogar das Personal der alten Ethikkommission blieb vorerst im Amt. Sie wurde nur in zwei Kammern mit neuen Vorsitzenden aufgeteilt. Die Untersuchungskammer leitet seit Juli 2012 Michael Garcia, Anwalt aus Chicago und vormals Generalstaatsanwalt in New York. Die Spruchkammer führt Hans-Joachim Eckert, Vorsitzender am Münchener Landgericht.
Der angeblich unabhängige Chefermittler Garcia griff, statt die vielen relevanten Korruptionsfälle anzugehen, lieber den von der FIFA selbst vorgelegten Fall Bin Hammam auf. Er stellte über Monate einem nicht mehr im Fußball tätigen Blatter-Feind in Asien nach. Während Richter Eckert im Herbst erklärte, er werde sein Engagement überdenken, wenn ihm bis Frühjahr 2013 kein wichtiger Fall vorliegt, passt Garcia ins FIFA-Raster. Günstig für die Benennung war seine Nähe zu Interpol, wo er lange Vizepräsident war. Interpol erhielt bereits im Mai 2011, kurz vor der FIFA-Wahl, von Blatter eine 20-Millionen-Spende zur Wettbetrugsbekämpfung. Der öffentlich zelebrierte Pakt zwischen Blatter und Interpol-Generalsekretär Ronald Noble, einem Weggefährten Garcias, wird seither misstrauisch beäugt, etwa vom deutschen Bundeskriminalamt oder dem Schweizer Parlament. Der Andrang von Interpol-Leuten in und um die FIFA nimmt ständig zu. Sicherheitschef Chris Eaton wurde Mitte 2012 von Ralf Mutschke abgelöst, beide waren bei Interpol. Pieths Reformarbeit wird von Interpol fortwährend in hymnischen Erklärungen belobigt.
Manipulation und Wettbetrug sind feste Bestandteile der Spitzensportindustrie. Zwar ist auch Doping im Fußball weit verbreitet. Doch hat es die Branche dank ihrer Finanzkraft und der folgenden Unabhängigkeit von allen olympischen Sportarten geschafft, das Pharmathema auszublenden. Die Verdrängung funktionierte auch lange bei der zweiten Kernbedrohung für die Integrität des Fußballs: Ergebnis- und Wettmanipulation.
400
Der Jahresumsatz auf den globalen Sportwettmärkten wird auf rund 400 Milliarden Euro beziffert, die Hälfte soll auf den Fußball entfallen.
Der Fall Hoyzer
Die Ergebnismanipulation erschüttert den Fußball im Geschäftskern. Sie wurde – wie Doping – lange ignoriert. Eine Fülle von polizeilich aufgedeckten Skandalen hat das geändert. Deutschland wurde 2005 von der Affäre um Robert Hoyzer geschockt. Der Berliner Schiedsrichter war Schlüsselfigur, aber keineswegs Einzeltäter in der bisher größten Wettaffäre des nationalen Fußballs. Anfang 2005 räumte Hoyzer ein, für Geld- und Sachgeschenke Spiele der Zweiten Liga, Regionalliga und im DFB-Pokal im Sinne seines Auftraggebers Ante S. manipuliert zu haben. Hoyzer belastete Spieler und andere Referees. Im November 2005 wurde er vom Landgericht Berlin zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt; weil er die Schiebereien mit drei kroatischen Brüdern betrieben hatte, wurde ihm banden- und gewerbsmäßiger Betrug angelastet. Der Bundesgerichtshof wies ein Revisionsbegehr Ende 2006 zurück, Hoyzer trat die Haftstrafe an.
Das globale Presseecho auf die Affäre war desaströs. Dass sie in Deutschland so klein wie möglich gehalten wurde, lag auch am Druck, den die Bundesregierung ein Jahr vor der WM 2006 in Deutschland ausübte. So forderte Innenminister Otto Schily volle Aufklärung vor Beginn des Confederations Cup im Sommer 2005. Dass organisierter Betrug nicht per Anordnung binnen weniger Monate aufzuklären ist, ist eine Binse. Das zeigte sich auch an Haupttäter Ante S. – dieser geriet 2009 erneut in die Fänge der Justiz.
Auch der DFB wollte ein rasches Ende der quälenden Ermittlungen. Dabei hatte Hoyzer Details und Sachverhalte beschrieben, die sich in anderen Manipulationsfällen bestätigten. Einmal sah er bei seinen kroatischen Mittätern gar eine Liste des Europaverbandes UEFA mit den Schiedsrichter-Ansetzungen für die nächste Europacup-Runde. Trotzdem verpuffte die Affäre: Neben Hoyzer, Ante S. und dessen zwei Brüdern erhielt nur Zweitliga-Referee Dominik Marks eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.
Interessant ist die Einigung, die der DFB mit Hoyzer im April 2008 erzielte. Darin verpflichtet sich der Ex-Schiri, dass er "keinen weiteren persönlichen wirtschaftlichen Nutzen" aus der Affäre ziehen werde. Im Gegenzug darf er die auf 750.000 Euro bezifferte Schadenssumme gegenüber dem DFB über 15 Jahre in monatlichen 700-Euro-Raten abstottern, die restlichen 624.000 Euro werden ihm dann erlassen. Experten argwöhnen hier einen Schweigepakt. Hätte Hoyzer mit dem Verkauf seiner Insider-Kenntnisse eine noch viel größere Affäre auslösen können? Dies legen die folgenden Affären nahe.
Weitere Wettskandale
Im Frühjahr 2006 flammte erneut ein Wettskandal auf. Diesmal stand William Bee Wah Lim im Zentrum, der Malaysier soll Spiele bis hinauf zur Bundesliga über Mittelsleute manipuliert und in Asien Millionengewinne eingestrichen haben. Er tauchte sofort unter, nachdem er im Juni 2007 vom Frankfurter Landgericht zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt, aber gegen 40.000 Euro Kaution auf freien Fuß gesetzt worden war. Die Justiz ließ sich hier gleich zweimal übertölpeln, denn Lim galt in der globalen Zockerszene als Größe. Der kanadische Wettexperte Declan Hill beschreibt in seinem Buch "Sichere Siege", wie ein DFB-Jurist, dem er beim Lim-Prozess Informationen geben wollte, vor ihm ausgerissen sei.
Am 20. November 2009 erfolgte der bisher größte Knall: Die Staatsanwaltschaft Bochum gab Ermittlungen zu insgesamt 200 (später 300) manipulierten Spielen bekannt, die im Kern über Telefonabhörungen aufgeflogen waren. Allein hierzulande standen mindestens 32 Spiele in Verdacht: vier Partien der Zweiten Liga, drei Drittliga-Spiele, 18 in der Regionalliga, fünf in den Oberligen sowie zwei im U-19-Jugendbereich. Unter den tags zuvor verhafteten 17 Verdächtigen fanden sich zwei alte Bekannte: Ante und Milan S. Sie hatten laut Anklage über manipulierte Spiele an Asiens Wettmärkten rund zehn Millionen Euro ergaunert. In Bochum erhielt Ante S. 2011 ebenso fünfeinhalb Jahre Haft wie Mittäter Marijo C.; beide gingen in Revision. Der in Berlin ansässige Kroate soll Spiele von den Amateurligen bis hoch zur Champions League verschoben und 2,3 Millionen Euro kassiert haben. Betroffen war auch das WM-Qualifikationsspiel Liechtenstein gegen Finnland im Herbst 2009: S. hatte den Referee mit 30.000 Euro bestochen, damit nach der Pause zwei Tore fielen. Wettkumpan C. hatte in Belgien gar versucht, den kompletten Zweitliga-Verein Namur zu kaufen, um mit eigens angeheuerten Spielern Partien zu manipulieren.
Auch der Europa-Verband UEFA suspendierte einen Referee, den Ukrainer Oleg Orijechow, der Kontakt zur Wettmafia gepflegt haben soll. Dieser Fall reichte bis in die UEFA-Schiedsrichter-Kommission, wo der slowakische Funktionär Josef Marko mit dem Landsmann und renommierten Ex-Referee Lubos Michel Einfluss auf Schiedsrichter-Hochstufungen genommen haben soll. Das UEFA-interne Problem löste sich wie üblich diskret: Marko trat ab.
Solche Betrugsformen werden gesteuert von Wettpaten, die vornehmlich in Asien operieren: Singapur, Macau, Malaysia sind Hochburgen, hier können unbegrenzt hohe Summen gewettet werden – auf Spiele bis runter in die deutsche Oberliga. Die Motive großer Zockerbanden rühren oft aus anderen Straftaten wie Geldwäsche. Manipulierte Spiele sichern den Rückerhalt der Einsätze. Gewettet wird nicht nur auf Resultate, es geht um Einwürfe, Freistöße, gelbe Karten. Oder um Komplizierteres wie Handicap-Wetten wie "über/unter", bei denen getippt wird, ob die Anzahl der in einer Partie erzielten Tore über oder unter dem Wert liegen, der vom Buchmacher oder anderen Wettern vorgegeben wurde.
Geldwäschern genügen schon kleine Gewinne. Sogar geringe Verlustmargen sind noch akzeptabel – weil das Schwarzgeld danach sauber ist und der Halter keine Steuerabzüge hatte. So bieten Sportwetten ein weit attraktiveres Ziel als der Kasino- und Glücksspielbetrieb mit seinen Automaten, Karten- und Roulette-Tischen. Denn bei Sportwetten kann der Wettpate dem Glück nachhelfen. Schiedsrichter, Spieler und Funktionäre produzieren die erwünschten Resultate.
Kriminelle Organisationen in Fernost haben früh das enorme Interesse der Asiaten am europäischen Fußballbetrieb erkannt. Nach Angaben des Sportsenders ESPN von 2008 wird selbst ein normales Champions-League-Spiel von 140 bis 280 Millionen Asiaten verfolgt, auf ihre eigenen korrupten Ligen setzen die Zocker kaum noch. Gewettet wird also in Asien, manipuliert in Europa. Als Mittelsmänner, die nah am Verein oder am Spieler operieren, wirken meist Kriminelle aus der Balkanregion. In Europa arbeiten daneben selbstständige Banden wie das Geflecht um den Berliner Ante S.
Systemprobleme im Fußball
Die Wettmafia nutzt auch das im Fußball selbst angelegte Potenzial: Profikicker haben wenig Arbeitszeit, in der Freizeit pflegt ein hoher Anteil Kartenspiele oder Casino-Besuche. Zocken ist zudem eine Art Wettkampf: Setzen, bangen, siegen, selbst das Verlieren setzt körpereigene Drogen frei und wird zum Rauschgefühl. Die ständige Verfügbarkeit von oft großen Gehaltssummen lassen manchen Spielsüchtigen gar nicht merken, dass er in Wettschulden gerät. Bandenkriminelle ziehen ihn geschult in Abhängigkeit. Am Ende stehen, wie der Fall des Ex-Profis René Schnitzler von St. Pauli zeigt, Erpressung und Gewalt: Der Spieler muss zurückzahlen, indem er bei der Manipulation hilft.
Auch werden manche Verbände von korrupten Funktionären geleitet, die selbst vom Gemauschel profitieren – oder es gar in Auftrag geben. Viele Profiklubs sind chronisch überschuldet. Doch läuft der Geschäftsbetrieb mit dem Ball im Schutz der Sportautonomie ab. Staatliche Instanzen haben kaum Möglichkeiten, in die Selbstkontrolle des Sports einzugreifen. Was ehrenamtliche Funktionäre in rechtsfreie Räume versetzt und besonders empfänglich für schmutzige Deals macht.
Ein weiteres Systemproblem ist, dass Spieler oft monatelang auf ihre Gehälter warten. Ein 2012 von der internationalen Profifußballervertretung FIFPro vorgelegtes Schwarzbuch offenbart das Ausmaß von Missbrauch und Manipulation in Osteuropas Ligen. Von 3.357 Profis, die an der Studie teilnahmen, erhielten mehr als 40 Prozent ihren Lohn nicht pünktlich. Folgen laut FIFPro-Studie: Je länger das Geld ausblieb, desto stärker wuchs die Bereitschaft, zu manipulieren. Zwölf Prozent der Spieler räumten ein, zwecks Betrugs schon kontaktiert worden zu sein. In Russland sagten 10,2 Prozent von 177 Spielern, sie seien angesprochen worden. Und 43,2 Prozent der Spieler wussten, dass Spiele in ihrer Liga manipuliert würden. FIFA und UEFA reagierten nicht auf das Schwarzbuch.
Diese Ignoranz spielt der Wettmafia in die Hände. Sie pflegt die persönliche Beziehungsebene. Da im Cash- oder Onlineverkehr wenig dokumentiert wird, ist das Vertrauensprinzip entscheidend. Vertrauen bilden die illegalen Buchmacher über ihre Auszahlungen. Das schlägt in Gewalt um, wenn jemand säumig ist. Verlässlich wie die Auszahlungen sind auch die Stufen der Gewaltandrohung und -anwendung. In Asien gibt es häufig Todesopfer, es gab aber auch schon Morde in England, der Schweiz und Bulgarien.
Die Wettpaten verfeinern ständig ihre Technik, um die Frühwarnsysteme zu umgehen. Firmen wie das Schweizer Early Warning System der FIFA oder die für den DFB tätige Sportradar kooperieren mit Hunderten Wettanbietern, die auffällige Wettmuster melden. Doch bleibt das nahezu wirkungslos.
Die Verschleierung manipulierter Spiele funktioniert etwa so, dass saubere Partien markant bewettet werden – so rutschen manipulierte Spiele aus dem Fokus. Sie werden meist illegal bewettet. In der Regel per Live-Wette, die erst im Laufe der Partie getätigt wird, auf jäh eintretende Ereignisse – die Anzahl der Tore, Karten, Strafstöße. Dies erfasst ein Frühwarnsystem so wenig wie Kombinationswetten, bei denen manipulierte Spiele in unteren Klassen mit Spitzenpartien gepaart werden, deren Ausgang klar erscheint. Beliebt ist auch die Sicherstellung von erwartbaren Ergebnissen: Das schwächere Team wird bezahlt, dass es auf jeden Fall verliert. Damit ist über Kombinationswetten viel zu holen, zugleich ist es unverdächtig, wenn der Underdog gegen den Favorit verliert.
Eingedenk der Skandaldichte geht der Fußball mit dem Thema Spielmanipulation offen um – aber strikt selektiv. Kaum thematisiert wird der Teil der Ergebnismanipulation, den die Akteure selbst betreiben. Nicht zur Geldwäsche oder -vermehrung über Wetteinsätze, sondern zwecks Manipulation von Meisterschaften, Auf- und Abstiegsfragen. Dieser Teilbereich wird von der Branche mit sportpolitischem Kalkül ausgeblendet, er bedroht das Geschäft existenziell: Hier sind die im Fußball Wirkenden selbst die Täter – und es geht um Titel.
Spiel- und Ergebnismanipulation
Dies sind die Affären, die zuletzt auch den Fußball in Spanien und in der Türkei erschütterten. In Spanien sicherte sich Real Saragossa mit einer rätselhaften Siegserie den Klassenerhalt, in Istanbul befand die Staatsanwaltschaft, dass acht Klubs die Süper Lig manipuliert haben sollen. Der Verband versucht, die Affäre vom Tisch zu wischen. In Italien flog 2006 Calciopoli auf: Juventus Turins Manager Luciano Moggi hatte auf Schiedsrichter-Ansetzungen eingewirkt und so Juves Meistertitel in der Saison 2004/05 erkauft. Juve wurde in die Zweite Liga strafversetzt. Andere verwickelte Großklubs wie AC Mailand, Lazio Rom und AC Florenz erhielten nur Punktabzüge.
Betrug ist im italienischen Fußball endemisch. 2011 ging ein Zockerring um Giuseppe Signori hoch. Der 188-malige Torschütze in der Serie A und Alt-Internationale war Kopf einer Bande aus Bologna, Chiasso, Mailand und Bari. 23 Klubs waren hier in Manipulationen involviert; zur Disposition standen die Erstliga-Aufstiege von Atalanta Bergamo und AC Siena. Ins Rollen gebracht hatte die Affäre Marco Paoloni. Der Torwart von Drittligist Cremonese sollte sein Team im Herbst 2010 gegen Pagani verlieren lassen, doch zur Pause führte es 2 : 0. Deshalb mischte der Keeper den Kollegen ein Schlafmittel in die Getränke. Cremona siegte trotzdem, doch die Spieler klagten über starkes Unwohlsein. Einer schlief im Auto auf der Heimfahrt ein und baute einen Unfall.
Im Mai 2012 folgte ein noch größerer Manipulationsskandal. Kurz vor der EM 2012 in Polen/Ukraine gab es eine Razzia im Trainingslager von Italiens Nationalmannschaft, Spieler Domenico Criscito wurde heimgeschickt. Auch ein Aktiver von Juventus geriet in den Fokus der Ermittlungen, und Juve-Trainer Antonio Conte erhielt wegen einer nicht angezeigten Ergebnisabsprache in der Saison 2010/11 zehn Monate Sperre. Über 30 Personen wurden verhaftet; mehr als 50 Spiele der ersten drei Ligen waren verdächtig. Diesmal waren Drahtzieher aus Ungarn und Albanien am Werk, gesteuert von Hightech-Firmen in Asien. Auch Ante S. wurde in dem Kontext verhört.
Generell fehlt im Kampf gegen die Spielmanipulation das Wichtigste: Die juristische Basis, um Betrug ermitteln und international operierende Banden bestrafen zu können. Die mangelnde Rechtsgrundlage ist für die hilflosen Verfolgungsbehörden das eine Problem, die Frage der polizeilichen Zuständigkeit bei internationalen Spielen das andere. Und so locken Asiens ungeschützte Rechtsräume weiter die Zocker an. Im Fall asiatischer Wettagenten ist die Kontrollmöglichkeit gleich null. Sie sammeln Geld bei Kunden und setzen per Kredit – das hinterlässt keine Geldflüsse, die die Polizei verfolgen kann. Interpol widmet sich der Problematik, die Behörde erhält 20 Millionen Euro von der FIFA zur Betrugsbekämpfung und hat 2012 die Einheit "Integrität im Sport" gebildet. Es geht um Ausbildung und Anleitung von Schlüsselakteuren zur Erkennung von Betrugsversuchen. Auch soll die Kooperation der Strafverfolgungsbehörden verbessert werden.
Das Zockerübel ist damit so wenig in den Griff zu kriegen wie der Teil der Spielmanipulation, der aus dem Fußball erwächst und von Funktionären abgesichert wird. Ein Urteil zum italienischen Manipulationsskandal von August 2012 beschreibt das Dilemma: "Der Prozess zeigte, dass Resultate auf zwei Wegen und mit unterschiedlicher Motivation manipuliert wurden. Einerseits ging es darum, über Wetten Profit zu erlangen. Auf der anderen Seite – ohne dass unbedingt Geld den Besitzer wechselte – ging es um Vorteile in der Tabelle." Das sei "weithin akzeptiert in diesem Milieu".
Thomas Kistner ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung und zuständig für Sportpolitik. Er wurde unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet, war 2006 "Sportjournalist des Jahres" und ist international einer der renommiertesten investigativen Journalisten im Bereich Sportpolitik und organisierte Kriminalität im Sport. Thomas Kistner kommentiert regelmäßig auf Deutschlandfunk und ist mit den Themen Doping und Korruption im Sport gefragter Gast in TV-Talk-Shows. Er ist Autor des Buches "FIFA Mafia", das von der Deutschen Akademie für Fußballkultur zum Fußballbuchs des Jahres 2012 gewählt wurde. "Fifa Mafia" wird schon in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt und in mindestens zehn Ländern erscheinen, in dreien ist es schon auf dem Markt.
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