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Gott ist rund Mediensport Fußball

Jürgen Schwier

/ 13 Minuten zu lesen

Das Fernsehen macht den Fußball zum Spektakel, bläst ihn zum Event auf und veredelt ihn zur global vermarktbaren Ware. Das Spiel besitzt heute eine nie dagewesene Popularität. Mit welchen Mitteln wird der Fußball inszeniert? Welche Möglichkeiten bietet das Internet für Fans?

1966 – die Anfänge des Public Viewing: Fans verfolgen gespannt ein Interview mit Bundestrainer Helmut Schön vor einem Fernsehgeschäft. (© imago/Sven Simon)

Doppelpässe und Standardsituationen

Der Fußballsport bewegt in Europa die Massen. Neben der aktiven Ausübung der Sportart gehören gerade auch das Zuschauen bei Fußballspielen sowie die Rezeption des Mediensports zu den beliebten Freizeitaktivitäten. Die aktuelle gesellschaftliche Wertschätzung und die globale Popularität des Fußballs sind allerdings ohne den Einfluss der Massenmedien kaum denkbar. Der Fußballsport ist unter Mitwirkung der Medien in den meisten Ländern Europas zu einem Bestandteil des Alltagslebens geworden. Das Fernsehen hat frühzeitig Beziehungen zu diesem Ballspiel geknüpft, da es eine zwanglose Nähe zu den Feldern der Freizeit und des Konsums bietet und kollektive Emotionen sowie Momente der Identifikation quotenträchtig (hohe Einschaltquoten von Zuschauern) freisetzt.

Innerhalb der medien- und sportwissenschaftlichen Debatte über die Globalisierung und Mediatisierung des Sports wird daher häufig argumentiert, dass der Spitzensport inzwischen weitestgehend in einem Medien-Sport-Komplex aufgeht. Dieser Begriff bezeichnet die gerade im Fußball weit vorangeschrittene Tendenz des Zusammenwachsens von Sportanbietern, Medien, Vermarktern und transnationalen Konsumgüterunternehmen. Professioneller Fußballsport und Medienfußball sind so inzwischen kaum noch voneinander zu trennen, wobei sicherlich die Doppelpässe mit dem Fernsehen den Eintritt des Sports in die Sphäre der Ökonomie stimuliert haben.

Im Verlauf dieses Entwicklungsprozesses sind die nationalen Ligen und die europäischen Cup-Wettbewerbe zu TV-Quotenhits geworden, während Europa- und Weltmeisterschaften als globale Spektakel und in gewisser Hinsicht auch als Instanzen der Sinnvermittlung erscheinen. Die Inszenierung von Fußballweltmeisterschaftsendrunden, der Champions League oder der Fußballbundesliga stellt für die Fernsehsender und die beteiligten Sportanbieter insgesamt ein lukratives Geschäft dar und trägt erheblich zum Wachstum der gesamten Sportbranche bei. Vor diesem Hintergrund versuchen die folgenden Ausführungen einige Standardsituationen in der Beziehung von Medien und Fußball nachzuzeichnen.

Unterhaltung durch Medienfußball - die ökonomische Basis

Zuschauerzahlen im Vergleich (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die Popularität des Fußballs äußert sich sowohl in seiner Verankerung in der europäischen Alltagskultur und in der von keiner anderen Sportart auch nur annähernd erreichten Zuschauernachfrage. Aber auch darin, dass er – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – überall auf dem Kontinent die stärksten Umsatzzahlen und Sponsoringvolumina im Feld des professionellen Sports generiert. Das Ausmaß der Fußballbegeisterung kennt in Europa ohnehin kaum Grenzen: Der FC Barcelona soll nach einer Studie des Instituts Sport + Markt aus den Jahr 2010 als populärster Fußballklub über eine Fangemeinde von mehr als 57 Millionen Menschen verfügen. Der FC Bayern München kommt als bestplatzierter deutscher Klub in diesem Ranking immerhin noch auf knapp 21 Millionen bekennende Anhängerinnen und Anhänger. Durchaus folgerichtig gilt das Ballspiel in fast allen EU-Ländern sowohl in der Print- als auch in der TV-Berichterstattung als meist thematisierte Sportart. In Großbritannien und Deutschland ist die massenmediale Dominanz des Fußballs sogar noch etwas stärker ausgeprägt.

Aus der Sicht des Fernsehens stellt der professionelle Fußball einen idealen Gegenstand der Berichterstattung dar, da mit kaum einem anderen Inhalt ähnliche Einschaltquoten und Marktanteile zu erzielen sind. Unter den meistgesehenen Sendungen im deutschen Fernsehen der letzten 20 Jahre finden sich auf den vorderen Plätzen ausnahmslos Spiele der Männer-Nationalmannschaft bei Endrunden der Welt- und Europameisterschaften. Während das WM-Finale 2014 zwischen den Mannschaften Deutschlands und Argentiniens selbst ohne Berücksichtigung von Public Viewing mit mehr als 34,6 Millionen Zuschauernden einen Spitzenplatz in diesem Ranking einnahm, brach mit dem WM-Finale 2015 zwischen USA und Japan ein Spiel der Frauen-Nationalmannschaften die früheren WM-TV-Rekorde in diesen Ländern.

Neben dem heimischen Markt sind die führenden Klubs längst auf die Teilnahme an europäischen Wettbewerben angewiesen und in transnationale Marketing- beziehungsweise Sponsoringmaßnahmen eingebunden. Die europäische Dominanz belegt auch das von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte jährlich erhobene Ranking der 20 weltweit umsatzstärksten Klubs: Die vorderen Plätze der Top 20 in der Saison 2014/15 machen wiederum ausschließlich die Vertreter des alten Kontinents unter sich aus.

Inszenierungsmuster des Mediensports Fußball

Das Fernsehen hat nicht nur in Europa die Entwicklung des Fußballs nachhaltig beeinflusst, wobei sich die massenmedial vermittelte Vermarktung dieses Ballspiels durch eine quasi paradoxe Grundstruktur auszeichnet: Die Betonung der Unterhaltungsdimension und die Spektakularisierung der TV-Berichterstattung stellen einerseits einen wesentlichen Aspekt der Transformation des professionellen Fußballs in eine international vermarktbare Ware dar. Mitverantwortlich für den anhaltenden Erfolg dieses Produkts dürfte dabei der Umstand sein, dass Fernsehfußball in gewisser Hinsicht einem "modernen Mythos gleicht, der kommerziellen Zwecken dient – einer Erzählung, durch die sich die Gesellschaft einen Teil der Wirklichkeit erklärt".

Fussball wird zur Nebensache: Wichtig ist, was sich das Fernsehen unter einer Show vorstellt. (© picture-alliance/dpa)

Das Ballspiel bleibt aber andererseits wohl nur dann für die Menschen attraktiv, wenn die medialen Produkte die Wettkämpfe nicht vollständig auf ihren Showcharakter reduzieren, sondern das Verhältnis von Aktion und Präsentation glaubwürdig ausbalancieren. Die Authentizitätsversprechen des Wettkampfspiels, seine "Vergemeinschaftungsfunktion" und die Anpassung des Sports an televisionäre Bedingungen gewährleisten erst die Popularität und das Unterhaltungspotenzial des Fußballs.

Telegenisierung

In diesem Zusammenhang entwickelt sich die Telegenität seit Längerem zu einem eigenartigen Qualitätsmerkmal der Sportberichterstattung. Im Ergebnis wird dem visuellen und dramaturgischen Potenzial einer Sportart bzw. -veranstaltung die höchste Priorität zuerkannt. Die Medientauglichkeit entscheidet inzwischen weitgehend über den sportkulturellen Stellenwert und die wirtschaftliche Wertigkeit eines entsprechenden Angebots. Die Inszenierung des Fernsehfußballs folgt daher einer Logik, die auf der einen Seite mit einigermaßen transparenter Bildsprache die Spannungspotenziale des Wettkampfs aufgreift und auf der anderen Seite durch kontinuierliche telegerechte Innovationen ein möglichst großes Publikumsinteresse erzielen will.

Maßnahmen zur Steigerung der Telegenität:

  • Anreicherung mit melodramatischen Elementen

  • Zeitliche Ausdehnung der Sportübertragungen,

  • Einsatz von innovativen Kameratechniken

  • Einsatz von digital aufbereiteten Zusatzinformationen (Grafiken, Abstandsmessungen usw.)

  • Schnelle Schnittfolgen und Musikuntermalung

  • Nachstellen von Spielszenen per Computeranimation

Neben der Telegenisierung zählen vor allem die Narrativisierung, die Emotionalisierung und die Personalisierung zu jenen Inszenierungsmustern, die das Unterhaltungspotenzial des Mediensports maßgeblich gestalten.

Narrativisierung

Narrativisierung bezeichnet in dieser Perspektive die Art und Weise des medialen In-Szene-Setzens von Sportereignissen. Dem Fernsehen geht es darum, die Dramatik der Wettkämpfe durch visuelle bzw. verbale Zugaben noch weiter zu steigern und zeitlich zu strecken. Es werden unter anderem Bezüge zum Leistungsprinzip, zum Heroischen, zu Nationalität, Ethnizität und Geschlechteridentitäten hergestellt.

Diego Maradona: Mit der Hand hievt er den Ball an Torwart Peter Shilton vorbei ins Tor. Die Geburtsstunde der "Hand Gottes". (© imago/PanoramiC)

Auffällig sind ferner die eigenwillige Verwendung von Metaphern (z. B. Befreiungsschlag, Duell, Showdown) und Symbolen (vor allem Symbole der Nation, der Verbundenheit, des Erfolgs und des Scheiterns). Die Sportberichterstattung wird auf diesem Weg vermehrt in Geschichten eingebettet. Das beinhaltet gleichzeitig eine Orientierung an Stars, eine Etablierung von Talkformaten, den Einsatz von Gewinnspielen sowie eine schleichende Boulevardisierung des Fernsehsports. Darüber hinaus begünstigen die beständig reproduzierten Erzählungen über legendäre Wettkampfbegegnungen und berühmte Spieler die Erzeugung geteilter Bedeutungen und tragen damit fortlaufend zur Sinnstiftung bei.

Sportarten wie der Fußball blicken auf eine lange und in der kollektiven Erinnerung verwurzelte Tradition als Nationalsportart zurück. Deren Beliebtheit ist nicht auf bestimmte Milieus begrenzt. Offenkundig eignen sich solche Sportarten in zahlreichen europäischen Staaten zur Hervorbringung von Legenden, Mythen oder Idolen. Sowohl der gesellschaftliche Stellenwert als auch die nahezu grenzenlose Popularität des Fußballs sind beispielsweise im Verlauf eines längerfristigen kulturellen Entwicklungsprozesses entstanden. Sie werden regelmäßig durch transnationale Medienereignisse wie Welt- und Europameisterschaften befördert.

In diesem Zusammenhang tragen die vielfältigen Formen der kommunikativen Vor- und Nachbereitung erheblich dazu bei, dass die Begegnungen zwischen bestimmten Klubs oder Nationalmannschaften eine Geschichte bekommen und als Derbys oder Klassiker gehandelt werden. Narrativisierung gibt dem Mediensport Fußball eine epische Ordnung, dehnt mit ausführlicher Vor- und Nachberichterstattung kostengünstig die Sendezeit, soll die Publikumsbindung stabilisieren, die emotionale Teilhabe der Zuschauerinnen und Zuschauer steigern sowie Gesprächsanlässe liefern.

Stimmen

Zitat

Das Duell der Giganten

Sky, 22.04.2013
Zitat

Aus dem Tal der Tränen...

bundesliga.de, 30.5.2013
Zitat

50 Mal Blut, Schweiß und Tränen

Stuttgarter Zeitung Online, 21.5.2013
Zitat

Showdown auf dem Betzenberg

Kicker Online, 05.04.2013
Zitat

Reus-Gala nach Rafati-Drama

Focus Online, 19.11.2011
Zitat

Tim Wiese ist der Held von Hamburg

spox.com, 22.04.2009
Zitat

Heute sind wir alle Bayern!

Bild Online, 22.05.2010
Zitat

Drama pur

Bundesliga TV, 20.05.2013
Zitat

Die Papierkugel Gottes

Abendblatt Online, 29.09.2009

Emotionalisierung

Der Mediensport Fußball appelliert regelmäßig an unsere Emotionen, wenn anstehende Übertragungen von Sportereignissen als Schicksalsspiele angekündigt oder im Nachhinein als Skandalspiele eingeordnet werden. Ebenso, wenn von ewigen Rivalen, vom brennenden Verlangen der Fans oder dem Kampf um das sportliche Überleben die Rede ist. In jedem Fall werden semantische (bedeutungsvolle) Anleihen bei möglichen Situationen des realen Lebens getätigt, die die Mehrzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer nachempfinden kann und die diese auf einer affektiven Ebene erreichen.

Zum Einsatz kommen diverse Elemente von der Sprachverwendung der Journalistinnen und Journalisten und dem erwähnten Einsatz von Metaphern über bestimmte sportliche Rituale (Abspielen der Nationalhymnen, Siegerehrung) und Regeln (Elfmeterschießen, K.-o.-System) bis zur Fernsehtechnik (Superzeitlupe, Großaufnahme). Dazu zählt auch die in der Berichterstattung wiederkehrende Grundfigur "Wir und die anderen".

2013: DFB-Pokal-Finale FC Bayern München - VFB Stuttgart (3:2). Cheftrainer Jupp Heynckes unter der Bierdusche. (© imago/Action Pictures)

Als Strategie ist die Emotionalisierung vorwiegend deshalb Erfolg versprechend, weil sie sich erstens konsequent die Unvorhersehbarkeit des Fußballgeschehens, die Spannungsbalance des Wettkampfs, das Fehlen eines Drehbuchs und die dem Spiel immanente Rolle des Zufalls zunutze macht. Zweitens knüpfen die TV-Inszenierungen an schon vorhandene Sympathien beziehungsweise Antipathien der Zuschauerinnen und Zuschauer für die Mannschaften an. Die Identifikation mit den Sportlern und/oder Teams stimuliert das Mitfiebern bei den Wettkämpfen, und zieht die Fans mit ganzer Leidenschaft in das Spielgeschehen hinein. Eventuell entwickeln sich über das jeweilige Match hinaus Muster parasozialer Beziehungen, d.h. das die Fans die von ihnen verehrten Sportler in ähnlicher Weise wie gute Bekannte oder gar Freunde wahrnehmen.

Die Berichterstattung geht seit einiger Zeit noch einen Schritt weiter und produziert vermehrt Mediengeschichten rund um das Ereignis, die das kollektive Erleben einer unterhaltenden Emotion stimulieren können. Als Verbalisierungsstrategie will Emotionalisierung die Gefühlsregungen der handelnden Personen zur Sprache bringen und als Visualisierungsstrategie zielt sie darauf ab, Augenblicke großer Intensität und Präsenz zu erzeugen. Den Zuschauenden soll das Gefühl gegeben werden, ein besonderes Spiel mitzuerleben.

Personalisierung

Der Begriff der Personalisierung umfasst sowohl die zunehmende Fokussierung der Fußballberichterstattung auf die Stars als auch das televisionäre Spiel mit den Images populärer Akteure (von David Beckham über Cristiano Ronaldo bis Lira Bajramaj). Er bezeichnet auch jene bevorzugte TV-Lesart, die die persönlichen Qualitäten der Individuen als ausschlaggebende Faktoren für die sportliche Teamleistung, für Siege und Niederlagen, für Momente des Triumphes oder Scheiterns präsentiert.

Im Rahmen einer empirischen Studie zur Ergebniserklärung in der Fußballberichterstattung rekonstruiert so Schütte medienübergreifend eine ausgeprägte Tendenz zur Konzentration auf die spielentscheidenden Matchwinner und Pechvögel. Über eine personalisierte Darstellung laden Medien den sportlichen Wettkampf mit zusätzlicher Bedeutung auf, sodass er vom Publikum sinnvoll eingeordnet und bewertet werden kann. Damit werden ferner der Aufbau eines Spannungsbogens, die schon erwähnte Narrativisierung sowie eine werbewirksame Vermarktung der Sportler und der gesamten Sportberichterstattung erleichtert.

Schlussjubel Gareth Bale, Europameisterschaft 2016 - Qualifikation (@picture alliance/CITYPRESS24)

Personalisierung und Starsystem gehören auch im Mediensport Fußball zusammen. Fußballstars senken für das Fernsehen durchgängig den Inszenierungsaufwand seiner eigenen Berichterstattung. Sie bieten eine Vielzahl wünschenswerter publizistischer Anknüpfungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Unterhaltungssendungen, Homestorys in Magazinformaten, Quiz- oder Talkshows. Personalisierung geht in einer marktorientierten Fernsehlandschaft eben mit einer Boulevardisierung einher, und mit dem Siegeszug der sogenannten Celebrity Culture gewinnen Kriterien, die allenfalls entfernt mit dem sportlichen Geschehen zu tun haben, eine wachsende Bedeutung. Einzelne Sportler treten als Popstars auf, wobei unter anderem Extravaganz, Image, Look und Erotik als Vermarktungsinstrumente zum Einsatz kommen. Das Fernsehen weckt und deckt jedenfalls den Bedarf an Sportstars, die situationsabhängig als triumphierende, rebellische, unvollendete oder tragische Heldenfiguren sowie als Rollenmodelle präsentiert werden.

Die genannten vier Tendenzen Telegenisierung, Narrativisierung, Emotionalisierung und Personalisierung weisen erhebliche Schnittmengen auf und stehen für eine Entwicklungsrichtung des Medienfußballs, die konsequent auf eine Maximierung der Reichweiten und Marktanteile abzielt. Die televisionäre Inszenierung des Fußballs folgt daher einem Doppelauftrag: Einerseits geht es darum, die für die Popularität beziehungsweise die Identitätsofferten des Spiels unverzichtbaren Augenblicke der Intensität und Präsenz auf dem Platz möglichst spektakulär einzufangen. Andererseits soll die TV-Berichterstattung jenen Mehrwert an "Sportainment" gewährleisten, der die Zuschauer länger und öfter an das Programm bindet sowie auch allenfalls schwach am Fußball interessierte Personen zum Einschalten bewegt.

Wenn sich das Fernsehen im Multimediazeitalter tatsächlich Schritt für Schritt individualisieren und das Publikum fragmentarisieren sollte, dürfte der Marktwert des Mediensports Fußball sogar noch eine Steigerung erfahren: Sein gemeinschaftsbildendes Potenzial macht ihn zu einem der raren Angebote, die vor europäischen Bildschirmen noch einen echten Versammlungseffekt auslösen können.

Medienfußball 2.0

Die Onlinemedien sind im Bereich des professionellen Fußballsports aktuell weit davon entfernt dem Fernsehen seinen Rang als Leitmedium streitig zu machen. Auch die vieldiskutierte Nutzung von illegalen Fußball-Livestreams im Internet stellt für das Geschäftsmodell des Medien-Sport-Komplexes keine ernsthafte Herausforderung dar. Gleichwohl ist der Sport längst im World Wide Web sowie im Web 2.0 angekommen und kann hier durchaus die Rolle eines Türöffners für den kommerziellen Erfolg unterschiedlicher Onlineformate – von Blogs und Podcasts über Onlinewetten und soziale Netzwerke bis zum Web- oder Smart-TV – spielen. Bislang hat das Internet jedoch keine abrupte Verwandlung des Mediensports Fußballs ausgelöst. Vielmehr findet eher beiläufig eine schrittweise Integration der webbasierten Angebote in die alltägliche Handlungspraxis breiter Bevölkerungskreise statt. Man sieht die Spiele seines Lieblingsvereins weiter im Fernsehen, informiert sich aber auch mittels Smartphone über Spielstände, schaut sich spektakuläre Tore aus ausländischen Ligen auf dem Videoportal Youtube an oder folgt seinem Klub auf Facebook. Der Fußball bildet – wie zu erwarten – die mit Abstand populärste Sportart im Internet.

Digitale Fußballfankultur

Die Anzahl der Websites von und für Fußballanhänger ist inzwischen unüberschaubar und nahezu täglich entstehen weitere Onlineangebote. Auf entsprechenden Websites, in Foren, sozialen Netzwerken, Videoportalen und Weblogs kann man sich rund um die Uhr sowie an beinahe jedem Ort der Welt auf den aktuellen Diskussionsstand bringen, Bewegtbilder ansehen und die eigenen Ansichten mit denen anderer Fans austauschen. Und selbst ein Transfermarkt für wechselwillige Fußballspielerinnen und -spieler von der Kreisliga bis in den professionellen Bereich ist längst online. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme einleuchtend, dass Fußballfankulturen im digitalen Zeitalter auch durch Medien vermittelt sind.

Fangruppierungen unterhalten in der Regel eine zum Teil aufwendig gestaltete Website. Hier werden die eigenen Zielsetzungen und die Historie der Gemeinschaft dokumentiert, Videos eigener Support-Aktionen wie zum Beispiel Choreografien, Auswärtsfahrten verbreitet und der Gedankenaustausch von Mitgliedern beziehungsweise Gästen wird gefördert. Das Internet erweitert somit die Handlungsspielräume des Fantums. Die Tendenzen zur Selbstmedialisierung des eigenen Tuns lassen sich als wichtiges Element der Entfaltung einer eigenen Gruppenidentität sowie des fortlaufenden Wettstreits um einen authentischen Stil des Fußballfantums interpretieren. Die Internetauftritte sind jedenfalls längst zur virtuellen Arena geworden, in der sich jede Fanfraktion – mit eigenen Akzentsetzungen – als besonders engagiert, humorvoll, kreativ, leidenschaftlich und originell präsentiert. Ein relativ neues Phänomen stellen mehr oder weniger dialogische Wettbewerbe von Anhängerinnen und Anhängern diverser Nationalmannschaften dar: Die anlässlich von Europa- oder Weltmeisterschaften traditionell übliche Abgrenzung gegen die jeweils anderen im Internet wird hierbei (selbst-)ironisch aufbereitet.

Social Communities

Die Medialisierung des sportbezogenen Fantums findet schließlich in den Social Communitys des Web 2.0 ihre Fortsetzung. Das betrifft sicherlich auch die Wechselbeziehungen zwischen Fans, Konsumenten, Sportsystem und Massenmedien. Plattformen wie Facebook oder Youtube sind einerseits zu Arenen der Fankommunikation geworden und werden andererseits intensiv von Sportlern, Vereinen und Sportvermarktungsunternehmen genutzt, um sich den potenziellen Sportkonsumenten in freundschaftlicher Atmosphäre virtuell zu nähern. Neben dem eigenen Internetauftritt stellen die Portale und sozialen Netzwerke des World Wide Web für Klubs, Spieler, Verbände und Ausrüster eine ebenso effektive wie kostengünstige Möglichkeit dar, die eigene Fanbasis ungefiltert zu pflegen: Unter Umgehung der klassischen redaktionellen Kontrollfiilter der Massenmedien kann öffentliche Aufmerksamkeit für die eigenen Anliegen und Produkte gesucht werden. Die Mehrzahl der Klubs in den professionellen europäischen Ligen verfolgt daher eine Onlinemarketingstrategie, in deren Rahmen Apps für mobile Endgeräte und die Plattform Facebook durchgängig wichtige Bausteine bilden. Es liegt beispielsweise nahe, dass ein Facebook-Profil mit Millionen Fans eine nicht unwichtige Funktion für die Selbstdarstellung, das Image und Branding von Superstars wie zum Beispiel Cristiano Ronaldo besitzt.

Amateurfußball 2.0

Erstens haben sich Fußballblogs als dialogische Spielwiesen des Sportjournalismus etabliert. Ein gemeinsames Merkmal solcher Weblogs dürfte darin bestehen, dass sie gewisse institutionelle Beschränkungen des in Verlagen und Sender üblichen Journalismus (Corporate Journalism) – unter anderem dessen oft symbiotische Nähe zum Profifußball und seinen Protagonistinnen und Protagonisten – hinter sich lassen.

In der Fußballfangemeinde beliebt: Elbkick.TV (© imago/Claus Bergmann)

Das Internet erweist sich zweitens als nahezu ideale Plattform für den Amateurfußball, der zumindest mit bewegten Bildern in den Massenmedien sonst kaum vorkommt. Exemplarisch sei hier das Format Elbkick.TV und das selbstgewählte Motto "von Fußballern für Fußballer" – genannt: Auf Twitter und Facebook wird mittels Meldungen, Clips und Geschichten über die Höhepunkte des Hamburger Amateurfußballs berichtet.

In der Fußballfangemeinde rasch Verbreitung gefunden hat ferner die Videoplattform Externer Link: Hartplatzhelden: Zuschauerinnen oder Zuschauern mit Handy- oder Digitalkamera präsentieren gefilmte und hochgeladene Szenen aus den unteren Ligen. Dieser auf der Videopraxis des Publikums basierende Onlineauftritt war übrigens in einen jahrelangen Rechtsstreit mit dem Württembergischen Fußballverband um die Bildrechte an den vom Verband organisierten Fußballspielen verwickelt. Inzwischen liegt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor, nach der bewegte Bilder von Amateurspielen im Internet weiterhin frei veröffentlicht werden dürfen.

Transnationale Fußballöffentlichkeit

Die hier nur kurz skizzierten Fußballformate im World Wide Web tragen – pointiert formuliert – dazu bei, dass kaum noch ein Tor, kaum noch eine persönliche Geschichte oder spektakuläre Spielszene auf europäischen Bolzplätzen oder im Stadionrund übersehen wird. In gewisser Hinsicht präsentiert das Web den europäischen Fußball damit als einheitlichen Handlungsraum. Es verstärkt die schon vom Fernsehsport eingeleitete Entgrenzung der traditionell nationalen Sichtweise auf das Ballspiel und unterstützt die Ausbildung einer transnationalen Fußballöffentlichkeit. Derartige Tendenzen eines Wechselspiels von nationaler und europäischer Markenidentität, von kontinentalem Amateur- und Profifußball spiegeln gleichzeitig die ökonomischen Interessen eines längst transnational operierenden Medien-Sport-Komplexes.

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. vgl. Horky 2009, S. 300; Schwier 2002, S. 76 - 81

  2. vgl.: http://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-analyse-millionen-bayern-fans-1.290333

  3. vgl. Burk 2006; Burk/Schauerte 2007

  4. Externer Link: vgl. Deloitte 2016

  5. vgl. Penz 2010, S. 49

  6. Brand/Spitaler 2008, S. 39

  7. vgl. Schwier/Schauerte 2008, S. 118 - 123

  8. vgl. Stiehler 2003

  9. vgl. Horky 2009, S. 299

  10. vgl. Schwier/Schauerte 2008, S. 209 - 226

  11. vgl Wernecken 2001

  12. vgl. Gleich 2009

  13. vgl. Schütte 2006, S. 417 - 418

  14. vgl. Bertling 2009

  15. vgl. Becker 2009; Schwier/Schauerte 2008, S. 40 - 43

  16. http://www.coojooxi.com

  17. vgl. Mikos 2006

  18. vgl. Schwier 2012, S. 51

  19. vgl. Müller 2006

  20. vgl. Böhr 2012b

  21. vgl. Böhr 2012a

  22. vgl. Schwier/Fritsch 2009, S. 261

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Jürgen Schwier, war bis 2009 Professor für sozialwissenschaftliche Grundlagen des Sports an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Direktoriumsmitglied des dortigen Zentrums für Medien und Interaktivität. Seitdem ist er Professor für Sportwissenschaft an der Universität Flensburg sowie seit 2013 Vizepräsident für Studium und Lehre. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Sportkommunikation, Schulsportforschung, bewegungs- und sportbezogene Jugendforschung.