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Bis die Bänder reißen? Verletzungen im Profifußball und Möglichkeiten der Prävention

Thomas Henke

/ 7 Minuten zu lesen

Die Spielgeschwindigkeit sowie die Anzahl der Aktionen im Spiel erhöhen sich. Die physischen Anforderungen an die Spieler steigen. Aber der Körper des Spielers ist keine Maschine und die Verletzungsgefahren steigen. Was bedeutet das für das Training und was muss Prävention heute leisten?

Schädigungen der Sprung- und Kniegelenke sind die häufigsten im Fußball auftretenden Verletzungen. (© imago/Revierfoto)

Neben der sozialen Bedeutung des Fußballs im Allgemeinen sind gerade im Profibereich wirtschaftliche Faktoren dominierend. Die Gesamtumsätze sind allein in der 1. Bundesliga seit 1990 um das 20-Fache auf fast zwei Milliarden Euro angewachsen. So liegt es auf der Hand, dass die Gesundheit der Spieler seitens der Vereine eine hohe Priorität haben sollte. Titel können nicht gewonnen werden, wenn Leistungsträger über längere Zeit verletzungsbedingt fehlen. Darüber hinaus sind auch die ökonomischen Folgen von Verletzungen nicht zu unterschätzen. So fallen bei einem verletzungsbedingt nicht einsetzbarem Spieler Gehaltskosten von durchschnittlich gut 3.500 Euro pro Tag an. Der Bereich „Sicherheit im Sport“ an der Ruhr-Universität Bochum hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund e. V. (DFB) und der Deutschen Fußball Liga GmbH (DFL) sowie der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) als dem Unfallversicherer der deutschen Fußballprofis über mehrere Jahre die Verletzungen im Berufsfußball und deren Folgen genauer analysiert. Ziel ist es, über die Entwicklung von Präventivmaßnahmen und deren Implementierung in den Spiel- und Trainingsbetrieb eine Reduzierung von Häufigkeiten und Schwere der Verletzungen zu erreichen.

90.000.000

Pro Saison entstehende Kosten in Euro durch für Verletzungen im Profifußball.

3.500

Täglich zu zahlende durchschnittliche Gehaltskosten für verletzungsbedingt nicht einsetzbare Spieler in Euro

Körperliche Belastungs- und Beanspruchungsgrößen im Profifußball

Verletzungen im Profifußball sind in Typisierung und Zustandekommen eng verknüpft mit den spezifischen Anforderungen, die dort an die Spieler gestellt werden. So haben wir es mit einem komplexen Anforderungsprofil zu tun, welches sich aus hohen physiologischen/körperlichen, technischen und taktischen Anteilen zusammensetzt. Ein Grund hierfür ist zum Beispiel in der Spielanlage zu sehen, die sich im Laufe der Zeit geändert hat. Neue taktische Ausrichtungen und Spielphilosophien im modernen Profifußball stellen die Spieler vor erhebliche konditionelle Anforderungen und verlangen technische Fertigkeiten, die unter Gegner-, Zeit- und Situationsdruck präzise ausgeführt werden müssen. Auch tragen bessere athletische und konditionelle Fähigkeiten der Spieler dazu bei, dass die Spielgeschwindigkeit in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

Auch wenn die Nettospielzeit sich im Profibereich, respektive bei Weltmeisterschaften seit 1966, und auch im Ligabetrieb nicht wesentlich erhöht hat, so ist doch eine deutliche Zunahme der Intensitäten zu verzeichnen. So legen Profifußballer heutzutage im Durchschnitt pro Spiel eine Distanz zwischen zehn und zwölf Kilometern zurück, Spitzenwerte liegen bei über 14 Km. Mehr als doppelt so viel wie in den Anfangsjahren der Bundesliga. Darüber hinaus steigt neben der insgesamt zurückgelegten Distanz auch die Zahl an intensiven und hochintensiven Laufleistungen . Begründen lässt sich diese Entwicklung damit, dass sich die Aktionen auf dem Spielfeld immer häufiger in engen Räumen abspielen und pro Spiel auch vermehrt Sprints durchgeführt werden. In entscheidenden Spielsituationen dominieren schnelle Sprints zwischen 20 und 30 Metern sowie schnelle Richtungsänderungen.

Trainer Otto Rehhagel 1979 beim Fußballballett mit Hubert Schmitz (li.), daneben Thomas Allofs (alle Fortuna Düsseldorf). (© imago/Sven Simon)

In der Summe kommt jeder Spieler auf 1.000 bis 1.400 Kurzaktionen pro Spiel, wobei alle vier bis sechs Sekunden eine neue Aktion stattfindet. Das körperliche Beanspruchungsprofil ist im modernen Elitefußball von hoch intensiven Aktionen sowohl mit als auch ohne Ball geprägt. Der Wettkampfumfang beläuft sich auf rund 60 Spiele pro Saison, in denen Profifußballer im nationalen und internationalen Spitzenfußball aktiv sind. Diese hohen physischen Belastungen können in erster Linie durch ein optimales Regenerationsverhalten, und darüber hinaus durch ein adäquates Training der konditionellen Fähigkeiten Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Beweglichkeit und der koordinativen Fähigkeiten sowie der technischen Fertigkeiten kompensiert werden. Gerade durch die verbesserte Athletik der Spieler und dem Anstieg an schnellen, intensiven und meist multidirektionalen Aktionen in kurzer Zeit, gewinnen technische Fertigkeiten an Bedeutung. Daher ist eine ausgeprägte Bewegungsökonomie und-koordination Grundvoraussetzung, um den wechselnden Belastungen im Spiel verletzungsfrei gerecht zu werden .

Verletzungsformen und Verletzungshäufigkeiten im Profifußball

Aus Studien und Erhebungen, die vom Lehrstuhl für Sportmedizin der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit der VBG und den Spitzenverbänden im Fußball seit Anfang der 1990er-Jahre in regelmäßigen Abständen durchgeführt wurden und werden, ergibt sich für die 1. und 2. Bundesliga folgendes Bild (vgl. hierzu die Infografik zu Verletzungen im Profifußball):

  • Verletzungen der Oberschenkelmuskulatur sowie der Knie- und Sprunggelenke sind im Profifußball dominierend. In der Summe belaufen sich die Anteile auf 50 bis 60 Prozent.


  • Jeder Spieler im Berufsfußball erleidet pro Saison im Schnitt etwa zwei Verletzungen.


  • Vier von fünf Spielern erleiden zumindest eine Verletzung pro Saison.


  • Die Fußballprofis der drei höchsten Ligen kommen abzüglich einer sechswöchigen Wettkampf- und Trainingspause auf theoretisch circa 630.000 Arbeitstage. Durch Verletzungsfolgen fallen knapp 85.000 Tage hiervon weg. Umgerechnet auf einen Mannschaftskader bedeutet dies, dass 13,5 Prozent der Spieler permanent nicht einsetzbar sind.


  • Die Kosten für Verletzungen im Profifußball summieren sich, Behandlungskosten und Personalkosten zusammengefasst, auf etwa 90 Millionen Euro pro Saison. Der Gesamtumsatz der drei ersten Ligen beträgt circa zwei Milliarden Euro pro Saison.


  • Die Verletzungen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Beinregion, wobei die hohe Zahl an Knieverletzungen, vorwiegend Bandrupturen, auffällt. Die Folgen sind in der Regel eine Operation im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes, ambulante Nachbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und eine Arbeitsunfähigkeit, die im Mittelwert bei 50 Tagen liegt.


  • Das Risiko von Verletzungen ist in den ersten 15 Einsatzminuten etwas höher als in den übrigen Spielphasen.


  • Knieverletzungen sind über die gesamte Spieldauer hinweg mit gleicher Häufigkeit zu beobachten, sodass hier mutmaßlich weniger Ermüdungseffekte dominierend sind als vielmehr koordinative Probleme grundsätzlicher Art.


  • Häufig wirken keine Gegenspieler in der Spielsituation mit, die zur Knieverletzung führt. Weniger als 10% der Knieverletzungen ereignen sich im Rahmen eines Foulspiels durch den Gegenspieler.


  • Knieverletzungen sind mit Abstand die gravierendsten Verletzungen im Profifußball. Sie verursachen Kosten in Höhe von 33 Millionen Euro, also 37 Prozent der Gesamtkosten. Danach folgen mit 14 Millionen Euro Sprunggelenkverletzungen und mit zehn Millionen Euro Oberschenkelverletzungen.


  • Damit entfallen rund zwei Drittel der Verletzungskosten auf die funktionelle Kette „untere Extremität“.


  • Je offensiver die Position des verletzten Spielers ist, desto häufiger steht die Verletzung mit einem Foulspiel des Gegners in Verbindung. Der Anteil der Verletzungen ohne Foul beträgt auf allen Feldpositionen etwa 80 Prozent.


  • Vor diesem Hintergrund gibt es wichtige Hinweise darauf, mit welchen Präventivmaßnahmen vor allem das gravierende und existenzielle Problem der Knieverletzungen angegangen werden kann.

Möglichkeiten zur Prävention von Verletzungen

Prinzipiell kann man bei Präventivmaßnahmen zwischen vier größeren Feldern differenzieren:

  • Training und Regeneration

  • Konzeption und Organisation

  • Ausrüstung und Einrichtungen

  • Diagnostik und Versorgung

Wolfram Wuttke, 1. FC Kaiserslautern, 1990 beim Rumpftraining. (© imago/Ferdi Hartung)

Im Bereich Trainings und Regeneration erscheinen propriozeptive und koordinative Übungsinhalte neben spezifischem Krafttraining nach der aktuellen Literatur und den Erfahrungen das Mittel der Wahl zu sein. Insbesondere Trainingsprogramme mit einer Gewichtung von neuromuskulären und propriozeptiven Anteilen zur Vermeidung von Kreuzbandverletzungen haben in verschiedenen Studien eine signifikante Effektivität zur Reduzierung der Verletzungshäufigkeit gezeigt. .

Darüber hinaus wird im Fußball das Training der Rumpfkraft, der Sprungkraft sowie der Kraft der Beinbeuger oft vernachlässigt. Gerade die Stabilisation des Rumpfes ist aber wichtig für die Kraftübertragung bzw. als Widerlager während der Flugphase, um im Lauf oder Sprung koordiniert und effektiv agieren und den Ball spielen zu können. Die angesprochenen Maßnahmen werden jedoch nur dann Akzeptanz im Profibereich finden, wenn sie zum einen fußballspezifisch auf den Profibereich adaptiert werden und zum anderen vermittelt werden kann, dass es sich nicht um ausschließlich präventive, sondern vorwiegend um leistungserhaltende und leistungsverbessernde Trainingsformen handelt. Verletzungen der Leistengegend unter Beteiligung der Adduktoren sind die häufigste Art von Leistenverletzungen im Fußball. Es finden sich Hinweise auf ein erhöhtes Risiko bei Spielern, deren Hüft-Adduktoren Kraftdefizite aufweisen. Exzentrisches Krafttraining der Hüft-Adduktoren mit Therabändern kann hier eventuelle Defizite beseitigen .

Daneben sind Aufwärmen und Mobilisieren über mehrere Minuten unverzichtbare Bestandteile der Vorbereitung auf Training und Wettkampf. Dabei geht es nicht nur um die Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems, sondern auch darum, die Belastungstoleranz von Muskeln, Sehnen und Bändern zu erhöhen.

Im Bereich Konzeption und Organisation ist eine kontinuierliche Schulung von Schiedsrichter und Offiziellen wünschenswert. Fair-Play und Respect Kampagnen werden vermutlich kaum zu einer direkten Senkung von Verletzungshäufigkeiten führen, können aber helfen, ein Problembewusstsein zu entwickeln. Wichtiger wäre hier die Einführung einer Verletzungs- und Belastungsdokumentation für die jeweiligen Teams, um individuelle Defizite der Spieler frühzeitig erkennen und mit Blick auf die Verletzungsprävention angehen zu können.

Verletzt auf der Bank: Willi Koslowski vom FC Schalke 04 (© imago/Metelmann)

Im Bereich der medizinischen Betreuung sind Leitlinien zu beachten, die eine Reintegration verletzter Spieler in den Wettkampfbetrieb regeln. Dies ist insbesondere nach Knieverletzungen zu beachten, da auch hier eine Vorverletzung als ein entscheidender Risikofaktor für eine Rezidiv- oder Folgeverletzung zu nennen ist. So wird z.B. bei Kreuzbandrissen eine Ausfallzeit von ca. 6 Monaten genannt. Tatsächlich sind aber je nach Schädigung der beteiligten Strukturen Heilungsprozesse erst nach 12 bis 24 Monaten abgeschlossen. .

Im Falle der zunehmend häufiger berichteten Problematiken, die mit Kopfverletzungen und wiederholten, auch leichteren Gehirnerschütterungen einher gehen, gibt es seit mehreren Jahren international abgestimmte Leitlinien zur Erfassung des Schweregrades von Gehirnerschütterungen bzw. zur Rückkehr verletzter Spieler in den Spielbetrieb . Gerade mit Blick auf die Spätschäden durch wiederholte Kopfverletzungen ist eine konsequente Umsetzung und Beachtung im Profifußball erforderlich.

Grafik: Verletzungen im Profifussball

Klicken Sie auf die Grafik, um das PDF zu öffnen (Interner Link: Grafik zum Download 822 KB) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Ludwig 2011

  2. Bisanz/Gerisch 2008; Broich 2009; Walther 2010

  3. Bradley 2009

  4. Walther 2010

  5. Stølen 2005

  6. Dellal 2010

  7. Kindermann 2006

  8. Renström 2012

  9. Jensen 2012

  10. Renström 2012

  11. McCrory 2009

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Dr. Thomas Henke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung der Ruhr-Universität Bochum. Er leitet den Arbeitsbereich Sportunfallforschung und -prävention. Einer der Arbeitsschwerpunkte von Thomas Henke ist die Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen zur Sportunfallprävention. Thomas Henke ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit im Sport (ASiS).