In der politischen und wissenschaftlichen Debatte über die zukünftige Ausgestaltung der Alterssicherung hat die Auffassung einen festen Platz, die umlagefinanzierte Rentenversicherung sei nicht nachhaltig und müsse durch eine kapitalfundierte Finanzierungsregelung, wenn nicht ersetzt, dann doch ergänzt werden:
Zum einen geht es darum, die zweite und dritte Säule/Ebene der Alterssicherung auszubauen. Denn sowohl die betriebliche als auch die private Altersvorsorge sind durch einen Kapitalstock fundiert. Die späteren Altersleistungen aus diesen Systemen hängen insofern nicht nur von der Höhe und Dauer der Einzahlungen, sondern zugleich von der Entwicklung auf den Finanz- und Kapitalmärkten ab. Mit Ausbau ist gemeint, mehr als derzeit vier Prozent des Bruttoeinkommens dafür zu verwenden (verbunden mit einer Reduktion der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung) und zugleich den Kreis der anspruchsberechtigten Bevölkerung zu erweitern. Im Ergebnis bedeutet dies, die private und/oder die betriebliche Altersvorsorge obligatorisch auszugestalten, finanziert allein durch die Beschäftigten, ohne die paritätische Beteiligung der Arbeitgeber. Und durch die Ermöglichung von weltweiten Investitionen in Aktien bzw. Fonds wie auch durch den Verzicht auf Garantiezusagen sollen, basierend auf Standard- oder Basisprodukten, dauerhaft hohe Renditen erzielt werden.
Zum anderen wird darauf abgestellt, in das System der gesetzlichen Rentenversicherung eine Kapitalfundierung einzubauen. Der von der FDP eingebrachte Vorschlag einer sog. Aktienrente
Einsatz von zwei Prozentpunkten des aktuellen paritätisch finanzierten Beitragssatzes von 18,6 Prozent für den Aufbau der Aktienrente, Einbeziehung aller Pflichtversicherten im organisatorischen Rahmen der GRV;
Anlage dieses Beitragssatzanteils in Aktien; Verbuchung auf individuellen Vorsorgekonten, unabhängig vom Haushalt der Rentenversicherung;
Verrentung der verzinsten Sparsumme beim Erreichen der Altersgrenze;
Reduzierung des Beitragssatzes für die umlagefinanzierte Rente auf aktuell 16,6 Prozent; Überbrückung der GRV-Einnahmendefizite durch kreditfinanzierte Bundeszuschüsse
Dreh- und Angelpunkt der Vorstellungen ist die Annahme, dass durch Anlage auf den Aktienmärkten eine dauerhaft hohe Rendite (so 6,5 Prozent) erreicht werden kann. Das ist – wie schon oben analysiert – zweifelhaft und mit Risiken beladen. Es handelt sich um Steigerungsraten, die höher liegen als die Zuwachsraten des BIP, des Volkseinkommens und der Löhne, die ja die Finanzierungsbasis des Umlageverfahrens bilden. Und die Risiken vergrößern sich, wenn jährlich zwei Prozent der Bruttolöhne in Fonds investiert werden. Allein für Deutschland würde dies im Jahr 2023 einem Zufluss von etwa 30 Milliarden Euro entsprechen, der im Zuge steigender versicherungspflichtiger Arbeitsentgelte immer größer wird. Nach dem Modell würde im Jahr 2080 das Anlagevolumen dann rund 60 Prozent des BIP ausmachen.
Über Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß dieser Risiken mag gestritten werden. Evident ist indes: In einer Aktienrente wie in allen anderen kapitalbasierten Vorsorgeformen haben Solidarelemente, die für die Umlagerente typisch sind, keinen Platz. Es gibt keine Zurechnungszeiten, Anrechnungszeiten, Kinderberücksichtigungszeiten oder Grundrentenzuschläge. Es zählen allein die verzinsten, unmittelbar von der Lohnhöhe abhängigen Beitragszuflüsse. Ausgezahlt werden auch nur Altersrenten, abgesichert wird ausschließlich das sogenannte biografische Risiko. Leistungen wie Erwerbsminderungsrenten und die Hinterbliebenenversorgung finden sich nicht. Ungeklärt bleibt auch, ob nach der Verrentung der Anlagesumme eine Anpassung der Zahlbeträge an die gesamtwirtschaftliche Preis- und Einkommensentwicklung (Dynamik) erfolgt.
Von den Erträgen einer Aktienrente können ausschließlich jene profitieren, die eingezahlt haben. Und da es auf die Ansparzeit ankommt, erfolgt ein Ausgleich des sinkenden Leistungsniveaus der Umlagerente nur sehr langfristig. Leidtragende sind vor allem die Rentner:innen, die bereits eine Rente erhalten oder kurz vor dem Altersübergang stehen. Sie haben die Folgen eines sinkenden Rentenniveaus zu tragen und erwerben keine Ansprüche aus einer Aktienrente.
Durch die Abzweigung von 2 Prozent der Beitragseinnahmen würde die Rentenversicherung unmittelbar in ein Finanzierungsdefizit geraten. Zwar sollen die massiven Einnahmelücken durch höhere Bundeszuschüsse ausgeglichen werden, so dass die Rentenversicherung überhaupt zahlungsfähig ist. Damit eine solche Erhöhung der Bundeszuschüsse weit über diese bisherigen Bundeszuschüsse hinaus gelingt, ist eine erhebliche Neuverschuldung des Bundes unumgänglich – dies in einer Zeit, in der die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert ist. Wenn die zusätzlichen kreditfinanzierten Bundeszuschüsse nicht gezahlt werden oder sehr viel geringer ausfallen, wächst die Notwendigkeit, die Ausgaben der Rentenversicherung durch erweiterte Leistungskürzungen noch weiter zu reduzieren.
Generationenkapital
Ein derart radikaler Umbau der Rentenversicherung ist wegen der skizzierten tiefgreifenden sozialen wie auch fiskalischen Folgewirkungen, aber auch aufgrund der politischen Mehrheiten nicht in Sicht. Jedoch: In der Koalitionsvereinbarung der Ampel-Regierung wird der Aufbau eines durch den Bund finanzierten Kapitalstocks (genannt Generationenkapital) angekündigt, dessen Erträge der Rentenversicherung zufließen und die die Beitragseinnahmen wie auch die Bundeszuschüsse ergänzen sollen. Die Gelder sind kreditfinanziert und sollen in einem Fonds (neben der Rentenversicherung) angelegt werden. Die Einlagen starten mit zwölf Milliarden Euro, die bis 2035 kontinuierlich steigen sollen. Durch einen „Trick“ wird die Schuldenbremse davon nicht berührt. Denn formal gesehen würde der Fonds vom Bund ein Darlehen erhalten und dafür statt Zinsen eine Ausschüttung für die Finanzierung der Rente leisten.
Das rechnet sich allerdings nur, wenn die Erträgnisse aus dem Fonds höher sind als die zu zahlenden Zinsen. Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt offen. Und ob die Erträgnisse wirklich ausreichen, um die Beitragssatzsteigerung zu dämpfen, bleibt ebenfalls offen. Ein Prozentpunkt Veränderung des Beitragssatzes macht immerhin rund 18 Mrd. Euro aus (2023). So heißt es deshalb in dem Gutachten des Sozialbeirats, der Fonds müsste "ein Volumen in hoher dreistelliger Milliardenhöhe haben, um mit seinen Erträgen den Beitragssatz zur Rentenversicherung dauerhaft auch nur um einen Beitragssatzpunkt senken zu können. Das zeigt, dass der diskutierte Ansatz eines kreditfinanzierten Fonds zur Rentenversicherung selbst bei hohem Fondsvolumen nur begrenzt den Beitragssatz dämpfen kann."