Erfahrungen aus der Krise 2008/2009
Der Ausbau der kapitalbasierten privaten und betrieblichen Altersvorsorge im Rahmen der Riester-Reform erfolgte in Deutschland in einer spezifischen historischen Situation: Infolge der Deregulierung der internationalen wie nationalen Finanz- und Kapitalmärkte herrschte in den Jahren vor und nach der Jahrtausendwende ein ausgeprägter Boom auf den Aktien- und Kapitalmärkten. Die Vorstellung, hieran auch mit der Alterssicherung zu profitieren, beherrschte die politische und mediale Diskussion. Anstatt bei den mageren Zuwächsen bei der gesetzlichen Rente zu verharren, sollten durch die private Altersvorsorge dauerhaft hohe Renditen erzielt werden. Es galt gleichsam als selbstverständlich von jahresdurchschnittlichen Renditen in Höhe von bis zu 7 Prozent auszugehen.
Schon das Zerplatzen der "Dot.Com" Blase in den Jahren 2001/2002 und vor allem die seit 2008/2009 andauernde Finanzkrise hat die Risikobehaftetheit kapitalmarktabhängiger Alterssicherung deutlich gemacht. Eine mehr oder weniger vollständige Umstellung wird seither von niemandem mehr gefordert. Anlass sind die riesigen Verluste, die die kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme durch diese Krise erlitten haben. Für ihre Mitgliedsländer schätzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development / OECD) den Verlust 2008 auf ungefähr ein Viertel des akkumulierten Vermögens bzw. 5,4 Billionen US-Dollar.
"Der Verlust war in den USA mit rund 26 Prozent noch höher. Dort müssen alle über 45-Jährigen nach OECD-Berechnungen mit Einbußen in ihren privaten Pensionsplänen zwischen 17 und 25 Prozent rechnen. In Irland war mit über 37 Prozent der Verlust am höchsten".
"Auch wenn in kaptalgedeckten Systemen nach einigen Jahren diese Verluste durch wieder steigende Kurse wettgemacht würden – was nicht sicher ist – gehen dennoch kurzfristig erst einmal starke konjunkturdestabilisierende Wirkungen von ihnen aus"
Ob angesichts kürzer getakteter und international verbundener finanzmarktinduzierter Krisen(gefahren) die gängige Vorstellung von stärkeren Wachstumsimpulsen kapitalgedeckter Alterssicherungssysteme überhaupt noch erhalten werden kann, muss sich einerseits also erst erweisen.
Andererseits ist festzuhalten, dass umlagefinanzierte Systeme eine verstetigende Wirkung auf die private Nachfrage ausüben. Denn die Rentenanpassung orientiert sich an der Lohnentwicklung im vorangegangenen Jahr und fällt damit in aller Regel höher aus als die Lohnentwicklung im laufenden Jahr. Das trägt dazu bei, den Konjunkturverlauf zu glätten. Die Ökonomen sprechen von einem automatischen Stabilisator.
Die Erfahrungen auf den Kapital- und Aktienmärkten zeigen, dass fallende Kurse durch steigende Kurse wieder ausgeglichen werden können. Das mindert die Risiken für jene Personen, die noch nicht zu den rentennahen Jahrgängen gehören. Denn diese können warten und einen vorübergehenden Kursrückgang „aussitzen“. Steht die Rentenauszahlung aber unmittelbar bevor, müssen die Verluste realisiert werden.
Probleme durch die Niedrigzinsphase
Ein besonderes Problem für die kapitalmarktabhängigen Alterssicherungssysteme – und zwar sowohl für die Lebensversicherungen als auch für die betrieblichen Pensionskassen und -fonds – stellen die dauerhaft niedrigen Zinsen dar, die infolge der Notenbankpolitik in nahezu allen Ländern das Marktgeschehen für die Jahre bis 2022 bestimmt haben. Zur Abbremsung der hohen Inflation steigen die (Leit)zinsen seitdem wieder, aber der reale (d.h. preisbereinigte) Zins liegt immer noch sehr niedrig.
Neue öffentliche Anleihen, in denen die Lebensversicherungen ihre Kapitalbestände bevorzugt (aus Sicherheitsgründen) anlegen, weisen insofern immer noch nur äußerst geringe Realzinsen und Renditen auf und tendieren (bei kurzfristigen Papieren) teilweise gegen Null.
Renditen von 4 Prozent und mehr waren und sind nicht zu erzielen. Zudem drücken die insbesondere bei Einzelverträgen hohen Abschluss- und Aquisitionskosten die Renditen weiter nach unten (zu den niedrigen Erträgnissen der Riester-Rente vgl.
Davon betroffen sind Riester-Verträge wie auch jene Betriebsrenten (basierend auf Pensionsfonds, Pensionskassen, Direktversicherungen), bei denen kein fester Rentenbetrag mehr zugesagt wird (Leistungszusage), sondern nur noch eine Beitragszusage mit entsprechend variablen Auszahlungen, bei denen also das Finanzmarktrisiko allein von den Beschäftigten getragen wird (vgl.
Die Abbildung "Nettoverzinsung, Garantiezins und Inflationsrate 1995-2022" verdeutlicht die Zangenbewegung von sinkenden Zinsen einerseits und der Preisentwicklung andererseits. Bei der Nettoverzinsung handelt es sich um den durchschnittlichen Zinssatz, den die Anlagen der Lebensversicherungen abwerfen.
Ausblick
Die Forderungen nach einer vollständigen Umstellung der Alterssicherung vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren sind aktuell weitgehend verstummt. Zu groß sind die genannten Risiken. Eine vollständige Umstellung würde zudem zu massiven Finanzbelastungen führen. Denn die aktive Generation müsste eine Doppelbelastung tragen: Aufbau eines Kapitalstocks und gleichzeitig Beitragszahlungen für die Finanzierung der laufenden Renten, auf die ja ein Rechtsanspruch besteht. Wenn die zusätzliche Belastung zu einer Verminderung der Konsumausgaben führt, dann besteht zugleich die Gefahr, dass die Inlandsnachfrage geschwächt wird – mit negativen Rückwirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsentwicklung.
Die Überlegung ist also im Prinzip durchaus plausibel, dass eine Mischung von umlagebasierten und kapitalmarktfundierten Sicherungssystemen die Risiken beider Varianten ein Stück weit gegenseitig ausgleichen kann. Die Kombination der drei Schichten bzw. Säulen der Alterssicherung in Deutschland entspricht auch diesem Gedanken. Wo aber ein optimaler Punkt der Mischung liegt, ist unbekannt.