Mit der Einführung fester Altersgrenzen wurde in modernen Gesellschaften eine Norm geschaffen, die die Biographien von ganzen Generationen in die Phasen von Arbeit und Ruhestand trennte, die Planung und das Verhalten von Individuen, Unternehmen und Familien prägte.
Altersgrenze
Der durch das Alterssicherungssystem gewährte Rentenanspruch, ab einer bestimmten Altersgrenze eine Rente beziehen zu können, bedeutet zugleich, nicht mehr bis ins höchste Alter hinein arbeiten zu müssen.
Die Altersgrenze ist insofern eine zentrale Orientierungsgröße für die Lebensplanung der Beschäftigten und somit fester Bestandteil der Arbeitnehmer-Normalitätserwartung.
Quelle: Bäcker u. a. (2010), S. 365.
Bei dieser im öffentlichen Bewusstsein meist positiven Bewertung einer fixen Regelaltersgrenze als Bezugspunkt, ab dem der Arbeitsangebotszwang für Ältere aufgehoben wird, ist auch zu bedenken, dass die ursprüngliche Festlegung dieser Altersgrenze auf 70 Jahre im "Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung" von 1889 mehr ein verwaltungstechnisches Abfallprodukt als eine intendierte sozialpolitische Wohltat war: "In einem Alter, in dem quasi jeder Arbeiter als erwerbsunfähig gelten konnte, sollte das Institut der Altersrente den zeitraubenden und aufwändigen Nachweis der Erwerbsunfähigkeit ersparen".
Den Charakter einer sozialpolitischen Errungenschaft erhielt die Installierung einer Regelaltersgrenze formal mit ihrer Absenkung auch für Arbeiter:innen auf 65 Jahre im Jahr 1916 und faktisch erst dadurch, dass die Altersrente mehr als nur ein Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter wurde und das Ziel der Armutsvermeidung, ja der Lebensstandardsicherung relevant wurde (v. a. durch die große Rentenreform 1957).
Seither, insbesondere im Kontext der arbeitsmarktinduzierten Frühverrentungspolitiken, v. a. aber mit der Wiederanhebung der Regelaltersgrenze durch die "Rente mit 67" findet eine permanente, hochgradig verästelte Diskussion über eine Flexibilisierung der Altersgrenzen statt. Gegenstand dieser Debatten sind im Inhalt wie in der Intention so verschiedene Dinge wie z.B. die Frage nach einer altersdiskriminierenden Wirkung der Regelaltersgrenze bzw. einiger berufs-/tätigkeitsspezifischer Sonderaltersgrenzen (z.B. bei Piloten).
In den letzten beiden Jahrzehnten wurden mit der Abkehr von der Frühverrentungspolitik Möglichkeiten eines frühzeitigen Austritts eingeschränkt. Mit dem Rentenreformgesetz 1992 wurden schließlich versicherungsmathematisch kalkulierte Abschläge bei vorzeitigem Renteneintritt eingeführt, die die längere Zahlung einer Rente durch eine Reduzierung von deren Höhe für die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) statistisch aufkommensneutral ausgleichen.
Die Tabelle zeigt die nach Einführung der Rente mit 67 noch möglichen vorzeitigen Renteneintrittswege, die in der Summe durchaus auch weiterhin ein nicht unerhebliches Potenzial an Ausnahmen von der künftigen starreren Regelaltersgrenze darstellen. Allerdings sind alle genannten vorzeitigen Renteneintrittswege außer der neu geschaffenen Rente für besonders langjährig Versicherte (45 Jahre, ab 65. Lebensjahr bzw. ab 63. Lebensjahr) bei vorzeitigem Renteneintritt mit Abschlägen bewehrt (0,3 Prozent pro Monat), also 7,2 Prozent pro zwei Jahre.
Altersgrenzen nach Abschluss der stufenweisen Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre
Rentenarten | Altersgrenzen |
---|---|
Regelaltersrente | Schrittweise Anhebung auf 67 Jahre |
Altersrente für besonders langjährige Versicherte mit 45 Pflichtbeitragsjahren | abschlagsfrei mit 65 Jahren |
Altersrente für besonders langjährige Versicherte mit 45 Pflichtbeitragsjahren | abschlagsfrei mit 63 Jahren (geboren vor 1953), schrittweise Anhebung auf 65 Jahre; 2024: 64 Jahre |
Altersrente für langjährig Versicherte mit 35 Versicherungsjahren | mit Abschlag mit 63 Jahren |
Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit 35 Versicherungsjahren | mit Abschlag: schrittweise Anhebung auf 62 Jahre abschlagsfrei schrittweise Anhebung auf 65 Jahre |
Der Stellenwert der unterschiedlichen Rentenarten (Regelaltersrente und vorgezogene Altersrenten) spiegelt sich in den Daten zum Zugang von Versichertenrenten nach Rentenarten wider (vgl. Abbildungen "Rentenzugänge nach Rentenarten in Anteilen 1995-2022 Männer und Frauen").