Erwerbsaustritt und Renteneintritt
Altersgrenzen, Alterserwerbstätigkeit
Gerhard BäckerErnst Kistler
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Das Renteneintrittsalter ist meist nicht identisch mit dem Erwerbsaustrittsalter. Zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt weisen sehr viele Versicherte Zwischenphasen auf, so z.B. Arbeitslosigkeit, Bezug der Grundsicherung oder der Rückzug aus dem Erwerbsleben. Nur ein Teil der Versicherten wechselt aus einer regulären Beschäftigung bruchlos in die Rente.
Der Berentungsprozess ist individuell ganz unterschiedlich. Das ergibt sich aus Untersuchungen, die für verschiedene Fallgruppen die letzte Beitragszahlung und die erste Rentenzahlung zum Gegenstand haben.
Das durchschnittliche Zugangsalter bei den Altersrenten hat sich seit der Jahrtausendwende merklich erhöht: von 62 Jahren auf 64,4 Jahre (Männer wie Frauen) (vgl. Abbildung "Durchschnittliches Zugangsalter in Altersrenten 1993 − 2022").
Hingegen liegt das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter − differenziert nach einzelnen Personengruppen – immer noch deutlich niedriger.
Dies verdeutlicht die Abbildung "Status vor Rentenbezug – Altersrentenzugänge 2021". Gezeigt wird, aus welchem Status die neuen Altersrentnerinnen und -rentner 2021 in West- und Ostdeutschland in den Rentenbezug jeweils wechselten. Es wird deutlich, dass nur ein Teil der Altersrenten unmittelbar aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung heraus beginnt. Die anderen Neurentner:innen wechselten aus Arbeitslosigkeit, Altersteilzeit, einem anderen aktiven Versicherungsverhältnis oder aus einem passiven Versicherungsverhältnis in den Bezug einer Altersrente.
Solche passiven Versicherungsverhältnisse sind vor allem solche von Hausfrauen mit früher erworbenen Rentenansprüchen (auch Personen die sich ohne Leistungsanspruch aus einer Arbeitslosigkeit abgemeldet haben) und früher gesetzlich Rentenversicherten, die während ihres Arbeitslebens z. B. in ein Beamtenverhältnis oder in die Selbstständigkeit wechselten. Passiv Versicherte beginnen ihre Rente normalerweise erst mit der Regelaltersgrenze oder – in der Regel verbunden mit Abschlägen – mit der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente.
Bei genauerer Analyse zeigt sich, dass ein "glatter" Altersübergang (Rentenzugang direkt aus der Erwerbstätigkeit) in Altersrenten vor allem denjenigen zuvor aktiv Versicherten gelingt, die zumindest die letzten 3 Jahre vor dem Rentenbeginn stabil in Beschäftigung waren und nicht nur kurz vorher. Die Chancen eines bruchlosen Altersübergangs hängen dabei entscheidend von den Berufen/Tätigkeiten, Qualifikationen, Branchen sowie dem Gesundheitszustand ab. Je besser der sozioökonomische Status, umso eher gelingt ein später Renteneintritt aus stabiler Beschäftigung heraus.
Hingegen müssen vor allem jene älteren Beschäftigten die noch verbliebenen Möglichkeiten eines Renteneintritts vor der Regelaltersgrenze in Anspruch nehmen, die nach (langer) Arbeitslosigkeit im rentennahen Alter vergeblich nach einer Neuanstellung suchen und/oder aufgrund von physischen und/oder psychischen Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, in ihrem erlernten Beruf oder ihrer ausgeübten Erwerbstätigkeit bis zum Erreichen der abschlagsfreien Regelaltersgrenze weiterzuarbeiten. Im Ergebnis wird damit die soziale Polarisierung des Alters vertieft. Während die qualifizierten Beschäftigten mit einem in der Regel besseren Gesundheitszustand und leichteren Arbeitsbedingungen länger arbeiten können und werden, auch weil die Unternehmen angesichts des Fachkräftebedarfs daran ein wachsendes Interesse haben, sind die Beschäftigten im unteren Qualifikationsbereich sowohl hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes als auch der belastenden Arbeitsbedingungen dazu häufig nicht in der Lage.
Da die erstgenannte Gruppe über ein höheres Einkommen verfügt und in der Rentenversicherung wie in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge vergleichsweise gut abgesichert ist, wären hier Abschläge finanziell noch am leichtesten verkraftbar. Tatsächlich müssen die Abschläge aber überwiegend von jenen in Kauf genommen werden, denen eine Weiterarbeit bis zum Alter von 65 oder gar bis 67 Jahren kaum möglich ist, die aber nur über niedrige Renten verfügen und auch nicht oder nur sehr begrenzt auf ergänzende Leistungen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge zurückgreifen können.
Allerdings lässt sich auch beobachten, dass im Zeitverlauf der Anteil der Altersrentenzugänge aus zuvor versicherungspflichtiger Beschäftigung erheblich zugenommen hat: Bei den Männern waren es 2008 noch 17,6 Prozent, hingegen 2021 schon 46,17 Prozent; bei den Frauen waren es 17,3 Prozent im Jahr 2008 gegenüber 45,3 Prozent im Jahr 2021 (vgl. Abbildungen "Status vor Altersrentenbezug: Zugänge 2000 − 2021 für Männer und für Frauen").
Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.
Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.