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Erwerbstätigkeit im Alter | Rentenpolitik | bpb.de

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Erwerbstätigkeit im Alter Altersgrenzen, Alterserwerbstätigkeit

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

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Zentrales Ziel der Anhebung der Altersgrenzen ist es, dass die Altersrenten später bezogen werden und die Rentenlaufzeit entsprechend verkürzt wird. Aber diese Veränderung im Rentenrecht bedeutet noch keineswegs, dass alle Versicherten auch tatsächlich länger arbeiten, also länger in ihrem Beruf und Betrieb bleiben.

Eine medizinische Fachangestellte bereitet einen Patienten fürs Röntgen des Gebisses vor. Seit dem Jahr 2001 steigt die Erwerbsbeteiligung in den Altersgruppen zwischen 55 und 65 Jahren kontinuierlich an. (© picture-alliance, imageBROKER)

Bis etwa zur Jahrtausendgrenze ist die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland gesunken. Die Politik der Frühverrentung und Frühausgliederung hatte wesentlich dazu beigetragen. Doch seitdem zeigt sich ein umgekehrter Trend. In allen Altersgruppen zwischen 55 und 65 Jahren steigt die Erwerbsbeteiligung kräftig und kontinuierlich an: von 37,8 Prozent (2001) auf 73,4 Prozent (2022). Die weitgehende Abschaffung der vorgezogenen Altersgrenzen und die Anhebung der Regelaltersgrenze machen sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Das veränderte Verhalten in Richtung eines längeren Verbleibs im Erwerbsleben ist unübersehbar. Hingegen lässt die Abbildung "Erwerbstätigenquoten nach Altersgruppen" erkennen, dass im Verlauf zwischen 1991 und 2022 die Erwerbsbeteiligung in den unteren und mittleren Altersgruppen weitgehend unverändert geblieben ist.

Differenziert man im Zeitraum 2007 bis 2022 die Erwerbstätigenquote der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen nach den einzelnen Altersjahren (Abbildung "Erwerbstätigenquoten Älterer nach Altersjahren") zeigt die Analyse der Daten, dass sich auch die Erwerbsbeteiligung in den oberen, an die Altersgrenzen heranreichenden Altersjahren im Zeitverlauf erhöht hat. Doch deutlich wird auch, dass die Erwerbsbeteiligung ab Erreichen des 60. Lebensjahres kontinuierlich sinkt: Sie reduziert sich von 72,9 Prozent (60 bis 61 Jahre) auf 38,1 Prozent (64 bis 65 Jahre). Immer noch ist also die überwiegende Mehrzahl der Menschen im rentennahen Alter bzw. im Alter der Regelaltersgrenze nicht mehr erwerbstätig.

Bei einer Differenzierung der Erwerbsbeteiligung nach Geschlecht (vgl. Abbildungen "Erwerbstätigenquoten älterer Männer und älterer Frauen nach Altersjahren 2007 − 2022") fällt über alle Altersgruppen hinweg der Unterschied zwischen Männern und Frauen auf. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Erwerbstätigenquoten einander angenähert haben. Das gilt auch für die oberen Altersgruppen zwischen 55 und 65 Jahren, in denen die Erwerbsbeteiligung der Frauen noch deutlicher als die der Männer angestiegen ist. Dieser Trend ist Ausdruck der generell ansteigenden Erwerbstätigkeit von Frauen. Die ins mittlere und höhere Erwerbsalter nachrückenden Frauenjahrgänge weisen eine höhere Erwerbsbeteiligung als ihre Vorgängerkohorten auf.

Es ist jedoch zu kurz gegriffen, die gegenwärtige Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt allein mit dem Merkmal "Erwerbstätigkeit" beschreiben zu wollen. Denn in den auf den Ergebnissen des Mikrozensus beruhenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes wird nach dem sog. ILO-Konzept unter "Erwerbstätigkeit" jede Form der Erwerbsbeteiligung verstanden. Erwerbstätige sind danach alle Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die in der Berichtswoche zumindest eine Stunde gegen Entgelt oder als Selbstständige bzw. als mithelfende Familienangehörige gearbeitet haben. Keine Rolle spielt dabei, ob es sich bei der Tätigkeit um eine versicherungspflichtige oder eine versicherungsfreie Beschäftigung handelt. Erfasst werden auch gelegentlich ausgeübte, eher marginale Tätigkeiten. Aus der ILO-Definition der Erwerbstätigkeit folgt also, dass neben Selbstständigen und Beamten auch abhängig Beschäftigte mit einer Beschäftigung im untersten Stundenspektrum und im Status eines Mini-Jobs (geringfügige Beschäftigung) zu den Erwerbstätigen zählen.

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Ältere 2000 – 2022 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Konzentriert man sich deshalb auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, (vgl. Abbildung "Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 55 − 60 Jahre und 60 − 65 Jahre, 2002 − 2022"), so ist unübersehbar, dass die Beschäftigungszahlen und -quoten (Sozialversicherungspflichtige) im Vergleich zur Erwerbstätigkeit allgemein deutlich niedriger ausfallen: So sind in der Altersgruppe 60 − 65 Jahren 2022 etwa 3 Millionen Personen versicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht einer Beschäftigtenquote von 50,2 Prozent.

Auch hier handelt es sich wiederum nur um Durchschnittswerte für die gesamte Altersgruppe; in den Altersgruppen 63 und 64 Jahre, die in der Nähe der Regelaltersgrenze liegen, reduziert sich die versicherungspflichtige Beschäftigung noch weiter. Beispielhaft für diese Entwicklung stehen Befunde aus dem Jahr 2022: Nur noch 804.845 Arbeitnehmer:innen lassen sich in diesen beiden Altersgruppen zählen, davon zu 34,4 Prozent Teilzeitbeschäftigte. Die Vollzeitbeschäftigungsquote sinkt auf 29,1 Prozent (63 Jahre) und 15,7 Prozent (64 Jahre).

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im rentennahen Alter 2022 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Ein großer Teil der Arbeitnehmer:innen arbeitet demnach nicht bis zur heraufgesetzten Regelaltersgrenze bzw. kann dies nicht und scheidet vorzeitig aus dem Arbeitsleben aus − sei es durch das Abdrängen in (Langzeit)Arbeitslosigkeit und/oder durch die Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente mit 63 Jahren bzw. 65 Jahren oder durch den Bezug einer Erwerbsminderungsrente.

Von einer problemfreien Umsetzung der Anhebung der Regelaltersgrenze kann danach erst dann ausgegangen werden, wenn für die überwiegende Mehrzahl der Versicherten der Übergang in den Rentenbezug aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung heraus erfolgt und wenn es sich dabei um ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mit einem Einkommen oberhalb der Niedriglohnschwelle handelt. Nur so lassen sich weitere nennenswerte Rentenanwartschaften erwerben. Das heißt jedoch nicht, dass eine Beschäftigungsquote von nahezu 100 Prozent erreicht werden muss oder kann. Denn ein Teil der Bevölkerung in diesem Alter zählt nicht mehr zum Erwerbspersonenpotenzial (so z.B. die nicht-erwerbstätigen Ehefrauen oder die frühzeitig Erwerbsgeminderten bzw. die Kranken) oder ist selbstständig oder als Beamte tätig. Als Zielgröße kann deshalb eine Beschäftigungsquote von etwa 60 Prozent dienen, die derzeit in der Altersgruppe der 50- bis unter 55-Jährigen erreicht wird.

Die Befunde zeigen, dass hinsichtlich der Heraufsetzung der Altersgrenzen gefragt werden muss, ob:

  • erstens für diejenigen, die durch die Erhöhung des Regelrentenalters werden länger arbeiten müssen / sollen, auch genügend – und sozialstaatlichen Anforderungen genügende – Arbeitsplätze zur Verfügung stehen,

  • zweitens die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter den Bedingungen ihrer physischen und psychischen Konstitution auch in der Lage sind, über das 65. Lebensjahr hinaus zu arbeiten.

Trifft indes diese Annahme einer weitgehenden Identität von Renteneintritts- und Berufsaustrittsalter nicht zu, dann kann eine Anhebung der Regelaltersgrenze, die nicht von einer entsprechenden Verlängerung der Erwerbstätigkeit begleitet wird, für einen Teil der Beschäftigten zu arbeitsmarktpolitischen Problemen sowie zu negativen sozialen Folgewirkungen führen.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.