Wie die bisher verfügbaren Daten belegen, kommt der Ausbau der betrieblichen Altersversorgung trotz der Förderung durch die beitrags- und steuerfreie Entgeltumwandlung nur langsam voran. Das 2018 in Kraft getretene Betriebsrentenstärkungsgesetz soll dem entgegentreten.
Die Anzahl und der Anteil der Beschäftigten steigen, die zu Niedriglöhnen und/oder unter prekären Verhältnissen arbeiten, so im Minijob-Sektor, in Leiharbeit oder in Befristung. Zugleich ist der Anteil der Betriebe wie der Beschäftigten, die noch durch Tarifverträge erfasst werden, mittlerweile recht gering geworden.
Das gilt in besonderer Weise für die neuen Bundesländer: In den neuen Bundesländern waren 2021 nur noch 32 Prozent der Beschäftigten in Branchentarifverträgen erfasst (Abbildung "Tarifbindung in den neuen Bundesländern 2021"), in den alten Bundesländern hingegen 45 Prozent (vgl. Abbildung "Tarifbindung in den alten Bundesländern 2021").
In längerfristiger Perspektive, seit 1998, sinkt der Anteil der Beschäftigten, die durch Tarifverträge geschützt sind, erheblich ab: Von 76 Prozent auf 54 Prozent in den alten Bundesländern und von 63 Prozent auf 45 Prozent in den neuen Bundesländern (vgl. Abbildung "Tarifbindung in den alten und neuen Bundesländern 1998 - 2021").
Obligatorium?
Diese abnehmende Bindekraft durch Tarifverträge führt zu der verstärkt erhobenen Forderung, die betriebliche Altersversorgung obligatorisch zu gestalten, so wie dies in anderen Ländern der Fall ist (vgl. etwa die Beispiele Niederlande und Schweiz in Kapitel Alterssicherungssysteme in Europa). Zu denken wäre an eine Allgemeinverbindlicherklärung der entsprechenden Tarifverträge, so dass auch nicht tarifgebundene Betriebe und Beschäftigte (die nicht Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbandes oder der Gewerkschaft sind) unter die Regelungen fallen. Weiterreichend wäre ein gesetzliches Obligatorium, mit dem das Prinzip der Freiwilligkeit aufgehoben wird und die Beschäftigten wie die Betriebe verpflichtet werden, eine betriebliche Altersvorsorge abzuschließen. Es hängt von der Ausgestaltung der gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelungen ab, ob die Verpflichtung sich nur auf bestimmte Gruppen von Beschäftigten begrenzt oder alle Beschäftigten erfasst (so auch die Minijobs), welche Durchführungswege möglich sind, welche Leistungshöhe angestrebt wird und wie die Finanzierung ausgestaltet ist.
Aber auch ein solcher Weg führt nicht zu einer flächendeckenden Absicherung im Rahmen der zweiten Ebene oder Säule der Alterssicherung. Denn Personen, die wegen Krankheit, Kindererziehung, Pflege oder Arbeitslosigkeit zwischenzeitlich nicht berufstätig sind, bleiben im Alter unversorgt oder unterversorgt. Die betriebliche Altersversorgung bindet die Absicherung im Alter allein an die Erwerbsbeteiligung, für Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit sieht sie − im Unterschied zur Gesetzlichen Rentenversicherung − keinen sozialen Ausgleich vor. Schwierig ist es auch, neben dem Alter auch die Risiken Erwerbsminderung und Tod in der betrieblichen Altersversorgung abzudecken. Dies ist zwar durchaus möglich, wäre aber wohl mit deutlichen Abstrichen beim Leistungsniveau der Altersrenten verbunden. Und ungelöst ist, wie eine ausreichend hohe betriebliche Rente bei Erwerbsminderung gewährleistet werden soll, wenn die Erwerbsminderung bereits in jüngeren Jahren eintritt und keine Möglichkeit bestanden hat, ausreichend lange betrieblich vorzusorgen. Die Liste der Probleme reicht aber noch weiter: Wie kann bei kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, einem Betriebswechsel auch über die Branchen hinweg sowie einem Wechsel zwischen Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Nicht-Erwerbstätigkeit und selbstständiger Beschäftigung die Unverfallbarkeit der betrieblichen Ansprüche und deren Übertragbarkeit (Portabilität) sichergestellt werden? Die Gesetzliche Rentenversicherung bewältigt diese Probleme aufgrund ihrer betriebs- und branchenübergreifenden, gesamtwirtschaftlichen Organisation ohne Schwierigkeiten, bei der betrieblichen Altersversorgung wäre das nicht oder nur begrenzt lösbar.
Offen bleibt schließlich, mit welcher Rentenhöhe und Rentenanpassung auf der Basis der Kapiteldeckung gerechnet werden kann. Die Erfahrungen seit Beginn der Finanzkrise haben gezeigt, dass die Unsicherheiten und Risiken auf den Finanzmärkten gestiegen sind. Der Kursverfall bei Aktien hat die Rücklagen der betrieblichen Altersversorgung bedroht, und die seit einigen Jahren von allen Zentralbanken betriebene Politik der Niedrigzinsen reduziert die Renditen immer stärker.
Reformen durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz
Ziel des Gesetzes ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine Verbreiterung der betrieblichen Altersversorgung und für eine Stärkung der kapitalfundierten Alterssicherung unter den Bedingungen eines sinkenden Rentenniveaus. Als neuer, zusätzlicher Durchführungsweg wird ein sog. Sozialpartnermodell ermöglicht .
Das Sozialpartnermodell sieht eine reine Beitragszusage („pay and forget“) vor, ohne subsidiäre Haftung des Arbeitgebers statt der bisherigen (und weiter geltenden) Zusagen (Leistungszusage, beitragsorientierte Leistungszusage, Beitragszusage mit Mindestleistung). Nach der Beitragszusage ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, die zugesagten Beiträge an einen externen Versorgungsträger (Pensionsfonds, Pensionskasse oder Direktversicherung) zu zahlen. Dabei gilt ein ausdrückliches Verbot der Zusage einer bestimmten Versorgungsleistung (Mindest- oder Garantieleistungen). Die Folge wird sein, dass sich das Anlagerisiko auf die Beschäftigten verlagert; die Höhe der Betriebsrente wird nicht nur beim Erstbezug, sondern auch während der Auszahlungsphase allein abhängig vom Erfolg der Kapitalanlage. Als Ausgleich des entfallenen Haftungsrisikos sollen (und nicht müssen) die Arbeitgeber im Rahmen tarifvertraglicher Regelungen einen Sicherungsbeitrag an den Versorgungsträger zahlen, der nicht unmittelbar den einzelnen Arbeitnehmern zugerechnet wird.
Eingeführt wird auch ein sog. Optionssystem, das die Möglichkeit einer tarifvertraglich geregelten automatischen Entgeltumwandlung einräumt, die alle Arbeitnehmer:innen eines Betriebes (oder auch einzelne Gruppen) umfasst. Die Beschäftigten können dann innerhalb bestimmter Fristen widersprechen (opting-out).
Bei einer Entgeltumwandlung für eine reine Beitragszusage im Rahmen des Sozialpartnermodells muss der Arbeitgeber als Ausgleich für die eingesparten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeberbeitrag) einen Zuschuss in Höhe von 15 Prozent des sozialversicherungsfreien Entgelts an die Versorgungseinrichtung zahlen.
Die reine Beitragszusage kann nur durch den Tarifvertrag vorgenommen oder durch einen Tarifvertrag in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung zugelassen werden. Die Tarifvertragsparteien müssen sich an der Durchführung und Steuerung dieser Betriebsrente beteiligen, sie können dazu gemeinsame Einrichtungen gründen bzw. vorhandene nutzen oder auch externe Versorgungsträger.
Nutzung bzw. Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelungen sind dabei auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Beschäftigte möglich.
Bei einer Entgeltumwandlung jenseits der reinen Beitragszusage werden Arbeitgeber verpflichtet, den ersparten Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung in Höhe von 15 Prozent des sozialversicherungsfreien Entgelts an die Versorgungseinrichtung zu zahlen. Anders der gesetzlich verpflichtende Zuschuss bei einer reinen Beitragszusage ist diese Regelung tarifdispositiv.
Bei der Berechnung der Höhe der aufstockenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt bleiben Beträge anrechnungsfrei. Der Grundbetrag beträgt 100 Euro zuzüglich 30 Prozent des überschießenden Betrags bis maximal 50 Prozent des Bedarfs der Regelbedarfsstufe 1. Anrechnungsfrei bleiben ausschließlich Leistungen der zusätzlichen Altersvorsorge (Betriebs-, Riester-, Rürup-Renten sowie Renten aus einer freiwilligen GRV-Versicherung oder einer Versicherungspflicht auf Antrag.
Obgleich diese neuen Regelungen darauf abstellen, dass die Tarifvertragsparteien davon eifrig Gebrauch machen, lässt sich bislang eher das Gegenteil erkennen. Entsprechende Tarifverträge liegen bislang (Ende 2023) noch nicht vor. Grund dafür ist vor allem die fehlende Sicherheit, denn das Anlagerisiko liegt allein bei den Beschäftigten. Bei den Gewerkschaften gibt es infolgedessen wenig Bereitschaft, Tarifverträge mit diesem Manko abzuschließen.
Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.
Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.
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