Seit 2001 ist in der Rentenpolitik das Ziel einer Lebensstandardsicherung alleine durch die gesetzliche Rente aufgegeben worden. Um eine Stabilität der Beitragssätze zu erreichen, wird das Rentenniveau abgesenkt.
Für das Verständnis der Rentenanpassung sind nicht die Details und die Begründungen der Formel entscheidend. Wichtig ist hingegen das Ergebnis: Die Rentenerhöhungen werden abgebremst und von den Einkommenszuwächsen der Aktiven teilweise abgekoppelt. Grundlegendes Ziel ist es dabei, den demografisch bedingten Ausgabenzuwachs (vgl. Interner Link: Umlage- versus Kapitaldeckungsverfahren) zu begrenzen. Die zu erwartenden Erhöhungen des Beitragssatzes und damit die Belastungen für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sollen weniger stark ausfallen. Als Maxime der Rentenpolitik gilt, im Gesetz verankert, die Maßgabe, den Beitragssatz bis zum Jahr 2025 unter 20 Prozent und bis 2030 unter 22 Prozent zu halten. Das bisherige Verständnis, durch die Anpassung der Einnahmen sicherzustellen, dass das Sicherungsziel erreicht wird, ist durch den Grundsatz einer "einnahmeorientierten Ausgabenpolitik" abgelöst worden: Die vorgegebenen Einnahmen, d.h. die fixierten Beitragssätze, begrenzen die Ausgaben und erzwingen eine Veränderung des Sicherungsziels.
Aufgegeben worden ist mit diesem als "Paradigmenwechsel" bezeichneten Umbruch das Ziel einer Lebensstandardsicherung allein durch die Rente. Die Vorstellung, dass im Alter, nach einem langen Arbeitsleben, der im Lebensverlauf erreichte Lebensstandard (mit Abstrichen) beibehalten werden kann, gilt für das Leistungsniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr. Eine Lebensstandardsicherung kann nur noch erreicht werden, wenn die gesetzlichen Renten durch Leistungen der privaten und/oder betrieblichen Vorsorge ergänzt werden. Es kommt also zu einer Verschiebung: Die Leistungsverschlechterungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung sollen durch einen Ausbau der privaten und betrieblichen Altersvorsorge kompensiert werden (vgl. Interner Link: Betriebliche Altersversorgung und Interner Link: Private Vorsorge/"Riester-Rente").
Standardrente
Das Leistungsniveau der Rentenversicherung, also das Verhältnis von Renten zu Arbeitnehmereinkommen, lässt sich durch das Rentenniveau beziffern. Das Rentenniveau ist eine statistische Maßgröße, die die Renten mit den Arbeitnehmereinkommen vergleicht. Üblich ist es bei diesem Vergleich, sich auf die Rente eines sog. Durchschnittsrentners und auf das durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen des laufenden Jahres zu beziehen. Der Durchschnittsrentner (auch als "Standardrentner" bezeichnet) ist definiert als ein Rentner/eine Rentnerin, der/die 45 anrechnungsfähige Versicherungsjahre aufweist und im Verlauf seines/ihres Versicherungslebens durchschnittlich verdient hat, also in der Summe 45 Entgeltpunkte aufweist. Es handelt sich dabei um eine Modellrechnung. So könnte man etwa statt der Gegenüberstellung von zwei Durchschnittswerten auch zwei Werte von der Hälfte des Durchschnitts vergleichen: Die Rente eines Versicherten, der 45 anrechnungsfähige Versicherungsjahre aufweist, aber nur die Hälfte des Durchschnitts verdient hat, mit der Hälfte des aktuellen Durchschnittseinkommens der Arbeitnehmer. Die Ergebnisse sind identisch und bei beiden Rechnungen lässt sich erkennen, wie sich im Zeitverlauf das Rentenniveau verändert.
Diese Modellrechnungen sind nicht mit den tatsächlich gezahlten Durchschnittsrenten identisch. Schon die gesetzte Annahme − 45 anrechnungsfähige Versicherungsjahre − trifft in der Realität nur auf einen Teil der Rentner:innen zu.
Verglichen werden beim Rentenniveau Nettogrößen (vgl. im Detail Schmitz/Schäfer 2018). Da aber die Besteuerung der Renten nach Zugangsjahren variiert, also von keiner für alle Renter:innen gleichen Steuerbelastung ausgegangen werden kann (vgl. Interner Link: Rentenberechnung), werden die Nettogrößen vor Steuern, aber nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen einander gegenüber gestellt.
Die Nettostandardrente vor Steuern beziffert sich für die alten Bundesländer im Jahr 2021 auf 1.369 Euro. Vergleicht man die Entwicklung der Standardrente seit 1991, so lässt sich erkennen, dass der bis 2003 reichende deutliche Anstieg nahezu zum Stillstand gekommen und sogar zwischen 2004 und 2008 durch ein leichtes Absinken abgelöst worden ist. Ursächlich dafür sind die schwache Lohnentwicklung in diesen Jahren, die steigenden Beitragssätze zur Sozialversicherung und − wie beschrieben − die Einschnitte in der Anpassungsformel. Seit 2008 steigen die Werte aber wieder.
Werden die nominalen Werte um die Erhöhung des Preisniveaus bereinigt, zeigt sich sogar, dass seit 2004 ein erheblicher und kontinuierlicher Rückgang der realen Standardrente zu verzeichnen ist. Die Kaufkraft des "Modellrentners“ ist deutlich gesunken (vgl. Abbildung) und unterschreitet bis 2019 immer noch das Niveau der Jahre vor 2004. Ab 2019 kommt es jedoch zu realen Nettosteigerungen.
Rentenniveau
Zwar haben sich im Beobachtungszeitraum auch die durchschnittlichen Nettolöhne (vor Steuern) kaum noch erhöht (und sind in ihrer Kaufkraft ebenfalls gesunken), aber bei den Renten ist die Negativentwicklung stärker ausgefallen − mit der Folge eines sinkenden Rentenniveaus. Das Nettorentenniveau vor Steuern liegt im Jahr 2022 bei 48,2 Prozent.
Die Abbildung weist aus, dass das Netto-Rentenniveau vor Steuern in den Jahren zwischen 1990 und 2015 nahezu durchgängig gesunken ist. Seitdem hat sich (auch bedingt durch die Festlegung der bis 2025 reichenden Haltelinie) eine Stabilisierung bei etwa 48 Prozent ergeben. Nach den Vorausberechnungen der Bundesregierung setzt nach 2025 jedoch ein neuer Abwärtstrend ein - bis 2035 auf 45,1 Prozent (vgl. Interner Link: Private Vorsorge/"Riester-Rente" und Interner Link: Betriebliche Altersversorgung).
Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.
Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.