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Die Rentenanpassungsformel | Rentenpolitik | bpb.de

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Die Rentenanpassungsformel Rentenanpassung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Grundlegende Orientierungsgröße für die jährliche Rentenanpassung war seit 1957 die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter. Deshalb wird auch von einer lohndynamischen Rente gesprochen.

Blick durch eine Leselupe auf einen Rentenbescheid. Grundlegende Orientierungsgröße für die jährliche Rentenanpassung war seit 1957 die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter. (© dpa, Zentralbild)

Die Ausgestaltung der jährlichen Rentenanpassungen gemäß der allgemeinen Lohnentwicklung hat in den zurückliegenden Jahren mehrfache, kaum noch überschaubare Veränderungen erfahren. Stets ging es dabei um die Frage, welche konkrete Maßgröße bei der Lohnentwicklung als Maßstab für die Anpassung dienen soll. Da bei der jährlichen Rentenanpassung alle Renten erhöht werden, kommt der Wahl der Maßgröße eine erhebliche finanzielle Bedeutung zu. So führt eine Rentenerhöhung um 1 Prozent zu andauernden jährlichen Mehrausgaben von etwa 3,6 Mrd. Euro (Stand 2023). Die dauerhaften finanziellen Folgewirkungen einer Rentenerhöhung haben auch immer wieder Anlass gegeben, die Anpassung in einzelnen Jahren auszusetzen bzw. zu verschieben oder die Anpassungsformel mit dem Ziel einer Absenkung des Erhöhungssatzes zu verändern, um über diesen Weg auf Finanzierungsprobleme in der Rentenversicherung zu reagieren und Beitragssatzanhebungen zu vermeiden (vgl. Kasten).

Zentrale Veränderungen bei der Rentenanpassung

Mit Beginn der dynamischen Rente im Jahr 1957 wurde eine Bruttolohnanpassung praktiziert, Maßgröße war die Veränderung der Bruttolohn- und -gehaltssumme je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer im Vorjahr.

Nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 orientierte sich die Rentenanpassung nur noch an der (niedrigeren) Zuwachsrate des Nettolohnniveaus (Zuwächse der Bruttoarbeitsentgelte nach Abzug von direkten Steuern und Beiträgen).

Die Rentenreform von 2001 legte fest, dass die Rentenanpassung sich an der Bruttolohnentwicklung bemisst, aber nur noch abgebremst:

  • Veränderungen der Abgabenbelastung, die nicht die Alterssicherung betreffen (wie direkte Steuern, Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung), finden keine Berücksichtigung mehr.

  • Anpassungsmindernd angerechnet werden jedoch Veränderungen des Beitragssatzes zur Rentenversicherung (in voller Höhe, also einschließlich des Arbeitgeberanteils) sowie der private Beitrag für die staatlich geförderte zusätzliche Altersvorsorge (Riester-Rente). Unabhängig davon, ob er tatsächlich geleistet wird, wird ein Vorsorgebeitrag unterstellt, der seit 2009 bei 4 Prozent liegt und von dem angenommen wird, dass er von allen Arbeitnehmern gezahlt wird (was nicht der Fall ist; vgl. Interner Link: Private Vorsorge/ "Riester-Rente"). Dieser anpassungsdämpfende Vorsorgefaktor wird als "Riester-Faktor" bezeichnet.

Mit der Rentenreform 2005 wurde ein "Nachhaltigkeitsfaktor" in die Rentenanpassungsformel eingebaut. Dadurch wird auch die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Leistungsbeziehern und versicherungspflichtig Beschäftigten (Rentnerquotient) anpassungsmindernd berücksichtigt. Sinkt − wie aus demografischen Gründen zu erwarten (vgl. Demografischer Wandel und Rentenfinanzierung) − die Anzahl der Erwerbstätigen und Beitragszahlenden, fallen die Rentenerhöhungen niedriger aus. Die jährliche Veränderung des Rentnerquotienten wird zu einem Viertel (α =0,25) bei der Rentenanpassung berücksichtigt.

Wie aus der Abbildung zu entnehmen ist, haben die Rentenanpassungen in den alten Bundesländern einen wechselvollen Verlauf genommen (zu den Besonderheiten in den neuen Bundesländern (vgl. Renten in den neuen Bundesländern). Die Phase deutlicher Rentenerhöhungen bis Mitte der 1990er Jahre ist abgelöst worden durch eine Phase niedriger Anpassungssätze bis hin zu "Nullrunden" in den Jahren 2004, 2005, 2006 und 2010. Dahinter stehen die Abschwächung der Lohnzuwächse, aber eben auch das Abbremsen der Anpassungssätze durch die Veränderungen in der Rentenanpassungsformel. Seit 2013 weisen die Anpassungssätze wieder nach oben. Zu beachten ist bei der Interpretation der Abbildung, dass die Anpassungssätze in nominalen Werten ausgewiesen sind, d. h. dass der geringere reale, preisbereinigte Anstieg damit noch nicht beziffert ist.

Die Rentenanpassungsformel im Detail

Das aktuell geltende Rentenanpassungsverfahren lässt sich wie folgt beschreiben:

(1) Bruttolohnfaktor

Grundlage der Rentenerhöhung ist die Entwicklung der durchschnittlichen (beitragspflichtigen) Bruttolöhne. Maßgeblich ist hierbei die Entwicklung des letzten gegenüber dem vorletzten Jahr: Für 2023 wird also die Lohnentwicklung 2021 gegenüber 2022 zugrunde gelegt. Berücksichtigt werden allerdings nur jene Lohnsteigerungen, für die auch Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden. So bleiben die Entwicklung der Beamtengehälter und der Löhne bzw. Lohnbestandteile, die rentenversicherungsfrei sind (z. B. beitragsfreie Entgeltumwandlung, Löhne über der Beitragsbemessungsgrenze) außer Betracht. Die Bruttolohnerhöhung wird aber nicht eins zu eins an Rentnerinnen und Rentner weitergegeben, sondern in ihrer Höhe durch den Beitragssatz-, den Riester- und den Nachhaltigkeitsfaktor gebremst. Ab 2011 ist ein weiterer Faktor hinzugekommen: der Nachholfaktor.

(2) Beitragssatzfaktor

Die Veränderungen bei den Rentenversicherungsbeiträgen der Beschäftigten (des letzten gegenüber dem vorletzten Jahr) beeinflussen die Anpassung. Dadurch sollen die Belastungen, die die Versicherten tragen, auch von den Rentner:innen übernommen werden. Steigt der Beitragssatz zur Rentenversicherung, wirkt sich dies negativ auf die Rentenanpassungen aus. Sinkt der Beitragssatz, dann wirkt dies positiv auf die Rentenanpassungen.

(3) Riesterfaktor

Die Belastungen, die den aktiv Beschäftigten durch den Aufbau der geförderten privaten Altersvorsorge (Riesterrente) entstehen, werden auf die Rentenanpassungen übertragen. Beginnend mit 0,5 im Jahr 2002 ist dieser Altersvorsorgeanteil jährlich angehoben worden. Da die Anhebung aber in den Jahren 2008 und 2009 ausgesetzt worden ist, hat der Altersvorsorgeanteil erst im Jahr 2012 die Endstufe 4,0 erreicht. In den Jahren der Anhebung des Altersvorsorgeanteils sind die Rentenerhöhungen um jeweils 0,5 Prozentpunkte vermindert worden. Unterstellt wurde dabei dass die dadurch entstandene Lücke bei den gesetzlichen Renten durch die private Altersvorsorge ausgeglichen wird. Tatsächlich beteiligt sich jedoch nur ein Teil der Arbeitnehmer an der Riester-Rente (vgl. Interner Link: Private Vorsorge/"Riester-Rente")

(4) Der Nachhaltigkeitsfaktor

Der Nachhaltigkeitsfaktor soll das zahlenmäßige Verhältnis von Rentenbeziehenden und Beitragszahlenden (Rentnerquotient) bei den Rentenanpassungen berücksichtigen. Sinkt die Zahl der Beitragszahler gegenüber der Zahl der Rentenbezieher, was angesichts der demografischen Entwicklung mittel- und längerfristig zu erwarten ist, dann führt der Nachhaltigkeitsfaktor zu Kürzungen bei der Rentenanpassung. Entwickelt sich zwischenzeitlich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern positiv - was aufgrund der günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in den Jahren zwischen 2017 und 2020 der Fall war, wirkt sich dies steigernd auf die Rentenanpassungen aus. In diesem Fall fließen der Rentenversicherung auch höhere Einnahmen zu. Die Veränderungen im Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern werden jedoch nicht eins zu eins bei der Rentenanpassung berücksichtigt, sondern nur teilweise, nämlich zu 25 Prozent. Dieser (willkürliche, d. h. nicht näher begründete) Prozentsatz wird durch den Wert Alpha beim Nachhaltigkeitsfaktor beziffert.

(5) Schutzklausel und Nachholfaktor/Ausgleichsbedarf

Bei stagnierenden und erst recht bei rückläufigen Löhnen liegt auch eine mögliche Kürzung der nominalen Renten in der Konsequenz der Anpassungsregel. Da in den zurückliegenden Jahren die Löhne der Arbeitnehmer nur noch schwach gestiegen, teilweise sogar gesunken sind, hätte die Rentenanpassung dazu geführt, den aktuellen Rentenwert gegenüber dem Vorjahr abzusenken. Eine allgemeine Rentenkürzung wäre die Folge gewesen. Um dies zu verhindern, ist eine Schutzklausel in die Rentenanpassungsformel eingebaut worden. Sie sieht vor, dass die nominalen Renten nicht sinken dürfen. Allerdings werden die unterlassenen Anpassungskürzungen zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Der sog. Ausgleichsbedarf wirkt dann in den Folgejahren negativ auf die Anpassung. Durch einen Nachholfaktor wird dann die Rentenanpassung über mehrere Jahre gebremst.

Diese Regelungen lassen sich auch mathematisch ausdrücken. Die Formulierung im Gesetz lautet:

§ 68, Abs. 5, SGB VI

(5) Der nach den Absätzen 1 bis 4 anstelle des bisherigen aktuellen Rentenwerts zu bestimmende neue aktuelle Rentenwert wird nach folgender Formel ermittelt:

Rentenformel


Dabei sind:
AR(tief)t = zu bestimmender aktueller Rentenwert ab dem 1. Juli,
AR(tief)t-1 = bisheriger aktueller Rentenwert,
BE(tief)t-1 = Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im vergangenen Kalenderjahr,
BE(tief)t-2 = Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im vorvergangenen Kalenderjahr unter Berücksichtigung der Veränderung der beitragspflichtigen Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer ohne Beamte einschließlich der Bezieher von Arbeitslosengeld,
AVA(tief)t-1 = Altersvorsorgeanteil für das Jahr 2012 in Höhe von 4 vom Hundert,
RVB(tief)t-1 = durchschnittlicher Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung im vergangenen Kalenderjahr,
RVB(tief)t-2 = durchschnittlicher Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr,
RQ(tief)t-1 = Rentnerquotient im vergangenen Kalenderjahr,
RQ(tief)t-2 = Rentnerquotient im vorvergangenen Kalenderjahr.

Nachtrag: Die Schutzklausel und der Nachholfaktor sind in dieser Formel noch nicht enthalten.

Interner Link: § 68, Abs. 5, SGB VI

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.