Frühinvalidität, Erwerbs- und Berufsunfähigkeit, Erwerbsminderung
Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten eine - volle oder teilweise - Erwerbsminderungsrente, wenn sie aufgrund ihres krankheits-/behinderungsbedingten Zustands (Invalidität) bereits vor Erreichen der Altersgrenze für eine Altersrente nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten.
Historisch gesehen war die (teilweise) Absicherung des Risikos der Erwerbsunfähigkeit/-minderung geradezu der Ausgangspunkt für die Einführung der Gesetzlichen Rentenversicherung, wie es auch in der ursprünglichen Bezeichnung (Invaliditäts- und Altersversicherung) zum Ausdruck kommt (vgl.
Angesichts der geringen Lebenserwartung zu damaliger Zeit wurde für die ab 70-Jährigen der Einfachheit halber angenommen (ohne den Nachweis der Erwerbsunfähigkeit führen zu müssen), dass sie in jedem Fall mehr oder weniger erwerbsunfähig sind. Da bis 1984 Altersrenten erst nach einer Wartezeit von 15 Jahren gewährt wurden, konnten viele Versicherte nur eine (damals so genannte) Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen. Ein Großteil der Renten aus der Gesetzlichen Rentenversicherung waren demgemäß lange Zeit die Invalidenrenten.
Erst sehr viel später haben die Altersrenten die Invalidenrenten anteilsmäßig überrundet. Auffällig dabei ist, dass der Anteil der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten (seit der Reform von 2001 als Erwerbsminderungsrenten bezeichnet) an allen Versichertenrenten mehrfach Schwankungen (vgl. unten) unterlag – bei insgesamt jedoch sinkender Tendenz.
Anspruchsvoraussetzungen und Berentungsverfahren
Um eine Erwerbsminderungsrente beantragen zu können, müssen in der Regel bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Erfüllung der Wartezeit
Anspruchsvoraussetzung für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente ist normalerweise zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren mit Versicherungszeiten, Beitrags- oder Ersatzzeiten. Bei Erwerbsminderungsrenten tritt hinzu, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen (dieser Zeitraum der letzten fünf Jahre vor Eintreten des Versicherungsfalles kann sich durch Anrechnungszeiten wie Mutterschaft, Arbeitsunfähigkeitszeiten, Arbeitslosigkeit etc. verlängern).
Ausnahmen von diesen Regeln bestehen z. B. für Auszubildende oder für Behinderte, bei denen durch Sonderregelungen die allgemeine Wartezeit als erfüllt angenommen wird. Auch im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit besteht der Versicherungsschutz und Anspruch (dann gegenüber der Gesetzlichen Unfallversicherung) praktisch ab dem ersten Tag der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Außerdem gelten für Versicherte, die die allgemeine Wartezeit bereits vor 1984 erfüllt haben und seit 1984 bis zum Eintritt der Erwerbsminderung rentenrechtliche Zeiten belegt haben (auch ohne Pflichtbeiträge bezahlt zu haben) die Anspruchsvoraussetzungen als erfüllt.
Antrags- und Berentungsverfahren, Grundsatz "Rehabilitation vor Rente"
Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, so kann im Fall einer entsprechenden Krankheit eine Erwerbsminderungsrente beantragt werden. Zur Beurteilung der Schwere der Erkrankung erfolgt eine ärztliche Prüfung. Im Rahmen des Antragsverfahrens (auf Basis ärztlicher Gutachten und Unterlagen, auch z. B. von der Krankenkasse) wird seitens eines Amtsarztes zu allererst geprüft, ob durch Maßnahmen der medizinischen und/oder beruflichen Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt oder zumindest verbessert werden kann (vgl.
Diese Leistungen umfassen sowohl entsprechende Maßnahmen zur Rehabilitation selbst als auch Leistungen zum Lebensunterhalt (Übergangsgeld) während der Zeit solcher Maßnahmen. Diese Vorgehensweise entspricht dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" und folgt der Überlegung, dass es für die Versichertengesamtheit sinnvoller ist, in solche Maßnahmen zu investieren, als auf Dauer Renten zu bezahlen. Auch in ihrem eigenen Interesse sollen die Erkrankten möglichst gesund und damit befähigt werden, ihren Lebensunterhalt durch Wiederaufnahme einer angemessenen Erwerbstätigkeit eigenständig und unabhängig von Rentenzahlungen bestreiten zu können.
Die Rentenversicherung darf aber Rehabilitationsmaßnahmen nur dann durchführen, wenn dadurch eine Erwerbsminderung abgewendet oder die wesentlich gebessert bzw. die Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Ist eine solche Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht wahrscheinlich (oder greifen die Rehabilitationsmaßnahmen nicht), so wird stattdessen eine Erwerbsminderungsrente gewährt.
Insgesamt wurden im Jahr 2022 knapp 338.000 Anträge auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt.
Gewährung auf Zeit
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind grundsätzlich Zeitrenten, d. h. sie werden normalerweise mit einer Befristung von maximal drei Jahren gewährt. Diese befristete Bewilligung kann wiederholt werden. Eine unbefristete Bewilligung erfolgt nur dann,
wenn es unwahrscheinlich ist, dass sich der Gesundheitszustand bessert,
wenn die Befristungen bereits neun Jahre andauern.
Bei unbefristeten Renten erfolgt die Rentenzahlung ab dem ersten auf den Eintritt der Erwerbsminderung folgenden Monat. Bei Zeitrenten wird die Rente erst ein halbes Jahr später bezahlt, d. h. die Betroffenen müssen ihren Lebensunterhalt bis dahin aus der Lohnfortzahlung, dem Krankengeld, evtl. dem Arbeitslosengeld, aus den Ersparnissen oder durch die Sozialhilfe finanzieren.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden längstens bis zum Erreichen des Regelrentenalters (oder des Beginns einer vorgezogenen Altersrente) gewährt und dann in eine Regelaltersrente umgewandelt. Fällt die dann errechnete Regelaltersrente geringer aus als die bisherige Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, so wird eine Regelaltersrente in gleicher Höhe weiterbezahlt.
Volle und teilweise Erwerbsminderungsrente
Die Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten wird seit 2001 daran gemessen, ob und in welchem Maße noch die Fähigkeit vorhanden ist, eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können und ein Einkommen zu erzielen. Es gilt ein zweistufiges Verfahren, bei dem zwischen vollen und teilweisen Erwerbsminderungsrenten unterschieden wird.
Maßstab ist dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, d. h. in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt. Allerdings kommen dabei nur Tätigkeiten in Betracht, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch üblich sind. Die subjektive Zumutbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung und des Status der bisherigen bzw. zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit ist hingegen seit der Reform aus dem Jahr 2001 ohne Bedeutung (das Risiko der Berufsunfähigkeit wird für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte nicht mehr durch die GRV abgedeckt).
In Abhängigkeit vom gesundheitlichen Restleistungsvermögen kann die Rente wegen Erwerbsminderung in voller oder halber Höhe geleistet werden:
Ein Versicherter ist voll erwerbsgemindert, wenn er aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als drei Stunden pro Tag (innerhalb einer Fünftagewoche) arbeiten kann. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung soll einen "vollen" Lohnersatz bieten und wird deshalb wie eine Altersrente berechnet (vgl. Rentenberechnung).
Diese Grenze von drei Stunden findet ihre Parallele im SGB III (Arbeitslosenversicherung) und im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende): Als erwerbsfähig - und damit potenziell auch arbeitslos - gelten all jene, die für mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein können. Nur dann können auch Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung oder der Grundsicherung für Arbeitslose geltend gemacht werden.Eine halbe Erwerbsminderungsrente erhalten Erwerbsgeminderte bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 3 bis unter 6 Stunden täglich. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist deshalb nur halb so hoch wie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil die Betroffenen mit dem ihnen verbliebenen Restleistungsvermögen grundsätzlich noch das zur Ergänzung der Rente notwendige Einkommen erarbeiten können. Sie hat eine Lohnzuschussfunktion.
Wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden pro Tag arbeiten kann, ist also seit der Reform des Rechts der Erwerbsminderungsrenten von 2001 nicht erwerbsgemindert und wird, obwohl eine vollschichtige Tätigkeit (acht Stunden pro Tag) nicht möglich ist, völlig aus dem Leistungsbezug ausgeschlossen. Üben Bezieher von vollen oder teilweisen Erwerbsminderungsrenten neben dem Rentenbezug eine - in jedem Fall anzeigepflichtige - Erwerbstätigkeit aus, die die Hinzuverdienstgrenzen überschreitet, so kommt es zu einer Reduzierung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder ihrem Wegfall (vgl. unten).
Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage bei teilweiser Erwerbsminderung
Wenn teilweise Erwerbsgeminderte keinen – diesen Zeitvorgaben entsprechenden – Teilzeitarbeitsplatz finden und arbeitslos werden, so muss ihnen (nach entsprechenden Bemühungen der Arbeitsagentur) eine volle Erwerbsminderungsrente gewährt werden. Denn seit einem Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) von 1976 zur "konkreten Betrachtungsweise" beruht die Zuerkennung von voller Erwerbsminderung nicht allein auf der Anerkennung von gesundheitlichen Schäden, sondern gleichrangig auch auf dem Fehlen eines geeigneten (Teilzeit-)Arbeitsplatzes.
Eine volle Erwerbsminderungsrente erhalten deswegen auch teilweise Erwerbsgeminderte, die ihr Restleistungsvermögen wegen eines verschlossenen Arbeitsmarktes nicht in Erwerbseinkommen umsetzen können. Dies ist angesichts der realen Beschäftigungslage auf dem Arbeitsmarkt seit Jahren die Regel.
Hinzuverdienst
Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit müssen dem Rentenversicherungsträger jede Aufnahme einer Beschäftigung mitteilen. Der Leistungsträger prüft dann, ob sich der Gesundheitszustand gebessert hat – und eventuell die Rente entfallen kann – oder ob die Hinzuverdienstgrenzen überschritten werden und die Rentenzahlung zu reduzieren ist. Im Jahr 2023 liegt die jährliche Hinzuverdienstgrenze bei 17.823,75 Euro (drei Achtel der 14-fachen monatlichen Bezugsgröße). Sie wird jährlich angepasst.
Vertrauensschutz für vor 1962 geborene Versicherte
Aus Vertrauensschutzgründen wurde 2001 bei der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für vor dem 2. Januar 1962 Geborene eine besondere Ausnahmeregelung eingeführt: Das Risiko der Berufsunfähigkeit wird für diesen Personenkreis weiterhin abgesichert. Für die Berufsunfähigkeit muss das Leistungsvermögen in dem erlernten bzw. auf Dauer ausgeübten Beruf aufgrund von Krankheit oder Behinderung gegenüber einer gesunden Vergleichsperson auf weniger als 6 Stunden gesunken sein. Für Jüngere ist dieser Berufsschutz ersatzlos entfallen; sie können auf jede am allgemeinen Arbeitsmarkt übliche Tätigkeit verwiesen werden.
Berechnung der Rentenhöhe
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden genauso wie Altersrenten entsprechend der Rentenformel berechnet (vgl. Rentenberechnung).
Die monatliche Rente ergibt sich damit aus:
den unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (Abschläge!) ermittelten persönlichen Entgeltpunkten
dem aktuellen Rentenwert
dem Rentenartfaktor.
Letzterer beträgt für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung 1,0 (wie bei einer Altersrente) und für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 0,5.
Abschläge und Zurechnungszeiten
Hinsichtlich des Zugangsfaktors ist zu beachten, dass mit der Reform des Rechts der Erwerbsminderungsrenten Abschläge eingeführt wurden. Diese betragen (wie bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Altersrenten) 0,3 Prozent pro Monat der Inanspruchnahme zwei Jahre vor der jeweiligen Regelaltersgrenze und sind auf maximal 3 Jahre (= 10,8 Prozent) begrenzt. Dabei ist es unwesentlich, ob der Erwerbsminderungsfall im z. B. 40. oder 58. Lebensjahr eintritt. Nahezu alle Erwerbsminderungsrentner:innen sind davon betroffen (95,5 Prozent im Jahr 2022).
Weiterhin sind bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor allem die so genannten Zurechnungszeiten zu berücksichtigen. Der Eintritt der Erwerbsminderung kann ja bereits sehr früh erfolgen, so dass bis dahin aufgrund der kurzen Versicherungszeit nur wenige Entgeltpunkte gesammelt werden konnten - mit der Folge einer sehr niedrigen Rente. Um dieses Problem solidarisch in einer Sozialversicherung auszugleichen und den Betroffenen eine einigermaßen ausreichende Rente zu gewähren, werden Zurechnungszeiten in die Rentenberechnung einbezogen, also aufgefüllt. D. h., die Rentenberechnung erfolgt so, als hätte der/die Versicherte in dieser Zeit weiter verdient bzw. Beiträge bezahlt. Die Zurechnungszeit ist durch mehrfache Reformen in den zurückliegenden Jahren schrittweise verlängert worden. Aktuell ist sie an die jeweils aktuelle Regelaltersgrenze gekoppelt, sie steigt bis 2027 in jedem Jahr um einen Monat, danach jährlich um zwei Monate. Dieser Prozess endet im Jahr 2031, wenn die reguläre Altersgrenze von 67 Jahren erreicht ist. Diese gilt jedoch nur für Rentenneuzugänge. Ab 2014 erhalten nun diejenigen, bei denen die EM-Rente in der Zeit von 2001 bis 2018 begonnen hat, einen pauschalen Zuschlag zur Rente. Der Zuschlag wird auf Grundlage der persönlichen Entgeltpunkte berechnet, die der am 30. Juni 2024 beanspruchten Rente zugrunde liegen. Begann die Rente in der Zeit von Januar 2001 bis Juni 2014, beträgt der Zuschlag 7,5 Prozent. Liegt der Rentenbeginn in der Zeit von Juli 2014 bis Dezember 2018, gibt es einen Zuschlag in Höhe von 4,5 Prozent.
Empirische Befunde: Strukturen und Trends
Für das Leistungsgeschehen bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind mehrere Grundtrends charakteristisch:
der – bis vor kurzem – sinkende Anteil der Erwerbsminderungsrenten an den Rentenzugängen (d. h. an den neuen Versichertenrenten) und im Gefolge auch am Rentenbestand,
das – ebenfalls bis vor kurzem – sinkende Zugangsalter bei dieser Rentenart,
die geringe Bedeutung der teilweisen Erwerbsminderungsrente,
die deutlich sinkenden durchschnittlichen Zahlbeträge der neu bewilligten Erwerbsminderungsrenten.
Anteil der neu zugehenden Erwerbsminderungsrenten an den Versichertenrenten
Der Anteil der Erwerbsminderungsrenten an den Rentenzugängen, d.h. an den in einem Jahr neu bewilligten Renten insgesamt, hat abgenommen, wie die Abbildung für den Zeitraum seit 2000 zeigen – das gilt noch mehr in langfristiger Betrachtung. So weist die Statistik der Rentenversicherung für 1965 sogar noch einen Anteil der Erwerbsminderungsrenten an den Rentenzugängen von 64,5 Prozent aus (Männer: 60,8 Prozent; Frauen: 66,0 Prozent).
Hinter diesen Veränderungen der Anteilswerte stehen mehrere, sich überlagernde und deshalb kaum zu isolierende Faktoren:
Beantragung und Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten hängen davon ab, wie sich der Gesundheitszustand und damit die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entwickeln. Geht man davon aus, dass sich der Gesundheitszustand infolge vor allem besserer Lebensbedingungen in den letzten Jahren verbessert hat, dann steigt auch die Zahl der Beschäftigten, die in der Lage sind, bis zum Erreichen der Altersgrenzen erwerbstätig zu sein und dann eine Altersrente zu beziehen.
Wenn neben der Erwerbsminderungsrente andere Regelungen des vorzeitigen Renteneintritts existieren, so vorgezogene Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Schwerbehinderung, werden Versicherte mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit diese Wege eventuell vorziehen, weil sie z. B. das aufwändige Begutachtungsverfahren scheuen oder die Nachteile der als Zeitrenten gewährten Erwerbsminderungsrenten vermeiden wollen (Zeitrentner:innen haben z. B. keinen Anspruch auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).
Da seit Anfang 2000 diese Möglichkeiten zunehmend erschwert (durch die Heraufsetzung der vorgezogenen Altersgrenzen und durch die Einführung von Rentenabschlägen) oder ganz abgeschafft worden sind (seit 2012 sind für die Geburtsjahrgänge ab 1952 die Möglichkeiten des Bezugs einer vorgezogenen Altersrente für Frauen mit 60 Jahren und einer vorgezogenen Altersrente ab 63 wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit entfallen) wächst der Druck, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.
Seit der Reform von 2001 sind die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer (vollen oder teilweisen) Erwerbsminderungsrente verschärft worden.
Auch der Arbeitsmarkt und die Beschäftigungschancen für Ältere sind von zentraler Bedeutung für die Beantragung und Gewährung von Erwerbsminderungsrenten (was ja über die "konkrete Betrachtungsweise" – vgl. oben – sogar explizit festgelegt ist). Verbessern sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, so führt dies zu einer Entlastung; umgekehrt führen eine steigende Arbeitslosigkeit und ein "verschlossener" Teilzeitarbeitsmarkt für Ältere zu steigenden Zugängen an Erwerbsminderungsrenten.
Schließlich sind bei der Interpretation der Anteilsverschiebungen demografische Effekte zu berücksichtigen. Verändern sich im Verlauf der Jahre die Besetzungsstärken der einzelnen Altersgruppen, da die stärker besetzten Geburtsjahrgänge aus der Baby-Boomer Generation in jene Altersgruppen (50 - 60) nachrücken, in denen Erwerbsminderung besonders häufig auftritt, während sich die oberen Altersgruppen (über 60), bei denen die Zugänge von Altersrenten dominieren, noch aus den geburtenschwachen Jahrgängen rekrutierten, dann steigt ceteris paribus der Anteilswert der Erwerbsminderungsrenten. Denn bei dieser demografischen Konstellation steigt bei sonst gleichem Verhalten die Zahl der Versicherten, die mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Erwerbsminderungsrente beantragen und erhalten können.
Ausschalten ließe sich dieser demografische Effekt, wenn bei der Verlaufsbetrachtung nicht auf Kalenderjahre sondern auf Geburtskohorten abgestellt wird, da bei dem Kohortenvergleich deren Besetzungsstärke keine Rolle spielt.