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Nachkriegsgeschichte bis 1990 | Rentenpolitik | bpb.de

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Nachkriegsgeschichte bis 1990 Geschichte der Rentenversicherung in Deutschland

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Finanzprobleme, niedrige und anfangs noch weiter gekürzte Renten und eine verbreitete Altersarmut kennzeichneten auch nach dem Kriegsende für Jahre in den vier Besatzungszonen bzw. in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland und der DDR die Lage der Rentnerinnen und Rentner.

Rentnerinnen bei der Rentenauszahlung am Monatsende in einem Düsseldorfer Postamt. Die Rentenreform 1957 lässt die Rentner:innen an der Wohlstandsentwicklung teilhaben. (© picture-alliance/dpa)

Chronik der Rentenversicherung 1945-1990

1945/47 Uneinheitliche Entwicklung in den Besatzungszonen
1947 Entstehung einer Einheitsversicherung für alle Sozialversicherungszweige in der Sowjetischen Besatzungszone
1948 Sozialversicherungsanpassungsgesetz: Wiederherstellung der Strukturen von Weimar in den Westzonen, Einführung einer Witwenrente auch in der Arbeiterrentenversicherung
1951 Gesetz über die Höherversicherung (zusätzliche Vorsorgemöglichkeit in der GRV)
1953/55 Verschiedene Gesetze zur Rentenerhöhung bzw. Gewährung von Zulagen.
1957 Große Rentenreform 1957 (insbesondere Dynamisierung der Bestands- und Zugangsrenten)
1957/58 Altershilfe für Landwirte
1972 Rentenreformgesetz (freiwillige Mitgliedschaft für Selbstständige und Hausfrauen, Renten nach Mindesteinkommen (nachträgliche Aufwertung von Zeiten mit geringen Anwartschaften, flexible Altersgrenze ab 63 Jahren)
1981 Künstlersozialversicherungsgesetz (Einbeziehung in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung)
1982/83/84 2. Haushaltsstrukturgesetz; Haushaltsbegleitgesetz 1983/84 (Spar-Reformmaßnahmen)
1985/86 Reform Hinterbliebenenrenten, Einführung Kindererziehungszeiten
1989 Rentenreform 1992

Niedrige Renten in der DDR

In der Sowjetischen Besatzungszone, wo sehr schnell eine Einheits-Sozialversicherung geschaffen wurde, und dann in der DDR blieben die Renten trotz einiger schrittweiser Erhöhungen recht niedrig, wenig differenziert und immer mehr hinter der Lohnentwicklung zurück (wobei allerdings die generelle Subventionierung der Konsumtion und die Schaffung von diversen Zusatzrentensystemen zu beachten ist).

Erst im Gefolge des VIII. Parteitags der SED wurde die strikte Linie einer "aktivierenden Sozialpolitik" zur Erhaltung und Erhöhung des Arbeitskräfteangebots gelockert und im Sinne der propagierten "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" stärkere Rentenerhöhungen durchgeführt. Trotz gewisser Differenzierung durch eine Vielzahl von Sonder- und Zusatzsystemen blieb das Rentenniveau aber niedrig.

Durch die Freiwillige Zusatzrentenversicherung und die Sonderversorgungssysteme ergab sich zwar eine stärkere Differenzierung als in der Pflicht-Rentenversicherung der DDR. Insgesamt war die Streuung aber geringer als bei den GRV-Renten und Pensionen in der Bundesrepublik.

Im Westen: Ebenfalls niedrige Renten in der Nachkriegszeit

In den Westzonen und dann in der Bundesrepublik Deutschland wurden die organisatorischen Prinzipien der Sozialversicherung der Weimarer Republik im Wesentlichen übernommen (z. B. die Trennung der Rentenversicherung für Angestellte und Arbeiter, auch die Selbstverwaltung mit ersten Sozialwahlen im Jahr 1953). Kennzeichnend für die Lage waren aber anfängliche Organisationsprobleme und auch hier vor allem die schwache Einnahmebasis. Die in Rüstungsanleihen geflossenen Kapitalanlagen der Rentenversicherung waren praktisch wertlos geworden. Die Wirtschaft lag darnieder. Hinzu kam die Währungsreform, die zwar die Basis für den Wirtschaftsaufschwung ermöglichte, für die Alterseinkünfte aber zusätzliche Probleme bedeutete (vgl. Kasten).

QuellentextDie Umstellung durch die Währungsreform 1948

"Durch diese Umstellungsregelungen waren 'kapitalgedeckte' Formen der Alterssicherung - wie auch die Reste der Vermögensakkumulation der weitgehend nach dem Umlageverfahren operierenden Sozialversicherungen - zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert radikal abgewertet worden. Dies betraf vor allem die Lebensversicherungen, die betriebliche Alterssicherung (sofern sie auf Vermögensakkumulation basierte), aber auch die Berufsständischen Versorgungswerke der freien Berufe".

Schmähl 2001, S. 448.

Im Gefolge des 'Wirtschaftswunders' erhöhten sich die Löhne bzw. genereller die Erwerbs- und Vermögenseinkommen deutlich. Zwischen 1950 und 1980 lagen die Lohnzuwachsraten nur in drei Jahren - 1954, 1957 und 1967 - knapp unter fünf Prozent; zum Vergleich: zwischen 1981 und 1989 erreichten sie diese Marke in keinem Jahr mehr (vgl. Schmähl 2011a, S. 65 f.). Die Renten aus der Gesetzlichen Rentenversicherung, die nicht an die Wirtschaftsentwicklung angedockt waren (keine Dynamisierung bei der Rentenberechnung und -anpassung), folgten dem nicht. "Folge war ... eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen Renten und Löhnen, nominal wie auch real - ein als immer drängender angesehenes Problem" .

Die Renten hinkten immer mehr hinter der allgemeinen Wohlstandsentwicklung her. Daran konnten auch verschiedene Rentenanpassungen und -erhöhungen nur wenig ändern, z. B. mit einem Renten-Mehrbetrags-Gesetz von 1954, das besonders die Altrenten erhöhte.

Die Rentenreform 1957 lässt die Rentner:innen dagegen an der Wohlstandsentwicklung teilhaben. Den entscheidenden Schritt aus diesem Problem brachte die Dynamisierung der Rentenzahlungen durch die bruttolohnbezogene Rente mit der großen Rentenreform von 1957 (vgl. Kasten).

QuellentextDer Kern der Großen Rentenreform 1957

"Das konzeptionell Neue des Gesetzes bestand darin, dass die Renten nicht mehr - wie seit Anbeginn der GRV - ein 'Zuschuss' zur Finanzierung des Lebensunterhalts im Alter sein sollten, sondern 'Lohnersatz'. Dies erforderte sowohl eine Anhebung des Leistungsniveaus als auch eine Berücksichtigung der Lohnentwicklung, und zwar im Zeitraum bis zur erstmaligen Berechnung der Rente und auch während der Rentenlaufzeit. Die Grundvorstellung war also, dass Rentner in Zukunft regelmäßig mit ihrer gesetzlichen Rente an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung teilhaben sollten ... Danach sollte die Rente in Zukunft ausschließlich auf einem Steigerungsbetrag beruhen, der einheitliche Grundbetrag entfiel. Bei der Erstberechnung war die Höhe der Rente nun nicht mehr von den absoluten Beträgen der früher bezogenen Nominallöhne abhängig, sondern von

  • der relativen Lohnposition der Versicherten ... die während aller Jahre der Erwerbstätigkeit im Durchschnitt des Erwerbslebens erreicht wurde,

  • der Versicherungsdauer sowie

  • einem gegenwartsnahen Niveau des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten, der so genannten 'allgemeinen Bemessungsgrundlage' .., die - wenn auch nur zeitverzögert - der aktuellen Lohnentwicklung folgte".

Schmähl 2011, S. 43.

Die Anbindung an die Lohnniveauentwicklung erfolgte damit gegenwartsnah über die Rentenformel bei der Berechnung einer neuen Rente. Für die Anpassung der Bestandsrenten, die lange durch Anpassungsgesetze seitens des Bundestages, nicht automatisch, erfolgte, sollte eine Anlehnung an die (Brutto-)Lohnentwicklung leitend sein (erst ab 1992 wurde auf einen Automatismus umgestellt).

Die große Rentenreform von 1957 brachte jedoch - abgesehen von nicht unwichtigen Änderungen in den Begriffen (von der 'Invalidenversicherung' zur 'Arbeiterrentenversicherung') - nicht nur die dynamische bruttolohnbezogene Rente und mit ihr das Ziel einer Lebensstandard-Absicherung. Vielmehr wurden auch eine Reihe weiterer Neuerungen eingeführt, so

  • eine deutliche Angleichung der Bestimmungen für Arbeiter und Angestellte,

  • die Einführung des 'Abschnittsdeckungsverfahrens' als Schritt zu einem voll umlagefinanzierten System (vgl. Interner Link: Umlage- versus Kapitaldeckungsverfahren),

  • die Einführung einer (besonderen Altersgrenze mit der) Altersrente für Frauen und des Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit auch für Arbeiter (und nicht nur wie zuvor nur für Angestellte),

  • Witwenrenten gleicher prozentualer Höhe (60 statt 50%) in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung.

Zusammenfassend kann unbestreitbar gesagt werden, dass erst die Große Rentenreform von 1957 in breitem politischem Konsens die Lebensstandardsicherung in der Rente gebracht und die verbreitete Altersarmut weitgehend überwunden hat.

Konsolidierungsphase nach der Großen Rentenreform

Nach der Großen Rentenreform von 1957 lässt sich zunächst eine Phase von 'Konsolidierungsmaßnahmen' in der Rentenpolitik identifizieren, in der es sowohl gewisse Leistungseinschränkungen als auch -ausweitungen gab, die aber vor allem durch eine Ausweitung des Versichertenkreises gekennzeichnet ist.

So wurde 1957/58 die Altershilfe für Landwirte geregelt, und 1972 wurde mit dem Rentenreformgesetz eine Öffnung für Selbstständige vorgenommen (die sich sehr günstig in die GRV 'einkaufen' konnten) bzw. 1983 das Künstlersozialversicherungsgesetz beschlossen.

An wichtigen Leistungsausweitungen bzw. -verbesserungen ist vor allem zu erinnern an:

  • die Einführung der flexiblen Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 63. Lebensjahr und der Rente nach Mindesteinkommen durch das Rentenreformgesetz 1972

  • die Gleichstellung von Männern und Frauen bei den Hinterbliebenenrenten (vgl. Ausbau der Alterssicherung von Frauen) und die Einführung von Kindererziehungszeiten ab 1986.

Dem stehen − mit den wirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklungen inhaltlich und zeitlich eng verbunden (vgl. Kasten) − aber auch erste Leistungseinschränkungen gegenüber, so 1967 bei der Knappschaft oder mit den in mehreren Schritten vollzogenen Reduzierungen bei der Bewertung und sogar Anrechnung von Ausbildungszeiten bzw. Zeiten der Arbeitslosigkeit, Einschränkungen bei Heilverfahren und Rehaleistungen. In der Wirtschaftskrise 1966/67 wurden beispielsweise auch die Beitragsbemessungsgrenzen und der Beitragssatz erhöht.

QuellentextÖkonomische Begründungen für Leistungseinschränkungen nach der zweiten Rentenreform 1972

"Im Vergleich zu den Jahren zwischen der ersten und zweiten Rentenreform verschlechterten sich Anfang der 1970er Jahre bis zur Rentenreform 1989 die ökonomischen Bedingungen. Daher war in der Folgezeit nicht mehr Leistungsausweitung eines der dominierenden Themen, sondern die Begrenzung der Ausgabenentwicklung".

Schmähl 2011, S. 55.

Leistungseinschränkungen dominieren nach 1972

Insbesondere auch über geringere Rentenanpassungen und weitere Beitragssatzsteigerungen wurde in den 70er Jahren versucht, die Rentenfinanzen zu konsolidieren. Angesichts der stark steigenden Arbeitslosigkeit in den 80'er Jahren und stärker steigender Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen wurden aber auch ein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt und durch verschiedene Gesetze die Rentenkassen belastet um die anderen Sozialkassen zu entlasten (sog. "Verschiebebahnhöfe"). Mit dem Haushaltsbegleitgesetz von 1983 "entfiel die Rentenniveausicherungsklausel als normatives politisches Sicherungsziel" .

Ende der 80'er Jahre wurde anhand mehrerer Prognosen immer stärker auf eine Notwendigkeit langfristig steigender Beitragssätze angesichts der demografischen Veränderungen hingewiesen. Als Argument für eine Reformnotwendigkeit - konkret für Leistungseinschränkungen − rückte die Bevölkerungsentwicklung (Stichwort: Altenlast) in den Vordergrund (vgl. Kasten) − bis heute.

QuellentextVon der ökonomischen zur demografischen Begründung von Leistungseinschränkungen

"Neben den immer wieder auftretenden Finanzierungsproblemen sind für die Berichtsperiode (gemeint ist die Zeit 1982-1989 - A. d. V.) Diskussionen und Entscheidungen über grundlegende Strukturfragen der Alterssicherung kennzeichnend. Die Diskussionen standen zum einen in enger Beziehung zu der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung, betrafen zum anderen Antworten auf die sich abzeichnende demographische Entwicklung und deren Folgen für die Alterssicherung".

Schmähl 2008, S. 318.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.