Die konkrete Ausgestaltung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) lässt sich, wie in anderen Ländern auch, nur aus ihrer historischen Entwicklung heraus verstehen (vgl.
Der historische Auf- und Ausbau der Rentenversicherung bestimmte bereits in der Anfangszeit um 1900 die späteren Entwicklungspfade – die nur im Rahmen einiger "großer" Reformmaßnahmen grundlegende Veränderungen erfahren haben. Bestehen geblieben ist allerdings die Grundentscheidung, die Altersabsicherung als Sozialversicherung auszugestalten. Dies bedeutet, dass sie einerseits als Versicherung bestimmte Lebensrisiken versichert, z. B. Zahlung einer Rente im Alter oder bei Erwerbsminderung, andererseits hinsichtlich der Regeln nicht rein versicherungsmathematisch, sondern auch "sozial" vorgeht.
Versicherungsprinzip und Äquivalenzprinzip
Die Wirkungsweise der GRV wird durch das Versicherungsprinzip geprägt: Ihre Mitglieder sind gegen das Risiko versichert, bei Erwerbsminderung oder im Alter ihr Arbeitseinkommen zu verlieren. Bei Eintritt des Versicherungsfalls (Kausalprinzip) erfolgt die Leistung in Form einer Versichertenrente. Die Finanzierung erfolgt über Beiträge, die sich mit einem einheitlichen Prozentsatz an der Höhe des Bruttoarbeitseinkommens bemessen.
Hinzu kommt als zweite Finanzierungsquelle ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss. Die Finanzierungsart ist das Umlageverfahren (vgl.
Die individuelle Rentenhöhe errechnet sich nach dem Grundsatz der Äquivalenz: Höhe und Dauer des durch Beitragszahlungen belegten Arbeitseinkommens sind die dafür eigentlich bestimmenden Faktoren. Zwischen Vorleistung (Beitrag) und Gegenleistung (Rente) besteht somit eine direkte Beziehung (Grundsatz der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Renten). Direkt bedarfsbezogene Maßstäbe oder Mindest- bzw. Sockelleistungen finden sich bei der Rentenberechnung nicht. Die Vermeidung von Armut im Alter, unabhängig von der Höhe und Dauer der Beitragszahlung, ist damit rein systematisch gesehen kein explizites Ziel der GRV. Wohl aber ist die Wirksamkeit der Rentenversicherung auch nur daran zu messen, ob im Alter Armutslagen vermieden werden.
Die versicherungsförmige Absicherung gegen einen Einkommensausfall im Alter oder bei Invalidität zielt darauf ab, das entfallene Einkommen zu ersetzen, so dass der einmal erreichte Lebensstandard (wenn auch mit Abstrichen) beibehalten werden kann. Dieses Ziel der Lebensstandardsicherung ist allerdings erst mit der Rentenreform von 1957 angestrebt worden (vgl.
Allerdings ist weder genau definiert, wie lange das Arbeitsleben zum Erreichen des Ziels der Lebensstandardsicherung gedauert haben muss, noch besteht Einigkeit über das angemessene Niveau der Renten in Relation zum früheren Erwerbseinkommen.
Letztlich handelt es sich um Bewertungsfragen. Üblicherweise gelten 45 Versicherungsjahre als Norm für ein "erfülltes" Arbeitsleben, und von Lebensstandardsicherung wurde bislang dann gesprochen, wenn die Rente 70 Prozent des vergleichbaren Netto-Arbeitnehmereinkommens (d. h., einer vergleichbaren noch im Erwerbsleben stehenden Person) ausmacht (Netto-Rentenniveau). Diese 70 Prozent-Marke wird infolge der mehrfachen Änderungen im Rentenanpassungsverfahren jedoch nicht mehr erreicht. Veränderungen ergeben sich zusätzlich dadurch, dass die Renten schrittweise besteuert werden, die Beiträge aber steuerfrei bleiben (nachgelagerte Besteuerung).
Konsequenzen des Versicherungs- und des Äquivalenzprinzips
Im Alter wird der im Berufsleben erarbeitete Einkommensstand zu einem bestimmten Teil ausgeglichen. Die Rente fungiert als Lohnersatz, die relative Einkommensposition im Erwerbsleben soll auch im Alter, relativ zum vorherigen Einkommen und relativ zu den anderen Rentenbeziehern, in etwa erhalten bleiben. Wer ausreichend lange versicherungspflichtig beschäftigt war, verfügt im Alter über eigenständige und in aller Regel oberhalb der Armutsgrenze liegende Rentenansprüche. Wer allerdings nur kurzzeitig beschäftigt war und schon im Arbeitsleben nur ein niedriges Einkommen erzielt hat oder einer Teilzeitarbeit nachging, wird dies auch durch eine geringe Höhe der Rente zu spüren bekommen. Maßstab für die Rentenberechnung ist also die Einkommensverteilung, die der Arbeitsmarkt generiert. Die große – und zunehmende – Spannweite der Arbeitseinkommen wird so ins Alter hinein übertragen.
Durch die Verknüpfung von Arbeitseinkommen, Beitragszahlungen und Rentenhöhe wird die Idee der Leistungsgerechtigkeit betont; sie wird im Arbeitsleben unterstellt und findet entsprechend auch in der Phase des Alters eine hohe Zustimmung und Anerkennung.
Beim Risikoeintritt (Erwerbsminderung, Erreichen der Altersgrenzen, Tod einer/s Versicherten) besteht ein unabdingbarer Rechtsanspruch auf eine Rente. Die persönlichen Verhältnisse spielen bei der Rentenberechnung keine Rolle, Bedürftigkeitsprüfungen finden nicht statt. Die Höhe der Rente ist gesetzlich fixiert. Es gibt keine Ermessensentscheidungen.
Die durch Beitragszahlung erworbenen Rentenanwartschaften haben Eigentumscharakter und sind verfassungsrechtlich geschützt.
Durch die Lohnorientierung der Rente und deren Dynamisierung werden der Verlauf des Lebenseinkommens verstetigt und eine längerfristige Lebensplanung ermöglicht.
Solidarprinzip
Die Rentenversicherung als Sozialversicherung ergänzt und durchbricht das reine versicherungsförmige Äquivalenzprinzip durch Elemente des Solidarausgleichs.
Zwar ist dieser soziale Ausgleich − im Unterschied zur Krankenversicherung wie auch im Unterschied zu anderen europäischen Alterssicherungssystemen − nur schwach ausgeprägt, doch in seinen Wirkungen nicht zu unterschätzen:
So werden unter bestimmten Bedingungen auch Zeiten berücksichtigt, in denen keine oder nur geringe Beiträge entrichtet werden konnten, wie z.B. Krieg, Gefangenschaft, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Berufsausbildung.
In definierten Lebensphasen, in denen keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen wird, wie z.B. während der Kindererziehung oder familiären Pflege oder beim Bezug von Lohnersatzleistungen, wie z. B. Arbeitslosengeld I oder Krankengeld, übernehmen der Staat oder die jeweiligen Sozialversicherungsträger die Beiträge.
Unter bestimmten Bedingungen werden niedrige Entgeltpunkte (wegen niedriger Arbeitsentgelte) rechnerisch angehoben, wie z.B. für Zeiten erziehungsbedingter Teilzeitarbeit oder wie für Zeiten, bei denen (seit 2022) ein Grundrentenzuschlag erfolgt.
Die Beitragszahlungen richten sich nicht nach dem Risiko bzw. nach der zu erwartenden Dauer des Rentenbezugs oder nach dem Geschlecht (wie in der privaten Lebens- bzw. Rentenversicherung), sie werden allein (mit einem festen Beitragssatz) von der Höhe des versicherungspflichtigen Einkommens abgeleitet.
Der für die Sozialversicherung konstitutive soziale Ausgleich weicht also die reine Äquivalenzbeziehung zwischen Beitrag und Rente ein Stück weit auf. Die von einer Privatversicherung abweichende Stellung der Rentenversicherung kommt außerdem in dem steuerfinanzierten Bundeszuschuss zum Ausdruck, der zur Abdeckung der allgemeinen gesellschaftspolitischen Aufgaben (z. B. in Bezug auf die Berücksichtigung von Kindererziehung oder die Hinterbliebenenversorgung) der Rentenversicherung dient; eine ausschließliche Finanzierung allein durch den Kreis der Beitragszahler wäre verteilungspolitisch nicht zu rechtfertigen (vgl. Finanzierung).