Die Kommission zum Sechsten Altenbericht hat anhand der Parlamentsprotokolle seit Bestehen der Bundesrepublik versucht aufzuzeigen, wie sich die Altersbilder (und Armutsdebatten) in der Politik über die Jahrzehnte hinweg gewandelt haben und wie sich dabei auch die Anstöße aus der Wissenschaft, speziell der Gerontologie niedergeschlagen haben
Dabei sind ausgeprägte Konjunkturen in den dominierenden Sichtweisen auf die soziale Lage Älterer auffällig. Auch scheint es kein neues Phänomen zu sein, dass die Konjunktur von Altersbildern hinter den realen Entwicklungen zeitverzögert hinterherläuft, d. h. gewisse Beharrungskräfte aufweist. Das dürfte auch aktuell gelten. Die gegenwärtige Sichtweise in Politik und Wissenschaft wird eindeutig weniger von einem Defizitbild des Alters beherrscht das noch in den 70'er und 80'er Jahren des letzten Jahrhunderts ein eher kritisches Bild von der Lebenslage Älterer zeichnete.
Die Perspektive auf das 'Alter als soziale Problemlage' wird "... spätestens seit dem Beginn der 1990er Jahre vom Blick auf die Chancen und Potenziale des 'gelingenden' und 'glücklichen' Alters in der psychologischen oder die 'gebenden', 'produktiven' und 'glücklichen' Alten in der soziologischen Betrachtung des Alters abgelöst, verbunden mit der beginnenden politischen Durchsetzung eines neuen Aktivitätsparadigmas des Alters. "Währenddessen verschlechtern sich die Bedingungen des Alterns allerdings bereits wieder zusehends. Denn mit dem Ausgang des 'Goldenen Zeitalters' und den sinkenden Wohlstandszuwächsen (noch nicht aber des Wohlstands selber) wandelt sich langfristig die Sichtweise auf die soziale Sicherung und den mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Wandel"
Das 'Aktivitätsparadigma des Alters' ist − wie die gesamte 'aktivierende Sozialpolitik' − jedoch höchst voraussetzungsreich. Für sozioökonomisch schlechter gestellte, arme Ältere, deren durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt bei 70,1 bzw. 76,9 Jahren (Männer bzw. Frauen) liegt, stellt sich die Pflicht, bis zum 67. Lebensjahr und die Anmutung, auch darüber hinaus noch zu arbeiten, anders dar als für Bessersituierte. Gleiches gilt für die mit dem Aktivitätsparadigma verbundenen Erwartungen einer Inpflichtnahme bei der Pflege von Betagten, dem bürgerschaftlichen Engagement usw.
Wie sehr ein zu positiv generalisierendes Altersbild den Blick auf die sozialen Realitäten verstellen kann, soll hier an einem kleinen Beispiel demonstriert werden: Die ansonsten sehr um ein differenziertes Altersbild bemühte Kommission zum Sechsten Altenbericht äußert sich kritisch über Vergünstigungen für Ältere z. B. im öffentlichen Nahverkehr. Mit dem (richtigen) Argument, dass bei Älteren keine generelle Einkommensschwäche festzustellen sei, konstatiert die Kommission, "... solche generalisierenden Vergünstigungen für ältere Menschen stützen ein auf Segregation beziehungsweise Sonderstatus aufbauendes Altersbild"
In der Praxis der kommunalen Altenpolitik rücken dagegen ganz andere Probleme in den Vordergrund. So sind solche Angebote viel zu wenigen der Betroffenen überhaupt bekannt und von den Informierten nutzt wiederum nur ein Teil solche Angebote dann auch.
Die sozialen Risiken und Probleme, die mit dem Altern verbunden sind, lassen sich nicht allein durch das kalendarische Alter erklären, sondern sind maßgeblich abhängig von einer Vielzahl ineinander greifender und sich verstärkender sozialer Einflussfaktoren. So gibt es auch (und gerade) innerhalb der Gruppe der Hochaltrigen erhebliche Unterschiede in den Lebenslagen. Ob die Phase des Alters zur Phase der Einschränkungen oder der "späten Freiheit" wird, wird entscheidend bestimmt von der sozialen Stellung, die die Betroffenen in ihrem Lebenszyklus innehatten.
Die Lebenslagenforschung hat aufgezeigt, dass beeinträchtigte bzw. gefährdete Lebenslagen im Alter nicht zufällig verteilt sind, sondern in hohem Maße mit sozial-strukturellen Merkmalen verknüpft sind. Dabei wird eine enge Beziehung deutlich: Eine durch Unsicherheit, hohe Arbeitsmarktrisiken, gesundheitliche Belastungen, niedrige Einkommen und soziale Benachteiligungen geprägte Stellung im Erwerbsleben wirkt auch noch bis ins hohe Alter hinein. Demgegenüber behält eine zeitlebens privilegierte gesellschaftliche Stellung auch im Alter ihre Bedeutung; zumindest erleichtert sie den Umgang mit und die Bewältigung von typischen Altersproblemen. Die Lebensphase Alter ist also durch soziale Ungleichheiten charakterisiert, bei der Einflüsse der Schicht-, Geschlechts-, Kohorten- und Altersgruppenzugehörigkeit ineinander greifen. Zu erkennen ist eine zunehmende Differenzierung des Alters in Lebenslagen unterschiedlicher Qualität und mit unterschiedlichem sozial- und altenpolitischem Handlungsbedarf.
Idealtypisch lassen sich zwei Pole aufzeigen:
Es gibt die Alten mit guten bis sehr guten Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die sich auch durch Vererbung – bereits relativ Wohlhabende erben relativ gesehen mehr – immer weiter verbessern. Diese Gruppe lebt in angemessenen Wohnbedingungen, die Risiken schwerer Krankheiten und frühzeitiger Pflegebedürftigkeit sind vergleichsweise gering und die Lebenserwartung ist hoch.
Auf der anderen Seite stehen Ältere, die mit finanziellen Einschränkungen bis hin zur Armut leben müssen, deren Wohn-, Lebens- und Teilhabebedingungen schlecht sind, die überproportional häufig unter schweren Krankheiten leiden und pflegebedürftig sind; in dieser Gruppe ist die Lebenserwartung auch noch deutlich geringer. Die soziale Wirklichkeit des Lebens der älteren Menschen bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Wer nur die eine, die "goldene" Seite betont, malt ein verzerrtes Bild.