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Teilhabedimensionen

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Durchschnittswerte und Statistiken sagen wenig über die soziale Realität älterer Menschen aus. Die Lebenslagen auch von Älteren sind (zunehmend) unterschiedlich ausgestaltet und nicht so einfach vergleichbar. Viele Ältere entsprechen nicht dem verbreiteten Bild von Älteren in der Öffentlichkeit.

Eine alte Frau sitzt im Berliner Stadtbezirk Pankow vor einer mit Eintopf gefüllten Schüssel in einer Suppenküche. (© picture-alliance/dpa)

Trotz der ein positives Bild von der Lebenslage Älterer zeichnenden Durchschnittswerte zeigen differenziertere Daten, dass ein erheblicher Teil der Älteren dem inzwischen dominierenden einseitig positiven Altersbild nicht entspricht:

  • Die Teilhabe an staatlichen Sach- bzw. Infrastrukturleistungen ist zwischen besser und schlechter situierten Älteren deutlich unterschiedlich. Es "... deutet sich an, dass ältere Personen, die von Armut betroffen sind, die Angebote öffentlicher Einrichtungen insgesamt seltener nutzen als nicht von Armut Betroffene" .

  • So sind die Inanspruchnahmequoten von armen Älteren an Kursen und Vorträgen der Erwachsenenbildung mit 10 Prozent nur halb so hoch als bei Älteren mit einem Nettoäquivalenzeinkommen über der Armutsrisikoschwelle. Die Inanspruchnahme von Kultureinrichtungen (Konzerte, Theater, Oper, Museen) von älteren Armen liegt bei 40, von älteren Nicht-Armen aber bei 60 Prozent.

  • Eklatantestes Beispiel für die breite Streuung in den Lebenslagen Älterer ist die gruppenspezifische Lebenserwartung: Bei Männern mit geringem Einkommen (unter 60 Prozent des Durchschnitts) ist im Verhältnis zu jenen mit hohem Einkommen (über 150 Prozent) die Lebenserwartung bei Geburt um 10,8 Jahre kürzer, ab dem 65. Lebensjahr um 7,4 Jahre. Bei Frauen sind es 8,4 bzw. 6,3 Jahre .

  • Die Ungleichheit in der gesundheitlichen Situation zwischen Armen und den Einkommensstarken beginnt aber nicht erst mit dem 65. Lebensjahr. Das Mortalitätsrisiko ist im Vergleich von Armen und Einkommensstarken um das 2,7-fache bei Männern und um das 2,4-fache bei Frauen erhöht. "In der Folge erreichen 31,0 Prozent der Männer und 16,0 Prozent der Frauen aus der Armutsrisikogruppe gar nicht erst das 65. Lebensjahr. Bei Männern und Frauen aus der höchsten Einkommensgruppe liegt der Anteil der vorzeitig Verstorbenen mit 13,0 Prozent bzw. 7,0 Prozent deutlich niedriger" .

  • Gleichermaßen unterscheidet sich die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes je nach Einkommensgruppe − und das bereits bei 45- bis 64-Jährigen (Bei den ab 65-jährigen Männern bleibt die große Diskrepanz bestehen, bei den Frauen nimmt sie im Rentenalter ab; ). 2010 waren "... 22 Prozent der 65-jährigen und älteren Männer und 24 Prozent der gleichaltrigen Frauen mit relativ geringen Einkommen in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, während dies von den Männern und Frauen der oberen Einkommensgruppe lediglich auf zehn bzw. zwölf Prozent zutrifft" .

  • Ältere Personen berichten zu einem wesentlich höheren Anteil (14,6 versus 8,3 Prozent) von einem schlechten oder sehr schlechten Gesundheitszustand als im Durchschnitt aller Altersgruppen. Vergleicht man jeweils nur die Teilpopulation derjenigen mit einem Nettoäquivalenzeinkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle, so erhöhen sich die Anteile entsprechend (vgl. Tabelle " Armut und Gesundheit").Dies ist nicht nur ein isoliertes Beispiel für einen gruppenspezifischen Unterschied in der Lebenslage, sondern kann auch weitergehende Teilhabeprobleme nach sich ziehen, wenn aufgrund solcher Einschränkungen Zugangsprobleme zum Beispiel im Öffentlichen Nahverkehr etc. resultieren.

Armut und Gesundheit in der gesamten und in der älteren Bevölkerung 2016

in Prozent

Selbsteinschätzung Gesundheitszustand
sehr gutgutmittelmäßigschlechtsehr schlecht
Bevölkerung insg. (ab 16 Jahre)18,047,226,56,91,4
darunter: Armutsgefährdete14,535,633,613,13,3
ab 65-Jährige 3,636,845,012,32,3
darunter: Armutsgefährdete (3,2)27,249,516,7(3,5)

Quelle: Statistisches Bundesamt (2018c), S. 38 f. (EU-SILC).

  • Zur Messung des Ausmaßes der materiellen Deprivation hat die Europäische Statistikbehörde Eurostat einen zusammenfassenden Indikator entwickelt. Dieser baut auf neun Einzelfragen auf wie z.B. zur Verfügbarkeit eines Autos, ob man sich finanziell mindestens einmal im Jahr eine einwöchige Urlaubsreise leisten könne, oder ob man es sich leisten könne, die Wohnung ausreichend zu beheizen (vgl. Quellentext).

QuellentextMaterielle Deprivation (Entbehrung)

Die materielle Entbehrung umfasst einerseits verschiedene Formen wirtschaftlicher Belastung und andererseits einen aus finanziellen Gründen erzwungenen Mangel an Gebrauchsgütern, wobei der Mangel durch die unfreiwillige Unfähigkeit (im Unterschied zur Wahlfreiheit) bedingt ist, für gewisse Ausgaben aufkommen zu können. Der Haushalt schätzt für neun Kriterien ein, inwieweit er aus finanziellen Gründen Probleme hat. Materielle Entbehrung liegt nach der EU-Definition dann vor, wenn aufgrund der Selbsteinschätzung des Haushalts mindestens drei der neun Kriterien erfüllt sind; erhebliche materielle Entbehrung wird dagegen bei Haushalten angenommen, bei denen mindestens vier der neun Kriterien zutreffen.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2015c, S. 19.

Häufiger und auch stärker, d.h. mit mehr berichteten Mängeln, ist die so gemessene materielle Deprivation bei den Personen unterhalb der Armutsrisikoschwelle jeweils ausgeprägter als bei den Personen oberhalb der Armutsrisikoschwelle. Finanzielle Armut wirkt sich also durchgängig negativ in den verschiedensten Lebensbereichen aus .

Die Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft und ihre Lebenslage bestimmen sich nicht nur durch das Einkommen und andere materielle Dinge. Gerade für Ältere sind auch soziale Nahbeziehungen, Engagementmöglichkeiten etc. von besonderer Bedeutung. Dies nicht zuletzt, da für sie die in anderen Lebensphasen zentralen sozialen Kontakte aus der Arbeitswelt wegfallen oder in der Familie wegen Kinderlosigkeit nicht existieren, die oft auch (Hilfe-)Netzwerke fundieren.

Mit zunehmendem Alter dünnen diese Kontakte häufig aus, gerade bei sozial und ökonomisch schlechter gestellten Personen. Dabei spielt zusätzlich der Familienstand der Älteren eine wichtige Rolle. Bei alleine lebenden Personen wiegen diese Defizite besonders schwer. Wie die Befragungen des deutschen Alterssurveys belegen , sind die familialen Hilfebeziehungen und Bindungen − soweit vorhanden − nicht schlechter geworden: Die Generationenbeziehungen werden als positiv gesehen.

Auch beim Ehrenamt bzw. bürgerschaftlichen Engagement ist ein vergleichbarer sozialer Selektionsmechanismus festzustellen:

Bei einer Eigeneinschätzung des Einkommens als sehr gut ist die Engagiertenquote mit 50,0 Prozent fast doppelt so hoch als bei denjenigen, die ihre Einkommenssituation als schlecht einschätzen (26,9 Prozent). Dieser Unterschied ist noch deutlicher, wenn man nur die jüngeren Alten zwischen 65 und 74 Jahren betrachtet.

Fazit

Die vorgestellten empirischen Befunde belegen erstens nicht nur eine hohe Heterogenität der Lebenslagen Älterer, die es nicht erlaubt, einfach von "den" Älteren zu sprechen. Sie zeigen zweitens auch, dass es bezogen auf die ältere Generation einen erheblichen Anteil von Personen mit sozialen Problemen gibt, angesichts derer es nicht gerechtfertigt ist, diese als "alte soziale Frage" zu den Akten zu legen. Drittens machen sie deutlich, dass es zwischen den verschiedenen Problemen starke Zusammenhänge gibt, die im Alter kumulieren: Z.B. zwischen geringem Einkommen und geringem Vermögen oder zwischen Einkommen und Gesundheit oder zwischen Einkommen und gesellschaftlicher Teilhabe.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Deutscher Bundestag 2011, S. 52.

  2. Vgl. Lampert u. a. 2011, S. 248.

  3. Lampert 2009, S. 129.

  4. Vgl. ebenda.

  5. Deutscher Bundestag 2013, S. 202.

  6. Vgl. Hauser, Schüssler 2012.

  7. Vgl. Motel-Klingebiel, Vogel 2013.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.