"Der demografische Wandel ist Chance und Herausforderung zugleich: Nie zuvor haben Menschen so lange gesund gelebt und nie zuvor wurden in Deutschland so wenige Kinder geboren wie heute. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich, und es gibt immer weniger junge Menschen. Wanderungsbewegungen innerhalb und zwischen Staaten prägen seit Jahrzehnten unseren Alltag", so schrieb es die Bundesregierung noch in ihrer weiterentwickelten Demografiestrategie von 2015.
Die positive Entwicklung bei der Geburtenrate, vor allem aber die verstärkte Zuwanderung nach Deutschland in den vergangenen zwei Jahren haben mittlerweile dazu geführt, dass sich die demografische Ausgangslage in Deutschland kurz- und mittelfristig verändert hat. So geht die Bundesregierung in ihrer jüngst veröffentlichten Bilanz zum Ende der 18. Legislaturperiode davon aus, dass sich die Bevölkerungszahl in Deutschland bei einer weiterhin hohen Zuwanderung und einer steigenden Geburtenrate auf dem heutigen Niveau stabilisieren könnte.
Ungeachtet solcher Prognosen, bei denen es sich immer um Modellrechnungen handelt, deren Ergebnisse wesentlich von den vorher getroffenen Annahmen abhängen: In ihrer Gesamtheit wird die Bevölkerungsentwicklung stets durch drei Faktoren bestimmt, die sich in ihren Wirkungen überlagern:
die Fertilitätsentwicklung, also die Entwicklung der Geburten im Zeitverlauf;
die Mortalitätsentwicklung, d.h. die Sterblichkeit bzw. die Veränderung im Altersaufbau einer Gesellschaft;
die Migration, also die Ein- und Auswanderung sowie räumliche Mobilität.
Besonderen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bevölkerung haben also natürliche Bevölkerungsveränderungen, zum einen durch die Fertilität, also die Geburtenrate. Zum zweiten spielen die Mortalität, also die Sterberate und das Alter der Menschen, die sterben, eine entscheidende Rolle. Und zum dritten sind räumliche Veränderungen der Menschen durch Migration, also Zu- und Abwanderung sowie regionale Wanderungsbewegungen ausschlaggebend, insbesondere durch eine stärkere Konzentration der Bevölkerung in den Ballungszentren und Städten.
Infotool des Statistischen BundesamtesAnimierte Bevölkerungspyramide
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Fertilität
Die Fertilität, also die Geburtenrate, wird dadurch beeinflusst, wie viele Frauen in einem entsprechenden Alter Kinder bekommen und wie viele Kinder sie zur Welt bringen. Diese Zahl ist in Deutschland auch im europäischen Vergleich relativ niedrig. Sie lag jahrzehntelang bei knapp unter 1,4 Kindern pro Frau und stieg erst nach 2010 wieder leicht an - bis auf einen Wert von zuletzt 1,5 je Frau. Auch wenn sich die durchschnittliche Kinderzahl in Deutschland in den kommenden Jahren weiter erhöhen sollte, liegt sie vorerst noch weit unter dem Bestandserhaltungsniveau - somit werden auch in jeder Generation weniger potenzielle Mütter und Väter geboren als in der vorhergehenden. Damit eine Bevölkerung konstant bleibt, müsste die durchschnittliche Kinderzahl bei 2,1 liegen, so die Statistikerinnen und Statistiker.
Gründe für eine niedrige Geburtenzahl können wirtschaftlicher Mangel oder Kriege sein. So sank die Zahl der pro Frau geborenen Kinder mit dem Zweiten Weltkrieg erstmals auf durchschnittlich unter zwei Kinder. Zum Vergleich: Ende des 19. Jahrhunderts bekamen Frauen in Deutschland durchschnittlich noch über vier Kinder. Nach der friedlichen Revolution 1989 gab es in der früheren DDR durch die äußeren Umbrüche einen sogenannten "Nach-Wende-Schock" der Geburtenzahlen, die bis 1995 auf einen statistischen Durchschnitt von unter einem geborenen Kind pro Frau absanken.
Aber auch ohne dramatische Einschnitte hat sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen: Insgesamt haben Kinder im 21. Jahrhundert nicht mehr den hohen "ökonomischen Stellenwert" wie in den Jahrhunderten zuvor. Im Gegenteil: Berufliche Anforderungen in der modernen Arbeitswelt machen es gerade für Frauen schwer, Familie und Arbeit zu vereinbaren. Die Folge ist auch ein Verzicht auf Kinder oder eine begrenzte Zahl. In der Regel bekommen Frauen ein oder zwei Kinder. Großfamilien mit mehr als drei Kindern sind selten. Auch die Zahl von Frauen, die gar keine Kinder bekommen, ist in den vergangenen einhundert Jahren stark gestiegen auf zuletzt ein Fünftel der Frauen im Alter zwischen 45 und 49 Jahren. Deutschland gehört damit neben der Schweiz, Italien und Finnland zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa. Allerdings hat diese Quote zuletzt nicht weiter zugenommen.
Familienpolitische Maßnahmen können dem nur langsam entgegenwirken: So konnten Anreize wie das Elterngeld bislang keine deutliche Zunahme der Fertilität bewirken – die Zahl der geborenen Kinder ist nach der Einführung des Elterngeldes im Januar 2007 nur moderat gestiegen.
radioWissen PodcastDie demografische Katastrophe - Mythos und Wirklichkeit einer Prognose (23.02.2017)
Nikolaus Nützel
Vom demografischen Wandel ist viel die Rede. In Deutschland leben immer weniger junge und immer mehr alte Menschen. Doch muss dies für die Gesellschaft unbedingt negative Folgen haben? Hören Sie mehr zum Thema in einem Podcast des Bayerischen Rundfunks aus der Sendereihe radioWissen.
Dieser Podcast ist eine Produktion des Bayerischen Rundfunks. Die bpb veröffentlicht ihn mit freundlicher Genehmigung als verlinktes Angebot.
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Mortalität
Die niedrige Geburtenzahl ist die Hauptursache für die demografische Alterung, also für den wachsenden Anteil älterer Menschen innerhalb einer Bevölkerung. Außerdem steigt die Lebenserwartung kontinuierlich an: durch eine bessere gesundheitliche Versorgung, einen kontinuierlichen medizinischen Fortschritt und den damit verbundenen Rückgang der Sterblichkeit durch bestimmte Krankheiten, beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, besseres Wissen über die Ursachen von Krankheiten und eine damit verbundene Vorsorge sowie weniger Belastungen durch Arbeit, Hunger oder Kriege. Das bedeutet: Die Menschen leben länger und sterben erst in einem hohen Alter – statistisch betrachtet. Damit steigt der gesamte Altersdurchschnitt der Bevölkerung. Die Zahl derjenigen, die 100 Jahre und älter werden, wächst ebenso. Betrug die Lebenserwartung von Neugeborenen Ende des 19. Jahrhunderts noch unter 40 Jahre, waren es Mitte des 20. Jahrhunderts schon über 60 Jahre. Derzeit werden Frauen im Durchschnitt bereits knapp 83 Jahre alt, Männer 78 Jahre. Das ist allein seit 1970 eine Zunahme von etwa zehn Jahren – und die Lebenserwartung steigt weiter an.
Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem eine sinkende Säuglings- und Kindersterblichkeit zur Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung beitrug, ist diese mittlerweile vor allem auf ein längeres Leben, also auf eine sinkende Sterblichkeit, zurückzuführen. Eine heute 65-jährige Frau hat im Durchschnitt noch eine weitere Lebenserwartung von 20 Jahren. Ein 2010 in Deutschland geborenes Baby wird mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit 100 Jahre alt werden.
Wollen Demografinnen und Demografen etwas zur Alterung einer Gesellschaft sagen, schauen sie sowohl auf die Menschen, die über 60 Jahre alt sind, als auch auf den Anteil der über 80-Jährigen und auf die Menschen, die 100 Jahre und älter werden. Betrug der Anteil der über 60-Jährigen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch acht Prozent der Gesamtbevölkerung, wird es im Jahr 2050 voraussichtlich etwa ein Drittel sein. Die hiesige Bevölkerung wird also immer älter und die Zahl älterer Menschen steigt.