Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Deutschlands Bevölkerung im Vergleich | Demografischer Wandel | bpb.de

Demografischer Wandel Handlungsfelder Regionale Auswirkungen Sozialsysteme Staat und Verwaltung Umwelt Wirtschaft und Arbeit Debatten und Standpunkte Eine Debatte – viele Akteure Demografische Entwicklung als Chance Einwanderungsland Deutschland Familie Perspektive der jungen Generation Neue Alterskultur Arbeit 60+ Zukunft der Städte Städte mit Potenzial West und Ost Demografie weltweit Die wachsende Welt Bevölkerungswachstum in Niger 7,7 Milliarden Menschen ... Europas demografische Zukunft Deutschland im Vergleich Interviews Herbert Brücker/Stefan Luft: Zuwanderung und Arbeitsmarktintegration Christoph Butterwegge: "Man reduziert soziale Probleme auf demografische" Anna Braam/Ursula Lehr: Die Jungen im Land der Alten Hans-Jürgen Urban: "Gegen die Spaltung zwischen den Generationen" Martin Krzywdzinski: "Digitalisierung kann altersgerechte Arbeitsplätze schaffen" Achim Goerres: "Wie wir wählen, hat nur noch sehr wenig mit dem Alter zu tun" Olga Pötzsch: "Die Vorausberechnung ist keine Zukunftsvision" Materialien Redaktion

Deutschlands Bevölkerung im Vergleich

Fritz Habekuß

/ 6 Minuten zu lesen

Deutschlands Bevölkerung hat im internationalen Vergleich ein sehr hohes Durchschnittsalter bei niedriger Fertilität. Ähnlich sieht die Lage in weiteren Industrienationen aus. Beim Umgang mit alternden Gesellschaften lohnt ein Blick nach Japan oder Italien.

Deutschland im Vergleich (© Martin Brombacher )

Die Bundesrepublik gehört heute zu den ältesten Nationen der Welt. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamts lag das Durchschnittsalter 2015 bei 44 Jahren und 3 Monaten. Weltweit liegt es laut Vereinten Nationen bei lediglich 29,6 Jahren. Und auch im Vergleich mit anderen entwickelten Ländern in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Deutschland deutlich über dem Durchschnitt von knapp 40 Jahren.

Dass Deutschlands Bevölkerung zu den ältesten der Welt gehört, könnte trotz eines zuletzt beobachteten leichten Rückgangs des Durchschnittsalters durch den starken Zuzug überproportional vieler junger Menschen auch in den kommenden Jahrzehnten so bleiben. Bis 2030 soll es in der Bundesrepublik laut Prognose des letzten Weltbevölkerungsberichts der Vereinten Nationen auf 48,6 Jahre ansteigen, nur sechs Staaten (China, Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Japan) werden dann eine ältere Bevölkerung haben. Der europäische Altersdurchschnitt soll dann bei 44,7 Jahren liegen. Zu den jüngsten Industrienationen werden dann laut Bevölkerungsvorausberechnung der UN Australien (39,8), die USA (40,0), Island (40,1) und Irland (41,3) zählen.

Bis 2050, der durchschnittliche Deutsche ist dann bereits 51,4 Jahre alt, wird Deutschland den Verienten Nationen zufolge allerdings aus den Top Ten der ältesten Bevölkerungen herausfallen. Mit Südkorea (53,9), Japan (53,3), Singapur (53,0) und China (52,7) könnten sich dann erstmals vier asiatische Industrienationen unter den ersten zehn finden, das jüngste Durchschnittsalter in der OECD werden dann voraussichtlich Australien (41,4) und die USA haben (beide 41,7).

Auch die Fertilität ist derzeit in Deutschland (1,5 Kinder pro Frau) unter dem europäischen Durchschnitt von 1,6 und dem Durchschnitt der OECD-Länder (1,76). In den kommenden Jahrzehnten soll diese Zahl laut UN-Bevölkerungsvorausberechnung zwar auf durchschnittlich 1,62 Kinder pro Frau steigen, damit aber noch immer im unteren Drittel der Industrienationen bleiben.

Derzeit ist nur ein Land der Welt ist älter als Deutschland: Japan. Die ostasiatische Nation, die als erstes nicht-westliches Land zum Kreis der Industrienationen aufgeschlossen hat, verfügt über die älteste Bevölkerung der Erde. Heute liegt das Durchschnittsalter dort bei bereits 46,5 Jahren, bis 2030 steigt es noch einmal auf 51,5 Jahre an.

Japan, Modellregion des Alterns

Woran liegt das? Seit Ende der 1980er Jahre ist in Japan ein gesellschaftlicher Umbruch im Gange. Das Wirtschaftswachstum ist gesunken. Anstatt immer neuen Wohlstand zu generieren, hielt Japan sein Niveau nur mit Anstrengungen und Rückschlägen. Die Nachkriegsjahre waren geprägt von einer rasanten Vermehrung des Wohlstands, die Geburtenzahlen schossen in die Höhe – die Babyboomer wurden in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre geboren, deutlich früher als in Deutschland. "Dankai Sedai" heißen die Menschen der geburtenstarken Jahrgänge dort: die “Klumpengeneration”. Das Renteneinstiegsalter liegt in Japan aktuell bei 61 Jahren. Im Frühjahr 2013 wurde beschlossen, es bis 2025 schrittweise auf 65 Jahre zu erhöhen.

Nirgendwo werden die Menschen so alt wie in Japan. Bei 83,7 Jahren liegt die Lebenserwartung laut Weltgesundheitsorganisation WHO im Moment. Erreicht ein Mensch das Rentenalter, hat er in der Regel noch Jahrzehnte gesunden Lebens vor sich. Arbeiten wird er dann in den meisten Fällen aber nicht mehr, dafür sorgen unter anderem strenge Rentengesetze. In der langanhaltenden Krise wird es für junge Japanerinnen und Japaner immer schwieriger, einen festen Job mit Aufstiegschancen zu finden. Besonders die Frauen suchen in den unsicheren Zeiten vermehrt nach Sicherheit, sodass sich auch in den jüngeren Generationen konservative Lebensentwürfe durchgesetzt haben. Eine Folge davon ist auch der Einbruch der Kinderzahlen. Heute liegt die zusammengefasste Geburtenziffer bei lediglich 1,4 Kindern pro Frau.

Zeigt das Beispiel Japan, was auch in der Bundesrepublik in ein paar Jahren Wirklichkeit wird? Zum Teil: Alterung lässt sich nicht aufhalten oder umkehren, dafür ist die Fertilität schon zu lange zu niedrig und die Bevölkerungszusammensetzung ungünstig – es gibt viele alte Menschen und zu wenig potenzielle Eltern. Doch während Japan, auch seine Jugend, an bisherigen Leitbildern festhält, öffnet sich die deutsche Gesellschaft gegenüber alternativen Lebensformen, wie der Patchwork-Familie. Diese Pluralität hat zwar nur indirekt mit Alterung zu tun, ist aber ein Hinweis darauf, wie flexibel eine Gesellschaft dabei ist, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen.

Viel wichtiger ist noch ein weiterer Faktor: die Migration. Nur 2,2 Millionen Ausländerinnen und Ausländer leben in Japan. Bei den rund 127 Millionen Einwohnern in Japan entspricht das gerade einmal einem Anteil von knapp zwei Prozent. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten ist das extrem wenig. In Deutschland lebten 2015 laut Statistischem Bundesamt etwa 17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, bei einer Einwohnerzahl von knapp 82 Millionen entspricht das rund 21 Prozent. Die Nettozuwanderung ist in den vergangenen Jahren noch einmal deutlich angestiegen – also schon abzüglich derer, die Deutschland gleichzeitig verließen.

Über das demografische Problem macht sich auch die japanische Politik ihre Gedanken. Vorsichtige Reformen wirken jedoch zu langsam und sie werden Japan nicht davor bewahren können, Vorreiter einer Entwicklung zu sein, die auf den Großteil der Industrieländer zukommt: eine Gesellschaft der Alten.

Auch wenn Deutschland sich in wesentlichen Punkten von Japan unterscheidet, gibt es mit niedriger Fertilität, den Jahrgängen der Babyboomer, die in Rente gehen, einer hohen Lebenserwartung und dem Abflachen des Wirtschaftswachstums eine Reihe von Merkmalen, die beide Länder teilen.

Deutschland und Italien mit demografischen Gemeinsamkeiten

Rentner in einem Straßencafé in Neapel: In Europa gehört Italien, wie Deutschland, zu den Ländern mit der ältesten Bevölkerung. (© picture alliance / Tone Koene)

In Europa hat Deutschland mit Italien viele demografische Gemeinsamkeiten. Beide Länder gehören hier zu jenen mit dem global höchsten Durchschnittsalter (Deutschland: 46,2 Italien: 45,9 Jahre), der höchsten Lebenserwartung (Deutschland: 81,0, Italien: 82,7 Jahre) und etwa gleich niedriger Fertilität (Deutschland: 1,5, Italien: 1,5).

Beide Staaten werden bis 2050 Einwohnerinnen und Einwohner verlieren. In Italien, wo 2015 noch 59,8 Millionen Menschen lebten (Deutschland: 80,7 Millionen), wird die Bevölkerungszahl laut UN-Prognosen bis 2050 auf 56,5 Millionen sinken (Deutschland: 74,5 Millionen). Anfang der 1990er Jahre lag die Fertilitätsrate in Italien mit 1,27 Kindern pro Frau sogar noch deutlich unter dem aktuellen Wert.

Frankreich und Großbritannien als demografische Gewinner

Europa muss als aktuell älteste Weltregion mit dem demografischen Wandel zurechtkommen. Nur wenige Staaten des Kontinents werden in den kommenden Jahren Einwohnerinnen und Einwohner hinzugewinnen. Zu den demografischen Gewinnern werden Frankreich und Großbritannien gehören. So sagt eine Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung voraus, dass uns das Nachbarland aufgrund hoher Einwanderung und Fertilitätswerte (1,96 Kinder pro Frau) spätestens zum Ende, vielleicht auch schon zur Mitte des Jahrhunderts bei der Einwohnerzahl eingeholt haben wird. Was Deutschland mit den beiden Ländern teilt, sind die hohen Wanderungsüberschüsse. Frankreich und Großbritannien sind als ehemalige Kolonialmächte traditionell Ziele von Immigration.

Deutschland hat durch seine wirtschaftliche Stärke im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/09 Einwohnerinnen und Einwohner dazugewonnen. Die Zuwanderung stieg vor allem ab 2011 deutlich an, nachdem unter anderem die siebenjährige Übergangsfrist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach der EU-Osterweiterung 2004 zu Ende ging. Seit 2012 steigt sogar die gesamte Einwohnerzahl wieder an, in den vergangenen Jahren nochmal zusätzlich aufgrund der großen Zahl Geflüchteter. Noch gehen Demografen allerdings davon aus, dass es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Denn im Unterschied zu England und Frankreich ist die Geburtenziffer weiterhin vergleichsweise niedrig - auch wenn sie im Jahr 2015 mit 1,5 Kindern pro Frau so hoch ausfiel wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.

Glossar

Durchschnittsalter: Es gibt viele Varianten, einen Durchschnitt zu errechnen. Die beiden wichtigsten sind das arithmetische Mittel (Quotient aller addierten Werte durch Anzahl der Werte) und der Median (Mittelwert, Wert der übrig bleibt, wenn man jeweils den kleinsten und größten Wert wegstreicht, bis nur noch ein Wert übrig ist).

Lebenserwartung: Gibt die durchschnittliche Anzahl von Jahren an, die ein Neugeborenes noch zu erwarten hat. In entwickelten Ländern liegt die Lebenserwartung von Frauen über der von Männern. Nicht eingerechnet ist in den offiziellen Zahlen, dass eine Erhöhung von rund drei Jahren pro Dekade wahrscheinlich ist.

Fertilität: Fruchtbarkeitsrate. Gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich bekommen wird.

Babyboomer: Geburtenstarke Jahrgänge der Nachkriegs- und Wirtschaftswachstumszeit.

Weitere Inhalte

Fritz Habekuß, Jahrgang 1990, ist Redakteur im Wissenschaftsressort der ZEIT. Er wurde in Brandenburg geboren und studierte Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der TU Dortmund.