Es scheint, als ob die Menschen zurück in die Städte wollen. Vor allem in die Großstädte. In München oder Hamburg wird bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware – auch in Folge steigender Einwohnerzahlen. Die Bundesregierung hat für Stadtteile, in denen die Wohnungssituation besonders angespannt ist, im Oktober 2014 eine Mietpreisbremse eingeführt. Sie regelt, dass Mieten für Bestandswohnungen – also solche Wohnungen, die bereits vor Inkrafttreten der Mietpreisbremse genutzt und vermietet wurden – bei Wiedervermietung höchstens um zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete angehoben werden darf. Zugleich hält das Schrumpfen vieler Städte und Gemeinden auf Grund des demografischen Wandels an.
Zurzeit leben rund 25 Millionen Deutsche in Großstädten, das sind 31 Prozent der Gesamtbevölkerung. Als Großstädte gelten Gemeinden mit mindestens 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dazu zählt Berlin mit seinen 3,5 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch Essen (rund 566.000) und Leipzig (510.000) sowie Bottrop (117.000) oder Jena (106.000). 27 Prozent der Deutschen leben in Gemeinden, die zwischen 20.000 und 100.000 Bewohnerinnen und Bewohner zählen; 36 Prozent in Gemeinden mit 2.000 bis 20.000 und 6 Prozent in Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Dabei haben allein Großstädte – im Gegensatz zu Klein- und Mittelstädten – zwischen 2008 und 2013 an Bevölkerung gewonnen, so ein Ergebnis des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Und zwar insgesamt um 2,8 Prozent. Münster hält den Wachstumsrekord: Die Bevölkerung legte zwischen den Jahren 2008 und 2013 um knapp 9 Prozent zu. Frankfurt am Main konnte ein Plus von 7,6 Prozent feststellen, Darmstadt wuchs um 7,3 Prozent und München um 7 Prozent. Unter den Städten mittlerer Größe (20.000 bis 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) ist dagegen der Anteil der schrumpfenden Kommunen deutlich größer. Ein starkes Wachstum verzeichneten hier vor allem die Städte im Umland der Metropolen Berlin, Stuttgart und München. Generell lässt sich feststellen, dass vor allem jene Großstädte wachsen, die 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohner zählen.
Wachstum durch Wanderung
Wollen Menschen also verstärkt in Großstädten leben? Haben sich die persönlichen Präferenzen geändert? Die gegenwärtige Situation ist durch zwei Besonderheiten geprägt.
Zum einen habe der Trend zum Stadtumlandwachstum, zur sogenannten Suburbanisierung, an Bedeutung verloren, sagt Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag und beim Städtetag Nordrhein-Westfalen. Heißt: Die Städterinnen und Städter zieht es zurzeit weniger stark ins Umland. "Das liegt nicht nur daran, dass man in den Städten in den Genuss des Bildungs-, Kultur- und Versorgungsangebots kommt, sondern durchaus auch ein starkes Stadtteilgefühl, ein Kiezgefühl empfindet. Dagegen erscheinen Vorstadtsiedlungen eher anonym." Insgesamt seien die Städte auch für das Wohnen wieder attraktiver geworden. "Die Reaktivierung der Innen- und Kernstädte ist gelungen", sagt von Lojewski.
Zum anderen ist es vor allem die Wanderung von Menschen in die Städte, die deren Bevölkerung wachsen lässt. Denn in den Großstädten bleibt der Geburtensaldo überwiegend negativ ; es sterben mehr Menschen als geboren werden. Das Wachstum beruht also auf Zuzug, und es sind insbesondere die 18- bis 29-Jährigen, die in die Städte wandern. Sie bevorzugen jene Großstädte, die Hochschul- und Fachhochschulstandorte sowie stabile Arbeitsmärkte bieten.
"Die Wanderungsmuster haben sich nicht grundsätzlich verändert"
Die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen gilt per se als recht mobil. Sie sind es, die am ehesten ihren Wohnort wechseln. Diesen Punkt unterstreicht Hansjörg Bucher vom BBSR. Der Demograf arbeitet schwerpunktmäßig zu Demografie und Raumentwicklung. "Jedes Jahr wandern rund drei Prozent der Bevölkerung von einem Kreis in den anderen. Das sind rund 2,5 Millionen Menschen. Sie wandern vom Land in die Stadt, von der Stadt ins Umland, vom Osten in den Westen, vom Norden in den Süden. Diese Wanderungsmuster haben sich nicht grundsätzlich verändert." Die aktuelle positive Wanderungsbilanz in die Städte führt er selbst deshalb weniger auf die Präferenz urbaner Standorte zurück. "Vielmehr gibt es derzeit besonders viele Menschen jener Altersjahrgänge, die schon immer vermehrt in die Städte zogen", sagt Bucher.
Sicherlich hat eine generell gestiegene Mobilität auch Auswirkungen auf die Wanderung junger Menschen. Ebenso spielt der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen eine Rolle: Die wachsende Zahl von Studierenden hat mehr Bildungswanderung in die (Groß-)Städte zur Konsequenz. Aber: Die jetzt in die Großstädte ziehenden jüngeren Jahrgänge müssten dauerhaft in den Großstädten bleiben. Erst dann würde sich eine anhaltende Renaissance der Großstädte abzeichnen.
Wachsen und Schrumpfen
Doch das ist noch ungewiss. Insgesamt bleiben Bevölkerungs- und Wanderungsprognosen eine Annahme. Unklar ist zum Beispiel, wie sich die Zuwanderung aus dem Ausland nach Deutschland entwickeln wird. Im Jahr 2015 hat Deutschland die höchste Zuwanderung seit Gründung der Bundesrepublik erlebt. Betrachtet man die Zu- und Abwanderung, dann ergibt sich für 2015 ein Wanderungsüberschuss von 1,139 Millionen Menschen. Das Statistische Bundesamt führte dies zum großen Teil auf die Flüchtlingsbewegung zurück, es habe sich aber auch der Anstieg der Zuwanderung aus der EU fortgesetzt. Ausländische Zuwanderer und Zuwanderinnen präferieren in der Mehrheit (Groß-)Städte als Wohnort und vor allem wirtschaftsstarke Städte. Auch sie spielen beim städtischen Wachstum eine Rolle.
Trotz hoher Zuwanderungszahlen wird die Bevölkerung, so die Prognosen, auf lange Sicht schrumpfen – auch mit Auswirkungen auf die Siedlungsstruktur. Doch nicht nur Schrumpfen, sondern auch Wachstum wird die deutschen Städte weiterhin prägen. Dabei werden strukturschwache Städte mit einem instabilen Arbeitsmarkt eher schrumpfen als wirtschaftsstarke Städte, die als moderne Dienstleistungszentren und Universitätsstädte aufgestellt sind. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlieren wird wachsen, falls Städte und Gemeinden in strukturschwachen Regionen nicht gezielt unterstützt werden. Aber auch in den Städten selbst wird ein Wachsen und Schrumpfen zugleich stattfinden – längst nicht alle Stadtquartiere sind heute gleichermaßen attraktiv.
"Wichtig ist zu sehen, dass sich der demografische Wandel auf die Stadtentwicklung durchaus zwiespältig auswirkt", sagt Hilmar von Lojewski. "Die Städte müssen sich gleichermaßen mit den Themen Schrumpfung und Wachstum auseinandersetzen, und das oft gleichzeitig und in engem räumlichen Zusammenhang. Wenn wir uns den strategischen Überbau der Bundesregierung mit ihrer Demografie-Strategie anschauen, dann geht es dort in erster Linie um Alterung und Schrumpfung. Für die Städte geht es aber auch um Wachstum und neben Rückbau auch um Ausbau."
Weiterführende Links
Die Attraktivität großer Städte – ökonomisch, demografisch, kulturell
hrsg. vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Externer Link: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/Sonderveroeffentlichungen/2012/
DL_AttraktivitaetStaedte.pdf
Raumordnungsprognose 2030 (BBSR)
Externer Link: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Raumentwicklung/RaumentwicklungDeutschland/
Projekte/Archiv/BevPrognose/prognose_node.html
Wachsen oder Schrumpfen? (BBSR)
Externer Link: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/AnalysenKompakt/2015/DL_12_2015.pdf
Stadtentwicklungsbericht 2016 der Bundesregierung
Externer Link: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nationale_Stadtentwicklung/stadtentwicklungsbericht_breg_2016_bf.pdf