2014 war das Jahr der 50. Geburtstage: Nie zuvor und vielleicht auch nie mehr danach werden so viele Männer und Frauen in Deutschland innerhalb eines Jahres diesen runden Geburtstag feiern. Sie sind der geburtenstärkste Jahrgang, den es hierzulande gab. Und sie haben im statistischen Schnitt noch sehr viele Geburtstage vor sich: 36 weitere für Frauen, 31,5 weitere für Männer.
Das ist beachtlich – und doch nichts im Vergleich zu ihren Kindern und Enkeln, die im 21. Jahrhundert geboren wurden und noch werden. Von denen wird mindestens jeder dritte, vielleicht sogar jeder zweite seinen 100. Geburtstag feiern.
Ab 50 sind wir glücklicher als in der Jugend
Das aber ist ein Trugschluss, wie einige neue Studien zeigen. Ganz im Gegenteil deuten sie daraufhin, dass viele Menschen ab 50 glücklicher und zufriedener werden. Die Glückskurve stellte sich als "U"-Form heraus, mit einem statistischen Tiefpunkt im Alter von 46.
Hinzu kommt der demografische Wandel. Für Menschen um die 50 eröffnen sich neue Perspektiven: Durch den sich in Zukunft kontinuierlich verschärfenden Facharbeitermangel werden sie auf dem Arbeitsmarkt immer gefragter. Wer als Firma attraktiv sein will, muss in Zukunft flexible Arbeitszeitmodelle anbieten, die dem einzelnen Arbeitnehmer weit mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten als früher einräumen.
Kein Bereich der Personalpolitik wird sich so stark ändern wie der Umgang mit älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Schon in wenigen Jahren wird es keine Frage mehr sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis weit ins sechste Lebensjahrzehnt geschult und fortgebildet werden. Altersgemischte Teams werden normaler sein.
In den Fabriken werden Arbeitsabläufe, Fließbänder und Maschinen so optimiert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so körperschonend wie nie zuvor arbeiten können – egal, ob sie alt oder jung sind. Es wird noch immer Bereiche harter körperlicher Arbeit geben, doch die Unternehmen werden sie schon aus Eigeninteresse so weit wie nur irgend möglich reduzieren oder, wo dies nicht möglich ist, automatisieren.
Der immer wieder als Beispiel angeführte Dachdecker wird nach seinem 50. Geburtstag in andere Tätigkeiten hineinwachsen – egal, ob in die Büroarbeit, in die Beratung von Kunden oder die Ausbildung anderer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch wenn er nicht mehr auf dem Dach steht, wird er im Arbeitsleben bis an die Schwelle des 70. Geburtstages gebraucht werden.
Ältere werden gebraucht
Dieses "Gebraucht-Werden" beschreibt einen Paradigmenwechsel, dessen Bedeutung man kaum überschätzen kann. Er löst ein Vierteljahrhundert ab, in dem ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Politik, der Wirtschaft und den Medien oft als ersetzbar, nicht belastbar und verbraucht beschrieben wurden.
Noch gibt es nur wenige Unternehmen, die offensiv Angebote für ihre älter werdende Belegschaft machen. Noch seltener gibt es Vordenkerinnen und Vordenker, die ganz konsequent Schlüsse aus der heute weit längeren Lebensspanne des Menschen ziehen.
Eine davon ist Laura L. Carstensen, die Leiterin des Center on Longevity (Zentrum für langes Leben) der Stanford University in Kalifornien. "Wir sollten unsere Leben so planen, dass die Menschen mit 50 noch einmal aufbrechen. Sehen Sie es als ein "50:50-Modell", schreibt sie in ihrem Buch "Long, Bright Future".
Wir brauchen eine "neue Landkarte des Lebens", meint die US-amerikanische Anthropologin Mary Catherine Bateson, die bis 2010 das Institut für interkulturelle Studien in New York geleitet hat und in Harvard und an der Georg-Mason-Universität unterrichtet hat. Die Landkarte zu füllen könnte analog zur Erfindung der Adoleszenz vor über hundert Jahren geschehen: Bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Kinder als "Mini-Erwachsene" wahrgenommen. Sobald sie arbeiten konnten, waren sie keine Kinder mehr, sondern Erwachsene.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass sich mit den Jahren des Lernens und der Ausbildung etwas Neues in diese Abfolge schob: die Adoleszenz, eine Phase des Erwachsenwerdens, die gut eine Dekade umfassen konnte und heute auch umfasst.
Der britische Soziologe Peter Laslett hat schon 1989 vier Lebensphasen beschrieben: Als erste die der Kindheit und Jugend, danach das Erwachsensein und die berufliche Karriere und am Schluss das erneute Abhängigsein im hohen Alter und der kommende Tod. Dazwischen aber gebe es eine neue Phase zwischen dem Ende der elterlichen Pflichten sowie dem vermeintlichen Höhepunkt der beruflichen Karriere und dem Einsetzen der letzten Phase.
Laslett nennt diese neue Phase das "Dritte Alter". "Es ist eine Zeit, wo Individuen sich von den praktischen Notwendigkeiten der mittleren Jahre befreien können und noch Jahrzehnte vom hohen Alter entfernt sind. Es ist eine Gelegenheit für neue Entdeckungen, für Lernen und persönliches Wachstum, für vielleicht die wichtigsten Beiträge zu seinem eigenen Leben."
Eine "Gelegenheit für neue Entdeckungen, für Lernen und persönliches Wachstum": Noch gibt es für das, was im englischen Sprachraum Middle Age (das "mittlere Alter") genannt wird, keinen wirklich guten deutschen Begriff. Und doch gibt es schon weit mehr als nur zaghafte Versuche, diese Phase mit kreativen Ideen für ein längeres Leben zu füllen. Arbeiten, Wohnen, Leben, Freizeit: Überall haben sich Kreative, Unerschrockene und Innovative aufgemacht, diese Landkarte des langen Lebens zu beschreiben. Sie sind dabei, das Alter neu zu entdecken und neu zu definieren.