Zwar wird die Alterung unserer Gesellschaft von den niedrigen Geburtenraten mit vorangetrieben. Aber mit der konstant steigenden Lebenserwartung bekommen wir auch das vielleicht kostbarste Geschenk: Lebenszeit. Und zwar rein rechnerisch mit jedem Jahr bis zu drei Monate zusätzlich. Steigt die Lebenserwartung weiter im bisherigen Tempo - und es gibt wenig Gründe, daran zu zweifeln – dann wird jedes zweite Kind, das heute zur Welt kommt, seinen 100. Geburtstag erleben.
Dabei sind es keineswegs nur von Krankheit und Demenz bestimmte Jahre im Seniorenheim, die hinzukommen. Expertinnen und Experten zufolge verschiebt sich der gesamte Alterungsprozess nach hinten, bleibt das Verhältnis von gesunden zu kranken Lebensjahren anteilsmäßig konstant. Ein heute 50-Jähriger ist demnach ungefähr genauso fit wie ein 40-Jähriger im Jahr 1970.
Trotzdem wird der so genannte Altenquotient, der die Belastung der sozialen Sicherungssysteme anzeigt, seit Jahren auf die gleiche Art berechnet: Er vergleicht den Anteil der über 64-Jährigen mit jenem der erwerbsfähigen Bevölkerungsgruppe, also den 20- bis 64-Jährigen. Demnach wäre der demografische Wandel tatsächlich ein Desaster: Waren es 1970 noch 17 Rentnerinnen und Rentner, die auf 100 erwerbsfähige Menschen kamen, stieg diese Zahl 2008 schon auf das Doppelte und wird für 2060 je nach Höhe der Zuwanderung auf 61 bis 65 Rentnerinnen und Rentner geschätzt.
Alt, aber fit
In 15 Jahren wird diesen Berechnungen zufolge vermutlich schon ein Rentner auf zwei Erwerbstätige kommen. Was dabei allerdings außer Acht gelassen wird: Der durchschnittliche 65-Jährige aus dem Jahr 1970 war mental und körperlich wesentlich älter als es der 65-Jährige im Jahr 2030 oder 2060 sein wird. Die vermeintliche Rentnerin aus dem Jahr 2060 kann und will vielleicht noch fünf oder gar zehn Jahre in Teilzeit weiter arbeiten. Vielleicht kümmert sie sich auch um die pflegebedürftige Mutter oder passt auf die Enkelkinder auf, während die Eltern arbeiten gehen. Sind 65-Jährige also wirklich eine Last für die Gesellschaft, wie es der Altenquotient unterstellt? Oder ist es eher eine starre Auffassung vom Alter und Altern, das die steigende Lebenswerwartung zu einer Last macht?
Mehr Teilzeit, mehr Erwerbstätige
Selbst wenn das Rentenalter nicht weiter erhöht werden würde, könnte die Wirtschaftsleistung pro Kopf bis 2025 mit einfachen Mitteln auf dem gleichen Niveau wie 2005 gehalten werden: Im Fachmagazin Science rechneten Demografen schon 2006 vor, dass dafür vor allem wieder mehr ältere Menschen arbeiten müssten.
Fachkräftemangel als Chance für ältere Arbeitnehmer
Dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit im höheren Alter in Zukunft steigen wird, ist gerade im Zuge des demografischen Wandels sehr wahrscheinlich: Weil die Nachfrage nach Arbeitskräften deutlich zunehmen wird, werden auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Erwerbslose wieder bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Für die Erwerbsquote wäre eine solche Entwicklung ohnehin gut, aber auch die Unternehmen könnten davon profitieren. Wissenschaftler haben untersucht, inwieweit gemischte Teams aus älteren und jüngeren Arbeitskräften ein höheres Innovationspotenzial haben. Und das häufige Vorurteil, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wesentlich leistungsschwächer sind als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen, wurde von der Forschung widerlegt.
Auch die Beschäftigungsquote von Frauen dürfte steigen. Unternehmen werden aufgrund des Fachkräftemangels dazu gezwungen sein, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten.
Mehr Flexibilität im Erwerbsleben
All die Probleme, die der demografische Wandel für die Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt mit sich bringt, bieten also auch eine gute Gelegenheit, die starre Einteilung der Lebensphasen in "Lernen" – "Arbeiten" – "Rente" zu überdenken und die Möglichkeiten, die eine höhere Lebenserwartung schafft, genauer auszuloten. Ist es sinnvoll, die größten beruflichen, familiären und finanziellen Herausforderungen in eine Lebensphase, die sogenannte "Rush Hour des Lebens", zu pressen? Oder wäre es nicht besser, die Lebensphasen flexibler zu gestalten, so dass Auszeiten für die Familie, für die Pflege oder auch für Weiterbildung einfacher in das Arbeitsleben integriert werden können?
Das Elterngeld könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Es erlaubt Müttern und Vätern, sich der Erziehung zu widmen, ohne in dieser finanziell meist nicht gerade rosigen Zeit komplett auf ein Gehalt verzichten zu müssen. Auch die Pflegereform, die Menschen Lohnersatz zuspricht, wenn diese ihre Angehörigen pflegen, könnte Flexibilität für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine Entlastung der Sozialsysteme bringen.