Leitung: Dr. Mahmoud Abdallah (Universität Tübingen)
Referent_innen: Dr. Mahmoud Abdallah, Dr. Abdelmalek Hibaoui (Universität Tübingen), Gülbahar Erdem (Universität Erlangen)
Moderation: Dr. Ahmed Abd-Elsalam (Münster)
Die Aufgabe des Seelsorgers in der pluralen deutschen Gesellschaft gleiche der Arbeit eines Gärtners, sagte Dr. Mahmoud Abdallah von der Universität Tübingen: So wie die Pflanzen im Garten unterschiedliche Bedürfnisse haben, müsse eine zeitgemäße Seelsorge, auch die muslimische, multiperspektivisch sein.
"Muslimische Seelsorge ist ein religiös motiviertes, professionelles Kommunikationsangebot für Not leidende Menschen, unabhängig von ihrem Glaubensverständnis", so Abdallah. Seelsorge, auch die muslimische, müsse die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen. Betont wurde von allen, dass Seelsorge keine missionarische Arbeit sein dürfe. "Der muslimische Seelsorger kann aber Wege aufzeigen, sich Gott zuzuwenden." (Abdallah) Ein wesentlicher Baustein sei die innerreligiöse Sensibilität. "Auch Muslime sind individuell geprägt." (Abdallah)
Unterschiedliche Auffassungen herrschten unter den Debattierenden darüber, welchen Anteil die islamische Theologie an Ausbildung und Ausübung haben sollte. Wobei nicht zwischen "muslimischer Seelsorge" und "islamischer Seelsorge" differenziert wurde.
Die religiöse Vielfalt, auch innerhalb der muslimischen Community, bringt unterschiedliche innerreligiöse, interreligiöse, interkulturelle Konzepte und Modelle hervor. Denkbar ist darüber hinaus ein transreligiöser, transkultureller Ansatz, erklärte Dr. Ahmed Abd-Elsalam von der Universität Münster. Demzufolge müsse eine Seelsorge-Ausbildung darauf ausgerichtet sein, verschiedene "religiöse Sprachen" und entsprechende Schlüsselwörter zu vermitteln. Zudem sei zu überlegen, ob eine solche Ausbildung notwendigerweise eine akademische sein sollte.
"Seelsorge ist im Glauben verankert", erklärte Dr. Abelmalek Hibaoui von der Universität Tübingen. Zur religiösen Kompetenz (1) komme die psychosoziale (2), die interkulturelle bzw. interreligiöse (3), und die sprachliche (4) Kompetenz. Deshalb, so Hibaoui, sei neben dem Studium der Theologie eine ständige Aus- und Weiterbildung unerlässlich.
Ein Teilnehmer bemerkte, die christliche Seelsorge würde normalerweise von Würdenträgern ausgeübt. Welche Voraussetzung muss also ein muslimischer Seelsorger mitbringen? Bringt ein Imam die idealen Voraussetzungen mit? Dies wurde kontrovers beleuchtet. Ein Argument lautete: Seelsorge kann nur über psychosoziale bzw. psychotherapeutische Gesprächsführung gelingen. Diese setze jedoch eine gezielte Ausbildung voraus. Sollte Seelsorge also Teil der Imam-Ausbildung sein?
Eine gemeinsame Perspektive liegt im Aufbau fester, professioneller Strukturen für die muslimische Seelsorge – und für die Ausbildung muslimischer Seelsorger_innen. Denn das Ehrenamt ermöglicht keine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit christlichen Seelsorger_innen. Die Ausgestaltung solcher Strukturen ist mit Fragen verbunden, wobei eine Kooperation mit bestehenden Organisationen von allen positiv bewertet wurde. "Wir möchten gemeinsam mit den Kirchen aus den Erfahrungen lernen", so Hibaoui. "Wünschenswert ist eine Partizipation von Muslimen an bestehenden Einrichtungen – neben dem Aufbau selbstorganisierter Strukturen", so Güllbahar Erdem von der Universität Erlangen.
Abdallah betonte, dass auch christliche Träger von Veränderungsprozessen betroffen seien: "Wir leben in einer pluralen Gesellschaft. Das Modell der bestehenden Organisationen können wir nicht per se übernehmen.“ Die bestehenden Organisationen seien unter anderen historischen Umständen gegründet worden.
Alfred Miess berichtete von einem Modellprojekt des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog: "Unsere Rahmenrichtlinien orientieren sich an denen der evangelischen und katholischen Kirchen – und der Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA). An erster Stelle steht die Gesprächsführung. Danach kommt der theologische Teil." Das Modellprojekt "MUSE-Muslimische Seelsorge in Wiesbaden" basiert hingegen auf einem "authentisch-islamischen Konzept", wie Erdem erklärte. "Der muslimische Seelsorger hilft einem anderen Menschen, mit Hilfe des Glaubens seine Krisen durchzustehen."
Ein Teilnehmer forderte die Einführung bundesweiter Standards für die Ausbildung muslimischer Seelsorger_innen. Offen bleiben einige strukturelle Fragen: Wer konzipiert und finanziert Ausbildung und Tätigkeitsfeld? Wer übernimmt die Supervision? "Um eine verbesserte Teilhabe zu ermöglichen, braucht es finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen", so Erdem.
Die größten strukturellen Herausforderungen bestehen in einer Professionalisierung der muslimischen Seelsorge, in der Überwindung ehrenamtlicher Strukturen, der Etablierung finanzieller und rechtlicher Rahmenbedingungen, einer Verknüpfung mit bestehenden Strukturen. Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Vielfalt der kulturellen und religiösen Prägungen. "Wir haben Gesprächsbedarf innerhalb der muslimischen Community, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln", resümierte Hibaoui. Abdallah schloss mit dem Wunsch, dass eine Standardisierung der Seelsorge-Ausbildung politische Unterstützung finden möge, zum Beispiel durch die Deutsche Islam Konferenz 2016, die das Thema Islamische Wohlfahrtspflege beleuchten wird.
Biografische Angaben
Dr. Mahmoud Abdallah wuchs in der oasischen Ortschaft Fayoum (Ägypten) auf. Er studierte Germanistik, Arabistik undislamische Theologie u. a. an der Al-Azhar Universität Kairo. Anschließend war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Al-Alsun Fakultät (Ägypten). Seit 2012 lehrt und forscht er am Zentrum für islamische Theologie der Universität Tübingen und ist Mitglied der interreligiösen Forschungsprojekte "Wie der christlich-muslimischer Dialog gelingen kann" und "Gottesbilder als Deutungskonzepte von Erfahrung und ihre Orientierungskraft angesichts der Herausforderung der (post)säkularen Gesellschaften in Europa". Er ist Initiativer und Co-Veranstalter des "Gesprächsforum der christlich-muslimischer TheologInnen" in Tübingen und Gründungsmitglied des Arbeitskreises "Islamische Theologie in der Seelsorge". Forschungsschwerpunkt: Theologie des Zusammenlebens, Glaubensfreiheit und Glaubensgemeinschaft im Islam, Menschenbild im Islam und muslimische Seelsorge.
Dr. Abelmalek Hibaoui geboren in Marokko hat Islamwissenschaften, Theologie und Arabistik an der Universität Meknes, Fes und Rabat/Marokko studiert und über Annemarie Schimmels Wirken und das Islambild in Deutschland promoviert. Er ist seit 2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Islamische Theologie (ZITH), Universität Tübingen, Forschungsthema: "Seelsorgeim Islam -Herausforderung der praktischen Theologie in pluralistischer Gesellschaft“. 2007–2012 Lehrbeauftragter für islamische Theologie an der PH Ludwigsburg. Vorstandsmitglied des International Association of Spiritual Care (IASC) Universität Bern/Schweiz. Mitglied des Arbeitskreises Islamische Seelsorge, Mannheimer Institut für Integration und interreligiöser Dialog. 2010–2014 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz (DIK).
Erdem Guelbahar Studium der Islamischen Philologie, Islamkunde und Rechtswissenschaft an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. Zwischen 2008-2012 Projektleiterin und Initiatorin des Projektes MUSE-Muslimische Seelsorge in Wiesbaden, im Amt für Zuwanderung und Integration. 2013 Gründungsmitglied und Vorsitzende des Vereins MUSE e.V. Seit September 2013 Promotion am Department für Islamisch-Religiöse Studien an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Islamische Theologie im Kontext des Handlungsfelds Seelsorge, Islamische Religionspraxis in Deutschland, Interkulturelle Bildung und Interreligiöser DialogEhrenamtliches Engagement in Sternengarten e.V. Wiesbaden und Kompetenzzentrum Muslimischer Frauen e.V.