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Workshop 5: Von der Hinterhofmoschee zum multifunktionalen Träger – Professionalisierung islamischer Organisationen | X. Zukunftsforum Islam | bpb.de

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Workshop 5: Von der Hinterhofmoschee zum multifunktionalen Träger – Professionalisierung islamischer Organisationen

Jeanette Goddar (Berlin)

/ 5 Minuten zu lesen

Leitung: Raida Chbib (Frankfurt), Engin Karahan (Köln)
Moderation: Samy Charchira (Düsseldorf)

Auf der Suche nach Antworten auf das "Wie weiter?" innerhalb der muslimischen Gemeinden startete Engin Karahan, ehemaliger Referent für Rechtsfragen des Islamrats, heute freiberuflicher Rechtsberater, den Blick nach vorn mit einem in die Geschichte: Vom Freitagsgebet, das zu Beginn der "Gastarbeiter_innen"-Ära häufig in den kirchlichen Gemeindesälen stattfand, in provisorische Gebetsräume, die sich schließlich mit der Familienzusammenführung zu "Sozialräumen" entwickelten. Von dort über eingetragene Vereine (mit notdürftig gebastelten Satzungen), die sich in "Landsmannschaften" mit starkem Bezug zum Herkunftsland sortierten zu regionalen und bundesweiten Verbänden.

Für heute fächerte Karahan eine immense Bandbreite sozialer Tätigkeiten der Moscheegemeinden auf, nämlich: Jugendarbeit (von Religion bis Nachhilfe zu Empowerment); Frauenarbeit (von Religion über Sprach- und Bildungskurse bis zu Empowerment); Seelsorge (in Krankenhaus, Gefängnis, vor Ort), soziale Fürsorge (in der "Dritten Welt", in den Herkunftsländern, in der Flüchtlingshilfe). Die Finanzierung sei auch deswegen schwierig, weil es weit weniger (zahlende Förder-)mitglieder als Nutzer_innen/Betende gäbe. Schon deswegen könnten soziale Angebote nur sekundär angeboten werden – ihre religiösen Angebote könne eine Moschee bei knappen Kassen kaum einstellen. Zudem stehen die Gemeinden vor dem Problem, dass ihre qualifiziertesten Mitglieder immer mehr zu "sozialen Nomaden" werden: Mangels ausreichender Betätigungsmöglichkeiten in den eigenen Gemeinden ziehen sie von einem sozialen Projekt zum nächsten, bis sie teilweise im Berufsleben die Zeit für ihr soziales Engagement und die Gemeinden ihre wichtigste personelle Ressource für die Wohlfahrtsarbeit verlieren. Er prophezeite, Gemeinden würden auch künftig prioritär religiöse Unterweisung anbieten, bei gleichzeitig steigender Erwartungshaltung ihrer Nutzer_innen, mehr zu machen. Zum Reformwillen der Verbände erklärte er, der Druck käme häufig aus den Gemeinden.

Raida Chbib sagte, soziale Arbeit werde nicht nur in Moscheen geleistet: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für islamische Studien der Universität Frankfurt wies auf eine Reihe selbständiger Träger außerhalb von Moscheegemeinden hin (von Muslimischer Jugend über das Düsseldorfer Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen bis zu Islamic Relief und das Zahnräder Netzwerk, eine Plattform für soziale Innovation). In Sachen ‚Professionalisierung’ attestierte sie ihnen einen Vorsprung: Sie seien "eigenständige Organisationen mit sozialem Primat", ethnisch wie glaubensgemeinschaftlich übergreifend und häufig regional gut vernetzt. Wie könnten sie in die Debatte eingebunden werden? Vor Ort immerhin hätten Versuche, mit Moscheegemeinden zu kooperieren, durchaus Erfolg – ein Eindruck, dem mehrere Teilnehmer_innen widersprachen.

In der anschließenden Diskussion wurde unter teils heftigen Kontroversen der Einfluss aus dem Ausland (insbesondere durch die türkische Religiosbehörde Diyanet auf Ditib-Moscheen) betont, die in der Debatte (regelmäßig) nicht erwähnt würde, wissenschaftlich aber erwiesen sei. Bezweifelt wurde das von Karahan angesprochene Engagement Jugendlicher in Moscheen; viele hätten längst keine Lust mehr, sich dort zu engagieren; die Kluft sei zu groß. Auch die Vermischung von (religiöser) "Gemeinde-" und "Sozialarbeit" stieß auf Kritik: Religiöse Unterweisung sei keine Sozialarbeit; auch nicht jedes Gespräch darüber hinaus. In der Diskussion wie in von der Deutschen Islam Konferenz (DIK) beauftragten Erhebungen brauche es trennscharfe Kriterien. Sozialarbeit sei "ein Beruf". Ein Teilnehmer erklärte, das Anerkennen von Profession habe sich längst nicht durchgesetzt: "Eine psychotherapeutische Beratungsstelle kostet 3 bis 400.000 Euro im Jahr; wie viele Verbände denken sich: Das kann doch der Imam!" Deren Kompetenz wurde mehrfach angezweifelt; viele kennten Deutschland zu schlecht, niemand hätte die entsprechende Ausbildung. Einer sagte: "Eine vergewaltigte Frau kann man nicht mit >Meine Tochter, das geht vorbei!< abservieren. Das kommt aber vor."

Insgesamt herrschte der Eindruck: Der Weg zu Qualität(-ssicherung) ist vielerorten weit; ein professioneller Spitzenverband steht nicht unmittelbar vor der Tür – auch wenn die großen Verbände Kompetenz entwickelt haben. Angeregt wurde ein "plural-übergreifender islamischer Wohlfahrtsverband" auf dem kleinen gemeinsamen Nenner "Wille zur Veränderung". Raida Chbib benannte drei positive Nebeneffekte der Debatte über muslimische Wohlfahrt: 1. Muslime bekämen Raum und Experten, mit denen sie diskutieren können. 2. Die Debatte gehe weg von Defiziten, hin zu: "Wie kommen wir auf eine solide Basis?" 3. Der Öffentlichkeit werde signalisiert, dass Muslim_innen sich engagieren, was auch die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft beeinflusse, zugespitzt: "Vom Sozialschmarotzer zum Sozialdienstleister!" Sie verteidigte auch den – von der DIK angestoßenen – Top-Down-Ansatz, zunächst über die Verbände zu Bestandsaufnahme und Vernetzung zu kommen. Insgesamt setzte sich die in Workshop 4 vertretene "Unbedingt von unten nach oben!"-Haltung nicht durch: Es gelte, das differenziert zu betrachten. Wichtig seien Dialogkanäle in beide Richtungen wie auch mehr Dialog zwischen den Verbänden.

Die Debatte stand immer wieder vor der Zwickmühle: Ohne Finanzierung keine Kompetenz – und ohne Kompetenz häufig keine Finanzierung. Hinzu käme noch die Jagd nach Töpfen in jeweils aktuellen Feldern, wie zurzeit bei der Extremismusprävention. Und: Wieviel Kooperation ist angesichts eines nur so und so großen Kuchens realistisch? Und: Führt Kooperation nicht zu Selbstaufgabe respektive Vereinnahmung?

Biografische Angaben

Raida Chbib hat in Bonn Politologie, Islamwissenschaft und Völkerrecht studiert und zwischen 2006 und 2012 am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr Universität Bochum (CERES) im Rahmen zweier Forschungsprojekte zu den Themenfeldern "Religiöser Pluralismus" sowie "Religion und Migration" gearbeitet. Im Rahmen ihrer dort angesiedelten Dissertation untersucht sie aus religionssoziologischer Perspektive die "Organisationsweisen des Islam in der BRD unter Berücksichtigung des Spektrums außerhalb der Dachverbände". Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gesellschaft und Kultur des Islam (des ZefiS) an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. beschäftigt

Engin Karahan Mitgewirkt in der ersten und dritten Islamkonferenz, bis April 2014 einer der beiden Vertreter des Islamrats im KRM. In diesen Funktionen Mitwirkung in zahlreichen Gesetzgebungsverfahren, Staatsvertragsverhandlungen und Kooperationsgesprächen auf Seiten von muslimischen Gemeinschaften. Dabei insbesondere zuständig für die Ausarbeitung von religionsverfassungsrechtlichen Gutachten, Konzepten und zur institutionellen Vertretung. Mitwirkung an zahlreichen gemeinsamen Gremien und Arbeitsausschüssen wie der Deutschen Islam Konferenz des Bundesinnenministers, am "dialog forum islam" des NRW-Sozialministeriums und anderen Veranstaltungen auf Bundes- und Landesebene. Zudem immer wieder Referent und Redner auf zahlreichen Podien, in denen es um die Institutionalisierung des Islam in Deutschland ging. In bisherigen Tätigkeiten immer wieder verantwortlich für Symposien, Workshops und Schulungen und insbesondere für die Fort- und Ausbildungen von muslimischen Akteuren.

Dipl.-Soz. Päd. Samy Charchira ist Diplom Sozialpädagoge und Gründungsmitglied des "Zukunftsforum Islam" der Bundeszentrale für politische Bildung. Er ist Sachverständiger bei der Deutschen Islamkonferenz und Vorstandsmitglied des Landesverbandes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.