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1. Tag der Fachtagung: 28.01.2019 | In Gottes Namen?! Streit um Religion in Gesellschaft und Politik | bpb.de

In Gottes Namen?! Streit um Religion in Gesellschaft und Politik 1. Tag der Fachtagung: 28.01.2019 2. Tag der Fachtagung: 29.01.2019 Vortrag: "Deutschland, wie hast du’s mit der Religion?" Vortrag: "Konflikt- und Friedenspotenzial der Religionen" Arbeitsgruppenphase I: Debatten um Religion in Gesellschaft und Politik Podiumsgespräch "Der einzig wahre Glaube? Von gesellschaftlichen Konflikten zum Theaterstück" 3. Tag der Fachtagung: 30.01.2019 Vortrag: "Antisemitismus(kritik) in der Migrationsgesellschaft" Vortrag: "Islamfeindlichkeit in Deutschland und Österreich" Arbeitsgruppenphase II: Welche Rolle spielt Religion? Interaktiver Abschluss Videos der Fachvorträge Videointerviews

1. Tag der Fachtagung: 28.01.2019

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Podiumsdiskussion "Mit Gottes Segen? Religion und Politik in Deutschland 2019" (© Laurin Schmid)

Begrüßung

Hanne Wurzel, Leiterin des Fachbereichs "Extremismus" der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung am Montagabend zum Veranstaltungsauftakt im Essener RuhrTurm. Es sei das Anliegen der Bundeszentrale für politische Bildung, so Wurzel, den Veranstaltungsteilnehmenden eine Plattform für den Austausch über die gesellschaftspolitische Relevanz von Religion zu geben. Im Rahmen einer Fachtagung könne eine sachliche Debatte über dieses kontroverse und emotionale Thema gut gelingen.

Mit Gottes Segen? Religion und Politik in Deutschland in 2019

Es diskutierten:

  • Dr. Ulrike Spohn, Politikwissenschaftlerin, Münster

  • Arik Platzek, humanistisch.net, Berlin

  • Eren Güvercin, Alhambra-Gesellschaft, Berlin

  • Dr. Andreas Goetze, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Berlin

  • Moderation: Susanne Fritz, Deutschlandfunk, Köln

Die Podiumsdiskussion "Mit Gottes Segen? Religion und Politik in Deutschland in 2019“ thematisierte die sich wandelnde deutsche Gesellschaft in Bezug auf Glaube und Religion. Das Land habe sich seit den 1960er Jahren stark geändert, so die Moderatorin Susanne Fritz: von christlich geprägt zu religiös plural. Sowohl jüdische als auch islamische Gemeinden wachsen. Doch religiöser Pluralismus schließe auch die wachsende Zahl der Konfessionslosen ein. Religion sei außerdem individueller geworden: Die Menschen "basteln" sich aus zahlreichen Aspekten diverser religiöser oder spiritueller Angebote ihren eigenen Glauben. Religiöse Vielfalt führe jedoch auch zu Konflikten. Susanne Fritz formulierte einige der zu diskutierenden Fragen und Debatten wie folgt: "Was ist die Bedeutung unseres christlichen Erbes?", "Werden die Stimmen der Konfessionslosen in Deutschland ausreichend gehört?", "Sollen Staat und Kirche stärker getrennt werden?" und "Wie viel Religion verträgt der Staat?" Dr. Ulrike Spohn promovierte über die Legitimität religiös fundierter Argumente im Kontext der politischen Meinungs- und Willensbildung und sieht im Laizismus keine Lösung für Deutschland. Vielmehr sei der Laizismus eine Flucht und Verdrängung der vielfältigen Realitäten gelebten Glaubens. Auch Arik Platzek, Co-Autor des Berichts "Gläserne Wände. Zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland", bewertet die Zusammenarbeit von Staat und religiöser Gemeinschaft nicht per se als störend. Ein mögliches Konfliktpotenzial hänge von der Intensität der Kooperation ab. So seien quasi-monopole religiöse Trägerschaften problematisch. In den alten Bundesländern, insbesondere in ländlichen Regionen, fehle es an Alternativen. Als Muslim, so der Mitbegründer der Alhambra-Gesellschaft, Eren Güvercin, verzweifele er nicht an der engen Kooperation von Staat und christlichen Religionsgemeinschaften. Er sehe sich außerdem nicht benachteiligt. Das deutsche Religionsverfassungsrecht sei in seinen Forderungen nach der Religionsfreiheit und dem staatlichen Neutralitätsgebot klar formuliert. Dennoch fordere er eine alltagsnahe Religionspolitik, welche die veränderten gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland berücksichtige. Güvercin lehnt es ab, sich aufgrund der vielseitigen Kooperation von Staat und christlichen Religionsgemeinschaften, in einer Opferrolle zu positionieren. Er verlange von muslimischen Verbänden ein aktives Engagement für ihre Rechte als Religionsgemeinschaften. Für die Realisierung eines solchen Engagements sei der Laizismus, wie ihn das französische Modell vorgibt, nicht sinnvoll. Dr. Andreas Goetze von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für ein laizistisches Modell in Deutschland. Stattdessen befürwortet er das Zusammenspiel eines säkularen Staatsmodells mit dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses verfassungsrechtlich verankerte Subsidiaritätsprinzip besagt, dass in einem föderalen Gemeinwesen der unteren Ebene der Vorrang im Handeln garantiert wird, vorausgesetzt, sie ist ihrer Aufgabe gewachsen und kann diese angemessen erfüllen. Für die Realisierung des Sozialstaatprinzips bedeutet dies, dass der Gesetzgeber nicht nur behördliche Maßnahmen implementieren muss. Es steht ihm frei, auch die Mithilfe privater Wohlfahrtsorganisationen, darunter kirchliche Organisationen, in Anspruch zu nehmen.

Neben der Frage, ob der Laizismus eine Perspektive für Deutschland darstelle, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums auch über die gesellschaftliche Wahrnehmung und Repräsentanz von konfessionslosen Bürgerinnen und Bürgern. Sind Konfessionslose in unserem Staat diskriminiert? Herr Platzek und Herr Güvercin erkennen eine solche Diskriminierung. Konfessionsfreie Menschen, so Platzek, sehen sich manchmal als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. Die Gesetzgebung und die Politik würden stark davon ausgehen, dass die Gesellschaft in christlichen Gemeinschaften organisiert sei. Für Humanisten, für muslimische und für jüdische Gemeinden sei diese Annahme natürlich problematisch. Auch aufgrund des Subsidiaritätsprinzips seien die kirchlichen "Player" äußerst präsent. Für neue Akteure "am Markt" seien die Ausgangspositionen (z.B. zur Gründung einer Kita) hingegen schwieriger. Herr Güvercin wandte in diesem Zusammenhang den Blick auch auf muslimische Gemeinschaften und auf die Debatte um die Moscheesteuer. Sie sei in der muslimischen Realität ein neues Phänomen und führe letztlich in eine Sackgasse: der Gesetzgeber versuche, muslimische Gemeindestrukturen in das deutsche Rechtssystem zu integrieren, denke dabei jedoch ausschließlich in Kirchenstrukturen, die er beinahe blind übertragen möchte. Auf diese Weise könne kein Fortschritt gelingen. Kirchenförmige Strukturen können die Realität nicht erfassen, so auch Spohn. Dennoch sollten Gemeinschaften, die mehr Berücksichtigung finden möchten, nicht nur die gegebenen Strukturen kritisieren, sondern sich organisieren und einbringen. Dr. Spohns Appell an die Politik wiederum lautete, sich grundsätzlich intensiver mit dem Phänomen "Körperschaftsstatus" zu befassen, damit strukturelle Asymmetrien künftig abgemindert werden können.

Da die großen Kirchen also scheinbar im Vorteil sind, bleibt zu diskutieren, ob tatsächlich alle Akteure die gleichen Voraussetzungen für ein aktives Engagement besitzen. Diese Frage stieß auf Uneinigkeit auf dem Podium. Mit Verweis auf Vereine wie die Arbeiterwohlfahrt oder das Deutsche Rote Kreuz wurde argumentiert, dass auch ohne kirchliche Strukturen ein gesellschaftliches Engagement möglich sei. Jede Gemeinschaft, so Dr. Goetze, könne zu einer Körperschaft werden. Seine Aussage erfuhr Widerspruch. Natürlich stünde es sämtlichen Vereinen und Verbänden frei, sich bürgerschaftliches zu engagieren, doch ob dieses Engagement zugelassen bzw. angenommen werde, sei nicht garantiert.

Zu guter Letzt stand nochmals das Grundrecht der Religionsfreiheit im Fokus der Podiumsdiskussion. Das deutsche Grundgesetz garantiert allen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen die gleichen Rechte. Wie wird diese Garantie umgesetzt und wird die religiöse Vielfalt auch im deutschen Parteiensystem abgedeckt? Dr. Spohn beobachtet, dass das Thema "Religionspolitik" allgemein zu spät aufgegriffen wurde. Die Frage nach der Organisation einer religiös vielfältigen Gesellschaft stecke noch immer in anfänglichen Debatten fest, die handfeste Ansätze nach wie vor vermissen lassen. Herr Güvercin kritisierte die Religionspolitik Deutschlands in Bezug auf muslimische Themen dahingehend, dass sie beinahe ausschließlich auf religiösen Extremismus und Prävention fokussiere. Sicherlich habe eine Debatte über diese Aspekte von Religion ihre Berechtigung, jedoch führen sie in politischen Programmen und in Wahlkämpfen zu einem bitteren Beigeschmack und vor allem zu einer negativen Wahrnehmung des Islam. Solch eine negative Wahrnehmung wiederum gebe Wasser auf die Mühlen der extremistischen Akteure. Güvercin fordert den Dialog mit muslimischen Gemeinschaften und betonte die Bedeutung einer politischen Bildung, die auch muslimische Jugendliche erreicht. Auch Herr Platzek bekräftigte, dass sich die deutsche Religionspolitik wandeln müsse. Sie konzentriere sich stark auf die mögliche Gefahr einer Islamisierung, wenngleich der gesellschaftliche Trend viel stärker in einer Säkularisierung liege.

Fussnoten