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Religion und Körperpolitiken im internationalen Vergleich | Themen | bpb.de

Religion und Körperpolitiken im internationalen Vergleich

Gala Rexer

/ 13 Minuten zu lesen

Gala Rexer zeigt, wie sich an Körpern, deren Sicht- oder Unsichtbarkeit, dem Zugang zu bestimmten Praktiken oder deren Verbot, religiös-ideologischen Konflikte unserer Zeit ablesen lassen.

Ein Beschneidungswerkzeug aus dem jüdischem Museum von Venedig. (© picture alliance / Godong | Fred de Noyelle)

Warum interessiert sich der deutsche Staat für die Beschneidung muslimischer oder jüdischer Jungen? Weshalb fördert die israelische Regierung künstliche Befruchtung mit im internationalen Vergleich besonders hohen Subventionen? In den kulturell und religiös diversen Gesellschaften, in denen wir leben, erfährt der menschliche Körper gegenwärtig steigendes Interesse. Viele der aktuellen ideologischen Konflikte, die um Integration und Migration, Religion, Zugehörigkeit und Diversität kreisen, zielen auf den Körper als Austragungsort dieser Konflikte ab. Das wird besonders sichtbar in Debatten um religiöse Bekleidung und Symbole, insbesondere wenn es um den weiblichen Körper und die Rolle von Religion im öffentlichen Raum in sich als säkular verstehenden, westlichen Ländern geht. Körper und Körperpolitiken sind dementsprechend ein wesentliches Feld politischer Diskurse, sowie widerständischer Reaktionen darauf. Dabei verdecken die zum Teil scharf geführten Debatten und der starke Fokus auf den Islam als religiöse Praxis in westlichen Gesellschaften, dass Körper schon immer, und insbesondere unter neoliberalen Bedingungen, reguliert, geformt und unterschiedlich repräsentiert werden - im Kontext sowohl von religiösen, wie auch von säkularen körperlichen Praxen und deren Überschneidungen.

Im Folgenden wird in zwei Schritten vorgegangen: Zum einen gibt der Artikel einen kurzen Überblick zur theoretischen Einordnung des Körpers und Körperpolitiken, um aufzuzeigen, wie die vermeintlich „neutrale“ Grundlage unseres Alltages durch gesellschaftliche Strukturen geformt wird. Dem folgt ein kurzer Exkurs zu den Begrifflichkeiten des Religiösen und des Säkularen, in deren Spannungsfeld Körperpolitiken thematisiert werden. Anschließend werden als Beispiele internationaler Körperpolitiken Fertilitätstechnologien in Israel und die Beschneidungsdebatte in Deutschland diskutiert. Wie diese Fälle zeigen werden, ist ein Fokus auf Körperpolitiken und Religion deshalb politisch relevant, da sowohl individuelle wie kollektive Erfahrungen körperlicher Natur sind. Dabei sind Körper sowohl Orte der Normalisierung und des Widerstandes: Sie werden konstruiert und mit Bedeutung geladen, spiegeln aber deshalb gleichzeitig soziale Verhältnisse wie Geschlecht, Rassismus, oder andere Machtverhältnisse wider.

Der „vergessene“ Körper

Seit den späten 70er und mit Beginn der 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rückte der Körper in den Fokus der Sozial- und Kulturwissenschaften und damit ins Feld politischer Diskussionen. Insbesondere durch Forschung in den Bereichen der feministischen Wissenschaften und Genderstudien, sowie der Anthropologie und Geschichte, wurde der Körper als Objekt des Wissens entdeckt. Basierend auf dem cartesianischen Dualismus, der Idee der Trennung und Abgrenzbarkeit von Körper und Geist, war der Körper zuvor vor allem als natürlich und universal verstanden worden. Gedacht als Teil der „Natur“ und dementsprechend außerhalb von „Kultur“, blieb der Körper trotz seiner Allgegenwärtigkeit und Eingebundenheit in gesellschaftliche Verhältnisse von Soziologie und Anthropologie weitestgehend „unproblematisiert“. Die vermeintlich biologische Basis, die der Körper in dieser Tradition darstellte, wurde von Kultur und gesellschaftlichen Verhältnissen lediglich „bespielt“, stellte aber kein erkenntnisgenerierendes, veränderbares und sich veränderndes Objekt des Wissens an sich dar.

Der Körper als Spiegel des Sozialen

Als im späten 20. Jahrhundert der Körper, körperliche Praxen und Wissen über den Körper zum Teil sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung wurden, standen vor allem Themen wie Reproduktion, Sexualität, Gender/Geschlecht oder Krankheiten/Gesundheit im Fokus der Debatten. Im Zuge dessen wurde gezeigt, wie soziale Prozesse den Körper regulieren. Dies können explizite Regeln sein, die bei Ungehorsam zu Sanktionen führen, zum Beispiel illegalisierte Schwangerschaftsabbrüche oder Sterbehilfe. Die Regulierung kann aber auch auf subtilere Art und Weise wirken, indem sie Menschen suggeriert, die Anpassung oder Korrektur ihrer Körper an soziale oder kulturelle Verhältnisse sei ihr eigener Wunsch und erfolge nach ihrem eigenen Willen. Hier können beispielsweise Schönheitsideale wie ein dünner, weißer Körper, Jugendlichkeit, oder bestimme Lebensstile, die mit Körperpraxen einhergehen, genannt werden. Unter neoliberalen Verhältnissen verstärkt sich sowohl der Zwangs- als auch der Unsichtbarkeitscharakter dieser Regulierungen. So werden zum Beispiel Meditations- oder Achtsamkeitsübungen von Arbeitgeber_innen angeboten, um die Effizienz ihrer Mitarbeitenden zu steigern, während die körperlichen Maßnahmen jenen vor allem als Praktiken des „Self-Care“ vermittelt werden.

Körper können dementsprechend als eine Form der sozialen Repräsentation beschrieben werden, denn sie sind eingebunden in die Bedeutungssysteme, die in Kulturen Sinn herstellen. Körper werden durch Sprache und Praxen konstruiert, wahrgenommen, benannt, situiert und konnotiert. Folglich nennt die Anthropologin Meira Weiss sie einen Spiegel des Sozialen. Die Bedeutung, die Körper durch verschiedenste soziale Bezüge erhalten, bestimmt unsere Wahrnehmung, unser Denken und Verstehen von Körpern und körperlichen Praxen. Eines der prägnantesten Beispiele dafür ist die soziale Konstruktion von Geschlecht. Die binäre Unterscheidung zweier Geschlechter, die sowohl spezifische Geschlechtseigenschaften (Gender), sowie biologische und anatomische Gegebenheiten (sex / Geschlecht) aufweisen sollen, funktioniert über den Körper und körperliche Praxen. Dass diese Geschlechterordnung konstruiert ist und dadurch andere Körper ausschließt, wurde nicht zuletzt von der Philosophin und Gendertheoretikerin Judith Butler diskutiert, und zeigt sich in der Existenz intersexueller, nicht-binärer und trans* Menschen, sowie in Gesellschaften, für die andere Geschlechterordnungen maßgeblich sind.

Kurzum, es gibt keinen Rückgriff auf den Körper als solchen, der nicht bereits durch Kultur, Geschichte und Recht interpretiert wurde. Als Teil kultureller Bedeutungssysteme spielen religiöse Traditionen, Praktiken und Vorschriften ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Sie sind gleichermaßen an Prozessen beteiligt, in denen Bedeutungen von Körpern und Praktiken hergestellt werden und können ebenfalls explizit oder implizit in Gesellschaften wirken.

Wie politisch sind Körper?

Der Begriff der Körperpolitik (oder body politics) stellt einen der zentralen Begriffe des feministischen Vokabulars dar. Er wird in sehr unterschiedlichen Kontexten genutzt, wobei eine genaue Definition nicht vorliegt. Körperpolitiken ist gemeinsam, dass Machtverhältnisse auf Körper einwirken und diese dadurch formen, sie einschränken, ihnen Dinge ermöglichen und dadurch gleichzeitig die Möglichkeit zu Reaktionen oder Widerstand eröffnen.

Körperpolitiken können die Form von Gewaltanwendung oder einschränkender Gesetzgebung einnehmen, oder sich auf diskursive Praktiken und Repräsentationen beziehen.

Körperpolitiken bestimmen, was ein gesunder oder ein kranker Körper ist, wer sich in einer Gesellschaft fortpflanzen darf (Reproduktionstechnologien), welche Körper als lebenswert erachtet werden (Pränataldiagnostik), wer zu einer Gesellschaft gehört und wer als fremd klassifiziert wird (Hautfarbe, Ethnizität), wer welche Kleidungsstücke tragen darf und welche sozialen Implikationen damit einhergehen (Kopftuchdebatten, Rape Culture), welche religiösen Rituale ausgeübt werden dürfen (Beschneidungsdebatten), inwieweit das körperliche Selbstbestimmungsrecht von Frauen ausgestaltet ist (Schwangerschaftsabbruch), welche Körper als legitim verstanden werden, und welche sich außerhalb der Norm befinden (queere, trans* oder nicht-binäre Körper).

Körperpolitiken sind relevant für emanzipatorische Kämpfe um Gleichheit, Inklusion, Anerkennung oder Zugang zu Ressourcen. Insbesondere Fragen nach Sichtbarkeit und Repräsentation spielen dabei eine zentrale Rolle: Welche Körper können sie frei bewegen und welche Auswirkungen hat dies (Black Lives Matter)? Wer hat die Macht, über Körper anderer zu bestimmen? Wie werden Körper (re)präsentiert und welche Auswirkung hat das auf unsere eigene Wahrnehmung?

Seit dem 20. Jahrhundert und sich rasant verändernden technologischen Gegebenheiten, äußern sich die Möglichkeiten der (Um)gestaltung des vermeintlich natürlichen Körpers nach hegemonialen oder subversiven Vorgaben durch alltägliche, medizinische oder kosmetische Praxen stetig neu. Dabei verschwimmen nicht nur die (scheinbaren) Grenzen von Natur und Kultur, sondern auch von Repression und Widerstand. Verschiedene Körperpolitiken schreiben sich in Körper ein, während Körper darauf auf unterschiedlichen Ebenen reagieren - affirmierend, widerständisch oder gleichgültig.

Religion und Körper

Institutionalisierte Formen religiöser Praktiken, rechtliche Regulierungen von religiösen Traditionen unter nationalstaatlichen Rahmenbedingungen, sowie individuelle Auslegungen von gesellschaftlichen, religiösen oder vergeschlechtlichen Anforderungen spiegeln sich in gelebten, verkörperten Erfahrungen von Menschen. Religion und Körperpolitiken stehen in einem ambivalenten Verhältnis, welches individuell sowohl einwilligend und anerkennend, als auch widerständisch oder kritisch ausgestaltet sein kann. In jedem Fall aber konstituieren sich Religion, Säkularismus und Körper gegenseitig, indem Politik, Kultur und Traditionen einerseits von oben nach unten wirken („top-down“), Körper aber andererseits darauf reagieren und Praktiken oder Gesetze verändern können. Dieses dynamische Verhältnis wird ebenfalls von anderen Dimensionen des Sozialen durchkreuzt und beeinflusst, wie zum Beispiel Geschlechterverhältnisse, Flucht, Migration und Integration, Kolonialismus oder neoliberaler Kapitalismus.

Neben der aktuell besonders präsenten Kopftuchdebatte stehen darüber hinaus kulturelle und religiöse Praktiken der Verkörperung im Vordergrund. Männliche Beschneidung, Speisegesetze wie religiöses Fasten oder rituelles Schächten, sowie religiöse oder kulturelle Speisevorschriften (koscher/halal), soziale Normen des Umgangs miteinander im öffentlichen Raum (Grußgesten), alltägliche religiöse Praktiken wie das Beten in vorhandenen (oder nicht vorhandenen) Gebetsräumen in Schulen, Flughäfen oder anderen öffentlichen Einrichtungen und körperliche Integrität, Selbstbestimmung oder Missbrauch im Kontext religiöser Institutionen können hier beispielhaft genannt werden. Zuletzt zeigt sich in feministisch motivierten politischen Aktionen von Gruppen wie Pussy Riot oder Femen, wie der Körper als Werkzeug und Medium gegen Religionen in Position gebracht wird .

Das Spannungsfeld zwischen Säkularem und Religiösem

Wie bereits ausgeführt, fokussiert der öffentliche Diskurs interessanterweise vor allen Dingen auf solche religiösen oder kulturellen Praktiken, die dem Islam zugeschrieben werden und seltener bis kaum auf jüdische oder christliche Praktiken (die in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend als jüdisch-christliche Tradition in Stellung gebracht werden sollen, was sowohl die deutsche Geschichte des Nationalsozialismus auf absurde Weise ausklammert, sowie die Unterschiedlichkeit der beiden Religionen verkennt ). Eine Erklärung dafür liefert der Anthropologe Talal Asad, indem er ausführt, dass eine scharfe Trennung zwischen dem Säkularen und dem Religiösen eine der irrtümlichen Behauptungen des Säkularismus sei. Vielmehr seien „säkulare Körper“, ähnlich weißen Körpern, unmarkiert und „unauffällig“. Das Säkulare, so der Anthropologe Charles Hirschfeld, sei das Wasser in dem wir dem wir schwimmen. Asad betont ebenfalls den Körper als Ort an dem sich Religion oder Säkularismus niederschlagen und schlägt vor, säkulare und religiöse Praktiken anhand von bestimmten alltäglichen Verhaltensweisen zu analysieren und als fluide und konstruierte Kategorien zu verstehen, anstatt zu versuchen, sie als präzise, analytisch voneinander abtrennbare Begriffe zu klassifizieren.

Internationale Körperpolitiken

In diesem Sinne sollen im Folgenden zwei verschiedene Fälle von Körperpolitiken analysiert werden. Dabei steht die Multidimensionalität im Verhältnis von Körpern, Politiken, Repräsentation und Religionen im Fokus: Einerseits sollen die verschiedenen Körperpolitiken in ihrer „top-down“ Wirkung beschrieben werden. Andererseits veranschaulichen die beiden Fälle, wie sowohl Grenzen des Säkularen und des Religiösen entweder verstärkt oder verwischt werden, und welche anderen, relevanten Kategorien (Geschlecht, Klasse, race oder Ethnizität) die Frage um Religion/Säkularismus ergänzen und durchkreuzen. Exemplarisch sollen zwei unterschiedliche geografische Kontexte vorgestellt werden: Deutschland und Israel. In beiden Ländern herrschen unterschiedliche Ausgestaltungen, Spannungen oder Kooperationen zwischen Säkularismus, Religion und Körpern, während beide Länder primär von einer monotheistischen Religion geprägt sind (Israel vom Judentum, Deutschland vom Christentum), der Islam aber ebenfalls eine relevante, jedoch gesellschaftlich marginalisierte Rolle einnimmt. Beide Länder weisen ein säkulares Rechtssystem vor, das Körperpolitiken auf unterschiedliche Arten und Weisen interpretiert.

Fertilitätstechnologien in Israel

Israel versteht sich als demokratischer, jüdischer Staat, in dem die Priorisierung von Religion ein conditio sine qua non darstellt. Das jüdische Recht, die Halacha, steht im hier im Fokus. Die israelische Haltung zu Reproduktion wird in vielen Studien vor allem auf die religiöse Tradition zurückgeführt: Das biblische Gebot „seid fruchtbar und mehret euch“ unterstreicht die Wichtigkeit, Kinder zu bekommen. Dies schlägt sich in Gesetzgebung zu reproduktiven Technologien nieder, die auf das Entstehen einer Schwangerschaft bei Infertilität ausgerichtet sind. So ist Israel eines der liberalsten Länder, was die rechtliche Regulierung und Zugang zu assistierter Reproduktion wie In-Vitro-Fertilisation (IVF), Eizellenspende, Samenspende oder Leihmutterschaft betrifft. Israel weist unter den Ländern des Globalen Nordens eine der höchsten Geburtenraten auf, und die Dichte der Fertilitätskliniken pro Kopf wird immer wieder als die weltweit höchste zitiert. Praktiken wie IVF werden für Frauen bis zum 45. Lebensjahr und für bis zu zwei erfolgreiche Geburten staatlich gefördert. Reproduktion wurde in Gerichtsentscheidungen als Menschenrecht anerkannt und wird diskursiv als solches aufrechterhalten. Aufgrund des jüdischen Konzeptes „Tikkun Olam („Reparatur der Welt“), welches besagt, dass Jüdinnen und Juden die Aufgabe haben, zur Verbesserung des Zustandes der Welt beizutragen – auch unter Einbeziehung und Nutzung neu entstehender Technologien - ist die Nutzung von reproduktiven Technologien auch für orthodoxe Jüdinnen und Juden möglich und wird in diesen Communities besonders viel genutzt.

Neben Religion spielen jedoch noch weitere wesentliche Faktoren eine Rolle, wenn es um die großzügige Regulierung von künstlicher Befruchtung und anderen Fertilitätstechnologien geht. So werden zum Beispiel oft die 6 Millionen im Holocaust umgebrachten Jüdinnen und Juden genannt, deren Verlust durch Reproduktion ausgeglichen werden soll. Ebenfalls relevant ist der sogenannte „Israel-Palästina Konflikt“, in dem ein „demografisches Wettrennen“ zwischen der israelischen und der palästinensischen Bevölkerung (sowohl mit der Bevölkerung Gazas und der besetzten West Bank, als auch mit den 20% der palästinensischen Staatsbürger_innen Israels) eine wesentliche politische Größe darstellt. Dementsprechend spricht der israelische Pronatalismus vor allem jüdische Israelis an und die Bevölkerung des Landes wird vornehmlich als Askenasisch und weiß imaginiert.

Ein Beispiel für die die Intersektionen von säkularen, religiösen und politischen Motivatoren für die Körperpolitiken von Fertilitätstechnologien ist das 2010 in Kraft getretene Gesetz zur Eizellenspende : Diese ist damit nur innerhalb religiöser Gruppen erlaubt, von jüdischer Spenderin zu jüdischer Empfängerin, und nicht von muslimischer Spenderin zu christlicher Empfängerin, oder christlicher zu jüdischer (etc.) Hier zeigt sich, wie Körperpolitiken Körper nach religiösen, staatlichen und politischen Ideologien bestimmen und formen: Nur die inner-religiöse Eizellspende wird erlaubt und damit religiöse Gemeinschaften als statische Gebilde imaginiert und deren Erhalt erwünscht.

Der staatliche Fokus auf IVF, Leihmutterschaft, Eizellen- oder Samenspende und Leihmutterschaft in Israel zeigt, wie Körperpolitiken in einem „top-down“ Modell durch Gesetze, sowohl auf Grundlage säkularer wie religiöser Legitimation, funktionieren und individuellen Körpern Zugang zu diesen Ressourcen erleichtern oder erschweren. Das Eizellspenden Gesetz von 2010 zeigt darüber hinaus, wie in einem säkularen Staat die Grenzen zwischen dem Säkularen und dem Religiösen in der Regulierung von Körperpolitiken verschwimmen.

Die Beschneidungsdebatte in Deutschland

Die Debatte über das Recht auf die Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen durch die Religionsfreiheit in Deutschland illustriert auf andere Weise, wie Körperpolitiken von unterschiedlichen Akteur_innen bestimmt werden, und wie in diesem Fall die Machtbeziehungen zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und marginalisierten Gruppen liegen. Regulierung und Sicherstellung religiöser Vielfalt in Deutschland erfolgt „top-down“: Nationale und europäische Gerichte bestimmen dabei im Wesentlichen, welche religiösen Praxen im öffentlichen Raum zulässig sind. So auch im Fall der Beschneidungsdebatte in Deutschland. Bei der jüdischen oder muslimischen rituellen Beschneidung von minderjährigen Jungen wird die Vorhaut neugeborener oder vorpubertierender Kinder entfernt. Dieser Eingriff ist irreversibel und Kritiker_innen aus Medizin, Politik oder Wissenschaft argumentieren, dass der Eingriff eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Kindern darstelle, während die Praxis einen wesentlichen Teil religiöser oder traditioneller Praktik der entsprechenden Gruppen darstellt.

Am 7. Mai 2012 wurde die Beschneidung vom Kölner Landgericht als Form der Körperverletzung gewertet. Das Gericht argumentierte, dass das Recht der Eltern auf die Ausübung der Religionsfreiheit vom Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit überwogen wird. In ihrer umfassenden Analyse der Beschneidungsdebatte in Deutschland zeigt die Soziologin Gökce Yurdakul, wie das Urteil und die darauffolgende Kriminalisierung der rituellen Beschneidung den Höhepunkt der Beschneidungsdebatte darstellten.

Die Debatte wurde hitzig in Medien in Deutschland, Europa, aber auch in Israel geführt. Im Zuge dessen meldete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Wort, die ihre Besorgnis über die Einschränkung der jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland zu bedenken gab (nicht jedoch der muslimischen): „Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben können. Wir machen uns ja sonst zur Komiker-Nation“. So setzte sich Angela Merkel für ein neues Beschneidungsgesetz ein, welches sechs Monate nach dem Urteil des Kölner Landesgerichts vom deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Nach § 1631 (d) des BGB wird die rituelle Beschneidung nun unter bestimmten Voraussetzungen als eine rechtmäßige religiöse Praxis in Deutschland anerkannt. Das Beispiel der Beschneidungsdebatte zeigt, wie eine religiöse Praktik im säkularen Recht thematisiert wird. Wie die Studie von Yurdakul darlegt, werden in der Debatte selbst vor allem die Stimmen säkularer medizinischer, politischer, gesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Akteur_innen gehört, weniger jedoch die derjenigen Menschen, für die die rituelle Beschneidung eine wesentliche Praktik ist. Angela Merkels Intervention mit einem Fokus auf der Religionsfreiheit jüdischer Menschen in Deutschland illustriert, ähnlich wie im Fall der Fertilitätstechnologien in Israel, wie Körperpolitiken in verschiedene soziale Kategorien eingebettet sind. Die Legitimation für oder gegen eine bestimme Praktik findet auch hier nicht nur im Spannungsfeld von Religion und Säkularismus statt, sondern wird durch politische, und in diesem Fall historische, Gegebenheiten beeinflusst.

Körperpolitiken: Spiegelbild sozialer Machtverhältnisse

In beiden diskutierten Fällen zeigt sich, wie jeweils ein bestimmter Körper als repräsentativ für den Kontext der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft konstruiert wird: der säkulare Körper in Deutschland, dessen Unversehrtheit von ritueller Tradition besonders hoch eingeschätzt wird, wenn es um jüdische und muslimische Riten geht, und der jüdische, weiße Körper in Israel, dessen biologische Reproduktion über das religiöse Gebot „seid fruchtbar und mehret euch“ und spezifische religiöse Regulierungen weit hinausreicht, und in politische und demografische Strukturen eingebunden ist. In der Regulierung von reproduktiven Technologien wie künstlicher Befruchtung oder Eizellspende zeigt sich, wie eine säkulare, biotechnologische Praktik einerseits religiös legitimiert wird, und andererseits eingebunden ist in politische und historische Kontexte, in denen im Namen der Nation vor allem bestimmte Körper geboren werden sollen.

Im Fall der Beschneidungsdebatte in Deutschland wird eine religiöse oder traditionelle Praktik zunächst vom säkularen Recht kriminalisiert. Die nachfolgende Diskussion zeigt an, wie Inklusion und Exklusion hier ebenfalls anhand von Körpern thematisiert wird. Das Beschneidungsgesetz, welches im Zuge der Debatte verabschiedet wurde, illustriert darüber hinaus, wie Körperpolitiken von sozialen Diskursen bestimmt werden. Beide Fälle machen die Verflochtenheit von Religion, Säkularismus und Körpern deutlich, und verweisen auf die Intersektion mit anderen sozialen Kategorien, wie zum Beispiel der „Israel-Palästina Konflikt“ oder die deutsche Geschichte des Holocausts.

Der Körper und Körperpolitiken müssen dementsprechend als politische Größen ernst- und wahrgenommen werden. An Körpern, deren Sicht- oder Unsichtbarkeit, dem Zugang zu bestimmten Praktiken oder deren Verbot, lassen sich viele der aktuellen, ideologischen Konflikte unserer Zeit ablesen. Sie weisen über die konkreten Körper als solchen hinaus und können als Spiegelbild der herrschenden Machtverhältnisse einer Gesellschaft dienen.

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Dr. Gala Rexer lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Schwerpunkten zählen postkoloniale und feministische Theorien, Reproduktionstechnologien, medizinische Anthropologie und die Soziologie des Körpers.