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"Wir müssen dahin gehen, wo es brennt." | Fachtagung "Politische Gewalt – Phänomene und Prävention" | bpb.de

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"Wir müssen dahin gehen, wo es brennt." Politische Bildung? Repression? Therapie? – Antworten auf politische Gewalt

Johannes Bluth

/ 6 Minuten zu lesen

Die Podiumsdiskussion am Morgen rückte die Prävention in den Fokus: Wie lässt sich verhindern, dass Gewalt für Menschen zu einem akzeptablen Mittel der politischen Auseinandersetzung wird? Und wo lässt sich individuell ansetzen?

Die Podiumsdiskussion stand unter den vielfältigen Aspekten der Prävention im Bereich politischer Gewalt. Wo kann sie ansetzen und wirksam werden? Damit einher ging die Frage nach gemeinsamen Ursachen für verschiedene Erscheinungsformen der Gewalt.

Thomas Mücke wies zu Beginn darauf hin, dass es keinen allgemeingültigen Radikalisierungsverlauf gebe. Gewaltkreisläufe seien stets heterogen, aber mit den richtigen Mitteln sei es für die soziale Arbeit möglich, innerhalb dieser Prozesse Erfolge zu erzielen. Ob es sich dabei um bloße Gewalttäter oder Täter mit politisch motiviertem Hintergrund handele, sei zudem oft schwer zu beantworten, so Mücke.

Der als Psychiater tätige Mazda Adli von der Berliner Charité pflichtete Mücke bei: Aus medizinischer Sicht gebe es kein pathologisches Musterprofil für Gewalttäter, vielmehr seien Äußerungen von Gewalt Folge und Ausdruck eines psychologischen Klimas. Man habe es also eher mit einem sozialen, als mit einem individuellen Prozess zu tun, was die Zusammenarbeit verschiedener Akteure bei der Prävention stärker ins Blickfeld rücke.

Veränderung des gesellschaftlichen Klimas

André Schirmer vom Bundeskriminalamt hingegen betonte die Bedeutung von Gewalt als strategischem und taktischem Mittel. Bei Taten politischer Gewalt werde stets ein Handlungsrahmen abgesteckt: "Wie weit kann ich gehen? Was ist durch meine Ideologie legitimiert?" Diese Fragen haben für Täter eine große Bedeutung und werden in den verschiedenen Phänomenbereichen unterschiedlich beantwortet. Auch wies Schirmer darauf hin, dass durch die Anwendung politischer Gewalt häufig bewusst eine Überreaktion des Staates zu provozieren versucht werde. Es gehört zu den Zielen extremistischer und terroristischer Täter, ein gesellschaftliches Klima langfristig in ihrem Sinne zu verändern.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, gab schließlich zu Bedenken, dass die gebräuchlichen Zuordnungen von rechtem, linkem und religiös motiviertem Extremismus bei weitem nicht alle Formen der politischen Gewalt abdeckten. Das Spektrum sei weitaus größer und seit einigen Jahren seien gewalttätige oder zumindest gewaltlegitimierende Tendenzen zunehmend auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft vorhanden. Sie würden nur nicht so klar benannt und seien schwieriger zu beschreiben. Der Kern bestehe aber in folgender Entwicklung: Die demokratische Bereitschaft zu Aushandlungsprozessen wird verlassen, stattdessen wird die Ausübung von Gewalt zu einem akzeptablen Mittel, um spezifische politische Interessen durchzusetzen.

Aber wie lassen sich im Sinne der Prävention jene Menschen erreichen, für die Gewaltanwendung eine probate Handlungsoption darstellt? Mücke nahm hier zunächst Bezug auf das Beispiel von IS-Rückkehrern. Oft haben diese einen veritablen Realitätsschock, wenn sie schließlich in Syrien erkennen, worauf sie sich eingelassen haben. Ein Zugang sei über die Jugendhilfe, das Elternhaus und allgemein das persönliche Umfeld am besten denkbar. Es gehe darum, ins Gespräch kommen, um dann etwas bewirken zu können. Wäre hier eine Zusammenarbeit von Sozialarbeit und Sicherheitsbehörden denkbar?

Schirmer betonte daraufhin, dass sich durch die polizeiliche Arbeit zweifellos exklusive Einblicke in das Phänomen auftun und direkte Kontakte zu Betroffenen vorhanden seien. Die hier entstehenden Erkenntnisse seien hilfreich für die Prävention., Prävention sei aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht das primäre Aufgabenfeld der Polizei,

"Vor allem soziale Ausschlusserfahrungen sind entscheidend für die Bereitschaft Gewalt anzuwenden." Mazda Adli von der Berliner Charité. (© bpb/Nils Pajenkamp)

bei der die Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr im Vordergrund stehen. Die Polizei ist somit ein Partner anderer Präventionsträger, aber kein Akteur im Vordergrund. Allerdings gebe es im Bundeskriminalamt die Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus, welche in Zusammenarbeit mit verschiedensten Akteuren eine koordinierende Aufgabe wahrnehme.

Nach dieser Positionsbestimmung führte Adli die Diskussion zunächst aus psychiatrischer Perspektive weiter. Seine forschende Beschäftigung mit Stress lasse ihn zu dem Schluss kommen, dass vor allem soziale Ausschlusserfahrungen entscheidend für die Bereitschaft seien, Gewalt anzuwenden. Er sprach von einer "toxischen Mischung" des persönlichen Umfeldes, die im Einzelfall moralische Bedenken beiseite wischen könne.

Neue Formen von Stress und Überforderung in der Gesellschaft

Krüger brachte dem Plenum anschließend einige Gedanken zur grundsätzlichen Aufgabe politischer Bildung näher. Eine generelle Präventionsaufgabe politischer Bildung bestehe für ihn darin, eine breite gesellschaftlich-politische Auseinandersetzung anzuregen. Gerade in letzter Zeit habe die politische Bildung Konjunktur. Die Politik stelle zunehmend Forderungen an die politische Bildung und habe ihre wichtige Funktion erkannt. Krüger deutete diesen Bedeutungszuwachs als Ausdruck neuer Formen von Stress und Überforderung in der Gesellschaft. Am Beispiel von IS-Rückkehrern erklärte Krüger, dass es in der politischen Bildung keine pauschalen Urteile geben dürfe. Da wo Diskurs möglich sei, müsse geredet werden und politische Bildung aktiv sein. Alle darüber hinaus gehende spezifische Präventionsarbeit könne politische Bildung nicht leisten. Krüger stellte abschließend eine starke Professionalisierung der politischen Bildung in den letzten 15 Jahren fest. Es sei vielerorts eine verlässliche Infrastruktur entstanden.

bpb-Präsident Thomas Krüger und André Schirmer vom BKA im direkten Dialog. (© bpb/Nils Pajenkamp)

Schirmer spann das Gespräch über Aspekte der Prävention am Beispiel der IS-Rückkehrer weiter: Es lägen Erkenntnisse zu mehr als 800 Personen vor, die ausgereist seien. Es sei zunächst einmal schwierig überhaupt festzustellen, dass Kämpfer nach Syrien ausreisen und dann wieder aus Syrien zurückgekehrt seien. Welche Entwicklung Rückkehrer dann nach ihrer Ankunft nähmen, sei im jeweiligen Einzelfall dann ebenso schwierig nachzuvollziehen. Zudem sei es nicht möglich, alle Gefährder und Rückkehrer rund um die Uhr zu überwachen, auch nicht für die Polizei.

Mücke verwies hier auf die Möglichkeit systematischer Ansprachen. Eine Reintegration in die Gesellschaft sei nicht gleichbedeutend damit, dass sich Rückkehrer von menschenfeindlichen Ideologien verabschiedeten. Wichtige emotionale Bedürfnisse wurden durch die Ideologie erfüllt, das lasse sich nicht einfach so verändern. Auch würden diese Menschen oft durch die extremistische Szene bedroht, gerade dann, wenn sie sich wieder in die Gesellschaft eingliedern wollten. Mücke hielt darüber hinaus ein Plädoyer dafür, den medialen Umgang zu überdenken. Eine durch TV-Dokus entstehende Öffentlichkeit helfe den Betroffenen nicht weiter, sondern behindere ihre Entwicklung. Grundsätzlich gehe es aber im Sinne der Prävention darum, bei der Kontaktaufnahme zu zeigen, dass man aneinander interessiert ist, sodass letztlich eine menschliche Beziehung zustande kommt. Sonst sei jede Prävention nutzlos.

Krüger begrüßte und bestärkte diese Herstellung sozialer Beziehung. Nur sie könne letztendlich Verhalten verändern und sei somit eine Grundaufgabe politischer Bildung und sozialer Arbeit. Es handele sich aber um eine Geduldsarbeit, die keine schnellen Erfolge liefern kann. "Wir müssen dahin gehen, wo es brennt", so Krüger. Rede- und Arbeitsverbote seien nicht hilfreich. Man müsse auch mit Akteuren zusammenarbeiten, die für manche Menschen fragwürdig seien oder unangenehme Positionen vertreten. Gerade an den Rissen und Nahtstellen der Gesellschaft dürfe das Gespräch nicht abreißen. Die Glaubwürdigkeitsfunktion bestimmter Akteure für gesellschaftliche Gruppen dürfe man nicht einfach ignorieren. Bildungsbenachteiligte seien für die politische Bildung nur über ihre sogenannten peers, also Menschen aus den entsprechenden Milieus, überhaupt erreichbar. Adli stimmte Krüger zu und betonte, dass nur mit Anerkennung und Wertschätzung für alle Beteiligten ein psychologisches Klima erkannt und verändert werde könne.

Akteure nicht tabuisieren

Auf mögliche Fehler bei der Prävention angesprochen, entgegnete auch Schirmer, dass die Akteure noch stärker miteinander in Beziehung treten müssten. Am Beispiel der Ansprache unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter durch radikalislamische Gruppen in Flüchtlingsunterkünften schilderte er den Abstimmungsbedarf von Trägern der Einrichtungen mit Polizei und Verfassungsschutz. Eine angemessene Beratung und Unterstützung der Träger erfordere eben auch, dass die Sicherheitsbehörden Kenntnis von derartigen Ereignissen erhalten.

Mücke stellte daraufhin

Sollte man nur mit bestimmten Akteuren zusammenarbeiten? Eine der Fragen aus dem Auditorium, im Anschluss an die Diskussion. (© bpb/Nils Pajenkamp)

resigniert fest, dass in diesen Fällen viel zu spät reagiert worden sei. Ad hoc würden stets große Mittel durch die Politik bereitgestellt, wie etwa nach Anschlägen, es komme aber vor allem auf die Langfristigkeit an. Auch sei die Berufsrolle von Sozialpädagogen in diesem Feld rechtlich noch nicht geschützt, ein großer Nachteil, so Mücke.

In der sich nun anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage aufgegriffen, mit welchen Akteuren man zusammenarbeiten könne und mit welchen nicht. Hier wurde aus dem Plenum das Beispiel des Deutsch-Islamischen Vereinsverbands Rhein-Main e.V. angesprochen, der durch die Muslimbruderschaft unterstützt werde und gleichwohl dieses Jahr einen Demokratiepreis erhalten habe. Krüger mahnte an, bei Fragen der Zusammenarbeit zwar nicht blauäugig zu agieren, aber andererseits auch niemanden zu tabuisieren. Sonst würden entsprechende Akteure nur noch als Sicherheitsproblem betrachtet und damit aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen. Dies sei in jeder Hinsicht kontraproduktiv.

Diskussionsteilnehmer:
PD Dr. Mazda Adli, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Thomas Mücke, Violence Prevention Network e.V., Berlin
Andre Schirmer, Bundeskriminalamt, Meckenheim

Moderation: Rolf Clement, Deutschlandfunk, Köln

Johannes Bluth studiert den deutsch-französischen Masterstudiengang "Medienkulturanalyse trinational – Theater- und Medienkulturen im transnationalen Raum" an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Wien und der Université de Nantes. Zuvor studierte er Kommunikationswissenschaft und Romanistik in Erfurt und Lille, Frankreich. Er ist darüber hinaus als freier Filmjournalist tätig, schreibt regelmäßig Filmkritiken, führt Interviews und berichtet von Filmfestivals. Nach einem Praktikum Anfang 2015 arbeitet er als studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Extremismus der bpb.