Antifeministische Einstellungen sind in Deutschland weitverbreitet. Seit 2020 werden sie unter anderem in der repräsentativen Leipziger Autoritarismusstudie (LAS) erhoben (Höcker et al., 2020). In der LAS 2024 stimmten 23 Prozent der Befragten mehrheitlich antifeministischen Äußerungen zu, darunter Aussagen wie „Frauen übertreiben ihre Schilderungen über sexualisierte Gewalt häufig, um Vorteile aus der Situation zu schlagen“ und „Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen, müssen sich nicht wundern, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“ (Kalkstein et al. 2024).
Die Auswirkungen dieser Überzeugungen zeigen sich vielfältig und gehen mit Angriffen auf Gleichstellungsarbeit und reproduktive Gerechtigkeit, dem Infragestellen oder der Verhinderung von Gewaltschutz und einer Mobilisierung gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einher (Amadeu Antonio Stiftung 2024). Das trifft Menschen in strukturschwachen Regionen besonders stark, gerade wenn sich antifeministische Orientierungen normalisieren und alternative Angebote fehlen. Diese Normalisierung und ihre Folgen hängen unter anderem mit sozioökonomischen Faktoren und ihrer psychischen Verarbeitung zusammen, genauer mit dem Gefühl benachteiligt und abgehängt zu sein, sowie einer unzureichenden Versorgungslage in Hinblick auf Bildungsangebote, Beratungsstellen und Gewaltschutzeinrichtungen.
Daraus ergeben sich begünstigende Gelegenheitsstrukturen für die Verbreitung autoritärer und menschenverachtender Einstellungen (Freiheit et al. 2022, Dilling et al. 2024), die häufig auch mit der Verteidigung traditioneller Geschlechterrollen und antifeministischer Überzeugungen einhergehen (Henninger 2020, Höcker et al. 2020, Kalkstein et al. 2022, 2024). Was heißt das konkret für die Situation von Frauen und queeren Menschen und für das politische Klima vor Ort? Inwiefern kann man davon sprechen, dass das Leben in ländlichen, strukturschwachen Regionen die Herausbildung antifeministischer Einstellungen begünstigt?
Zentrale Faktoren für einen möglichen Zusammenhang sind Abstiegsängste und das Gefühl des Abgehängtseins, die in strukturschwachen ländlichen Regionen verbreitet sind. Beides kann autoritäre und extrem rechte Positionen begünstigen und damit auch antifeministische Überzeugungen (Salomo 2019; Dilling et al. 2024). Hinzu kommt eine demografische Entwicklung, die besonders für die ostdeutschen Bundesländer zu beobachten ist und durch den Wegzug von jungen Menschen, gerade jungen Frauen, geprägt ist (Kühntopf & Stedtfeld 2012, Tuitjer 2022). Daraus kann sich ein Kreislauf ergeben: Die Abwanderung verstärkt bei denen, die bleiben, das Gefühl benachteiligt zu sein. Resultiert daraus ein Zuspruch zu rechten Orientierungen und Parteien, führt das wiederum zum Wegzug jener Personen, die nicht in ein extrem rechtes Weltbild passen (Salomo 2019).
Was ist Antifeminismus?
Es gibt viele antifeministische Bewegungen, die sich gegen den feministischen Kampf für Gleichberechtigung und Emanzipation richten (Henninger 2020; Lenz 2018, S. 21). Dieser Widerstand hat in Deutschland eine lange Tradition. Bereits 1902 veröffentlichte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm eine Essaysammlung unter dem Titel „
In der antifeministischen Ideologie richtet sich das Ressentiment (zu deutsch: heimlicher Groll) gegen Emanzipationsversuche aus hierarchischen Geschlechterverhältnissen. Feministische Bewegungen werden zu Schuldigen für ein diffuses emotionales Bedrängnis erklärt: abgehängt und benachteiligt zu sein, einen Mangel zu erleiden, bedroht zu werden und im Konkurrenzkampf um ökonomische Sicherheit und partnerschaftliche Zuwendung unterzugehen. Anstatt diese Gefühle als Teil persönlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme erkennen und bearbeiten zu können, erscheint ‚der Feminismus‘ als Grund für das Bedrängnis und die damit verbundenen negativen Emotionen. Ihm wird zugeschrieben die gesellschaftliche Harmonie und Ordnung zu stören und zum Untergang von Familie, Nation, gar Zivilisation zu führen. Gestört wird hier eine Vorstellung von Harmonie, die im antifeministischen Denken durch Naturverbundenheit, Ursprünglichkeit und traditionelle Geschlechterbilder getragen wird, und nicht selten mit einer starren Gegenüberstellung von Stadt und Land einhergeht (Stögner 2017, Belina 2025).
Was bedeutet Antifeminismus im ländlichen Raum?
Ländliche Räume
In der wissenschaftlichen Debatte ist umstritten, was genau unter ländlichen Räumen zu verstehen ist, denn die Übergänge zwischen Stadt und Land sind fließend und es gibt große Unterschiede innerhalb ländlicher sowie städtischer Regionen (BBSR 2023, Küpper & Milbert 2020). Gleichzeitig lässt sich nach wie vor eine ungleiche ökonomische Entwicklung von Stadt und Land verzeichnen, die mit sozialen Folgen einhergeht. Ländliche Regionen schneiden dabei unterschiedlich ab, was sich in der Klassifizierung als ‚prosperierend‘, ‚stagnierend‘ oder ‚abgehängt’ widerspiegelt (Mießner et al. 2022, S. 15). Mit dieser ungleichen Entwicklung gehen Zuschreibungen einher, die unser Alltagsverständnis prägen. Oft sind sie mit einer klaren Gegenüberstellung von Stadt und Land verbunden und verteufeln oder idealisieren wahlweise das Leben in ländlichen Regionen. Ausdruck findet das zum Beispiel in der Vorstellung einer ländlichen authentischen Idylle gegenüber der hektischen, entfremdeten Stadt oder im Bild vom rückständigen, bornierten Landleben gegenüber einer modernen urbanen Lebenswelt (Mießner et al. 2022, S. 16). Diese Bilder werden der Vielfalt städtischer und ländlicher Lebenswelten nicht gerecht, verweisen aber auf den Wunsch nach eindeutiger Zuordnung und Abgrenzung. Wie wirkt sich das wiederum auf autoritäre Orientierungen und antifeministische Einstellungen aus?
Provinzielles Denken
Die klare Gegenüberstellung von Stadt und Land mit eindeutigen Zuschreibungen, in denen das Leben auf dem Land als „vermeintliche Normalität“ gegenüber den „‘Verrücktheiten‘ der Stadt“ erscheint, beschreibt der Geograph Bernd Belina als provinzielles Denken
Provinzialität oder provinzielles Denken beruht auf eindeutigen und klaren Kategorien, wobei Uneindeutigkeiten, Mischformen und Übergänge als bedrohlich empfunden werden. Ambivalenzen werden abgewehrt. Das ‚Eigene‘ wird idealisiert und soll von ‚fremden Einflüssen‘ reingehalten werden (Belina 2021, S. 111). Klare Verhältnisse werden gegen die Undurchsichtigkeit der modernen Welt gesetzt und das Land zur Chiffre für eine Welt, die noch „in Ordnung“ ist. Kennzeichnend ist dafür das Festhalten an einer vergangenen, als harmonisch vorgestellten Zeit (Belina 2021, S. 109). Ein solches Denken geht einher mit Hierarchisierungen, „zwischen »uns« und den »Fremden« (Auswärtigen, Zugezogenen, »Ausländern« etc.) sowie zwischen Männern und Frauen, Hetero- und Homosexualität, fixen und fluiden sexuellen Identitäten“ (Belina 2025, S. 22).
Nach Belina finden sich provinzielle Denkweisen eher auf dem Land als in der Stadt, beschränken sich aber keineswegs auf ländliche Räume. Als dennoch ausschlaggebend für die dortige weitere Verbreitung nennt er unter anderem übersichtliche Verhältnisse, homogene soziale Kontakte, direkte Abhängigkeiten und das Beschweigen von zwischenmenschlichen Konflikten, da man sich in engen Sozialräumen ständig wiederbegegnet (Belina 2025, S. 24). Hinzu kommen die strukturellen Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Lebensräumen, fehlende Infrastruktur und daraus resultierende ungleiche Lebensverhältnisse sowie die Abhängigkeiten von umliegenden Städten. Das wiederum prägt die soziale Realität auf dem Land und auch die Art und Weise damit umzugehen: Nicht selten verbindet sich eine geringere soziale Mobilitätserwartung mit einer Verteidigung des Bodenständigen und die Notwendigkeit, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen geht einher mit einem starken Arbeitsethos und der Betonung von Fleiß und Nützlichkeit. Die überschaubaren sozialen Nahbeziehungen fungieren als sorgende Gemeinschaft und gleichzeitig dienen sie auch der sozialen Kontrolle in der Nachbarschaft (Rodemerk et al. 2024). Gemeinschaftlicher Zusammenhalt hat eine hohe Bedeutung, geht jedoch oft mit Ausschlüssen gegenüber denjenigen einher, die ‚von außen‘ kommen oder nicht so recht dazu zu passen scheinen. Und tatsächlich ist das soziale Gefüge in ländlichen Regionen stärker davon geprägt, dass man sich untereinander kennt, Arbeitsverhältnisse, Freizeitgestaltung aber auch soziales und politisches Engagement an persönliche Beziehungen und direkte Abhängigkeiten gebunden sind.
So können Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen unter Umständen zu provinziellen Denkformen führen, auch indem eine „falsche Harmonie“ behauptet wird (Belina 2021, S. 110), in der die sozialen Unterschiede und Hierarchien innerhalb der harmonisierten Gemeinschaft entweder negiert oder als natürlich und damit unveränderlich erscheinen. Soziale Ungleichheiten können so nicht auf ihre Ursachen hin reflektiert und verändert werden und das hat auch Auswirkungen auf die Vorstellungen von Geschlechterrollen, Familie und Sexualität (Höcker et al. 2025).
Antifeminismus und Provinzialität
Im provinziellen Denken findet eine Vereindeutigung in Hinblick auf Vorstellungen von Zugehörigkeit, Identität, Familie, Sexualität und Geschlecht statt. Das führt zu einem holzschnittartigen Bild des Zusammenlebens, in dem zwar jede und jeder seinen Platz hat, diesen aber auch nicht verlassen darf. Ambivalenzen und Konflikte drohen das Bild friedlichen Gemeinschaft zu zerreißen und können entweder nicht zur Sprache kommen oder müssen externalisiert werden (Höcker et al. 2023, Rodemerk et al. 2023, Höcker et al. 2025).
So erscheint zum Beispiel das massive Problem sexualisierter Gewalt nicht als etwas, das häufig in romantischen und familiären Nahbeziehungen auftritt, sondern als ‚importiertes‘ Problem durch Migration. Gleichstellungsarbeit erscheint nicht als notwendiger Kampf gegen die strukturelle Benachteiligung von Frauen, sondern als ihre Übervorteilung gegenüber Männern, die sich somit abgehängt fühlen. Homosexuelles Begehren erscheint nicht als normale sexuelle Präferenz, sondern als widernatürliche Bedrohung der heterosexuellen Kleinfamilie. Nicht die Gewaltverhältnisse werden angegriffen, sondern diejenigen, die sie thematisieren und das betrifft vor allem Feministinnen und Menschen, die nicht ins heteronormative Geschlechterbild passen.
So werden die mit den bestehenden Geschlechterverhältnissen einhergehende Gewalt, die Konflikte und die Ängste, die mit einem Wandel der Geschlechterverhältnisse einhergehen, auf andere projiziert. Die konstruierten Feindbilder werden zu einem „Container für das Verworfene“, für die Ängste und Wünsche, die nicht zu der verteidigten Harmonie und Ordnung passen (Winter 2025). Antifeminismus stellt so ein Konfliktlösungsmuster dar und bindet Ängste, die auch durch einen Wandel traditioneller Geschlechterverhältnisse befeuert werden (vgl. Fritzsche 2022).
Für Frauen bietet die
Im provinziellen Denken kommt das ‚Verworfene‘, die Unordnung und Gewalt von ‚außen‘ und liegt jenseits der zu schützenden (ländlichen) Gemeinschaft. Daran können rechte und antifeministische Mobilisierungen in ländlichen Regionen wunderbar anschließen, indem zum Beispiel propagiert wird, dass elitäre Feministinnen aus Großstädten die traditionelle Kleinfamilie zerstören oder queere Menschen aus urbanen Milieus mit ihrer ‚Gender-Ideologie‘, die eigenen Kinder zur Homosexualität verführen wollen. Diese Bedrohungsszenarien werden flankiert von einer Infragestellung und Ablehnung feministischer Politik und Gleichstellungsarbeit durch rechte Akteure in der kommunalen Politik, auch indem sie als Bevormundung und unnötig dargestellt werden (BAG 2018, Höcker & Niendorf 2022). Das führt zu einer Abwertung bis hin zum ‚Silencing‘ von Kommunalpolitikerinnen, Gleichstellungsbeauftragten und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich für demokratische Räume und Vielfalt einsetzen. Und das trifft wiederum strukturschwache Räume umso mehr, da das Engagement hier oft maßgeblich von Einzelpersonen getragen wird, die sich ohnehin als Einzelkämpferinnen wahrnehmen (Behringer 2021, Fritzsche & Thienes 2025, Höcker et al. 2025).
Herausforderungen für die kommunale und soziale Arbeit vor Ort
Für die
Entscheidend für kommunale und soziale Arbeit gegen antifeministische Orientierungen ist die Einsicht, dass wir es nicht nur mit kognitiven Prozessen zu tun haben, sondern vielmehr mit Emotionen und psychischen Bedürfnissen, die eine antifeministische Ressentiment-Bereitschaft
Daraus können sich für die praktische Arbeit folgende Fragestellungen ergeben:
Wie lässt sich eine reflektierte Haltung zur eigenen Ressentiment-Bereitschaft entwickeln?
Wie lassen sich Ängste, Ohnmachtserfahrungen und Kränkungen artikulieren und gemeinsam anders begegnen?
Was behindert und was befähigt zur Emanzipation aus bestehenden Machtverhältnissen?
Welche materiellen Voraussetzungen braucht es dafür?
Insbesondere die letzte Frage ergibt sich aus der Einsicht, dass Ressentiment-Bereitschaft auf einem Gefühl des Abgehängtseins und der Benachteiligung beruht. Die ungleiche soziale und infrastrukturelle Entwicklung in ländlichen Regionen führt zu ungleichen Lebensbedingungen. Die autoritären Angebote rechter und antifeministischer Orientierungen antworten auf subjektive Bedürfnisse, die prekären Lebenslagen entspringen (vgl. Lang 2021; Intelmann 2024). Anstatt die schlechten Lebensbedingungen anzugreifen, werden sie im provinziellen Denken allerdings idealisiert und die Schuld dafür in urbanen Milieus verortet oder bei denen, die ‚von außen‘ kommen. Damit bleiben die realen Ungerechtigkeiten bestehen und ihre ökonomischen Hintergründe verschleiert. Kommunale Politik sollte zu einer Aufklärung über die Hintergründe sozialer Ungleichheit beitragen, zur Entwicklung und Aushandlung gemeinsamer Interessen.
Eine Analyse des Zusammenwirkens von ökonomischen und politischen Verhältnissen, die politische und rechtliche Stärkung kommunaler Gleichstellungsarbeit sowie die Umsetzung von Gewaltschutzmaßnahmen sind der Anfang einer notwendigen Entwicklung, in der es um die Überwindung von Herrschafts- und Gewaltverhältnissen geht und den Kampf gegen ihre andauernde Wiederholung in provinziellen und antifeministischen Haltungen. Der Raum für gesellschaftliche und individuelle Entwicklung und Emanzipation, den feministische Bewegungen immer wieder zu erkämpfen versuchen, muss konstant und gerade auch in strukturschwachen Regionen aufrechterhalten werden.