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Antifeminismus in der Sozialen Arbeit

Laura Sasse

/ 14 Minuten zu lesen

Antifeministische Akteur:innen versuchen durch eigene Angebote, Druck und internes Agieren die Soziale Arbeit zu beeinflussen. Wie kann antifeministische Einflussnahme erkannt und bekämpft werden?

Antifeministische Einflussnahmen erschweren emanzipatorische Angebote in der Sozialen Arbeit und setzen Fachkräfte zunehmend unter Druck. (© Adobe Stock Photographee.eu)

Fachkräfte der Sozialen Arbeit üben vielfältige unterstützende Tätigkeiten aus, die sich an unterschiedliche Adressat:innen richten. Je nach sozialarbeiterischem Angebot fokussieren diese Inklusion, Integration und Emanzipation marginalisierter Personen(-gruppen), Gesundheitspflege, Suchthilfe, Kinder- und Jugendarbeit sowie Beratungstätigkeiten. Als gesetzliche Grundlage dienen Aktionspläne auf Bundes- und Landesebene, die unter anderem die Vielfalt von queerem Leben verbessern sollen (BMFSFJ 2024). Dennoch sind soziale Berufe vor der Zunahme antifeministischer Tendenzen in der Gesellschaft nicht gefeit. Einerseits erleben soziale Träger beziehungsweise Sozialarbeiter:innen antifeministische Äußerungen sowie Verhaltensweisen von Kolleg:innen oder Klient:innen, andererseits lassen sich in den Feldern der Sozialen Arbeit Mitarbeitende oder Vereine mit antifeministischen Einstellungen finden. Angebote, die eine Stärkung von LGBTIQ-Rechten, Gleichstellung, Sexualpädagogik, reproduktiven Rechten, den Rechten von Sexarbeiter:innen oder Schutz vor Gewalt zum Ziel haben, sind tendenziell häufiger von antifeministischen Angriffen betroffen. So berichten Teilnehmende auf Fachkräftefortbildungen von transfeindlichen Aussagen externer Anbieter:innen in Schulworkshops, kategorischen Benachteiligungen geflüchteter FLINTA oder von Hassmailkampagnen, beispielsweise gegen Frauenhäuser. Antifeministische Einflussnahme geschieht unter anderem über Störung, Themensetzung und Diskursverschiebung durch emotionalisierte Debatten.

Wie kann die antifeministische Einflussnahme auf die Soziale Arbeit geclustert und zusammenfassend betrachtet werden?

Antifeminismus bündelt Einstellungen sowie darauf aufbauende Verhaltensweisen, die sich gegen Bestrebungen richten, Geschlechterverhältnisse zu enthierarchisieren, zu liberalisieren und Vielfalt zu normalisieren (Sasse 2023). In organisierter Form agieren antifeministische Akteur:innen gegen die Emanzipation von Frauen, trans*, inter*, queeren und nicht-binären Personen sowie gegen verschiedene feministische Ansätze. Die Vorstellung von „natürlicher“ Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität ist gesellschaftlich weiterhin verbreitet, die wie ein vergeschlechtlichter Platzanweiser fungiert (Debus/Laumann 2014). Auf diese Vorstellung baut Antifeminismus auf, um die explizite Gegnerschaft zu und das politische Bemühen gegen emanzipatorische Geschlechterpolitiken sowie dem Streben nach der Gleichberechtigung vielfältiger Lebens- und Liebensformen rechtfertigen zu können. Kämpfe um mehr Geschlechtergerechtigkeit (beispielsweise in Sprache), Gleichberechtigung (zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt) und um die Sichtbarkeit vielfältiger Lebens- und Liebensweisen rütteln an diesen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Das kann Unwohlsein und Verunsicherung auslösen und antifeministischen Narrativen Anschlussfähigkeit verleihen. Sie funktionieren damit wie ein Scharnier zwischen antifeministischen Akteur:innen und konservativeren Teilen der Gesellschaft (Lang/Peters 2018). Zudem ist Antifeminismus ein fester Bestandteil extrem rechter Ideologien, „fungiert als zentrale Strategie in antidemokratischen Kämpfen“ (Henninger 2020) und wird als Türöffner (Blum und Lang in FemPI 2022) für andere Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Rassismus betrachtet. Auf diese Weise knüpfen antifeministische Narrative an rassistische, antisemitische oder ableistische Formen der Unterdrückung an.

Nicht jede kritische Aussage gegenüber Feminismus ist bereits antifeministisch, jedoch verschieben antifeministische Narrative die Grenze des Sagbaren, auch wenn sie ein netter Kollege äußert, der zunächst kein organisierter Antifeminist ist. In der Sozialen Arbeit nutzen Antifeminist:innen die Strukturen, um eigene Angebote zu schaffen, nach außen Einfluss zu nehmen, oder nach innen (also in die eigenen Kreise) zu wirken. Soziale Arbeit wird vor allem dort zur Zielscheibe, wo ihre Zielgruppe (potenziell) Betroffene antifeministischer Angriffe sind.

Dieser Beitrag überträgt die Matrix zu extrem rechten Einflüssen von Gille et al. auf antifeministische Einflussnahme in der Sozialen Arbeit, ordnet Praxisbeispiele aus der Sekundärliteratur den Kategorien „eigene Angebote, externe Einflussnahme und interne Praktiken“ entlang von Unterkategorien zu und gibt davon ausgehend Impulse für Handlungsmöglichkeiten.

Extrem rechte Einflüsse auf antifeministische Interventionen in der sozialen Arbeit (© Eigene Darstellung (Sasse 2024) in Anlehnung an Gille et al. (2022))

1. Eigene Angebote antifeministischer Akteur:innen

Antifeministische Akteur:innen versuchen, in der Sozialen Arbeit mit eigenen Angeboten Fuß zu fassen. In diesem Sinne steht zunächst nicht die Soziale Arbeit selbst im Fokus der Angriffe von Antifeminist:innen, sondern die Schaffung zeitlich, örtlich und inhaltlich gebundener Angebote, die regelmäßig wiederkehrend stattfinden oder bedarfsabhängig aufgerufen werden. Als eigene Angebote identifizierten Gille et al. (2022/2022b) die folgenden drei Varianten: Lückenfüller, Scharnierfunktion und Identitätsbildung. Die drei Angebotsvarianten unterscheiden sich vor allem in ihrer Zielgruppe. Während Angebote zur Identitätsbildung sich an eine Zielgruppe richtet, die bereits antifeministische Inhalte vertritt und in einen geschlossenen Kreis einlädt, sind Scharnierangebote klassische Strategien politischer Mobilisierung. Sie werden von ideologisch gefestigten und organisierten Strukturen genutzt, um Menschen, die bereits erste Berührungen mit antifeministischen Kreisen hatten, einzuladen und ihnen so weiter antifeministische Inhalte zu vermitteln. Demgegenüber erwecken Lückenfüller nach außen das Bild karitativer Angebote als Beitrag zur sozialen Infrastruktur.

Dabei handelt es sich bei Lückenfüllern zunächst um Angebote ohne formale politische Botschaft, die für eine „breite Bevölkerungsgruppe“ (Gille et al. 2022) anschlussfähig sind. Sie werden als Lückenfüller bezeichnet, weil sie auf Lücken in der sozialen Infrastruktur reagieren. Infrastrukturen fehlen zum Teil aus Mangel an staatlich geförderten Angeboten, finanziellen Ressourcen und Kapazitäten. So gibt es unter anderem Schwangerschaftskonfliktberatungen, die scheinbar eine offene Beratung anbieten, beim Besuch jedoch einseitig gegen Abtreibung argumentieren (Schmid in Dissens, 2023). Ein weiteres Beispiel für Lückenfüller sind von christlich motivierten Vereinen durchgeführte sexualpädagogische Angebote an Schulen, die gemäß Oldemeier et al. mit ihren Methoden homo-, inter*- und trans*feindliche Inhalte vermitteln (Oldemeier, Backöfer et al. 2020). Im Sommer 2022 wurde in einer Regensburger Schule ein externes Angebot des Vereins teenStar in einer Klasse mit Viertklässler:innen abgebrochen, weil es gegen die Richtlinien der bayerischen Familien- und Sexualerziehung verstieß (vgl. Mobirex und Dennecker 2022). Laut Dennecker vertritt der Verein homo-, inter*- und trans*feindliche Inhalte und erkennt nur hetero-, cis- und endogeschlechtliche Paare mit Kind(ern) als Familie an (ebd.).

Scharnierangebote sind klassische Strategien politischer Mobilisierung. Sie werden von ideologisch gefestigten und organisierten Strukturen genutzt, um Menschen, die bereits erste Berührungen mit antifeministischen Kreisen hatten, einzuladen und ihnen so weiter antifeministische Inhalte zu vermitteln. Bei Scharnierangeboten treffen ideologisch gefestigte, miteinander vernetzte und organisierte Antifeminist:innen auf Personen, die bisher keine gefestigte antifeministische Ideologie vertreten (vgl. Gille et al. 2022). Deswegen „fokussieren Scharnierangebote Themen, die im vermeintlich gewöhnlichen Alltag verortet sind“. Besonders häufig finden sich diese Art von Angeboten an den Schnittstellen von Kultur, Spiel und Geselligkeit (Gille et al. 2022). So wird auf erlebnisorientierte Angebote gesetzt (Schmid 2023), wodurch der Selbstverteidigungskurs für Jugendliche, das Sommerfest oder der offene Kochkurs für die Verbreitung antifeministischer Inhalte genutzt werden kann (vgl. Hartl 2019). Scharnierangebote bieten Raum für die Verbindung zwischen organisierten antifeministischen Akteur:innen und breiten Teilen der Gesellschaft (Gille et al. 2022b).

Angebote zur Identitätsbildung richten sich gezielt an bereits interessierte Zirkel, um sich nach innen zu stärken. Hier geht es weniger um inhaltliche Überzeugungsarbeit, stattdessen werden Angebote zum „Aktivwerden“ gemacht. Gille et al. (2022) beschreiben dies als identitätsstiftende Ereignisse, Feste oder Veranstaltungen in geschlossenen Kreisen. Dazu zählen beispielsweise die Ferienfreizeiten des verbotenen rechtsextremen Ferienlagers Sturmvogel (Gille et al. 2022). Ferienlager sind abgegrenzte Räume, in denen autoritäre Rollen auch außerhalb der Familie erprobt werden können. Innerhalb der rechten Ideologie ist das Familienbild sehr eng gefasst. Die Familie dient als „kleinste Zelle der Nation dem Erhalt der Volksgemeinschaft“ (Laumann/Debus 2014). Dabei sind autoritäre Geschlechterbilder, die patriarchale, binäre Rollenzuschreibungen beinhalten, Teil rechter Ideologie, in der Geschlecht als Platzanweiser fungiert (ebd.). Das geht einher mit Diskriminierung und Abwertung von Menschen, die nicht in dieses Weltbild passen. Beobachtungen der Politologin Andrea Röpke zeigen enge Überschneidungen zwischen den gelebten Geschlechterrollen im Ferienlager der (extrem) rechten Jugendorganisation und den autoritären geschlechtlichen Rollenzuschreibungen in neonazistischen Familien (Ayyadi 2022, Röpke 2022). Diese beeinflussen Kinder und Jugendliche, die mit den völkischen Inhalten aufwachsen.

2. Externe Einflussnahme durch antifeministische Akteur:innen

Neben den eigenen Angeboten existieren Strategien der externen antifeministischen Einflussnahme die der oben dargestellten Matrix. Dazu zählen: gezielte Angriffe auf Strukturen, Bedrohungen von Personen sowie sozialräumliche Inszenierungen.

Mit Angriffen auf die eigenen Strukturen sehen sich beispielsweise Träger queerer Bildungsprojekte konfrontiert, wenn ihre Finanzierung durch parlamentarische Anfragen seitens rechtskonservativer Parteien infrage gestellt wird. Feministische Jugendeinrichtungen, Einrichtungen der Demokratieförderung oder der emanzipatorischen Sexualerziehung werden „als linksextrem stigmatisiert, um ihnen die Förderstruktur zu entziehen“ (Gille et al. 2022). Vor einigen Jahren wurde beispielsweise die Berliner Bildungsinitiative Queerformat angegriffen, als sie eine pädagogische Handreichung mit dem Titel „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben – Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Themen frühkindlicher Inklusionspädagogik“ veröffentlichte. So titelte eine Zeitung aus Berlin im Februar 2018: „Berliner Senat verteilt Sex-Broschüre für Kita-Kinder“ (Geiger 2019). Dabei ist die Broschüre im Sinne des Bildungsauftrags des Berliner Senats und beschäftigt sich mit der Integration sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in die frühkindliche Pädagogik (Queerformat 2018). Ähnlich antifeministisch aufgeladen sind gezielt herabwürdigende Debatten um Frauenhäuser. Einerseits diffamieren Antifeminist:innen Frauenhäuser als Orte des „Männerhasses“ (Oestreich 2019). Andererseits nutzen sie sie, um Argumente gegen das Selbstbestimmungsgesetz vorzubringen, indem trans* Frauen, die Zugang zu Frauenhäusern suchen, ihr Frausein abgesprochen wird (Haller/Schlichting 2022).

Als eine weitere Strategie antifeministischer Akteur:innen benennen Gille et. al die Bedrohung von Einzelpersonen innerhalb der Sozialen Arbeit. Solche Bedrohungen treffen beispielsweise diejenigen, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Diversität einsetzen oder selbst queer oder trans sind.

Eine Studie über queere Expert:innen in der Sozialen Arbeit der Universität Bielefeld ergab, dass etwa 122.000 queere Fachkräfte in den Feldern der Sozialen Arbeit tätig sind (Höblich/Baer 2022). Die queeren Fachkräfte berichten von Diskriminierungserfahrungen, wozu verbale Diskriminierungen durch Kolleg:innen und Vorgesetzte, aber auch Adressat:innen zählen (Höblich/Baer 2022). Hierbei machen Mitarbeitende die Erfahrung, dass auch nach mehrmaligen persönlichen Gesprächen durch verschiedene Kolleg:innen sowie Unterhaltungen mit der Leitung eine Veränderung oder Konsequenz ausbleibt. Zusätzlich zu den queerfeindlichen Aussagen erfahren sie weitere Bedrohungen. Laut den Studienergebnissen kommt es zu Sachbeschädigungen, körperlicher Gewalt, sexueller Belästigung und Hassmails. Mitarbeiter:innen aus zum Beispiel feministischen Einrichtungen der Sozialen Arbeit erleben antifeministische Angriffe nicht nur via E-Mail, Anruf oder in verbaler Form, sondern auch als Verfolgung auf Dienstwegen oder in besonders gefährlichem Maße als Morddrohung (Ringhofer, 2016). Zudem können sie von digitalen Diffamierungen (ebd.) und Doxing (das unerlaubte Veröffentlichen von personenbezogenen Daten) betroffen sein. In der Folge sind Betroffene von Anfeindungen allzu oft auf sich allein gestellt. Die psychosozialen Auswirkungen können Burn-out, Angstzustände und Berufsunfähigkeit bedeuten.

Innerhalb der zweiten Kategorie der externen Einflussnahme benennen Gille et. al außerdem sozialräumliche Inszenierungen als relevant. Diese zielen darauf ab, diskriminierende Botschaften im öffentlichen Raum wie „Flyer, Graffiti und Aufkleber an ausgewählten Kindergärten, Schulen, Jugend- oder Nachbarschaftszentren“ (Gille et al. 2022b) zu verteilen. Zudem wird auf Konfrontation in Form von öffentlichen Inszenierungen wie Demonstrationen, Kundgebungen oder Kampagnen gesetzt. So wurden 2021 die Fenster einer queeren Jugendeinrichtung in Anklam eingeworfen und die Hauswände mit queerfeindlichen Sprüchen besprüht (queer.de 2021). Im August 2024 erhielten die Münchner Kulturzentren SUB und LeZ Morddrohungen gegenüber trans* Menschen an ihren Hauswänden (Bönte & Röhmel 2024). In einer Kirche in Spremberg und einer Schule in Frankfurt am Main wurden 2023 Regenbogenflaggen angezündet (Trautsch 2023). Vor den Räumen von ProFamilia in Frankfurt am Main belästigen Abtreibungsgegner:innen regelmäßig Personen, die die Schwangerschaftskonfliktberatung in Anspruch nehmen möchten. Hier versuchen die Demonstrierenden vor allem über das Thema „Lebensschutz“ Schwangere von einer Abtreibung abzuhalten (Taz 2022). Gesetzlich verankert ist seit 2024 eine Protestverbotszone von 100 Metern vor den Räumen von Schwangerschaftskonfliktberatungen, Kliniken sowie Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten.

Öffentliche Inszenierung nutzt nach Angaben der Sozialwissenschaftlerin Schmincke auch die „Demo für alle“, die von rechtskonservativen bis extrem rechten Parteien und christlich-fundamentalistischen Verbänden unterstützt wird (Schmincke 2017). Ausgangspunkt für ihre Gründung war die Petition eines Realschullehrers mit dem Titel „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ im Rahmen der Erneuerung des Bildungsplans in Baden-Württemberg (Schmincke 2017). Die Erneuerung sah vor, die Vielfalt an sexuellen, geschlechtlichen und familialen Lebensformen in den baden-württembergischen Bildungsplänen abzubilden. Akteur:innen der „Demo für Alle“ und der Initiative „Besorgte Eltern“ organisierten daraufhin Demonstrationen gegen den Bildungsplan (Schmincke 2017). Auf den ersten Blick wirken die Demonstrationen mit ihren blauen und rosa Luftballons harmlos. Auf Transparenten, Flyern und in Parolen transportieren sie jedoch trans*- und homofeindliche Aussagen. Zudem werden durch die Aufruftexte Bedrohungsszenarien konstruiert, wie beispielsweise der „Zerfall der traditionellen Familie“ (Schmincke 2017). Die wiederholte Erzählung von der angeblichen Gefährdung des Kindeswohls wird verbunden mit emotionalen Ansprachen. Es werden Ängste rund um Kindeswohlgefährdung geschürt, die Kitas, Schulen und Eltern zum Handeln gegen vielfaltsorientierte Ansätze auffordern. Wer sich von den antidemokratischen und antifeministischen Inhalten überzeugen lässt, bekommt auf den Demonstrationen durch Flyer und Ähnliches weitere Anschlussangebote oder andere Mitmach- und Kennenlernaktionen mit.

3. Interne Einflussnahme

Hinsichtlich der internen Einflussnahme gelangt die Matrix nun zur letzten Kategorie. Hier beziehen sich Gille et al. (2022) auf bestehende Strukturen innerhalb der Sozialen Arbeit. Antifeminist:innen nutzen unter anderem die strategischen Varianten: Anwesenheit von Antifeminist:innen, diskriminierende Sprache und Duldung von Handlungen. Das Ziel solcher Strategien ist es, Personen, die nicht in das antifeministische Weltbild passen, von Angeboten der Sozialen Arbeit auszuschließen und Räume für sich und die eigene Propaganda einzunehmen.

Die bloße Anwesenheit (Präsenz) von Personal mit antifeministischen Wertvorstellungen birgt Risiken. Zum Teil gilt die „fürsorgende Rolle“ im Rahmen weiblicher Geschlechteranforderungen als strategisches Mittel rechter Ideologie (Bitzan 2020), wodurch antifeministische Einflussnahme schon in der Kinderbetreuung stattfinden kann. Die Anwesenheit von Fachkräften, die selbst gefestigte antifeministische Positionen vertreten oder der rechten Szene angehören, ist problematisch, da diese einerseits einen Einfluss auf Adressat:innen der Angebote ausüben und andererseits Schlüsselpositionen für den Zugang zu Hilfestrukturen, wie Jugend- und Sozialämter, besetzen können (Gille et al. 2022b). Dadurch haben sie unter anderem Einfluss auf den Verbleib von Schutzsuchenden, wie beispielsweise Frauen, die mit ihren Kindern in Gefüchtetenunterkünften leben (Müller, Prasad, Riede et al. (o.J.) und Women in Exile 2023).

Diskriminierende Sprache bereitet antifeministischen und antidemokratischen Positionen eine Basis. Klassische Wortergreifungsstrategien durch emotionalisierte Debatten, Ethnisierung von Gewalt, Tabubrüche oder auch Verschwörungserzählungen über einen angeblichen „großen Austausch“ verschieben die Grenze des Sagbaren. Dies zeigt sich „in der Reproduktion von Stereotypen und Vorurteilen, in der sprachlichen Ausgrenzung verschiedener Adressatengruppen und in der Zunahme von Hate Speech“ (Gille et al. 2022). Argumentativ werden „Nützlichkeits- und Verwertungslogiken“ ableistisch gegeneinander ausgespielt und bewertet, wenn Personen qua binärer Rollenzuschreibung als mehr oder weniger wert beurteilt werden. Dies funktioniert unter anderem über Witze oder biologistische Zuschreibungen, die im Arbeitsalltag allzu oft unwidersprochen bleiben. Insbesondere für Fachkräfte und Adressat:innen, die im Alltag intersektional Diskriminierungen ausgesetzt sind, kann diskriminierende Sprache eine psychische Belastung darstellen (Debus/Saadi 2023).

Innerhalb der Oberkategorie interne Einflussnahme verweisen Gille et. al außerdem auf die Variante Dulden. Dulden meint Situationen, in denen keine Positionierung gegen antifeministische Einflussnahme stattfindet. Im Berufsfeld der Sozialen Arbeit wird generell ein menschenfreundliches soziales Ethos als Grundhaltung vorausgesetzt, das undefiniert und vage bleibt. Aus den Erfahrungen unserer Seminarteilnehmenden lässt sich entnehmen, dass an Hoch- und Berufsschulen oder Ausbildungsplätzen hinreichende Informationen über queer-exkludierende Organisationen oder homofeindliche Bildungsmaterialien fehlen (Fachstelle mobirex o. J.), die beispielsweise im Rahmen der Praktikumswahl helfen, einen antifeministischen Verein zu erkennen. Nicht selten fehlt es an der Implementierung entsprechender Ansprechstrukturen, Positionierungsleitfäden, Handlungsstrategien, Sensibilisierungsübungen und diskriminierungssensiblen Leitbildern in den Strukturen der Sozialen Arbeit. Letztlich braucht es Rahmenbedingungen für Fachkräfte an ihrem Arbeitsplatz, um Handlungsfähigkeit herstellen und Unsicherheiten in der Reaktion abbauen zu können.

Wie weiter?

In beispielhafter Anwendung der Matrix von Gille et al. konnte antifeministische Einflussnahme auf Soziale Arbeit nachgezeichnet werden. Insbesondere bei emanzipatorischen Angeboten rund um reproduktive, queere, vielfaltsbewusste Selbstbestimmung sind Fachkräfte, Adressat:innen der Angebote und soziale Träger von konkreten Bedrohungen und Gewalt betroffen. Darüber hinaus können die drei eingeführten Kategorien „eigene Angebote, externe Einflussnahme und interne Praktiken“ sich innerhalb ihrer Varianten überschneiden. Sie können auch kategorieübergreifend aufeinander aufbauen oder sich gegenseitig bedingen. Ein solches Beispiel ist die Kinderbuchlesung von Drag Queens (Blumenthaler 2023) in einer Wiener Buchhandlung im März 2023 . Hierbei gab es vor allem die externe Einflussnahme über sozialräumliche Inszenierungen in Form von Gegendemos, digitale und verbale Bedrohung von Personen sowie einen parlamentarischen Verbotsversuch.

Die Anwendung der Matrix auf antifeministische Einflussnahme konnte in diesem Beitrag umrissen werden, ist jedoch um weitere Felder der Sozialen Arbeit, Beispiele und Beschreibungen ausbaubar. Welche Handlungsoptionen im Umgang mit antifeministischer Einflussnahme für Institutionen und Mitarbeitende der Sozialen Arbeit ergeben sich aus den drei Kategorien (eigene Angebote, interne und externe Einflussnahme)?

Präventive Maßnahmen können folgende sein:

Sensibilisieren heißt Informieren aller Beteiligten

  • Fort- und Weiterbildungsangebote für mehr Handlungssicherheit und zur Sensibilisierung über antifeministische Einflussnahme in der Sozialen Arbeit für Fachkräfte, Auszubildende, Adressat:innen der Angebote des Trägers,

  • Geschlechterreflektierte Bildungsarbeit als Prävention von Antifeminismus,

  • Erarbeitung landes- und bundesweiter Checklisten für die Soziale Arbeit zur besseren Erkennbarkeit antifeministischer Angebote. Ein Beispiel ist: Fragwürdige Praxen. Antifeministische Sexualerziehung als ‚Gegenentwurf‘ zur sexuellen Bildung der Vielfalt aus Baden-Württemberg (Fachstelle Mobirex),

  • Ausbau von Fachgremien, Netzwerken und Verbündeten für gegenseitige Unterstützung. Eine hilfreiche Methode dafür: Mein schillerndes Netzwerk in der pädagogischen Handreichung zu Antifeminismus (Dissens 2023, S. 99),

  • Im selben Arbeitsbereich trägerübergreifende Positionierungen ausarbeiten, wie zum Beispiel die Standards für Soziale Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften (Müller, Prasad, Riede et al. (o.J.)).

Ansprechkultur und sichere Arbeitsbedingungen in der Organisation prüfen

  • Institutionelle Positionierungen sowie Leitfäden für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und gegen Antifeminismus, worauf Mitarbeitende sich jederzeit berufen können,

  • öffentliche Veranstaltungen hinsichtlich institutioneller Rahmenbedingungen, Awareness und Schutz vorbereiten, ggf. mit Beratung durch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus,

  • Interne Meldestellen im Fall von Hassmails oder Anfeindungen zur Verfügung stellen,

  • Klare Ansprechstrukturen zur Unterstützung von Betroffenen einrichten,

  • Rechtliche Grundlagen zentral zur Verfügung stellen,

  • Ressourcensicherung und finanzielle Absicherung für diversitätsfördernde Projekte,

  • Entwicklung von Schutzkonzepten, Entwicklung von Awareness-Leitfäden für die sozialarbeiterische Praxis.

Intern Individuen und Teams stärken

  • Für Fachkräfte der Sozialen Arbeit sind Schulungen für Mitarbeitende wichtig, um klare Handlungsoptionen aufzuzeigen und der Hilflosigkeit entgegenzuwirken, besonders im Umgang mit Institutionen, aber auch gegenüber Kolleg:innen, die wiederholt problematische Aussagen treffen. Dazu benötigt ein Träger eine klare Struktur, bei der Mitarbeitende die Gewissheit haben, dass in einer Abfolge verschiedener Schritte konsequent gehandelt wird.

  • Stärkung der eigenen Ressourcen auf persönlicher, Team- und Trägerebene,

  • Erarbeitete Leitfäden umsetzen,

  • Arbeitsverträge ausarbeiten, bei denen sich Mitarbeitende bereits zu diskriminierungssensiblem Verhalten bekennen,

  • Haltung im Team und beim Träger regelmäßig besprechbar machen,

  • Supervisionen und Intervision, solidarische Unterstützung, Selbstfürsorge.

Sobald es doch zu einem antifeministischen Vorfall kommt, steht Betroffenenschutz an erster Stelle. Dafür braucht es ein klares Vorgehen und Kenntnis über Ansprechpersonen und Unterstützungsangebote, wie Gleichstellungsbeauftragte, juristische Anlaufstellen und Opferberatungsmöglichkeiten. Ein Beispiel für eine gute Übersicht bietet die Homepage der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V. (bukof o. J.). Für die weitere Bearbeitung eines Vorfalls ist die Dokumentation durch Gedächtnisprotokoll und Screenshots (Anleitung auf HateAid 2020) wichtig. Ein antifeministischer Vorfall kann außerdem bei der Meldestelle „Antifeminismus melden“ dokumentiert werden. Interner Link: Betroffenenberatungsstellen sind hilfreiche Ansprechpartner:innen für einen traumasensiblen Umgang. Letztlich steht jede Situation, in der Antifeminismus eine Rolle spielt, für sich. Eine individuelle Betrachtung bleibt bestehen, damit Reaktionen und Veränderungen stattfinden können.

Weitere Inhalte

Laura Sasse, wissenschaftliche Mitarbeiter*in und Bildungsreferent*in, arbeitet seit 2022 bei Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. sowie freiberuflich zu den Schwerpunkten Antifeminismus, rechte Geschlechterpolitiken, Sexismus, geschlechterreflektierte Pädagogik, Feminismus, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.