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Empathie statt Widerstand Bildungsarbeit gegen Antifeminismus und Diskriminierung

Detox Identity

/ 10 Minuten zu lesen

Antifeminismus ist in vielen Lebensbereichen präsent, auch unbewusst bei Jugendlichen. Warum und wie pädagogische Arbeit gezielt auf Diskriminierung und Identitätsfragen eingehen sollte, erläutern Tobias Spiegelberg und Fabian Ceska von Detox Identity im Interview.

Bildung ist ein Schlüssel, um Diskriminierung entgegenzuwirken und für komplexe Themen wie Intersektionalität zu sensibilisieren. (© Adobe Stock/Felippe Lopes)

Redaktion InfoPool: Wie definiert ihr Antifeminismus?

Tobias Spiegelberg: Antifeminismus ist ein Phänomen, das gleichzeitig mit dem Feminismus aufgetreten ist. Seitdem feministische Bewegungen bestehen, gibt es auch Gegenbewegungen. Was Antifeminismus sein kann, bewegt sich auf einem sehr breiten Spektrum und reicht von politischer Aktion oder parteipolitischem Engagement bis hin zu Argumentationen oder Positionen in persönlichen Debatten. Als Denkweise geht es immer um eine Gegenbewegung zum Feminismus.

Fabian Ceska: Antifeminismus ist zu verstehen als Agenda, als politische Doktrin, die versucht, aktiv gegen feministische, demokratiefreundliche Bewegungen zu arbeiten. Wir befassen uns im pädagogischen Kontext vor allem mit Menschen, die nicht bewusst dieser Doktrin folgen, sondern teilweise unbewusst antifeministische Tendenzen haben. Das heißt, dass sie Sachen nachsprechen, von denen sie oftmals gar nicht wissen, dass das auch antifeministische Doktrin ist. Deswegen ist das ein Graubereich, den wir als wichtig erachten oder als Chance, da das Weltbild dort oftmals nicht geschlossen ist. Da ist noch eine Tür offen.

Welche Rolle spielt Bildungsarbeit im Umgang mit antifeministischen Tendenzen?

Tobias Spiegelberg: Unsere Arbeit bietet erstmal die Möglichkeit, Verständnis dafür zu entwickeln, warum eigentlich gewisse Gruppen, also vor allem männlich sozialisierte Jugendliche, auf antifeministische Parolen oder antifeministische Denkweisen anspringen. Und auch, warum diese Gruppen ganz gezielt von antifeministischen Akteur:innen angesprochen werden. In der Phase der Pubertät werden Kategorien wie Männlichkeit und Weiblichkeit sehr wichtig für Jugendliche und bieten eine Möglichkeit, die eigene Identität zu finden und auszudrücken. Antifeministische Akteur:innen geben häufig ganz einfache Antworten auf diese eigentlich komplexen Herausforderungen – wie z.B. Partner:innen zu finden oder mit Problemen in der Schule oder mit den Eltern klarzukommen. Diese einfachen Antworten adressieren einen gewissen Leidensdruck, den Jugendliche in dieser Zeit haben. Um adäquat mit diesen Situationen umgehen zu können, ist es für pädagogische Fachkräfte sehr wichtig, die Dimension von Diskriminierungserfahrungen und unterschiedlichen Erfahrungshorizonten unter den Jugendlichen mit einzubeziehen.

Fabian Ceska: Wir setzen in unserer Arbeit bei Mehrfach-Diskriminierungen an, da wir sehr häufig mit strukturell diskriminierten Kids arbeiten. Wir haben ein Methodenkonzept entwickelt, für das wir mit den unterschiedlichsten Männern gesprochen haben. Zum Beispiel Philosophie-Studenten, aber auch mit Leuten, die straffällig geworden sind. Ihre Gemeinsamkeit: Sie haben gar keinen Bock auf Feminismus, das heißt, in all diesen Kontexten gab es antifeministische Tendenzen. Es ist mir noch einmal wichtig zu sagen: Wir reden hier nicht nur von manchen Bevölkerungsgruppen, sondern wirklich von allen. Überall fischen antifeministische Akteur:innen und sind damit erfolgreich. Es gibt einen Artikel von Veronika Kracher , in dem sie erläutert, inwieweit Antifeminismus längst nicht ausschließlich mit Rassismus oder struktureller Diskriminierung zu tun hat, sondern durch alle gesellschaftlichen Schichten verteilt ist. Deshalb braucht es Bildungsarbeit, die ganz unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigt und Menschen unterschiedlicher Hintergründe erreicht.

Wie äußert sich Antifeminismus typischerweise im schulischen oder pädagogischen Umfeld? Gibt es bestimmte Formen von Antifeminismus, die in Schulen besonders häufig auftreten? Wenn ja, welche?

Tobias Spiegelberg: Im Kontext feministischer Bildungsarbeit werden oft antifeministische, diskriminierende Äußerungen von Personen wiederholt, die Social-Media-Diskurse prägen. Hinter diesen Äußerungen steckt oft eine politische Agenda – allerdings eher bei den Akteur:innen, die aktiv auf Social Media sind. Die Personen, denen wir in der pädagogischen Arbeit begegnen, haben in der Regel keine solche Agenda. Sie haben die Positionen noch nicht verinnerlicht, sondern reproduzieren sie eher. Aus welchen Beweggründen sie antifeministische Positionen wiederholen, damit haben wir uns viel auseinandergesetzt. Was uns im pädagogischen Kontext begegnet, sind vor allem Queerfeindlichkeit oder auch Misogynie, also frauenfeindliche Bemerkungen, teilweise auch gegen Lehrpersonen.

Wenn wir mit belastbaren, wissenschaftlich fundierten Fakten arbeiten, werden diese häufig einfach geleugnet oder eine Gegenthese aufgestellt: „Das ist nicht wahr. Das ist irgendwie anders.“ Mit dem Verhalten, das die Jugendlichen untereinander zeigen, behindern sie auch manchmal feministische Bildungsarbeit, sei es durch Drohgebärden oder indem sie feministische Positionen sanktionieren durch Abwerten, Verhöhnen oder gar Niederschreien. Oder sie erschweren die aktive Teilnahme von Personen, vor allem von nicht-männlichen Jugendlichen.

Welchen spezifischen Herausforderungen begegnen Lehrkräfte und Schüler:innen im schulischen Umfeld, wenn sie mit antifeministischen Einstellungen konfrontiert werden?

Tobias Spiegelberg: Das System Schule ist besonders anfällig, weil es ein Zwangskontext ist. Ein Zwangskontext, in dem Leute zusammenkommen, die sonst nicht unbedingt zusammengekommen wären. Dementsprechend stehen dort die Stärkung oder Festigung der eigenen Identität oftmals im Mittelpunkt. Antifeminismus ist komplexitätsreduzierend und meist sehr einfach verständlich – und somit attraktiv für viele Jugendliche. Zusätzlich bietet der Raum Schule nach wie vor noch viel zu wenig Möglichkeiten, Denk- und Handlungsangebote, um die Ängste und Sorgen vieler Jugendlicher besprechbar zu machen.

Fabian Ceska: Um als männlich zu gelten, stellen Jugendliche oft Hierarchien innerhalb der Gruppe bzw. Peer-Group her. Dominantes Auftreten gepaart mit Positionen, die andere herabwürdigen, können Jugendlichen helfen, in der sozialen Rangordnung aufzusteigen. Jugendliche testen die Grenzen des Sagbaren und übertreten sie teilweise, um besonders krass zu wirken. Dabei handelt es sich in der Regel noch nicht um eine gefestigte Überzeugung oder ein geschlossenes Weltbild, sondern eher um eine Demonstration der eigenen Coolness. Es geht darum, zu zeigen: „Ich bin der krasseste Typ gerade, der sich das traut“.

Uns ist außerdem aufgefallen, dass pädagogische Fachkräfte sich oftmals für die Jugendlichen/jungen Erwachsenen in einer Position der Feindschaft befinden. Das heißt, dass die Jugendlichen sie als Gegner:innen wahrnehmen, vor allem was die Themen Feminismus, Gleichberechtigung oder strukturelle Diskriminierung angeht. Viele junge Männer fühlen sich überhaupt nicht abgeholt, wenn Feminismus nur für FLINTA*-Personen hingestellt wird. Sie gehen dann, sobald diese Themen auch nur angesprochen werden, aktiv in einen automatisierten Widerstand aufgrund der Position, die sie den Lehrer:innen gegenüber haben. Diese Feindschaft ist sehr rigide, und es ist sehr schwierig für pädagogische Fachkräfte, damit umzugehen.

Sehr viele Kolleg:innen oder pädagogische Fachkräfte vermeiden diese Themen daher einfach und besprechen feministischen Themen, Gleichberechtigungsthemen, Antifeminismus als Problem gar nicht mehr, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Das ist vollkommen nachvollziehbar, aber keine Lösung. Das Ziel ist meist, nichts falsch zu machen, anstatt zu fragen, wie man es denn gemeinsam richtig machen könnte. Was oft passiert, wenn etwas Antifeministisches oder Sexistisches gesagt wird, ist, dass die Lehrkraft aus ihrem Selbstbild, ihrer eigenen Haltung sagt: „Nein, hier positioniere ich mich! So kannst du nicht reden. Das geht gar nicht!“ – was sehr wenig Raum für Veränderungspotenzial schafft, aber ein sehr klares Signal sendet. Es wird dann oftmals nicht mit der Person, die sich sexistisch, queerfeindlich oder rassistisch geäußert hat, aktiv ins Gespräch gegangen.

Wie können Lehrkräfte und pädagogisches Personal sensibilisiert und geschult werden, um Antifeminismus im Klassen- oder auch Lehrer:innenzimmer effektiv zu begegnen?

Fabian Ceska: Die Sensibilität hat sich in den letzten Jahren zwar erhöht, wird aber den Problemen, die immer konkreter werden und sich häufen, meist nicht gerecht. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Schulen zu wenig machen, sondern daran, dass das Problem besonders komplex ist.

Tobias Spiegelberg: Wenn wir von Schulen angefragt werden, besteht oft ein Problembewusstsein: „Hier passiert viel Sexismus.“ Vielleicht gab es auch einen Übergriff, Queerfeindlichkeit, Beleidigungen, die damit einhergehen. Ein Erklärungsansatz, den uns pädagogische Fachkräfte dann oftmals präsentieren ist, das zu kulturalisieren – und sich so aus der Verantwortung zu nehmen. Sie haben das Gefühl, wegen der „kulturellen Distanz“ nicht agieren zu können. Was aus einem Verständnis für die Fachkräfte nachvollziehbar ist und gleichzeitig mit einer starken Reproduktion von Rassismen und auch Klassismen einhergeht. Oft bemerken wir schon in Vorgesprächen, dass diese Denkweise sehr präsent ist. Wenn wir an Schulen kommen, an denen viele überwiegend männlich sozialisierte Jugendliche sind, die Klassismus- und/oder Rassismuserfahrungen machen, dann reden wir erstmal über Diskriminierung allgemein. Wir beginnen damit, über die Lebensrealität der Schüler:innen zu sprechen, um dann später den Transfer zu machen, Empathie für Personen zu entwickeln, die von anderen Formen der Diskriminierung, wie Queerfeindlichkeit oder Sexismus, betroffen sind. Im schulischen Kontext hat man selten diesen intersektionalen Blick. Auch dazu, was es bedeutet, privilegiert und gleichzeitig von Diskriminierung betroffen zu sein.

Die sinnvollste Präventionsmaßnahme ist die Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte. Sich mit dem Themenkomplex Antifeminismus und unterschiedlichen Diskriminierungsformen zu beschäftigen, aber vor allem einen empathischen Zugang zu den Personen zu finden, die sich auf eine gewisse Art widerständig zeigen und antifeministische Tendenzen aufweisen. Dann kann es auch gelingen, Ruhe zu bewahren und einen konstruktiven Umgang damit zu finden.

Auch unter pädagogischen Fachkräften besteht oftmals die Einstellung, dass FLINTA*-Personen die Bildungsarbeit zu feministischen Themen machen müssen. Aber auch Männer müssen viel mehr in die Verantwortung gehen und Bildungsarbeit leisten. Es ist wichtig, auch als Mathelehrer solche Themen zu adressieren und mit der eigenen Persönlichkeit und Positionierung als Vorbild zur Verfügung zu stehen. Da haben Lehrkräfte eine superwichtige Funktion einzunehmen.

Welche zukünftigen Entwicklungen seht ihr in der Auseinandersetzung mit Antifeminismus, insbesondere in Bezug auf Bildungsarbeit? Oder welche wären eurer Meinung nach nötig?

Tobias Spiegelberg: Es ist wichtig, innovative Formate und einen Zugang über die Lebensrealität der Menschen zu finden: „Was für Probleme und Konflikte treten hier auf? Wie hängen sie mit Diskriminierung und anderen feministischen Themen zusammen? Was für Auseinandersetzungen gibt es dazu? Und wie kann ich helfen?“ Es müssen Begegnungen mit diesem Thema stattfinden, so dass Berührungsängste abgebaut und ein Aktivwerden gefördert werden kann. Diskurse werden weiter von Social Media geprägt, immer vereinfachter und pointierter und stark von Emotionen geleitet. Man muss, auch basierend darauf, wie man selber positioniert ist, wie man selber z.B. von Sexismus und Queerfeindlichkeit betroffen ist, einen eigenen Weg finden, über diese Themen zu sprechen und pädagogisch zu arbeiten. Es braucht Räume, Unterstützungsangebote und Möglichkeit zum Austausch für genau diese Lernprozesse.

Fabian Ceska: Wir haben bisher gar nicht viel über konkrete Fälle geredet, darüber, was eigentlich in den Klassen mit den jungen Erwachsenen passiert. Um da nochmal ein bisschen Storytelling zu machen: Wir waren letztens an einer Schule, wo uns in einem Vorgespräch geschildert wurde: „Das sind die Schlimmsten, und vor allem die Männer sind schlimm. Und ihr wisst schon: vor allem ‚die‘.“ Da ahnten wir schon, was der Kontext ist, in dem sich diese Jugendlichen befinden. Und tatsächlich war das Regime der Lehrer:innen, die wir dort angetroffen haben, relativ hart. In der Klasse haben wir gemerkt: Hoher Anteil von Personen mit Migrationshintergrund, Klassismus und Rassismus sind total präsent in der Schule. Und was machen wir, wenn wir an so eine Schule kommen? Obwohl wir ganz klar für Sexismus und Queerfeindlichkeit geholt wurden, haben wir angefangen, über Klassismus und Rassismus zu reden. Nicht in diesen Worten, sondern mit Fallbeispielen, mit den Geschichten der Schüler:innen. Und wir haben gemerkt, wie da ihre Herzen und Augen aufgingen. Und wie sie das Thema strukturelle Diskriminierung verstehen konnten, dass es was mit ihnen zu tun hat. Die Schüler:innen wurden aufgefangen bei ihren eigenen Geschichten.

Wir haben den Raum getrennt und dann nur mit den Jugendlichen zu den Fragen gearbeitet, die sich selbst als männlich verstehen und denen dieses Geschlecht auch gesellschaftlich zugewiesen wird: „Was sind eigentlich die Parallelen, die ihr habt in eurer Diskriminierungserfahrung mit Personen, die queer oder von Queerfeindlichkeit betroffen sind?“ So konnten in der Diskriminierungserfahrung Verbindungen geschaffen werden. Die Teilnehmenden haben verstanden, dass sie viel mehr Ähnlichkeiten haben mit den Personen, die sie selbst diskriminieren, als mit den Personen, die vielleicht viel privilegierter sind als sie selbst. In diesem spannenden Moment gibt es häufig viel Widerstand. Deswegen machen wir das auch erstmal in Kreisen, wo nur Schüler sind, die sich als „Jungen“ oder „Männer“ verstehen, um dann die Brücke zu schaffen. Es hilft, Empathie für sich selbst erfahren zu haben, um dann zu merken, wo sie selbst vielleicht Täter:innen sind, und danach zu schauen, was ihre Verantwortung ist. Wenn ich verstehe, dass die Verletzung, die ich bei anderen auslöse, dieselbe oder eine ähnliche ist, die ich auch selbst erfahre, fällt es mir leichter, zu schauen, wie ich anders handeln kann. So banal das klingt, das ist wirklich ein Transfer, der super hilfreich ist und supergut funktioniert mit jungen Erwachsenen.

Tobias Spiegelberg: Wir müssen darauf vertrauen, dass junge Menschen in dem Kontext Zugänge finden können, die uns als pädagogische Fachkräfte einfach nicht zugänglich sind. Da gibt es zum Beispiel so etwas wie das Peer-to-Peer-Konzept, das Jugendliche, die gerade selber Anfang 20 sind, dabei begleitet, sich pädagogische Arbeit anzueignen und dann aktiv zu werden. Junge Menschen zu fördern, die Bock haben, politische Bildung zu machen, und ihnen Werkzeuge mit an die Hand zu geben, ist enorm wichtig.

Was allen im bildungspolitischen Kontext bewusst ist, sind die dramatischen Kürzungen. Sie machen das Problem noch größer und erfordern, die immer knapper werdenden Mittel klug und strategisch einzusetzen. Das bedeutet dann mitunter eher eine Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte mit Multiplikator:innen-Effekt anstelle der auch wichtigen eintägigen Workshops mit den Jugendlichen.

Weitere Inhalte

Detox Identity arbeitet zu kritischer Männlichkeit und bietet in unterschiedlichen Kontexten Workshops an. Der Fokus liegt auf der konstruktiven Bearbeitung antifeministischer Widerstände bei Männern, um diese in wirksame Methoden zu übertragen.