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Zwischen Verharmlosung und konsequentem Vorgehen Reichsbürger:innen als Gegenstand juristischer Auseinandersetzung

Charlotte Langenkamp Sophie Borkel

/ 14 Minuten zu lesen

Die Festnahme eines deutschen Aristokraten und seines mutmaßlichen Verschwörungskreises Ende 2022 hat die Reichsbürgerbewegung kurzzeitig wieder in den Mittelpunkt des medialen Interesses gerückt – brisanterweise gehört auch eine ehemalige Richterin dazu. Insbesondere die juristischen Herausforderungen mit Reichsbürger:innen werden im Folgenden skizziert.

Immer wieder geraten Reichsbürger in den Konflikt mit der Justiz. Hier muss Justitia genau hinsehen. (© Adobe Stock/Proxima Studio)

Die wichtigsten Elemente der Interner Link: Reichsbürgerideologie sind neben Antisemitismus, Rassismus und autoritären Einstellungen die Delegitimierung der Bundesrepublik Deutschland und eine laienhafte Fixierung auf Rechtsfragen. Letztere stellen den Markenkern der Ideologie dar und unterscheiden die Reichsbürger:innen von anderen rechtsextremen Strömungen.

Besonders typisch für die Reichsbürgerszene ist der Versuch, juristische Fachsprache zu imitieren. Urkunden, Beglaubigungen und vermeintliche Rechtsansprüche spielen eine zentrale Rolle in ihrem Denken. Diese Dokumente können ein Gefühl der Selbstermächtigung verleihen, angesichts der eigenen Ohnmacht gegenüber einer komplizierten Welt die Autorität, den Staat, infrage zu stellen (Schönberger 2023, S. 14). Ein Blick darauf, was sich Reichsbürger:innen anstatt der Bundesrepublik vorstellen, macht das antidemokratische Denken deutlich. Ob Führerstaat nach dem Vorbild der Nationalsozialisten, Kaiserherrschaft wie zu Bismarcks Zeiten oder selbst ernannte Könige - Reichsbürger:innen aller Couleur lehnen Mitbestimmung und Grundrechte ab.

Und auch die weiteren zentralen Ideologeme, Rassismus und Interner Link: Antisemitismus, stehen im Widerspruch mit der Menschenwürdegarantie aus Artikel 1 des Grundgesetzes, was vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt wurde(vgl. BVerfG, Urteil vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13). Die Verschwörungsfantasien der Reichsbürger:innen kreisen um Fremdherrschaft durch die Alliierten oder geheime Eliten. Struktureller Antisemitismus ist der Grundstein dieses Verschwörungsdenkens. Dazu kommt, dass bei ihnen ein starker Fokus auf Abstammung und Staatsbürgerschaft liegt. Die Frage, wer zum Reich gehört, egal um welches es konkret geht, wird stets mit Verweis auf die völkische Abstammung beantwortet. Das Konzept von Staatsbürgerschaft, das auf geteilten Rechten und Pflichten unabhängig der Herkunft beruht, ist ihnen fremd.

Trotzdem rechnen weder das Bundeskriminalamt (BKA) noch der Verfassungsschutz die Reichsbürger:innen konsequent dem Rechtsextremismus zu. Das BKA zählt in seiner Statistik zur politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2023 über 80 Prozent der Straftaten aus dem Milieu unter die Kategorie „sonstige Zuordnung“ (Bundesministerium des Innern und für Heimat / Bundeskriminalamt 2024, S. 29). Darunter auch die Umsturzpläne der Reuß-Gruppe (Litschko 2023). Der Verfassungsschutz rechnet sogar nur fünf Prozent der Reichsbürger:innen dem Rechtsextremismus zu (Bundesamt für Verfassungsschutz 2024). Diese fehlende Kategorisierung des Phänomens als Rechtsextremismus ist zumindest in Teilen problematisch.

Herausforderungen

Im Folgenden werden die vier größten Herausforderungen im juristischen Umgang mit Reichsbürger:innen skizziert: die Heterogenität der Szene, ihre (Selbst-)Verharmlosung, das hohe Gewaltpotenzial sowie die doppelte Betroffenheit der Justiz.

Keine homogene Gruppierung

Klar definierte und abgrenzbare Sachverhalte sind für die juristische Arbeit wichtig. Doch das Interner Link: Reichsbürgerphänomen lässt sich nur schwer definieren, gerade auch, weil die Reichsbürger:innen keine homogene Gruppierung sind, sondern sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetzen. Wenn man sie nur als kaisertreue Antimodernist:innen, als Gebietsrevisionist:innen oder als esoterische Selbstdarsteller:innen versteht, wird man dem Phänomen nicht gerecht. Für einen souveränen Umgang des Staates mit Reichsbürger:innen braucht es fundiertes Wissen, sowohl über die verschiedenen Strömungen als auch zu den strömungsübergreifenden Ideologieelementen.

Es ist konstitutiv für die Reichsbürgerbewegung, dass sich sowohl Menschen, die in ihren eigenen vier Wänden ein Königreich gründen, zugehörig fühlen können als auch jene, die versuchen den Staat umzustürzen. Gerade die Justiz darf sich nicht von einem verharmlosenden Auftreten Ersterer nach Außen blenden lassen.

(Selbst-)Verharmlosung

Reichsbürger:innen werden in der Öffentlichkeit häufig als Spinner abgetan. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz bezeichnet das Weltbild der Reichsbürger:innen als „verworren“ und behauptet, rechtsextreme Ideologieelemente seien nur gering ausgeprägt (Bundesamt für Verfassungsschutz 2024). Der häufig vorherrschende voyeuristische Blick auf das Skurrile und Abgründige der Reichsbürgerszene behindert die kritische Auseinandersetzung mit dem autoritären, rassistischen und antisemitischen Weltbild und wirkt verharmlosend. Das nutzen die Reichsbürger:innen. Zum Beispiel positioniert sich das „Königreich Deutschland“ ganz bewusst im Kontext von Esoterik, Dorfromantik und friedlicher Existenz. Dass sich dahinter Verfassungsfeindlichkeit und antisemitische Verschwörungsideologien verbergen, ist erst auf den zweiten Blick sichtbar.

Hohes Gewaltpotenzial

Ein gewalttätiges Moment ist in der Ideologie selbst angelegt. Die Delegitimierung des Staates geht einher mit einem abstrakten Feinddenken. „Die Alliierten“ oder „die Eliten“ bedrohen das eigene Volk und damit das Selbst. Die Vorstellung einer unmittelbaren und existenziellen Gefahr erzeugt Handlungsdruck, um diese abzuwenden. Dadurch kann Gewalt als Notwehr legitimiert werden. Das abstrakte Feindbild wird in der imaginierten Gefahrensituation konkret und entlädt sich in Gewalt, insbesondere gegen Vertreter:innen des Staates. Verschärft wird das Gewaltpotenzial durch eine hohe Affinität der Szene zu Waffen (vgl. auch Bundesamt für Verfassungsschutz 2024; s. u.).

Doppelte Betroffenheit der Justiz

Die Justiz ist auf zweifache Weise mit dem Reichsbürgerphänomen beschäftigt. Das ergibt sich aus der Ambivalenz zwischen Ablehnung des Staates und Fixierung auf Rechtsfragen, die die Szene auszeichnet.

Zum einen ist die Justiz als zentraler Akteur mit der Klärung von Verwaltungs- und Finanzstreitigkeiten sowie der Verfolgung von Straftaten aus dem Reichsbürgermilieu befasst. Allein für das Jahr 2023 rechnete das Bundeskriminalamt den Reichsbürger:innen 1.300 Straftaten zu ( Bundesministerium des Innern und für Heimat / Bundeskriminalamt 2024, S. 28).

Die Justiz ist aber zugleich Ziel von Gewalt aus der Reichsbürgerszene. Das beginnt bei harmloseren Varianten des „Papierterrorismus“, also dem Fluten von Behörden mit Briefen sowie pseudojuristischen Anliegen, und endet in handfester Bedrohung. Betroffen sind neben Verwaltungsbeamt:innen, Polizist:innen und Gerichtsvollzieher:innen gerade auch Jurist:innen. Dies zeigen beispielhaft Zahlen aus Thüringen: 2023 gab es allein hier 457 Fälle von Bedrohungen gegenüber Justizmitarbeiter:innen durch Reichsbürger:innen (vgl. Süddeutsche Zeitung 2024). 2018 waren es noch 33 Fälle. Hierzu zählt beispielsweise die Aufforderung, sich zur eigenen Hinrichtung einzufinden. Eben weil Jurist:innen die Aufgabe haben, straffällige Reichsbürger:innen zu verurteilen, Entscheidungen der Verwaltung zu kontrollieren und ihre Vollstreckung anzuordnen, werden sie in besonderem Maße zu deren Ziel. Es ist also im Interesse der Justizmitarbeiter:innen, die Reichsbürgerideologie richtig einzuordnen und schnell zu erkennen.

Beispiele aus der Rechtsprechung

Durch die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und die damit einhergehende Nichtanerkennung ihrer Gesetze ist es in der Reichsbürgerideologie angelegt, dass ihre Anhänger:innen immer wieder mit der Justiz in Berührung kommen. Die juristische Befassung erstreckt sich hierbei auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche und mithin auf eine Vielzahl verschiedener Rechtsgebiete, vom Beamten- und Dienstrecht über das Waffenrecht bis hin zum Strafrecht.

Reichsbürger:innen und Ausweisdokumente

Reichsbürger:innen sehen sich nicht als Staatsangehörige der Bundesrepublik und akzeptieren daher den Personalausweis oder Reisepass häufig nicht als Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit. Stattdessen versuchen sie zum Teil einen Staatsangehörigkeitsausweis, auch „gelber Schein“ genannt, zu beantragen. Hierfür berufen sie sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) von 1913, in dem das Abstammungsprinzip für den Erwerb der Staatsangehörigkeit festgeschrieben war.

Heute regelt das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), das auf dem RuStAG beruht, die Fragen der Staatsangehörigkeit. Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein echtes behördliches Dokument und kann als Beweis der deutschen Staatsangehörigkeit beantragt werden. Dies kann zum Beispiel nötig sein, wenn Zweifel an der Staatsangehörigkeit bestehen, weil eine Person im Ausland geboren ist, aber deutsche Vorfahren hat. Mittlerweile gilt die Beantragung des „gelben Scheins“, häufig gepaart mit der Angabe alter Gebietsbezeichnungen wie „Preußen“ oder „Königreich Bayern“ bei Wohn- und Geburtsort, als starker Indikator für die Zugehörigkeit zum Reichsbürgermilieu. Nach § 30 StAG setzt die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises ein „berechtigtes Interesse“ der Antragstellenden voraus. Einzelne Gerichte sind dazu übergegangen, die Beantragung des Ausweises von Reichsbürger:innen als rechtsmissbräuchlich zu kategorisieren und eine Ausstellung zu verweigern (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 5.9.2018 – 1 O 715/18).

Alternativ fertigen Reichsbürger:innen immer wieder Fantasieausweise für fiktive Staaten an. Die Herstellung solcher Dokumente ist als Urkundenfälschung strafbar nach § 267 StGB. So verurteilte das Landgericht Freiburg beispielsweise einen Reichsbürger zu einer Geldstrafe für die Herstellung eines „Reichspersonenausweises Deutsches Reich" sowie eines „Reisepasses Deutsches Reich“ (vgl. LG Freiburg, Urteil vom 20.3.2019 – 2/19 7 Ns 92 Js 16087/17).

Können Reichsbürger:innen dem Staat dienen?

Für Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes, aber auch für Soldat:innen oder Richter:innen gilt, dass sie verfassungstreu sein und jederzeit für die Interner Link: freiheitlich demokratische Grundordnung (fdGO) eintreten müssen (vgl. § 8 BeamtStG, § 41 Abs. 1 S. 2 TVöD BT-V Bund; § 3 Abs. 1 S. 2 TVöD-L; § 8 SG, § 9 DRiG). Die fdGO ist nicht legal definiert, aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst sie die unentbehrlichen Kernprinzipien der Verfassung wie Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und Menschenwürde.

Wenn Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen, kann mit Disziplinarmaßnahmen gegen die Staatsdiener:innen vorgegangen werden. So können ihre (Ruhe-)Bezüge gekürzt, sie in den frühzeitigen Ruhestand versetzt oder sogar gänzlich aus dem Dienst entfernt werden. Für die Pflichtverletzung ist nicht entscheidend, ob diese innerhalb oder außerhalb des Dienstes begangen wurde, wenn sie dazu „geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen“ (§ 47 Abs. 1 S. 2 BeamtStG). Hängen Personen einer Ideologie an, die die Existenz der Bundesrepublik und ihrer Gesetze ablehnt, muss man davon ausgehen, dass es ihnen an der notwendigen Verfassungstreue für den Staatsdienst fehlt. Diese Einschätzung findet sich auch in der Rechtsprechung der vergangenen Jahre wieder, bei der Gerichte in verschiedenen Entscheidungen eine Entfernung aus dem Dienst bestätigt haben.

So bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entfernung eines beim Bundesnachrichtendienst tätigen Beamten, der bei der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises als Geburts- und Wohnsitzstaat das Königreich Bayern angegeben und sich auf RuStAG mit Stand von 1913 bezogen hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2021 – 2 A 7.21). Eine Soldatin auf Zeit wurde fristlos aus dem Dienst entfernt, nachdem sie eine Website via Facebook beworben hatte, auf der verfassungsfeindliche Inhalte aus dem Reichsbürgermilieu geteilt wurden (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 9.3.2022 – 14 K 5778/21).

Ein weiterer Fall lohnt der näheren Betrachtung: Eine Lehrerin aus Bayern hatte den „gelben Schein“ beantragt, sich hierbei auf das RuStAG mit Stand von 1913 bezogen und bei Wohn- und Geburtsort „Bayern“ sowie als Ort der Eheschließung „Preußen“ angegeben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte 2022 zwar fest, dass die Lehrerin mit ihrem Handeln die Legitimität der Bundesrepublik in Abrede gestellt und die fdGO abgelehnt habe, entschied jedoch trotzdem, lediglich ihre Bezüge für die Dauer von fünf Jahren um 20 Prozent zu kürzen. Das Gericht begründete dies damit, dass sie in ihrer Stellung als Lehrerin einen minderen Gefährdungsgrad darstelle als beispielsweise Justiz- oder Polizeibeamte. Auch seien ihre Einstellungen nicht öffentlich bekannt geworden (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 20.7.2022 – 16a D 20.1464). Hier stellt sich die Frage, welcher Schweregrad der Pflichtverletzung dem Gericht für eine Entfernung aus dem Dienst hinreichend erschienen wäre, wenn die offensichtliche Ablehnung der Verfassung hierfür nicht ausgereicht hat.

Ebenfalls lässt sich eine Entscheidung des Berliner Dienstgerichts im Oktober 2022 kritisch diskutieren, das die Entfernung der Richterin Birgit Malsack-Winkemann aus dem Dienst ablehnte. Die Justizverwaltung hatte versucht, ihre Rückkehr in den Justizdienst zu verhindern, nachdem sie bei der Bundestagswahl 2021 nicht erneut für die AfD in den Deutschen Bundestag eingezogen war. Die Verwaltung argumentierte, dass Malsack-Winkemann während ihrer Abgeordnetentätigkeit unter anderem Asylsuchende in menschenwürdeverletzender Weise diskreditiert und eine völkische Gesellschaftsordnung befürwortet habe. Das Dienstgericht lehnte mit Verweis auf die Interner Link: Indemnität, also das aus Artikel 46 GG herrührenden Recht von Abgeordneten zur freien Meinungsäußerung, eine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand ab (vgl. DG des Landes Berlin, Urteil vom 13.10.2022 – DG 1/22). Nur kurz darauf, im Dezember 2022, wurde Malsack-Winkemann als mutmaßliches Mitglied der sogenannten Gruppe Reuß (Interner Link: s. u.) verhaftet. Der Gruppierung wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz der politischen Ordnung geplant zu haben. Seit März 2023 ist sie vorläufig des Dienstes enthoben (vgl. LTO 2023).

Reichsbürger:innen als Schöff:innen

Genau wie Berufsrichter:innen unterliegen auch ehrenamtliche Richter:innen der Pflicht zur Verfassungstreue, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2008 festgestellt (vgl. BVferfG, Beschluss vom 6.5.2008, 2 BvR 337/08). Schöff:innen üben ein besonderes Ehrenamt aus und übernehmen für den Rechtsstaat eine zentrale Rolle, wenn sie im Gerichtssaal Urteile (mit) fällen.

Trotz dieser Pflicht zur Verfassungstreue finden im Vorfeld von Ernennungen keine Überprüfungen statt. Wurde im Nachhinein jedoch bekannt, dass ehrenamtliche Richter:innen dem Reichsbürgermilieu angehörten und somit nicht über die notwendige Verfassungstreue verfügten, haben Gerichte konsequent gehandelt und mit der Entfernung aus dem Amt reagiert. So wurde beispielsweise ein Schöffe des Amtes enthoben, der seinen Personalausweis zurückgegeben und sich stattdessen mit dem Reisepass ausgewiesen hatte, weil auf diesem der Adler wie der Reichsadler abgebildet sei (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 8.12.2014 – 2(S) AR 37/14). Gleiches betraf auch einen Schöffen, nachdem er unter anderem das Landgericht Essen als eingetragene Firma bezeichnet und die Bundesrepublik nicht als Staat anerkannt hatte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.6.2017 – 1 Ws 258/17). Beide hatten zuvor an gerichtlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Großflächige Bewaffnung von Reichsbürger:innen

Die weitreichende Bewaffnung von Reichsbürger:innen ist auch dem Staat als Problem bekannt. Bis zum Jahr 2023 wurde laut Bundesamt für Verfassungsschutz 1.300 von ihnen die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen – trotzdem wusste das Amt 2023 noch von rund 400 Szeneangehörigen, die Waffen legal besitzen (Bundesamt für Verfassungsschutz o. J.). Die Entwaffnungsbemühungen führen gleichzeitig dazu, dass Reichsbürger:innen vermehrt versuchen, juristisch gegen den Entzug ihrer waffenrechtlichen Erlaubnis vorzugehen.

Die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis setzt gemäß § 4 Absatz 1 Nr. 2 Waffengesetz voraus, dass die antragstellende Person die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung besitzt. Wenn hieran später Zweifel aufkommen, kann die Behörde gemäß § 45 Waffengesetz die erteilte Waffenerlaubnis zurücknehmen oder widerrufen.

Die erforderliche Zuverlässigkeit wird inzwischen in der Rechtsprechung bei Reichsbürger:innen recht eindeutig als nicht gegeben angesehen, weil sie bei der vorzunehmenden Gefahrenprognose regelmäßig nicht die nötige Gewähr dafür bieten, dass sie waffenrechtliche Vorgaben beachten und mit Waffen und Munition sorgsam umgehen werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.9.2017 – 20 B 339/17; vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.9.2021 – 11 LA 69/21). Bei der Prognose muss nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass eine Person nicht sorgsam mit Waffen und Munition umgehen werde. Vielmehr muss im Bereich des Waffenrechts keinerlei Restrisiko hingenommen werden, sodass die Zugehörigkeit zum Reichsbürgermilieu für die Annahme der fehlenden Zuverlässigkeit ausreichend ist. Denn wer die Bundesrepublik und ihre Gesetze ablehnt, der befolgt möglicherweise auch die waffenrechtlichen Regelungen nicht.

Wozu es führen kann, wenn Reichsbürger:innen nicht rechtzeitig entwaffnet werden, zeigt der Polizistenmord in Georgensgmünd 2016. Hier sollte ein Anhänger der Reichsbürgerszene nach behördlicher Entscheidung entwaffnet werden. Dazu wurde ein Spezialeinsatzkommando zu seinem Anwesen geschickt. Als ein Polizist versuchte, die Wohnungstür zu öffnen, schoss der Täter unvermittelt auf die Beamten, verletzte mehrere und tötete einen von ihnen (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 23.10.2017 – 5 Ks 113 Js 1822/16).

Was ist Reichsbürger:innen erlaubt?

Auch in anderen Gebieten des Verwaltungsrechts stellt sich die Frage, ob eine Person über die notwendige Zuverlässigkeit verfügt. Der Maßstab der Zuverlässigkeitsprüfung richtet sich dabei immer auch nach der Art der Erlaubnis. Die jeweils zuständigen Verwaltungsbehörden hatten in den vergangenen Jahren vermehrt zu prüfen, ob eine Zugehörigkeit zum Reichsbürgermilieu die Rücknahme oder den Widerruf einer zuvor erteilten Erlaubnis bedeutet. Einige dieser Entscheidungen sind anschließend gerichtlich bestätigt worden, beispielsweise in Bezug auf die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.6.2021 - 8 S 3419/20) oder die atomrechtliche Zuverlässigkeit (vgl. VG Aachen, Urteil vom 28.10.2019 – 6 K 1526/19).

Für den Entzug der Fahrerlaubnis reicht die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene hingegen nicht aus, hierfür bräuchte es eine die Fahreignung ausschließende psychische Erkrankung. Die Reichsbürgerideologie stelle jedoch keine solche dar, wie der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof entschied (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.1.2018 – 10 S 2000/17).

Die Reichsbürgergruppierungen unter Terrorverdacht

Eine enorme Herausforderung für Staat und Justiz stellt die zunehmende Radikalisierung der Reichsbürgerszene dar, aus deren Mitte in den vergangenen Jahren mehrere terroristische Bestrebungen bekannt wurden. Besonders prominent sind hier zum einen die „Vereinten Patrioten“ oder auch „Kaiserreichsgruppe“, die unter anderem die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant haben sollen, sowie die „Patriotische Union“, die häufig nach ihrem mutmaßlichen Anführer Heinrich XIII. Prinz Reuß auch „Gruppe Reuß“ genannt wird und zu der unter anderem auch die frühere Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann gehört haben soll (Interner Link: s. o.). Ihnen wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet und einen bewaffneten Umsturz der Demokratie geplant zu haben. Beide Gruppierungen waren stark bewaffnet und bestanden aus an der Waffe ausgebildeten Personen wie Soldaten, Polizisten und Sportschützen, was den Umgang mit ihnen besonders gefährlich macht.

Die Justiz bemängelt seit Längerem eine schlechte materielle und personelle Ausstattung. Allein gegen die vermutete Gruppe Reuß laufen zurzeit gegen fast 70 Personen Verfahren vor den Oberlandesgerichten in München, Stuttgart und Frankfurt am Main. In Frankfurt musste eigens ein neuer Gerichtssaal gebaut werden, um einen Prozess solchen Ausmaßes durchführen zu können. Weitere vom Generalbundesanwalt geführte Verfahren wegen terroristischer Bestrebungen nach § 129a StGB aus dem Reichsbürgermilieu finden vor den Oberlandesgerichten Hamburg, Koblenz und Düsseldorf statt. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt 47 weitere Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaften der Länder abgegeben. Inwiefern die Ideologie der Reichsbürger:innen in diesen Prozessen eine Rolle spielen wird und ihr Rassismus und Antisemitismus bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten.

Ausblick

Die Analyse der Rechtsprechung hat gezeigt, dass die Justiz insbesondere mit dem Waffen- und Disziplinarrecht konsequent gegen Reichsbürger:innen vorgeht. Und zwar trotz zögerlicher Kategorisierung durch die Behörden.

Die unzureichende Kategorisierung hat zunächst keine unmittelbare Auswirkung auf die Justiz, die an die Einordnungen von Bundeskriminalamt oder Verfassungsschutz ohnehin nicht gebunden ist. Die Delegitimierung des Staates reicht in aller Regel aus, um Reichsbürger:innen zu entwaffnen oder aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Das ist wichtig, allerdings agiert die Justiz damit aus einer sehr staatszentrierten Logik heraus, nach der Extremist:innen nur dann ein Problem darstellen, wenn sie sich gegen den Staat richten. Die Menschenfeindlichkeit der Ideologie gerät so in den Hintergrund und ein großes Gefahrenpotenzial wird verkannt.

Wie eingangs beschrieben, weisen die meisten Ideologieelemente der Reichsbürger:innen eine eindeutige Wesensverwandtschaft zum Rechtsextremismus auf. Rassismus, Antisemitismus und Autoritarismus konstituieren ein rechtsextremes Weltbild. Die Reichsbürgerideologie funktioniert über dieselben Feindbilder und muss deshalb als eine weitere Ausformung des sich stetig diversifizierenden Rechtsextremismus verstanden werden. Die Kategorisierung der Reichsbürger:innen als rechtsextrem würde – anders als bisher – den Fokus auf den menschenverachtenden Charakter der Ideologie setzen. Dies könnte gerade im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 2 StGB eine wichtige Rolle spielen, denn rassistische, antisemitische und menschenverachtende Motive sind strafschärfend zu berücksichtigen. Diese Form der juristischen Anerkennung politischer Motivation ist insbesondere für Betroffene enorm wichtig.

Außerdem würde es dazu beitragen, ein realistischeres Bild über die Verbreitung des Rechtsextremismus zu erreichen. Durch das künstliche Auseinanderdividieren der Straftaten von Reichsbürger:innen in unterschiedliche Phänomenbereiche erscheint die Zahl rechtsextremer Straftaten sehr viel niedriger. Beispielhaft ist hier das Urteil gegen Mario N., der 2021 einen jungen Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein erschoss. Die Ermittlungsbehörden stuften den Fall unter „sonstige Zuordnung“ ein. Erst das Gericht stellte klar, dass die rechtsextreme Einstellung von N. das Hauptmotiv für die Tat war (Walch 2023).

Würde die Justiz also der behördlichen Einordnung folgen, besteht die Gefahr, dass der menschenverachtende Kern von Straftaten aus der Reichsbürgerszene im Verfahren keine oder nur eine geringe Rolle spielt. Rassistische und antisemitische Beweggründe haben immer eine politische Komponente. Sie nicht anzuerkennen, führt deshalb zu einer Entpolitisierung der Taten. Wer die politische Motivation hinter Straftaten nicht ermittelt, nachweist und in der Strafzumessung würdigt, der verharmlost sie. Reichsbürger:innen erscheinen dann weniger als konkrete Bedrohung für Menschen, sondern mehr als Spinner „unter ferner liefen“, von denen allenfalls eine abstrakte Gefahr ausgeht. Bislang sind die Hauptbetroffenen von Gewalttaten aus dem Reichsbürgermilieu zwar überwiegend Staatsdiener:innen, aber nicht nur der Fall aus Idar-Oberstein zeigt, wie schnell sich die Gewalt auch gegen andere Teile der Gesellschaft richten kann. Die Justiz sollte deshalb nicht nur aus Eigeninteresse Reichsbürger:innen als Rechtsextreme ernst nehmen. Sie könnte so einen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie leisten und ein konsequentes Signal geben: Rechtsextreme aller Couleur haben kein Recht darauf ihre menschenfeindliche Ideologie weiter in die Tat umzusetzen.

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Charlotte Langenkamp ist Referentin für Rechtsextremismusprävention bei Gesicht Zeigen! und Projektleitung von United! Gemeinsam gegen Rechtsextremismus. Sie hat Europäische Ethnologie, Sozialwissenschaften und Antisemitismusforschung studiert. Ihre Schwerpunkte sind politische Bildung und Ideologien des Rechtsextremismus.

Sophie Borkel ist Referentin für Rechtsextremismusprävention bei Gesicht Zeigen!. Sie hat Politik und Rechtswissenschaften mit einem völker- und menschenrechtlichen Schwerpunkt studiert. Als Volljuristin liegt ihr Schwerpunkt im juristischen Umgang mit Rechtsextremismus.