"Die Zustimmung für rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Nun wappnen sich diese politischen Akteure für die Wahl zum Europäischen Parlament vom 22. bis 25. Mai 2014 – ein deutlicher Stimmenzuwachs gilt als sicher. Europäische Politikerinnen und Politiker mahnen bereits, dass der zunehmende Einfluss europaskeptischer, bis hin zu Europa vollkommen ablehnender Parteien die europäische Integration deutlich erschweren wird", hieß es in der Ankündigung der internationalen Konferenz, die von der Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, Regionalvertretung in Bonn, am 17./18. März 2014 in Köln ausgerichtet wurde.
Namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journalisten sowie Vertreter von NGOs aus Europa und den USA skizzierten und analysierten die Entwicklungen dieses Spektrums und lieferten die Basis für anhaltende Diskussionen unter den mehr als 200 Teilnehmenden dieser ausgebuchten Veranstaltung.
Hier finden Sie unsere Tageszusammenfassungen:
Montag, 17. März 2014
Dienstag, 18. März 2014
Montag, der 17. März 2014
Dienstag, 18. März 2014
Die Bedeutung des Themas für die politische Bildung, aber auch für die Zukunft Europas hoben Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, und Dr. Stephan Koppelberg, Leiter der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn, bei der Eröffnung hervor.
Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa – ein Eröffnungsvortrag von Cas Mudde
In seinem einführenden Vortrag widersprach Prof. Cas Mudde, Universität Georgia (USA), der Annahme, dass rechtspopulistische Parteien bei den kommenden Europawahlen mit großen Erfolgen rechnen könnten. Zu erwarten seien sechs Prozent für Parteien von rechts außen.
Insgesamt werde es eine große pro-europäische Mehrheit im EP geben. Eine Zusammenarbeit der Europa-Skeptiker im nächsten Europäischen Parlament sei unwahrscheinlich. Und er argumentierte, dass die Annahme, die ökonomische Krise hätte zum Erfolg der äußersten Rechten in Europa geführt, nicht durch die Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien in der gesamten EU gestützt sei. Das Problem in Europa im Hinblick auf den Rechtspopulismus sei also nicht in erster Linie das Gewicht der extremen Rechten, sondern deren Einfluss auf die Diskurse der Mainstream-Parteien. Der seinem Vortrag zugrunde liegende Text erschien am Eröffnungstag der Tagung in der Zeitschrift Interner Link: Aus Politik und Zeitgeschichte.
Viele Vorurteile gleich viele Wählerstimmen?
Im folgenden Programmpunkt "Viele Vorurteile gleich viele Wählerstimmen? Einstellungen und Wahlverhalten in Europa" erläuterte zunächst Prof. Beate Küpper, Hochschule Niederrhein, die Grundzüge des Konzepts der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF).
Ein Kernelement rechtspopulistischer Einstellungen sei die Abwertung von als "schwach" markierten Menschen. Eine Abwertungsbereitschaft (Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit) finde sich in allen der acht untersuchten europäischen Länder in der so genannten Mitte der Gesellschaft. Krisen würden die Bedrohungsgefühle verschärfen, die Neigung zu GMF erhöhen und ließen die Forderung nach Vorrechten für Etablierte aufkommen. Mit Blick auf rechtspopulistisches Wahlverhalten plädierte die Referentin dafür, sich mit den Einstellungen, die solches Verhalten begünstigen, auseinanderzusetzen.
Prof. Tim Spier, Universität Siegen, stellte im Anschluss die Entwicklung rechtspopulistischer Parteien in 16 europäischen Ländern auf der Wahlebene von 1980-2013 dar, erläuterte Erklärungsansätze für das Wahlverhalten, nachfrage- und angebotsseitige Faktoren und politische Gelegenheitsstrukturen. Die Theorie, dass es sich bei den rechtspopulistischen Wählern um sog. Modernisierungsverlierer handele, sei ein Integrationsversuch aller genannten Faktoren. Die sich entspinnende Diskussion im Anschluss an die beiden Vorträge warf unter anderem die Fragen auf, wie rechtspopulistische Politik marginalisiert werden könne und ob Themen, die von Rechtspopulisten vorgegeben würden, aufgegriffen und diskutiert werden sollten oder ob man sich dem Diskurs verweigern solle? Patentlösungen gab es nicht.
Rechte Vielfalt? Themen des rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrums in Europa
In der folgenden Gesprächsrunde diskutierten unter der Moderation von Dr. Andrea Despot, Europäische Akademie (Berlin): Prof. Dr. Ann-Cathrine Jungar, Universität Södertörn (Schweden), Prof. Dr. Piero Ignazi, Universität Bologna (Italien), Dr. Andreas Umland, Fachlektor DAAD, Universität Kiew-Mohyla-Akademie (Ukraine), und Prof. Dr. Frank Decker, Universität Bonn, über "Rechte Vielfalt? Themen des rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrums in Europa".
Ann-Cathrine Jungar legte dar, dass in Nordeuropa rechtspopulistische Parteien in den letzten Jahren in einigen Regierungen vertreten waren oder noch sind. Die nordischen Parteien hätten sich trotz nationaler Unterschiede zusammengefunden und stellten eine weitgehend homogene Gruppe dar. Grund für ihre Wahlerfolge sei unter anderem, dass sie versuchten, die Themen Einwanderung und Integration zu besetzen. Sie wendeten sich gegen multikulturelle Gesellschaften und knüpften stattdessen an alte Vorstellungen eines homogenen Sozialstaates an.
In Südeuropa hingegen gebe es keine Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen rechtspopulistischen Parteien, stellte Piero Ignazi fest. Die Lega Nord in Italien sei an Regierungen beteiligt gewesen, bediene ausländerfeindliche und rassistische Themen, werde in Italien aber nicht unbedingt als rechtspopulistisch angesehen. Die griechische "Goldene Morgendämmerung" sei hingegen offen faschistisch. Der "Block" sei sehr fragmentiert.
In den elf Ländern Osteuropas seien für die rechtspopulistischen Parteien die Themen Antiziganismus, Antisemitismus und Antikommunismus wichtig, erläuterte Andreas Umland. Die Parteien seien unterschiedlich in ihrer Bedeutung für die Länder, insgesamt nicht sehr stark und nicht geeint. Die Europäische Union (EU) habe in diesen Ländern lange für neue Perspektiven gestanden. Doch möglicherweise könnten jetzt, wo den Menschen die EU nicht mehr neu ist, manche rechtspopulistische Partei punkten.
Unterschiedlich sei auch die Situation in den Ländern Westeuropas, so Frank Decker. Es gebe in einigen Ländern Bemühungen um eine europaweite Zusammenarbeit, unter anderem zwischen den rechtspopulistischen Parteien in Belgien, Frankreich, Österreich und den Niederlanden. Die Gemeinsamkeit der rechtspopulistischen Parteien sei die Überzeugung, dass es eine kulturelle Identitätskrise und eine politische Repräsentationskrise gebe. Am erfolgreichsten seien Parteien dieses Spektrums gewesen, denen es gelungen sei, aus den Krisenszenarien eine elektorale Gewinnerformel zu erzeugen.
Auch hier hob die sich anknüpfende Diskussion auf die Frage nach dem Umgang mit rechtspopulistischen Parteien und deren Diskursen ab. Aufmerksam gemacht wurde darauf, dass der belgische Vlaams Belang durch einen "cordon sanitaire" der demokratischen Parteien geschwächt worden sei. Geert Wilders und seine Partij voor de Vrijheid (PVV) seien durch die Einbindung in die Politik gestärkt worden. Auch in der Kaffeepause trieb die Thematik viele der Teilnehmenden weiter um – bis sie sich in eine der sieben Paneldiskussionen begaben, in denen folgende Themen diskutiert wurden:
Dienstag, der 18. März 2014
Dienstag, 18. März 2014
Das Ende offener Gesellschaften?
Am zweiten Tag, dem 18. März 2014, eröffnete Gerwald Herter, Deutschlandradio, das Podiumsgespräch: "Das Ende offener Gesellschaften? Erfahrungen mit Regierungsbeteiligung und Tolerierung".
Prof. Sarah L. de Lange, Universität Amsterdam, erläuterte zunächst, dass für die rechtspopulistischen niederländischen Parteien Lijst Pim Fortuyn (LPF) und Partij voor de Vrijheid (PVV) in den letzten Jahren sozialökonomische Themen an Bedeutung verloren, (sozio-)kulturelle aber gewonnen hätten. Die Parteien hätten dabei die innerstaatlichen Debatten verändert. Koalitionen träfen sich dabei nicht mehr ›in der Mitte‹, sondern durch die Integration von Rechtspopulisten setzten etablierte Parteien ihre ökonomischen, die rechtspopulistischen Parteien ihre migrationspolitischen Ziele durch. Wilders habe damit für einen Rechtsruck bei den Konservativen gesorgt. De Lange befürchtet, dass die radikalen Parteien im Europäischen Parlament die Debatteninhalte und -kultur verändern könnten.
Aus dänischer Perspektive gab Rune Engelbreth Larsen aus Kopenhagen eine Fülle an Beispielen, die zeigen, wie sich durch den Rechtspopulismus das Verständnis von Dänemark als liberalem Land geändert habe. Es gebe Hassreden gegen Muslime und mit verzerrenden Bildern werde Stimmung gegen Ausländer gemacht. Inzwischen unterstützten 24 Prozent der Dänen die Dansk Folkeparti (DF) und viele nähmen die Europäische Union, nicht aber die DF als Bedrohung wahr.
Die Auswirkungen der Lega Nord auf das politische System sowie die politische Kultur Italiens erläuterte Dr. Daniele Albertazzi, Universität Birmingham, unter anderem an Beispielen von Gesetzesmaßnahmen, die zu Zeiten der Regierungsbeteiligung der Lega verabschiedet wurden. Auch habe die Partei wesentlich die Diskussion über Zuwanderung zum Negativen verändert. Gleichwohl befasse sie sich mit Themen, die von anderen Parteien ignoriert würden, wie der Globalisierung, dem Aufstieg Chinas etc. Die Lega habe damit das Konzept der Massenpartei für sich neu erfunden und angepasst.
Das Weltcafé
Eine Perspektive, wie Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit begegnet werden könnte, eröffneten Vertreterinnen und Vertreter von dreizehn Organisationen und Initiativen aus beinahe ebenso vielen Ländern. Im Saal und Foyer des Tagungshauses wurden dafür kleine Gesprächsrunden aufgebaut.
Hier stellte Alain David die Arbeit der französichen Externer Link: Ligue Internationale Contre le Racisme et l‘Antisémitisme vor und Balint Josa die Externer Link: No Hate Speech-Kampagne. Geert Ates skizzierte den Netzwerkansatz von Externer Link: UNITED for Intercultural Action und die Britin Elisabeth Pop den von Externer Link: HOPE not hate. Orhan Kemryan Tahir erläuterte, wie sich die Externer Link: Organisation Civil Society in Action für die Rechte von Minderheiten, in erster Linie Roma, in Bulgarien einsetzt und Tibor Derdák machte deutlich, wie dies alltagspraktisch in der ungarischen Externer Link: Dr. Ambedkar High School geschieht. Andrew Cranfield vom dänischen Forschungs- und Informationszentrum Externer Link: KVINFO führte aus, wie dort Frauen ausländischer Herkunft bei der Integration in den Arbeitsmarkt geholfen wird, und Miriam Attias vom Externer Link: Finnish Refugee Council präsentierte unter anderem ein Nachbarschaftsprojekt. Den Einsatz für die Rechte von Homosexuellen beziehungsweise LGBT von Externer Link: Iskorak schilderte Edo Bulić aus Kroatien. Davide Carnemolla von Externer Link: Melting Pot Europa erklärte, wie die Charta von Lampedusa auf den Weg gebracht wurde und Rafal Pankowski von Externer Link: Nigdy Wiecej vermittelte, wie in Polen über verschiedene Zugänge zum Thema gearbeitet wird. Stephen Nolan von Externer Link: Trademark zeigte, wie seine Organisation in den Konflikten zwischen den Gemeinden Belfasts interveniert. Selbstverständlich fehlte hier nicht der Überblick über die vielfältigen Angebote der Externer Link: Bundeszentrale für politische Bildung, die Annika Meixner, Gereon Flümann und Cornelius Strobel vorstellten.
Die Podiumsdiskussion: Europa! Welches Europa?
Den Abschluss der Konferenz bildete die Diskussion "Europa! Welches Europa? Perspektiven der europäischen Integration in der Diskussion". An dem von Annette Riedel, Deutschlandradio Brüssel, moderierten Podium nahmen teil: Dr. Günther Beckstein (CSU), Dr. André Brie (Die Linke), Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Prof Dr. Bernd Lucke (AfD), Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) und Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl e.V. Kontrovers diskutierten sie ihre Perspektiven auf Europa und ihre Vorstellungen der Europäischen Union in zehn Jahren entlang der Frage, ob unterschiedliche Integrationsstufen in der Union sinnvoll seien. Annette Riedel beschloss die Runde mit der Frage, ob die EU zu den Vereinigten Staaten von Europa verschmelzen solle oder nicht.
Die Diskussion machte nicht nur deutlich, dass es in den Parteien unterschiedliche Standpunkte in grundsätzlichen Fragen gibt. Sie hat auch vor Augen geführt, dass es sich lohnt, über die Vermittlung der Perspektiven für Europa nachzudenken.