Thesenpapier zum Vertiefungsangebot "Rechtsterrorismus als internationales Problem" im Rahmen der Fachtagung "Entgrenzter Rechtsextremismus? Internationale Perspektiven und Gegenstrategien" der Bundeszentrale für politische Bildung in München, 09.-10.02.2015.
Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU), eine Gruppe von drei Neonazis, führte zwischen 1998 und 2011 mehrere schwere Straftaten mit meist fremdenfeindlichem Hintergrund durch: mindestens zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge.
Den Sicherheitsbehörden – Polizei und Verfassungsschutz – blieb der NSU unbekannt, was aus einer Kombination mehrerer Faktoren erklärbar ist: Dabei kommt Fehlern in der Analyse noch eine höhere Bedeutung als der Mangel an Kooperation zu.
Der NSU weist zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede zum bisherigen Terrorismus allgemein bzw. früheren Rechtsterrorismus in Deutschland auf. Seine Besonderheiten kann man mit einer vergleichenden Perspektive erkennen.
Die NSU-Terroristen bewegten sich auch im Umfeld der neonazistisch ausgerichteten Skinhead-Szene, wobei es Kontakte zu Anhängern des international aktiven "Blood & Honour"-Netzwerkes gab. Daher ist auch eine länderübergreifende Perspektive sinnvoll.
Somit soll es in den folgenden Ausführungen um die Besonderheiten des NSU-Rechtsterrorismus im deutschen und internationalen Kontext gehen. Der Hinweis auf Gemeinsamkeiten behauptet aber nicht notwendig eine Nachahmung von Taten als Vorbilder.
Auch frühere deutsche rechtsterroristische Gruppen wie die "Deutschen Aktionsgruppen" hatten 1980 Anschläge mit fremdenfeindlichen Motiven begangen, dabei aber (trotz zweier Toter in Folge einer Brandstiftung) nicht geplant und gezielt Menschen ermorden wollen.
Der Mord an einer Person aus einer Situation von Angesicht zu Angesicht heraus stellt in der Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus eine Besonderheit dar (Ausnahme: 1980 Mord an einem jüdischen Verleger und seiner Lebensgefährtin).
Keine Ausnahme, sondern die Regel ist das Fehlen einer Bekennung zu den Taten. Während dies für Linksterroristen in Form von Erklärungen üblich war, meinten Rechtsterroristen die Auswahl ihrer Opfer oder Tatorte würde für sich selbst sprechen.
Eine Besonderheit des NSU bestand indessen darin, dass sie eine Fehlwahrnehmung ihrer Morde durch die Medien und Sicherheitsbehörden als unpolitische Kriminalität nicht mit Signalen (z.B. Sprüchen oder Symbolen) an den Tatorten korrigierten.
Insofern handelte es sich hier um einen "kommunikationslosen Terrorismus", womit ein bedeutendes Merkmal von Terrorismus nicht erfüllt ist. Indessen wollte man sich wohl später zu den Taten bekennen, wofür die Existenz der "Paulchen Panther"-DVD spricht.
Es gibt also beim NSU aus deutscher Perspektive bestimmte Besonderheiten, die seine Erkennung erschwert, aber nicht unmöglich gemacht hätten. Noch mehr Erkenntnisse oder Hypothesen hätte die Beachtung des internationalen Kontextes liefern können.
In Deutschland sprachen Medien, Politik und Sicherheitsbehörden immer wieder von einer "Braunen Armee Fraktion" und stellten sich somit Rechtsterrorismus fälschlicherweise als eine besonders personenstarke und gut strukturierte Gruppe vor.
Indessen plädierten strategische Erklärungen des gewaltorientierten Rechtsextremismus in Großbritannien ("Blood and Honour") oder den USA (Louis Bean) schon längst für einen "leaderless resistance" von autonom vorgehenden und personell kleinen "Zellen".
Genau so hatte sich auch der NSU organisiert, allerdings als alleinige Zelle ohne eine größere Zellenstruktur im ganzen Land. In aufgefundenen Papieren beschrieb indessen einer der Täter (Uwe Mundlos) seine Hoffnung, es würden sich noch ähnliche Zellen bilden.
Auch für Schüsse auf Menschen in Serie mit fremdenfeindlichem Hintergrund bestand ein ähnlicher Fall im Ausland: Der "Lasermann" (John Ausonius) in Schweden schoss 1990/1991 in Stockholm und Uppsala in Tötungsabsicht auf elf Menschen mit Migrationshintergrund.
Es gab selbst bezogen auf den NSU-Anschlag in Köln 2004 einen ähnlichen Fall im Ausland: "Der Nagelbomber" (David Copeland) in Großbritannien führte 1999 drei Anschläge auf Straßen mit Homosexuellen, Migranten und Schwarzen in London durch.
Im internationalen Kontext sind die Morde der NSU-Aktivisten zwar in ihrer Dimension immer noch als Besonderheit anzusehen. Es gibt nicht nur die oben genannten Beispiele, die eine solche Form von Rechtsterrorismus als eine reale Möglichkeit erscheinen lassen.
Bestärkt wird dieser Eindruck noch durch die Gewaltintensität, welche die Neonazi-Szene ideologisch und medial prägt: In Erklärungen, Songtexten und Videos huldigt man Gewalt nicht mehr in der Kategorie des fairen Kampfes, sondern der existentiellen Vernichtung.
Rechtsterrorismus wie Terrorismus allgemein dürften zukünftig kaum noch in Form von großen personenstarken und strukturierten Organisationen aufkommen. Dominieren werden mehr die Formen des "Lone Wolf"-Einzeltäters und der "Leaderless Resistance"-Zelle. Bis heute sind noch viele Details, aber auch Motive im Kontext der NSU-Morde ungeklärt (z.B. die mitunter großen zeitlichen Abstände wie Nähen zwischen den Taten). Insofern bleiben auch für die Analyse noch viele Fragen offen.