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Panel 5: Rechtsextremismus in Europa | Entgrenzter Rechtsextremismus? | bpb.de

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Panel 5: Rechtsextremismus in Europa

Julian Keitsch

/ 6 Minuten zu lesen

"Rechtsextreme Parteien und Bewegungen sind in Europa heute längst nicht überall marginalisiert. Sie hetzen gegen Einwanderer und Flüchtlinge, fordern eine ethnisch homogene Nation in Grenzen vergangener Zeiten, halten Parlamente für "Schwatzbuden" und versuchen, mit ihren Parolen die Öffentlichkeit zu entflammen. Wann und warum können solche Gruppierungen erfolgreich sein? Welchen Rückhalt finden sie tatsächlich in der Bevölkerung? Wie vernetzt sind sie transnational?", hieß es im Ankündigungstext.

Referentinnen und Referenten:

Tamás Boros (Direktor Policy Solutions), Dan Koivulaakso (Buchautor und Mitglied des Stadtparlamentes Helsinki), Dr. Maria Alvanou (Dozentin an der National Security School and National Defense School). Moderation: Dr. Britta Schellenberg, Ludwig-Maximilians-Universität, München.

Kurzbericht

In den vergangenen vier Jahren sah sich Europa in vielen Ländern mit einem Aufstieg der "neuen Rechten" konfrontiert, eine Entwicklung, die sich auch in den Wahlergebnissen der Europawahl 2014 widerspiegelt. Im Panel "Rechtsextremismus in Europa" haben Dan Koivukaakso, Maria Alvanou und Tamás Boros über die länderspezifischen Entwicklungen und Ausprägungen der Rechtsextremen sowie über die Determinanten und Auswirkungen ihres Erfolges in Finnland, Griechenland und Ungarn berichtet.

Dan Koivulaakso eröffnete das Panel mit einem Beitrag zur rechtsextremistischen Bewegung in Finnland. Zunächst legte er die Entwicklung rechtsextremer Strömungen in Finnland seit 1944 dar: Waren jegliche faschistische Bestrebungen in den Jahren 1944 bis 1991 basierend auf dem Friedensvertrag zwischen Finnland und der Sowjetunion verboten, bereiteten in den 90er Jahren mehrere faschistische Gruppierungen den Weg für heutige Aktivitäten der Rechtsextremen. 1998 kam es zur Gründung des neofaschistischen Thinktanks Suomen Sisu, der von ehemaligen Mitgliedern der faschistischen Partei IKL gegründet wurde. Im Jahr 2004 schlossen sich zahlreiche Aktivisten von Suomen Sisu der Partei Wahre Finnen an. Während sich der Parteivorsitzende Soini Koivuulakso zufolge hauptsächlich euroskeptisch und traditionell populistisch gebare, verständen sich die ehemaligen und gegenwärtigen Mitglieder von Suomen Sisu zuallererst und wesentlich als Nationalisten und wiesen eine stark rassistische und islamfeindliche Haltung auf. Neben dem Wahlerfolg 2011, die drittstärkste Partei im finnischen Parlament zu stellen, attestierte Dan Koivulaakso den Wahren Finnen ein politisches Agenda-Setting, das sich auf die Positionen der anderen Parteien zum Thema Immigration auswirke und auch diese mit offenem Rassismus kokettieren lasse. Neben den Auswirkungen auf parteipolitischer Ebene habe sich das gesamte politische Spektrum so weit nach rechts verschoben, dass zum ersten Mal seit den 1990er Jahren auch wieder Neonazigruppen in Erscheinung treten – wie etwa das 2008 gegründete "Finnish Resistance Movement".

Den zweiten Beitrag begann Tamás Boros mit der Darstellung der Wahlergebnisse der ungarischen Parlamentswahlen 2014, bei der die rechtsextremistische Jobbik 20,22 % der Stimmen erhielt und die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz-KDNP mit 45 % als stärkste Partei ins Parlament einzog. Mit der zunehmenden Zersplitterung der Parteien des linken Spektrums stieg Jobbik 2015 zur zweitpopulärsten Partei in Ungarn auf. Dabei basiere die zunehmende Hinwendung zu rechter Politik in Ungarn unter anderem auf der Enttäuschung über die gesamte politische Elite und das Ergebnis des Regimewandels mit der Auflösung der Sowjetunion. Als weitere Ursache nannte Boros eine ökonomische und soziale Krise seit 2006, die durch die Weltwirtschaftskrise 2008/2009 noch verschärft wurde und mit einem Anstieg der Armut insbesondere in Ostungarn einherging. Daraus wiederum resultierten soziale Spannungen und Ängste, besonders in der unteren Mittelschicht. Spezifische Schlüsselfaktoren für die ersten Erfolge von Jobbik seien die Gründung der Magyar Gárda ("Ungarische Garde“) 2007 und die Instrumentalisierung einer in Ungarn weitverbreiteten antiziganistischen Stimmung. Zudem diene Jobbik ein von ihr etabliertes Mediennetzwerk aus Webseiten, Wochenzeitungen und Boulevardblättern, in welchem sie sich als junge, trendige Partei, die sich von der politischen Elite abgrenzt, präsentiere und ihre Inhalte und Positionen wie z. B. den Kampf gegen "Zigeunerkriminalität“ propagiere. Ebenso wie den rechtsextremen Strömungen in Finnland gelinge es Jobbik, spezifische Themen in den politischen Prozess zu implementieren und das gesamte politische Spektrum nach rechts zu verrücken, so Boros.

Maria Alvanou befasste sich mit dem Phänomen und dem Erstarken des Rechtsextremismus in Griechenland. Auch für dessen Aufschwung stelle die Weltwirtschaftskrise einen wesentlichen Faktor dar. Als Beispiel für das Erstarken lässt sich das Wahlergebnis der Partei Goldene Morgenröte deuten - eine Partei die von der Presse und politischen Analysten als Repräsentantin der extremen Rechten betrachtet wird und bei den griechischen Parlamentswahlen mit 6,28 % der Stimmen bzw. 17 Sitzen ins Parlament einzog und somit die drittstärkste Partei im Parlament darstellt. Die Goldene Morgenröte, die ihre Zuordnung zur extremen Rechten und entsprechende Behauptungen ablehnt, konnte laut Alvanou diese Stimmengewinne erzielen, da sie es unter anderem verstehe, einfache Antworten auf politische Fragen zu geben und sich als Beschützerin der älteren Bevölkerung darzustellen. Neben den Ereignissen auf der politischen Bühne verwies Alvanou auf die Berichte von Gewalt in den Straßen Griechenlands, die in Beziehung zu der Präsenz und dem Erstarken der extremen Rechten gesetzt wird. Presseberichte und die Aufarbeitung der Justizbehörden legen ihren Schwerpunkt auf Gewalt, die ihren Ausdruck in organisierten Angriffen, quasi-militärischen Einheiten, Volksverhetzung sowie nationalsozialistischen Symbolen und Gesten finde. Diese mutmaßlichen Taten seien sehr alarmierend und liegen laut Alvanou jenseits griechischer gesellschaftlicher Traditionen. Ein wichtiges Charakteristikum sei, dass sich die Aggressionen der heutigen extremen Rechten nicht mehr wie in der Vergangenheit hauptsächlich gegen Kommunisten richten, sondern gegen Einwanderer, andere Religionen sowie gegen die Europäische Union und die Politik der deutschen Regierung.

Die anschließende Diskussion beinhaltete unter anderem die genauere Betrachtung der Wählerschaften der jeweiligen Parteien, die Bedeutung des Internets sowie dessen soziale Netzwerke für den Erfolg rechtsextremer Parteien. Insbesondere für Jobbik seien das Internet und dessen Plattformen von massiver Bedeutung, da die traditionellen Medien die Inhalte der extremen Rechten nicht publiziere, so Boros. Zudem werde ihr in den neuen Medien nicht widersprochen und somit die Deutungshoheit überlassen. Weitere Diskussionspunkte waren die länderspezifische Umdeutung der Geschichte von Seiten der Rechtsextremen sowie mögliche Gegenstrategien. Hier wurde angeführt, dass den Rechtsextremen einerseits die Debattenhoheit über Themen wie Zuwanderung genommen werden sollte, welche sie häufig erlangten, indem sie zu bestimmten Themen die Debatte eröffneten. Außerdem benötige es eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung, anstatt rechtsextremistische Parteien zu dämonisieren. Letztendlich gelte es zudem, sie nicht nur als rechtsextrem abzustempeln sondern auch mit "Negative Campaigning" zu schwächen, indem etwa darauf verwiesen wird, dass sie mitunter korrupt seien und zu vielen politischen Inhalten keine fundierte Aussagen treffen könnten.

Biografische Angaben

Tamás Boros ist Politikberater und Direktor des Policy Solutions Political Research Institute mit Sitz in Budapest. Er arbeitete bereits als Experte für europäische Angelegenheiten und Kommunikation für die Europäische Kommission und das ungarische Außenministerium. Außerdem war er vier Jahre lang Direktor der Non-Profit-Organisation Pillar Foundation und ist Mitglied des Wissenschaftsrates der Foundation for European Progressive Studies (FEPS). Seine Publikationen beschäftigen sich hauptsächlich mit Euroskeptizismus und Rechtsextremismus. Er veröffentlichte u. a.: More Radical than the Radicals: The Jobbik Party in International Comparison (mit András Bíró Nagy und Zoltán Vasali, in: Ralf Melzer und Sebastian Serafin (Hrsg.): Right-Wing Extremism in Europe. 2013).

Dan Koivulaakso ist Verhandlungsführer der Gewerkschaft für den öffentlichen Sektor und Sozialwesen (JHL). Er studierte Transnationale Anthropologie an der University of Tampere und Soziologie sowie Journalismus an der University of Helsinki. Zudem ist er Mitglied des Stadtparlamentes Helsinki. Er veröffentlichte u. a.: Radikaaleinta on arki (mit Anna Kontula, Jukka Peltokoski, Miika Saukkonen und Tero Toivanen. 2010). Äärioikeisto Suomessa: Vastarintamiehiä ja metapolitiikkaa (mit Li Andersson und Mikael Brunila. 2012).

Dr. Maria Alvanou ist Kriminologin und gerichtlich anerkannte Gerichtsgutachterin für Terrorismus und Frauenkriminalität. Sie lehrt derzeit an der griechischen Polizeiakademie und der Militärakademie zu den Themen Terrorismus und Bedrohung der nationalen Sicherheit und lehrte zuvor u. a. am Swedish National Defence College. Sie veröffentlichte u. a.: Seven Serious Dangers to Consider in Greece if Far Right / Neo-Nazi Parties Were to be Banned and Excluded from the Electoral Process (populismandextremism.wordpress.com, 2014); Far-right Violence in Greece: an Effective Response (opendemocracy.net, 2014).

Moderation:

Dr. Britta Schellenberg ist Senior Researcher am Centrum für angewandte Politikforschung und lehrt Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die extreme Rechte und die Entwicklung von Gegenstrategien, Vorurteilsforschung sowie Menschenrechtsbildung. Tätig vor allem im Projektmanagement, berät sie auch Politik und Zivilgesellschaft, war u. a. Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages und ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des European Network on Deradicalisation. Sie veröffentlichte u. a.: Die Rechtsextremismus-Debatte. Charakteristika, Konflikte und ihre Folgen (2013); Mügeln. Die Entwicklung rassistischer Hegemonien und die Ausbreitung der Neonazis (2014).

Abstracts der Referierenden

Interner Link: Positionspapier Tamás Boros

Interner Link: Positionspapier Maria Alvanou

Interner Link: Positionspapier Dan Koivulaakso

Fussnoten

Julian Keitsch ist studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Extremismus der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Bonn.