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Panel 4: Die rechtspopulistische Offensive | Entgrenzter Rechtsextremismus? | bpb.de

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Panel 4: Die rechtspopulistische Offensive

Johannes Bluth

/ 6 Minuten zu lesen

"Bei der Europawahl 2014 konnten rechtspopulistische Parteien erneut Stimmen und Sitze hinzugewinnen. Sie inszenieren sich als "Kraft des Wandels", sie provozieren, simplifizieren und (re-)produzieren Feindbilder. Als selbst erklärte Demokraten stellen sie die liberale Gesellschaft in Frage. Welche Faktoren bedingen ihren Aufstieg? Warum gelingt es ihnen, Mediendiskurse und die politischen Agenden anderer Parteien zu beeinflussen? Wie sehen die Gesellschaften aus, die sie anstreben?", hieß es im Ankündigungstext.

Referentinnen und Referenten:

Dr. Susi Meret (Aalborg Universitet), Dr. Sarah de Lange (Universiteit van Amsterdam), Dr. Marcel Lewandowsky (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr). Moderation: Prof. Dr. Damir Skenderovic (Universität Freiburg/Université de Fribourg).

Kurzbericht

Spätestens seit der Europawahl 2014 wird rechtspopulistischen Parteien in der Europäischen Union verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Und die Tatsachen sprechen für sich: In Frankreich, Dänemark, Großbritannien und im flämischen Teil Belgiens bilden Vertreter/-innen rechtspopulistischer Parteien die größte Fraktion im EU-Parlament. Auch in vielen weiteren Ländern haben Europaskeptiker an Macht und Einfluss gewonnen. Doch was genau fordern diese Parteien und worin konkret besteht ihr populistisches Moment? Wie stark ähneln sie sich abseits von bloßer EU-Kritik und welche Rolle spielen spezifische nationale Kontexte, auch im Rückblick auf vergangene Jahrzehnte?

Ein wesentlicher Effekt, der in den letzten Jahren zu konstatieren ist, besteht in einer allmählichen Normalisierung rechtspopulistischer Politik. Der cordon sanitaire der etablierten Parteien werde zunehmend rissig, so Damir Skenderovic. Als verhandlungswürdige Player auf dem politischen Parkett würden Rechtspopulisten oft nicht mehr in Frage gestellt. In der Schweiz ist ihre thematische Integration in öffentlich geführten Diskursen, z. B. zum Thema Zuwanderung, seit langem gefestigt wie Skenderovic berichtete. Die gern zitierte Zuschreibung des Rechtspopulismus als Ausdruck von Protest, als Sammelbecken der politisch Deklassierten, müsse dringend überdacht werden. Eigene Eliten bildeten sich heraus, ein Großteil der Alternative für Deutschland-Mitglieder bringe beispielsweise langjährige Arbeitserfahrung in gemäßigten Parteien mit ein, so Marcel Lewandowsky. An eine solide, parlamentarische Repräsentation werde man sich zudem gewöhnen müssen, doch es zeige sich auch, dass der Erfolg rechter Populisten starken Schwankungen unterliegen kann. Parteiinterne Flügelkämpfe würden häufig und offener als anderswo geführt, Abspaltungen und Kurswechsel seien mithin an der Tagesordnung, sagte Lewandowsky. Die Berichterstattung der Medien greife diese Machtkämpfe gerne auf, ihr Verstärkereffekt sei ungleich mächtiger als bei anderen Parteien, in denen interne Verwerfungen durch etablierte, kommunikative Routinen besser abgefedert werden. Die mediale Rolle der Rechtspopulisten als die des klassischen Paria sei aber inzwischen, mit Ausnahme Schwedens, von einer grundsätzlich offeneren Berichterstattung in den Qualitätsmedien abgelöst worden.

Gleichwohl ist rechtspopulistischen Parteien die Abgrenzung vom politischen Mainstream nach wie vor wichtig, wie Sarah de Lange betonte. Sobald sie aber nach ihren Wahlerfolgen politische Verantwortung übernehmen müssen, zeige sich, dass Regieren nicht unbedingt zu ihren Stärken gehört. Bei Geert Wilders‘ Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) zog die Beteiligung an einer Regierungskoalition schlechtere Folgeergebnisse nach sich. Ähnliches gilt für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in Österreich. Nur die Dansk Folkeparti konnte sich von 2001 bis 2011 in der Regierungskoalition behaupten und somit langfristig erheblichen Einfluss auf die nationale Politik ausüben, wie Susi Meret bemerkte . Auch lassen sich Wählereffekte beobachten: Ist der Sieg einer sozialdemokratischen Partei zu erwarten, schwenken viele rechtspopulistische Wähler auf konservative Parteien um.

Doch inwiefern lässt sich eine Partei als rechtspopulistisch bezeichnen? In Anlehnung an Cas Mudde zeichnen sich rechtspopulistische Parteien vor allem durch ihr besonderes Verständnis politischer Repräsentation aus. Zentrales Element ist der Wille, dem Volk als homogen gedachter Einheit eine Stimme zu verleihen und sich gegen die angeblichen, politischen Eliten in Stellung zu bringen. Diesen wird zumeist vorgeworfen, ihre Macht ausschließlich zu ihrem Eigeninteresse auszunutzen. Stattdessen fordern rechtspopulistische Parteien eine neue, nationale Souveränität, die sich gegen eine empfundene Fremdbestimmung richtet und oft mit einem autoritären Law-and-Order-Denken einhergeht. Das Selbst und das Andere, ohne diesen Dualismus kommen rechte Populisten nicht aus. Neben der Sozialdemokratie und der EU werden vor allem Zugewanderte zum Sinnbild dieses Bedrohungsszenarios. Dabei spielten biologistische Chiffren eine untergeordnete Rolle, wie Lewandowsky klarstellte. Es sei heute vielmehr die Kultur an sich, die zur Zielscheibe wird: Kulturelle Differenzen würden als unüberbrückbar fingiert, vor allem dem Islam werde eine kulturelle Andersartigkeit unterstellt, die ein Zusammenleben mit der als homogen empfundenen Eigengruppe, die Rechtspopulisten schlicht "das Volk“ nennen, unmöglich mache. Es geht also primär um die Frage der Zugehörigkeit. Hinter diesem rationalisierten Kulturalismus verberge sich aber oft eine diffuse Xenophobie, die in Form entlarvender Rhetorik bisweilen an die Oberfläche trete. Auch chauvinistische Tendenzen ließen sich beobachten. Das ist auch kein Wunder, sind doch sowohl Mitglieder aus auch Wähler rechtspopulistischer Parteien überwiegend männlich. Wobei an der Spitze mit Marine Le Pen in Frankreich und ehemals Pia Kjærsgaard in Dänemark auch überproportional oft Frauen anzutreffen sind.

Generell sei - so waren sich die Teilnehmenden des Panels einig - nicht zu erwarten, dass das Wählerpotential rechtspopulistischer politischer Parteien signifikant schrumpfen werde. Doch seien die Parteiprogramme weiterhin oft schwammig, besonders die Vereinbarkeit von liberalem Wettbewerbsdenken und kulturellem Nationalismus bildete im Fall der VVD einen Widerspruch, der programmatisch bisher nicht aufgelöst werden konnte, wie de Lange herausstelle. So bleibe den Parteien oft nur, eine abstrakte Alternative zu den herrschenden Verhältnissen einzufordern. Die politische Realisierbarkeit allerdings sei mit vielen Fragezeichen behaftet. Unter diesen Vorzeichen werde man eine Auseinandersetzung mit den Politikerinnen und Politikern rechtspopulistischer Parteien in europäischen wie nationalen Parlamenten in Zukunft aktiv angehen müssen.

Biografische Angaben

Dr. Susi Meret lehrt an der Aalborg University am Department of Culture and Global Studies. Sie studierte Geschichte an der Università di Ca’ Foscari, Venedig, und wurde 2010 in Aalborg promoviert. Außerdem ist sie unter anderem Projektmitglied des EU-finanzierten Projektes Hate Speech and Populist Othering in Europe: Through the Racism, Age and Gender Looking Glass. Sie veröffentlichte u. a.: Right-wing Populist Parties and the Working Class Vote: What Have You Done For Us Lately? (in: Jens Rydgren (Hrsg.): Class Politics and the Radical Right. 2012); Female charismatic leadership and gender: Pia Kjærsgaard and the Danish People’s Party (mit Hans Georg Betz; in: Patterns of Prejudice, 2014).

Dr. Sarah de Lange lehrt am Institut für Politikwissenschaft der University of Amsterdam. Sie wurde in den Sozialwissenschaften an der University of Antwerp promoviert und war außerdem Jean Monnet-Forschungsstipendiatin am Robert- Schuman-Zentrum am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Parteien, ihren Beziehungen zueinander sowie Parteiensystemen. Veröffentlichungen u. a.: A Populist Zeitgeist? Programmatic Contagion by Populist Parties in Western Europe (mit Matthijs Rooduijn und Wouter van der Brug; in: Party Politics, 20 (4) 2014); The Immigration and Integration Debate in the Netherlands: Discursive and Programmatic Reactions to the Rise of Anti-Immigration Parties (mit Sjoerdje van Heerden, Wouter van der Brug und Meindert Fennema; in: Journal of Ethnic and Migration Studies, 40 (1) 2014).

Dr. Marcel Lewandowsky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Neuere Geschichte an der Universität Bonn. Nach seiner Promotion 2012 war er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leuphana Universität Lüneburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtspopulismus im westeuropäischen Vergleich, politische Strategie und Wahlkampfforschung. Er veröffentlichte u. a.: The AfD and its sympathisers: Finally a right-wing populist movement in Germany? (mit Nicole Berbuir und Jasmin Siri, in: German Politics i. E.); Die rechtspopulistische Parteienfamilie (mit Frank Decker, in: Uwe Jun und Benjamin Höhne (Hrsg.): Parteienfamilien. Identitätsbestimmend oder nur noch Etikett? 2012).

Moderation

Prof. Dr. Damir Skenderovic lehrt Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Er hat Zeitgeschichte, Neuere Geschichte, Sozialanthropologie und Kommunikationswissenschaft studiert und war Gastwissenschaftler an der New York University und am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Neben der Leitung von Forschungsprojekten zu Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Migration und Ausgrenzungspolitiken hat er als Experte für verschiedene Gremien und Stiftungen fungiert. Er veröffentlichte u. a.: Mit dem Fremden politisieren. Rechtspopulismus und Migrationspolitik in der Schweiz seit den 1960er Jahren (mit Gianni D’Amato. 2008); The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945–2000 (2009); Strategien gegen Rechtsextremismus in der Schweiz: Akteure, Massnahmen und Debatten (2010).

Abstracts der Referierenden

Interner Link: Positionspapier Susi Meret

Interner Link: Positionspapier Marcel Lewandowsky

Interner Link: Positionspapier Sarah de Lange

Fussnoten

Johannes Bluth studiert den deutsch-französischen Masterstudiengang "Medienkulturanalyse trinational – Theater- und Medienkulturen im transnationalen Raum" an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Wien und der Université de Nantes. Zuvor studierte er Kommunikationswissenschaft und Romanistik in Erfurt und Lille, Frankreich. Er ist darüber hinaus als freier Filmjournalist tätig, schreibt regelmäßig Filmkritiken, führt Interviews und berichtet von Filmfestivals. Nach einem Praktikum Anfang 2015 arbeitet er als studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Extremismus der bpb.