"Das Auffliegen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds im November 2011 hat Deutschland erschüttert. Ähnliche Anschläge gab und gibt es in vielen anderen Ländern, so zum Beispiel die Sprengung einer Bundesbehörde in Oklahoma City 1995, die Mordserie an Roma in Ungarn 2008/2009, die Attentate von Anders Breivik am 22. Juli 2011 oder die jüngsten Anschläge auf Moscheen in Großbritannien und einigen anderen Ländern Westeuropas. Rechtsterrorismus ist kein singuläres Phänomen, sondern ein internationales Problem. Dieser Erkenntnis folgend werden Ursachen diskutiert, die möglichen Netzwerke und ideologischen Begründungen skizziert und gefragt, wie solche Taten in Zukunft verhindert werden können" (Ankündigungstext).
Referentinnen und Referenten:
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (FH Bund Brühl), Prof. Dr. Kathleen Blee (University of Pittsburgh), Prof. Dr. Sveinung Sandberg (Universitet i Oslo) Moderation: Jan Bielicki (Süddeutsche Zeitung).
Kurzbericht
Rechtsterrorismus ist ebenso wie Rechtsextremismus ein internationales Phänomen. Gleichwohl unterscheiden sich die vermeintlich Gewalt legitimierenden Ideologien und die terroristischen Ausprägungen sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen deutlich voneinander. Um Differenzen und Gemeinsamkeiten näher zu betrachten und zu diskutieren, haben Armin Pfahl-Traughber, Kathleen Blee und Sveinung Sandberg rechtsterroristische Phänomene in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Norwegen analysiert.
Armin Pfahl-Traughber widmete sich in seinem Input den Taten des NSU in Deutschland zunächst aus der nationalen Perspektive und anschließend international vergleichend, um Eigenheiten des NSU-Terrors und die Gründe für das staatliche und gesellschaftliche Versagen bei der Verfolgung der Morde und Anschläge herauszuarbeiten. Waren laut Pfahl-Traughber bis in die 1970er Jahre noch vornehmlich "Linke" das Ziel rechtsterroristischer Aktivitäten in der Bundesrepublik, so richteten sich die Morde des NSU gegen das seither dominant ausgeprägte Feindbild der Migranten. In anderer Hinsicht unterschieden sich die Taten des NSU jedoch ganz erheblich von bisherigen Terrorakten in Deutschland: Im Gegensatz zu den Linksterroristen der RAF veröffentlichte der NSU keine Bezichtigungsschreiben, durch die der terroristische Charakter der Morde hätte offen zutage treten können; die Morde fanden in direkter Konfrontation von Tätern und Opfern "face-to-face" mit derselben Tatwaffe statt; gezielte Angriffe mit Tötungsabsicht auf Polizisten durch Rechtsextremisten waren zuvor in Deutschland unbekannt; die Terrorzelle war zeitlich deutlich langlebiger als vorherige rechtsterroristische Zusammenschlüsse. All diese Faktoren machten den "Terrorismus ohne Kommunikation" des NSU laut Pfahl-Traughber zu einem Terrorismus neuen Typs in Deutschland. Allerdings nur dort.
Ein Blick über die Landesgrenzen hinweg hätte, so Pfahl-Traughber, sehr wohl zu einer Einordnung der Mordserie als Terrorakte führen können: Insbesondere amerikanische Rechtsextremisten waren schon seit einiger Zeit zu einer Änderung der Organisationsstrukturen übergegangen hin zu abgeschotteten, nicht miteinander kommunizierenden und selbständig ohne höhere Befehle agierenden "Lone Wolf"-Terroristen, um sich so der Verfolgung durch Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Rechtsextremistische Mordserien gegen Opfer aus migrantischen Communities habe es bereits in einigen anderen Ländern gegeben. Als Beispiel könne der so genannte "Lasermann" aus Schweden gelten, der in den 1990er Jahren dort willkürlich zahlreiche Personen mit Schusswaffen verletzte und eine Person tötete. Eine vergleichende Perspektive wurde jedoch von den deutschen Sicherheitsbehörden nicht herangezogen. Pfahl-Traughber bemängelt hier eine fehlende Analysefähigkeit bei Polizei und Verfassungsschutz: Man habe Informationen lediglich gemanagt, sie jedoch nicht fachlich kompetent analysiert.
Als Wendepunkt zum Verständnis des amerikanischen Rechtsterrorismus beschrieb Kathleen Blee anschließend den verheerenden Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma im Jahr 1995. Nicht nur drückte sich darin ein Wandel des größten Feindbildes im amerikanischen Rechtsextremismus aus – von Minderheiten, Linken und vermeintlichen Verrätern hin zu vorgeblich alle Freiheiten beschneidenden staatlichen Institutionen. Auch besaßen rechtsterroristische Aktionen zuvor nicht die brutale Intensität des Anschlags mit 168 Toten. Seit 1995 zählt Blee 107 größere terroristische Anschläge von Rechtsterroristen, von denen sich rund die Hälfte gegen staatliche Einrichtungen wandte. Dies spiegelt auch die grundsätzliche Aufspaltung des rechtsextremistischen Spektrums in den Vereinigten Staaten wider. Wenngleich es durchaus Überschneidungen gebe, könne es aufgeteilt werden in einen radikal anti-staatlichen und einen rassistischen Flügel. Im erstgenannten, der über viele Waffen verfügt und sich selbst als "Patriot" beziehungsweise "Militia Movement" bezeichnet, dominierten Verschwörungstheorien, nationalistische Weltbilder und eine tief sitzende Ablehnung der amerikanischen Migrations- und Steuerpolitik. Der zweite Flügel pflege klassische rassistische Einstellungen und organisiere sich als Neonazi- oder Ku-Klux-Klan-Gruppen.
Rechtsextremistischer Terror legitimiert sich in den USA durch ein szeneinternes Verständnis als Avantgarde, die durch Gewaltakte den indifferenten Teil der Bevölkerung "wachrüttele", damit auch dieser sich gegen die herrschenden Verhältnisse wende. Besonderheiten des amerikanischen Rechtsextremismus seien laut Blee die zentrale, mitunter spirituell unterfütterte Rolle von Gewalt und die meist deutlich zutage tretende religiöse Komponente, durch die terroristische Handlungen legitimiert werden sollen. Weitere Charakteristika seien der hohe Radikalisierungsgrad, die personell verhältnismäßig kleine Szene und die bereits genannte Orientierung am "Lone Wolf"-Terrorismus. Eine wesentliche Rolle bei der Radikalisierung spiele die Trennung der Gefangenen nach ihrer Hautfarbe in einigen amerikanischen Gefängnissen, die oftmals als Durchlauferhitzer für Prozesse rassistischer Radikalisierung diene.
Aus einer anderen Perspektive betrachtete als dritter Redner der norwegische Kriminologe Sveinung Sandberg die Terroranschläge von Anders Behring Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya. Er argumentierte auf der Grundlage einer intensiven Lektüre des voluminösen "Manifests" von Breivik, dass die Deutung terroristischer Akte nicht den Tätern überlassen werden dürfe. Zwar gebe es vielfache Überschneidungen zwischen den islamfeindlichen Positionen, die seit vielen Jahren ein fester Bestandteil politischer Debatten in Norwegen seien und zahlreichen Passagen im Manifest des Attentäters. Breivik auf dieser Grundlage jedoch bloß als terroristische Ausprägung dieser abwertenden Mainstream-Ideologie zu begreifen, griffe laut Sandberg zu kurz. Vielmehr sei ein Vergleich mit anderen Straftaten notwendig, wie beispielsweise Amokläufen an Schulen. Auffällige Parallelen zeigten sich hier bei der Selbstdokumentation der gesamten Tat inklusive der Vorbereitung und bei dem durch das Verbrechen offenbar werdenden Ausbruch aus einer Outsider-Rolle. Sandberg erkennt daher eine Fragmentierung rechtsterroristischer Akte, die nicht allein aus einer bestimmten Ideologie heraus verübt werden, sondern auf einer "cultural bricolage" verschiedenster Einflüsse fußen. Die abschließende Diskussion im Plenum griff die jeweiligen Eigenheiten der rechtsterroristischen Szenen und Akte auf. Besonders rege wurde die Charakterisierung des NSU als Terrorismus neuen Typs in Deutschland debattiert und die Frage aufgeworfen, wie viele Personen neben den bekannten drei Mitgliedern der Zelle im rechtsextremistischen Spektrum von den konkreten Taten gewusst haben oder ob das Netzwerk um den NSU lediglich unterstützend tätig gewesen sei, ohne von den Morden in Kenntnis zu sein. Hier bleibt wohl die Aufarbeitung der Taten im zeitgleich in München tagenden NSU-Prozess abzuwarten.
Biografische Angaben
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber lehrt seit 2004 an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und ist seit 2007 Lehrbeauftragter an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und der Philipps- Universität Marburg. Nach seiner Promotion lehrte er in Marburg und Köln. Er gehört seit 2010 dem Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages an und ist seit 2013 Mitglied im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz. Neben diversen Veröffentlichungen ist er u. a. auch seit 2008 Herausgeber des "Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung".
Prof. Dr. Kathleen Blee lehrt Soziologie an der University of Pittsburgh. Sie studierte an der Indiana University und an der University of Wisconsin-Madison wo sie 1982 auch promoviert wurde. Der Schwerpunkt Ihrer Forschung und Lehre liegt beim amerikanischen Rechtsextremismus. Hierzu veröffentlichte sie u. a.: Inside Organized Racism: Women in the Hate Movement (2003); Women in the Klan: Racism and Gender in the 1920s (2008); Women of the Right: Comparisons and Interplay Across Borders (hrsg. mit Sandra McGee Deutsch. 2012).
Prof. Dr. Sveinung Sandberg lehrt am Institut für Kriminologie und Rechtssoziologie an der University of Oslo. Er studierte in Bergen und Oslo Soziologie, Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaften und Organisationslehre. Er veröffentlichte u. a.: Are self-narratives unified or fragmented, strategic or determined? Reading Breivik’s Manifesto in Light of Narrative Criminology (in: Acta Sociologica, 56 (1) 2013); The Collective Nature of Lone-Wolf Terorrism. Anders Behring Breivik and the Anti-Islamic Movement (mit Lars Erik Berntzen, in: Terrorism and Political Violence. 26 (5) 2014).
Moderation
Jan Bielicki ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ) in München. Er studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in München und Manchester und schrieb Theaterkritiken für die SZ und andere Zeitungen. Danach arbeitete er als Politikredakteur und Parlamentskorrespondent für die Wochenzeitungen Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt und Die Woche sowie für den Stern in Hamburg, Bonn und Berlin