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Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Über die Anziehungskraft anti-demokratischer Politik in ungewissen Zeiten

Elif Sandal-Önal Andreas Zick

/ 5 Minuten zu lesen

Krisenzeiten führen oftmals dazu, dass gesellschaftliche politische Positionen neu bewertet oder verschoben werden. Politische Krisenerzählungen können aber auch von politischen Akteuren strategisch eingesetzt werden.

Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht das Land stark von Krisen beeinflusst. (© picture-alliance/dpa, Horst Galuschka)

Seit Jahren folgt eine Krise auf die nächste, so zumindest lautet die Wahrnehmung in der deutschen Bevölkerung: In der Externer Link: Mitte-Studie, die im Frühjahr 2023 durchgeführt wurde, zeigte sich eine Mehrheit der Befragten sehr beunruhigt über die vielen verschiedenen Krisen. Um ein paar Beispiele zu nennen: 66 Prozent der Bevölkerung waren besorgt über die steigenden Energiepreise, 62 Prozent über eine Ausweitung des Krieges in der Ukraine und 58 Prozent über die wirtschaftliche Lage. In Anbetracht der globalen politischen Agenda im Frühjahr 2023 erscheinen diese Sorgen nachvollziehbar. Gerade in den letzten Jahren kamen unterschiedliche Krisen zusammen. Sie resultieren vor allem aus dem Interner Link: russisch-ukrainischen Krieg, den anhaltenden Interner Link: sozioökonomischen Auswirkungen der Interner Link: COVID-19-Pandemie sowie den Herausforderungen und Belastungen durch die Umstellung der Energie und ihrer Kosten, dem Interner Link: Klimawandel, der irregulären Interner Link: Migration wie auch den innergesellschaftlichen oder von außen kommenden Angriffen auf die Demokratie durch extremistische Kräfte wie auch Falschinformationen.

Was sind Krisen?

Im Laufe der Geschichte haben sich Gesellschaften immer wieder mit Unsicherheiten und Krisen auseinandergesetzt. Sie gehören zur menschlichen Grunderfahrung. Der Begriff Krise wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach den Erfahrungen der Weltkriege und der Großen (wirtschaftlichen) Depression besonders prominent (Koselleck, 2006). Krisen sind Unterbrechungen von Ordnung und Normalität. Als solche können objektive gesellschaftliche Krisenzustände als auch soziale und individuelle Erfahrungen und Wahrnehmungen bezeichnet werden. Im Folgenden geht es vor allem um politische und gesellschaftliche Krisen, die beides umfassen. Politische Krisen können eine objektive Grundlage haben wie z.B. eine finanzielle Krise, die aus einer Inflation hervorgeht, oder den Klimawandel. Auch die Demokratie selbst kann in eine objektive Krise geraten: Etwa wenn Extremismus oder Populismus von innen wie außen zu Werte- und Normverschiebungen sowie einem Vertrauensverlust in Politik und gesellschaftliche Institutionen führt, die die Entscheidungsfähigkeit der Parlamente gefährden. Das politische Framing von Krisen, also worin sie bestehen, worauf sie zurückzuführen sind und wozu sie führen, bestimmt, wie sehr sich Menschen von ihnen im täglichen Leben beeinträchtigt oder verunsichert fühlen.

Polykrise

Lokale, regionale und globale Herausforderungen stehen heute in enger Wechselwirkung und schaffen eine verwickelte Krisensituation, die als Polykrise bezeichnet wird (Lawrence et al., 2023). Das zeigt beispielhaft der Interner Link: Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008, der in den USA begann und mit hoher Geschwindigkeit eine globale Dimension angenommen hat. Das zeigt der Krieg Russlands in der Ukraine wie auch der Interner Link: Krieg im Nahen Osten. Das zeigen Pandemien, Energieprobleme und die politische Polarisierung über das Thema Migration. Die meisten dieser Herausforderungen sind für die Menschheit nicht völlig neu. Aber die schlagartige und weitreichende Verbreitung von Informationen, die zudem durch die Digitalisierung und zunehmend auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ermöglicht wird, hat einen Einfluss auf kollektive Ängste und Befürchtungen. Sie hebt Krisen schneller an prominente Stellen der öffentlichen Agenda und übt damit einen erheblichen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse aus.

Krisen und Demokratiegefährdung

Demokratietheorien gehen im Allgemeinen davon aus, dass Demokratien mit den notwendigen Strukturen ausgestattet sein sollten, um Krisen effektiv zu bewältigen, ohne die zentralen demokratischen Regeln, Prozesse und Werte selbst zu gefährden. Die Fähigkeit, Krisen innerhalb der demokratischen Grenzen zu bewältigen, die auch als Widerstandsfähigkeit oder Resilienz verstanden wird, ist jedoch nicht immer gewährleistet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Menschen sich von demokratischen Regeln abwenden, Grundrechte und -regeln nicht einhalten und/oder anti-demokratisch orientierte Parteien wählen. Krisenzeiten bieten einen fruchtbaren Boden für undemokratische politische Entscheidungen z.B. dann, wenn Regierungen schnelle und radikale Schritte unternehmen, um die Ordnung wiederherzustellen, oder sich anti-demokratische Bewegungen formieren, die die Demokratie angreifen, um ihre eigenen Wahrnehmungen, Interpretationen und Interessen durchzusetzen (Hogg & Adelman, 2013; Zick & Sandal-Önal, 2023).

Krisen- und Unsicherheitszeiten erzwingen geradezu eine Neubewertung der Politik und sie gehen in der Regel mit einer Verschiebung der politischen Präferenzen und Positionen der Bürgerinnen und Bürger einher. Krisenerzählungen können von Parteien und anderen politischen Gruppierungen strategisch eingesetzt werden, um Weltanschauungen zu konstruieren, politische Agenden zu gestalten und kollektive Bedeutungen zu rekonstruieren (Gilbert, 2019). Extremistische und populistische politische Gruppen können erfolgreich ihre Weltsichten vermitteln, weil sie die Unsicherheiten aufgreifen und vermeintlich einfache Lösungen präsentieren.

Krisennarrative Soziale Medien

Vor allem in sozialen Medien werden Krisennarrative durch Verschwörungserzählungen und populistische wie extremistische Propaganda zunehmend im politischen Diskurs verbreitet. Damit wirken sie verstärkend auf eine Bedrohungswahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die geteilte kollektive Unsicherheit wird zum Bindeglied zwischen Menschen und schafft Zugehörigkeit (Breakwell, 2021). Zugleich kann diese das Ausmaß und die Intensität sowohl individueller als auch gesellschaftlicher Krisen weiter verstärken, insbesondere wenn so anti-demokratische politische Einstellungen kanalisiert werden (Zick & Sandal-Önal, 2023a).

Populismusneigung

Krisenbedingte Unterbrechungen gehen in der Regel mit sozial geteilten Gefühlen der Unsicherheit und Zukunftsängsten einher. Diese Emotionen werden von dem Wunsch begleitet, so schnell wie möglich zur vermeintlichen Normalität zurückzukehren. Von politischen Entscheidungsträgern wird erwartet, dass sie einfache und schnelle Lösungen anbieten (Rast & Hogg, 2016). Interner Link: Wird dem politischen System und seinen Akteuren nicht zugetraut, die wahrgenommenen Herausforderungen wirksam zu meistern, kann dies politische Unzufriedenheit, Statusverlustängste oder fremdenfeindliche Abwertungsmuster verstärken. Die Anziehungskraft des Populismus scheint darin zu bestehen, einfache Antworten zu geben, die Sicherheit, Ordnung und (moralische) Überlegenheit (wieder)herstellen sollen (Forgas & Crano, 2021; Krueger & Grüning, 2021). Dabei spielen auch autoritäre Orientierungen eine Rolle: Viele Menschen sehnen sich in Krisenzeiten stärker nach „Führung“. In der Folge öffnen sich zunehmend auch Menschen mit niedrigeren autoritären Tendenzen für rechtspopulistische Meinungen und Ideologien (Gøtzsche-Astrup & Hogg, 2023). Ungerechtigkeitsempfinden und Gefühle der Benachteiligung können zu radikaleren Positionen führen (van den Bos, 2019).

SozialpsychologieKrisenverunsicherung und Gruppenzugehörigkeit

Die Art und Weise, wie Menschen auf Krisen und Ungewissheiten reagieren, hängt von ihrem Umfeld ab. Soziale Identifikationsprozesse mit anderen spielen dabei eine entscheidende Rolle, d.h. die Frage, mit welchen Bezugsgruppen (Ingroups) und Meinungen sich krisenverunsicherte Menschen identifizieren. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Personen mit geringerer Selbstsicherheit oder Personen, die Unsicherheiten in Bezug auf ihre sozialen Identitäten („Zu welcher Gruppe gehöre ich?“, „Gehöre ich dazu?“) erleben, in Krisenzeiten für Unsicherheitsgefühle anfälliger sind (Arkin et al., 2017; Choi & Hogg, 2020; Gerard, 1963; Hogg, 2023; Hogg & Adelman, 2013). Die in der sozialpsychologischen Forschung etablierte Unsicherheits-Identitäts-Theorie (Choi & Hogg, 2020; Hogg, 2007, 2014a) geht davon aus, dass sich verunsicherte Menschen teils besonders stark mit Gruppen identifizieren. Das kann dazu führen, dass sich Personen dann eher mit radikalen und klar abgegrenzten sozialen Gruppen identifizieren, weil diese vermeintlich Sicherheit und Zugehörigkeit versprechen (Hogg, 2014). Zudem orientieren sie sich eher an starken Führungspersönlichkeiten, die eindeutige Erzählungen über die Gruppe, ihre Identität und Stärke liefern (Gøtzsche-Astrup & Hogg, 2023; Hogg, 2007, 2023; Hogg & Adelman, 2013; D. E. Rast et al., 2012).

Rechtsradikale Orientierungen in einer krisengeschüttelten Mitte

Studien zeigen, dass krisenverunsicherte Menschen eher zu nationalistischen politischen Einstellungen neigen, die von Vorurteilen und Ressentiments gegenüber Immigrant:innen geprägt sind (Alves et al., 2024). Stimmt die Annahme also, dass sich Menschen in Krisenzeiten für anti-demokratische Meinungen, Ideologien und Gruppen öffnen? Die Daten der repräsentativen Mitte-Studie 2023 (Zick & Sandal-Önal, 2023a) wie auch die „MiD-Studie“ (d.h. Menschen in Deutschland; Brettfeld, 2023) unterstützen die Annahme: Menschen, die meinen, Deutschland befände sich in einer Krise, stimmen eher rechtsradikalen Meinungen zu als jene, die das Land weniger krisenbedroht sehen. Das zeigt sich etwa in der Zustimmung zu den Aussagen, angesichts der Krisen käme es jetzt darauf an, dass „Deutschland zuerst seine eigenen Interessen durchsetzt“ (49% Zustimmung) oder, dass „das deutsche Volk seine Stärke zeigt“ (51% Zustimmung). Die Mehrheit der Befragten stimmte der Aussage zu, dass Deutschland stark von den Krisen beeinflusst wurde (55%).

Fazit und Ausblick

Die Folgen von Kriegen, Inflation, Digitalisierung, Klimawandel und weiteren Herausforderungen führen dazu, dass althergebrachte Regeln und Modi der Entscheidung nicht möglich sind. Politik geht gewissermaßen genau so die Normalität verloren wie den Bürger:innen. Dennoch konzentrieren sich die Erwartungen der Öffentlichkeit in Krisenzeiten häufig darauf, dass die politischen Entscheidungsträger durch rasche und richtige Entscheidungen schnell wieder zur Normalität zurückkehren. Gleichzeitig fehlt häufig die Informationsgrundlage, um ausgewogene Entscheidungen treffen zu können. Mit dieser Paradoxie zwischen mangelnder Entscheidungsgrundlage und Erwartungsdruck bei der Krisensteuerung muss die Politik auskommen. Allerdings muss sie eben steuern und Mittel abwägen. Umso wichtiger ist es, in Krisen politisch klug zu kommunizieren und angemessen zu informieren, damit sich Menschen nicht vorschnell von der Demokratie distanzieren und jenen hinwenden, die eine scheinbar einfache, aber in letzter Konsequenz demokratiegefährdende Lösung anbieten.

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. 39 Prozent gaben an, dass Menschen wie sie selbst betroffen sind und 3% berichteten, dass sie persönlich betroffen sind. Die kollektive Krisenwahrnehmung ist also stärker als die persönliche Krisenwahrnehmung und zugleich hängen beide eng zusammen. Dieser Zusammenhang wird durch gesellschaftliche Umstände wie objektive Krisen, prekäre Lebensverhältnisse und real schlechte Zukunftsaussichten beeinflusst.

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Dr. Elif Sandal-Önal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Themen Politik der Unsicherheit und Ungewissheit, transnationale politische Einflüsse sowie die Repräsentation von Krieg und Frieden.

Prof. Dr. Andreas Zick ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und der Konfliktakademie sowie Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Konflikte zwischen Gruppen, Rassismus und Rechtspopulismus.